Leichte Sprache
Gebärden­sprache
Ich wünsche eine Übersetzung in:

20. November 2017 Senatsempfang zur Eröffnung der Dauerausstellung „Medizinverbrechen im Nationalsozialismus“

Leichte Sprache
Gebärden­sprache
Ich wünsche eine Übersetzung in:

Rede der Senatorin Dr. Dorothee Stapelfeldt

Senatsempfang zur Eröffnung der Dauerausstellung „Medizinverbrechen im Nationalsozialismus“, Rede, Senatorin, Dr. Dorothee Stapelfeldt, Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, Hamburg

Sehr geehrter Herr Professor Koch-Gromus,
sehr geehrter Herr Dr. Wunder,
sehr geehrter Herr Prof. Osten,
sehr geehrte Frau Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

die Zuerkennung des Opferstatus an die Opfer der NS-Medizinverbrechen hierzulande kam spät. Beschämend spät für eine Gesellschaft, die sich als zivilisiert versteht.

Ich kann mich noch gut an das Gefühl der Dringlichkeit erinnern, das alle erfasste, als vor knapp drei Jahren Frau Thevs mit dem Vorhaben auf mich zukam, endlich auch in Hamburg einen Erinnerungsort zu schaffen.

Für die Menschen, die aus Hamburg kamen oder hier in die Fänge derer gelangten, die das sogenannte Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten gnadenlos betrieben.

Allein aus Hamburg wurden über 6000 Kinder, Frauen und Männer mit physischen oder psychischen Beeinträchtigungen, weil sie nicht in die Norm passten, abtransportiert. Eine Norm, die für das rassistische Fundament nationalsozialistischer Ideologie zentral war. Wie so oft nutzten und verschärften die Nationalsozialisten ausgrenzende Denktraditionen.

Ihre Ideologie der Vernichtung fand Anschluss an ein älteres sehr verbreitetes eugenisches Denken.

Doch im Unterschied zu anderen Ländern Europas, wurden das Denken der Aussonderung und die Praxis der Ausgrenzung von Behinderten zum Ausgangspunkt für systematischen Mord.

Zunächst zentral gesteuert aus Berlin, dann, nachdem sich hier und da Widerstand gegen diese sogenannte T4-Aktion geregt hatte, dezentral und quasi in Eigenregie von Medizinern und lokalen Behörden überall im Land, und eben auch in Hamburg.

Ärzte und Ärztinnen, Pfleger und Pflegerinnen vor Ort in den Heilanstalten und Krankenhäusern, in Langenhorn etwa oder in den Alsterdorfer Anstalten, arbeiteten geräuschlos mit der lokalen NS-Bürokratie zusammen.

Sie registrierten, begutachteten, planten und koordinierten gemeinsam den Tod tausender Menschen durch Gas, durch Gift, oder ließen die ihnen Anvertrauten einfach verhungern. Ganz normale Frauen und Männer wandten die menschenverachtende Doktrin geradezu reibungslos an.

Es sind ungesühnte Morde! Das Schweigen hat die Schuld in die nächsten Generationen verlängert. Hamburg hatte bisher keinen offiziellen Gedenkort für die Opfer der Medizinverbrechen. Mir war es deshalb ein großes Anliegen, die Initiativen aufzugreifen und zu handeln: Unter Federführung der Senatskanzlei entstand zusammen mit einem Arbeitskreis, der auch Vertreter der betroffenen Institutionen versammelt, ein dreigliedriges, multimediales Gesamtkonzept im Rahmen der Erinnerungskultur in Hamburg.

Ich freue mich sehr, dass wir heute, nach relativ kurzer Planungs- und Umsetzungsphase, mit zwei dieser drei Projektteile an die Öffentlichkeit treten können: mit der Dauerausstellung zu den „Medizinverbrechen im Nationalsozialismus“ hier im Medizinhistorischen Museum des UKE sowie mit dem „Hamburger Gedenkbuch Euthanasie. Die Toten 1939-1945“, das gedruckt und digital vorliegt.

Der dritte Teil des Konzepts wird in einem Mahnmal in Stelenform bestehen.

Seine Einweihung ist für nächste Jahr im Mai vorgesehen und zwar auf dem Gelände der heutigen Asklepios Klinik Nord in Ochsenzoll, vormals Langenhorn, dem zentralen Ort der staatlich organisierten Euthanasie-Verbrechen in Hamburg.

Die Realisierung dieses Konzepts wäre ohne die großzügige Unterstützung der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius sowie der Joachim-Herz-Stiftung für die Dauerausstellung nicht gelungen. Ihnen gilt an dieser Stelle mein Dank ebenso wie dem Medizinhistorischen Museum, das diese Ausstellung aufnimmt!

Der Dank des Senats gilt auch Professor Osten, der die Federführung für die Dauerausstellung trägt und für das Zustandekommen verantwortlich ist.

Hervorheben möchte ich ebenso die Kofinanzierung des Gedenkbuchs durch die Senatskoordinatorin für die Gleichstellung behinderter Menschen. Und ganz besondere Wertschätzung verdienen stellvertretend für alle weiteren Beteiligten an der Erarbeitung des Gedenkbuchs Frau Hildegard Thevs, Herr Dr. Michael Wunder und Herr Dr. Harald Jenner.

Meine Damen und Herren,
wie zivilisiert eine Gesellschaft ist, zeigt sich stets auch an ihrem Umgang mit Menschen, die eine Behinderung haben, chronisch krank sind oder einfach nur anders erscheinen. Aber nicht weniger gilt dieser Grundsatz im Rückblick auf das Geschehene selbst.

In der historischen Forschung gilt als belegt, dass zwischen der Verfolgung von Behinderten und der Vernichtung der europäischen Juden enge ideelle, personelle und logistische Verbindungen bestanden. Dass es so lange gedauert hat, bis diese Opfergruppe der Medizinverbrechen in Deutschland rechtlich anerkannt und rehabilitiert wurde, ist erschreckend.

Diese lange Dauer stellt uns kein gutes Zeugnis aus: erst im Jahr 2007 erklärte der Bundestag das sogenannte Erbgesundheitsgesetz zu dem, was es gewesen ist: ein typisches NS-Unrechtsgesetz. Und nicht vor 2011 hatten Opfer von Zwangssterilisierung und Geschädigte der Euthanasie-Programme Anspruch auf Entschädigung und wurden endlich den anderen Opfern des Nationalsozialismus gleichgestellt.

Die Bundesrepublik Deutschland hat in gesellschafts- und rechtspolitischer Hinsicht die Konsequenz gezogen. Auch unsere Verfassung enthält inzwischen ein klares Bekenntnis gegen Diskriminierung und Ausgrenzung: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ – so steht es seit 1994 im dritten Absatz des Artikels 3 unserer Verfassung. Auch das war recht spät, 45 Jahre nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes.

So lange hat es gedauert, bis ein verändertes normatives Bewusstsein seinen verfassungsrechtlichen Ausdruck fand.

Es hat Versuche gegeben, die Jahrzehnte des Schweigens und Tabuisierens zu erklären. Hubert Markl etwa, langjähriger Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, ehemals Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die zur NS-Zeit intensiv in medizinische Menschenversuche verstrickt war, machte eine „gewisse Rücksichtnahme auf Überlebende“ dafür verantwortlich.

Gemeint war damit die Rücksicht auf viele Honoratioren. Ähnlich argumentierte einer der Protagonisten der Aufklärung über die NS-Medizinverbrechen und Verfasser einschlägiger Standardwerke, Ernst Klee: Auch wenn es das Selbstverständlichste sei, sich bei den Opfern zu entschuldigen, bedeute ein solches aber eben auch anzuerkennen, dass Wissenschaftler, die bis dahin als makellos galten, Schuld auf sich geladen haben. Weil man sich damit so schwertue, habe es so lange gedauert, für die Opfer Worte zu finden.

Meine Damen und Herren,
mit diesem neuen Lern- und Gedenkort im Medizinhistorischen Museum, den wir heute einweihen, mit dem Gedenkbuch und bald auch mit einem Mahnmal haben wir in Hamburg nun endlich Worte gefunden und klare Zeichen gesetzt.

Wir erinnern an die Verbrechen, würdigen die Opfer und mahnen, dass so etwas nie wieder geschehen darf. Im Aufzeigen der Verbrechen und der Verbrecher an den Orten des Geschehens und im Benennen der einzelnen Opfernamen erfüllen wir den längst überfälligen Anspruch auf ihre Anerkennung. Die Opfer sind nicht länger ausgegrenzt und die Täter nicht länger makellos.

Und natürlich verbinden wir mit der Schaffung des neuen Lern- und Gedenkortes die Hoffnung, über das heutige Gedenken hinaus, die nachfolgende Generation zu erreichen, ihr Interesse für das Thema zu wecken und zu sensibilisieren. Gerade dafür, die Schülerinnen und Schüler zu erreichen, wird auch der Museumspädagogische Dienst eine wesentliche Rolle haben.

Dass Ausgrenzung ein wesentliches Element ist, durch das Gesellschaften rasant zivilisatorisch entgleisen können, haben wir durch die intensive Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen gelernt.

Und dass es deshalb an uns ist, für die Integration aller Bürgerinnen und Bürger einzutreten, gehört heute zum Grundverständnis unserer offenen Gesellschaft.

Der Hamburger Senat steht zu den Verpflichtungen, die daraus resultieren: zur Aufklärung darüber, wie fragil eine Gesellschaft ist, sobald einzelne Gruppen ausgegrenzt werden. Der Senat steht zur zivilisatorischen Verpflichtung, alle Menschen, gerade auch die Angehörigen vulnerabler, schutzbedürftiger Gruppen vor Ausgrenzung und Gewalt zu schützen.

Vielen Dank.

Themenübersicht auf hamburg.de

Kontakt

Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen

Neuenfelder Straße 19
21109 Hamburg
Adresse speichern
Telefon:
115
E-Mail:
info@bsw.hamburg.de

Diskutieren Sie mit!

Anzeige
Branchenbuch