Begriffserklärungen

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Sophie Barrelet

(10.1.1893 - 26.10.1987)
Lehrerin, Leiterin des Fröbelseminars, stellvertr. Leiterin der Lehrerinnenbildungsanstalt, Ruderin
Wohnadresse: Woldsenweg 6 (1938)

„Das deutsche Mädchen muß früh lernen, tapfer durchzuhalten, Entbehrungen zu ertragen.“

Sophie Barrelet war sicherlich eine starke und resolute Frau. Aber sie war auch die führende Repräsentantin der Nationalsozialisten im Hamburger Schulwesen. Mit ihrer fünf Jahre jüngeren Schwester Adelheid Barrelet erwies sie sich als glühende Nationalsozialistin, die zu den Aktivistinnen im Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) gehörte. Die Barrelets galten als „die Nazissen“ im Hamburger Schulwesen von 1933 bis 1945, die im Nazi-System Karriere machten.

Als Sophie Barrelet am 26.10.1987, 94-jährig starb, trauerten in einer Anzeige im Hamburger Abendblatt für die Angehörigen Horst Barrelet, Rechtsanwalt und ehemaliger HSV-Präsident und der evangelische Landesbischoff und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Eduard Lohse. Die Gnade eines langen Lebens hatte Sophie Barrelet zu einer verdienten Hamburgerin gemacht. (1)

Ihre Leistung war u.a., Gründerin und langjährige Vorsitzende (von 1927 bis 1965) des Hamburger Ruderinnen Clubs gewesen zu sein. (2)

Schon zum 50-jährigen Bestehen des Clubs hatte das „Hamburger Abendblatt“ sie 1975 gefeiert:

„Als junge Lehrerin, ein Beruf, dem sie sich mit Leib und Seele verschrieben hatte, setzte sie bereits 1924 an der Lichtwarkschule, der ersten Koedukationsschule in Hamburg, die tägliche Turnstunde für alle durch und gab damit ein noch heute aktuelles Beispiel.

Noch heute ist die 82-Jährige häufig im Klubhaus am Isekai anzutreffen, nicht nur bei den Vorstandsitzungen, an denen sie als Ehrenvorsitzende teilnimmt, sondern auch regelmäßig beim Treffen der sogenannten `Morgenfrauen`, die sich mittwochs zum Rudern und Kaffeetrinken treffen. Bis vor kurzem stieg Frau Barrelet selbst noch ins Boot. Außer dem Rudern gehört ihr Herz den Bergen; die Westalpen und die Dolomiten kennt sie aus dem ‚Effeff’.“ (3)

Und noch an anderer Stelle fand Sophie Barrelet als ehrenwertes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft Erwähnung. Als der in Amerika gegründete Zonta Club (Advancing the status of women worldwide), „die weibliche Antwort auf Rotary” (4), im Jahre 2006 sein 75-jähriges Jubiläum feierte, titelte das „Hamburger Abendblatt“: „Der Club der starken Frauen”. 39 Frauen, Ärztinnen, Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Geschäftsfrauen hatten im April 1931 im neuen Rechtshaus in der Rothenbaumchaussee 44 die Vereinsstatuten festgelegt.

Zwei Jahre nach der Clubgründung „wurden die Zonta-Maximen „überparteilich, überreligiös und politisch neutral‘ auf eine harte Probe gestellt. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten sollte auch der Hamburger Zonta-Club sich von seinen jüdischen Mitgliedern trennen. Daraufhin ließ der Zonta-Club sich aus den Vereinsregistern streichen und die Mitglieder setzten ihre Treffen im Geheimen fort.

„Die Kaffeemütze, als Abwehrschutz über das Telefon gestülpt, wurde plötzlich zum Symbol eines Frauen-Netzwerks, das alles andere als ein Kaffeekränzchen war.“ (6)

Dennoch - einige dieser Frauen mussten emigrieren. Die Zahnärztin Clara Goldschmidt beging Selbstmord, nachdem Nazis ihr Praxisschild in Eppendorf mit der Aufschrift „Jude“ beschmiert hatten. (7)

Die Autorin Traute Hoffmann hat in einem Buch die Kurz-Biographien einiger Zontians geschrieben (8). Stellvertretend genannt wird dabei auch Sophie Barrelet. Und hier stimmt die Geschichte nicht mehr- sie wird praktisch auf den Kopf gestellt, wohl weil nach über 70 Jahren auch so Entscheidendes vergessen oder unbekannt ist.

Sophie Barrelet war sicherlich eine starke und resolute Frau. Aber sie war auch die führende Repräsentantin der Nationalsozialisten im Hamburger Schulwesen. Mit ihrer fünf Jahre jüngeren Schwester Adelheid Barrelet war sie Nationalsozialistin, gehörte sie zu den Aktivistinnen im Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB). Beide galten als „die Nazissen“ im Hamburger Schulwesen von 1933-1945, die im Nazi-System Karriere machten.

Insofern erscheint es befremdlich, dass Sophie Barrelet ohne irgendeinen Hinweis auf ihre nationalsozialistische Vergangenheit in die Portrait-Sammlung: „Auf den Spuren außergewöhnlicher Frauen“ aufgenommen wurde. (10)

In der Rubrik „Pädagoginnen“ zusammen mit Olga Essig und Emmy Beckmann, die von den Nazis 1933 als Oberschulrätinnen entlassen wurden. In dem Portrait von Sophie Barrelet heißt es am Ende knapp:

„ Aus dem Zonta-Club Hamburg ist sie wahrscheinlich zur Zeit des Nationalsozialismus ausgetreten.“ (11)

Sophie Barrelet wurde am 10.1.1893 als Tochter des Kaufmanns Edouard Barrelet und seiner Frau Mary Adelaide, geb. Walbaum, geboren. (12)

Ihre Herkunft ließ die spätere Hinwendung zum Nationalsozialismus nicht unbedingt erwarten. Ihr Vater entstammte einer französisch- schweizerischen Familie. Der Großvater und andere Familienmitglieder waren lange Zeit Pastoren der Französischen Kirche in Hamburg, eng verbunden mit der Hugenotten-Gemeinde. So war Sophie Barrelet von Kindheit auf mit der französischen Sprache vertraut. Bei den zahlreichen Familienbesuchen in der Schweiz wurde stets französisch gesprochen.

Auch mit dem Englischen war Sophie Barrelet aufgewachsen. Mit ihrer Mutter, die in London geboren wurde und lange dort gelebt hatte, sprach sie stets Englisch. Großvater und Urgroßvater mütterlicherseits waren deutsche Hofprediger am englischen Hofe gewesen. (13)

1913 bestand Sophie Barrelet die Reifeprüfung am  Wilhelm- Gymnasium. Danach studierte sie erst in Göttingen, dann in Hamburg. Während des Ersten Weltkrieges musste sie das Studium unterbrechen, um in den Kriegsdienst eingezogene Lehrer zu vertreten.

1921 legte sie die Prüfung für das höhere Lehramt ab und erhielt die Lehrbefähigung für Französisch, Spanisch, Latein, Mathematik und Philosophie. 1922 promovierte sie mit einer Dissertation zum Thema: „Sprachgeographische Untersuchungen zum Problem der Nasalierung in Frankreich“ an der Universität Hamburg.

Danach war sie als Lehrerin tätig an der Oberrealschule in St. Georg, danach an der Lichtwarkschule.

1924-1925 schloss sie dann noch eine Ausbildung als Turn- und Schwimmlehrerin erfolgreich ab.

Sophie Barrelet war fachlich sehr vielseitig aufgestellt und rege. Sie wechselte 1926 an die Universität Hamburg als „Akademische Turn- und Sportlehrerin“ und arbeitet seit dem 1.1.1930 als Dozentin an der Hochschule für Lehrerbildung. 1929 wurde Sophie Barrelet für ihre Tätigkeit beim Erziehungswissenschaftlichen Seminar der Hamburgischen Universität vom Schuldienst beurlaubt. (14) Im Hamburgischen Lehrerverzeichnis für das Schuljahr 1932-33 wurde Sophie Barrelet in diesem u.a. von Prof. Deuchler (15) als Direktor geleiteten Seminar geführt. Deuchler setzte sich insbesondere im Jahr 1932 sehr für sie ein. (16)

Sophie Barrelet trat am 1.5.1933 in die NSDAP ein, gleichzeitig in den NSLB, wo sie sofort zur Leiterin der Abteilung für weibliche Erziehung avancierte. Im Rahmen der Parteistrukturen übernahm sie viele verantwortliche Aufgaben. So leitete sie die Gaustelle für weibliche Erziehung und die NS- Frauenschaft, wurde Gausachbearbeiterin für Frauenturnen, Mitglied der NS-Volkswohlfahrt sowie des Reichs- Luftschutzbundes (17).

Ihre Schwester Adelheid Barrelet vollzog die gleichen Schritte und leitete im NSLB die Gaufachgruppe der Kindergärtnerinnen. Beide wurden auf vielen Feldern aktiv, berufliches, ideologisches und parteipolitisches wurde miteinander verbunden und vermischt.

Sophie Barrelets Lehrtätigkeit stand unter dem Zeichen nationalsozialistischer Ideologie. Ihre letzte fremdsprachendidaktische Veranstaltung an der Hamburger Universität trug den Titel „Die national- politische Aufgabe des fremdsprachlichen Unterrichts“. Der Kurs im darauf folgenden Semester: „Mädchenerziehung und Frauenbildung im Neuen Reich“. (18)

Auch ihre Begeisterung für die Sporterziehung entstand nicht ohne politisch-ideologischen Hintergrund. So schrieb sie in einem Artikel in der „Berliner Zeitung“ über „Politische Leibeserziehung“:

„Das Ziel aller Erziehung und damit auch der Leibeserziehung ist die Heranbildung der Mädchen zu gesunden deutschen Frauen, die sich ihrer völkischen Aufgabe bewusst sind. Volk, Rasse und Persönlichkeit sind die Richtungspunkte der Erziehung. Die Leibesübungen formen Leib und Seele als Träger des Rassenerbes. (19)

Die „Hamburger Lehrerzeitung“ legte ab 1933 regelmäßig Zeugnis ab über die propagandistischen Schulungsaktivitäten der Schwestern Barrelet. Adelheid Barrelet war nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zur Leiterin des Fröbelseminars ernannt worden. Beide referierten regelmäßig auf Versammlungen der Lehrerinnen und Erzieherinnen sämtlicher Fachschaften des NSLB. Diese fanden häufig im großen Saal des Curiohauses statt. Sophie Barrelet: „Allgemeines über die Mädchenschule im Neuen Deutschland“. Adelheid Barrelet: „Die Aufgaben der Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen und Jugendleiterinnen im Dritten Reich“. Voll werden die Säle durch den Ankündigungszusatz: „Es ist Pflicht aller Lehrerinnen und Erzieherinnen im NSLB, an dieser Versammlung teilzunehmen.“ (20)

Sophie Barrelet berichtete fortlaufend in der HLZ von den Tagungen für weibliche Erziehung, die immer politischer wurden, vornehmlich im deutschen Osten stattfanden, in Königsberg, im „Weichselgebiet“. Thematisiert wurden die „Grenzlandprobleme“, mit Referaten über die „nationalsozialistische Arbeitsweise für Boden und Geschicke der Heimat“, Vorträgen „aus den Gebieten der Erb- und Rassenbiologie sowie auch Ostraum- und Kolonialschulung“. (21)

Sophie Barrelet schwärmte von den Gemeinschaftserlebnissen. Die Tage begannen gern um 6 Uhr mit einem Geländelauf und Gymnastik und endeten mit Nachtwanderungen und Paddelfahrten.

Mit welcher Haltung und welchen Zielsetzungen Sophie Barrelet als Leiterin der Abteilung für weibliche Erziehung wirkte, hatte sie 1934 in einem programmatischen Aufsatz zum Thema Körpererziehung der Mädchen ausgeführt:

„Für die Gesundung und Gesunderhaltung des Volkes, für die Stärkung und Erhaltung der besten rassischen Kräfte im Volke ist eine gute Körpererziehung der deutschen Jugend, der männlichen wie der weiblichen, von wesentlicher Bedeutung.“ Und weiter:

„Das Erziehungsziel steht fest: Der Knabe soll zum Mann erzogen werden, das Mädchen zur Frau und Mutter- beide zu deutschen

Menschen, die ihrem Volke zu dienen bereit und befähigt sind.“

Man glaubt, die Bilder Leni Riefenstahls vor sich zu sehen. Sophie Barrelet schrieb: „Echte, verantwortungsbewusste Körpererziehung, wie sie unser Führer für das männliche u n d weibliche Geschlecht fordert, ist nicht möglich ohne Anstrengung und Kampf“.  Wobei ihr besonders die weibliche Körpererziehung ein Anliegen war: „Mut, Selbstbeherrschung, Zähigkeit und Tapferkeit werden geweckt und gestärkt durch entsprechende Anforderungen an den Leistungswillen der Mädchen. In der Überwindung von Hindernissen und Gefahren (tatsächliche oder vermeintliche), wie sie zum Beispiel das Geräteturnen und das Wasserspringen bieten, in der Bekämpfung der Müdigkeit und Unlust, wie sie bei Dauerleistungen auftreten, und in der Meisterung von Schwierigkeiten, wie Wanderungen sie mit sich bringen können, stählt sich der Wille des Kindes. Das deutsche Mädchen muß früh lernen, tapfer durchzuhalten, Entbehrungen zu ertragen.“

Und etwas später: „Dasselbe gilt aber vor allem auch für die Charakterformung. Auch die weibliche Jugend muß erfüllt werden vom heldischen Ideal; denn die zukünftige Frau und Mutter trägt im besonderen Maße die Verantwortung in sich für das kommende Geschlecht, für die Pflege von Gesittung und Volkstum in der Familie.“ (22)

Sophie Barrelet war eine selbstbewusste, streitbare Frau. Sie verfügte über gute Kontakte und war in der NSDAP und im NSLB ausgezeichnet vernetzt. Im Institut für Leibesübungen führte sie eine Auseinandersetzung mit dem Institutsdirektor, Prof. Knoll, offensiv um einen größeren Praxisbezug durch Hinzuziehung akademischer Turnlehrer bei der Lehrerausbildung. Knoll unterstellte „Fräulein Dr. Barrelet“ intrigantes Verhalten. „Ich erwarte, daß bis zum Ende des Semesters keine Quertreibereien mehr von Ihrer Seite kommen und verbleibe mit Heil Hitler“. (23)

Sophie Barrelet, bisher nur Lehrbeauftragte, pflegte auch gute Kontakte außerhalb des Dienstweges, wandte sich direkt an den Landesschulrat und NSLB-Führer Willi Schulz. Sie war aber auch fachlich vielseitig und wechselte 1936 an die Hochschule für Lehrerbildung.

Am 7.6.1940 wurde sie „im Namen des Führers“ zur Professorin ernannt, am 1.4.1942 zur stellvertretenden Leiterin der Lehrerinnenbildungsanstalt (LBA), seit 1939 war sie bis Kriegsende auch als Referentin in der Schulverwaltung tätig.  

Ausschlaggebend für diesen Aufstieg waren einerseits sicherlich ihre Aktivitäten in der nationalsozialistischen Bewegung. Andererseits besaß Sophie Barrelet eine breite fachliche Qualifikation, erstklassige Zeugnisse - außerdem wurden im Oktober 1939 „5 Dozenten zum Heerdienst eingezogen“, ebenso wie mehrere Schulräte. (24)

Weil Hochschullehrer und Lehrerausbilder ebenfalls für den Kriegsdienst verpflichtet wurden, arbeitete Sophie Barrelet parallel auch noch von 1941 bis 1944 als Fachleiterin im Staatlichen Studienseminar. (25)

Sophie Barrelet blieb bis zum Ende des Nationalsozialismus aktiv. Am 27.2.1945 referierte sie vor Wehrmachtshelferinnen zum Thema „Die Position von Frauen, vom historischen Standpunkt aus gesehen“. Und am 6.3.1945 sprach sie in Osdorf vor Führeranwärterinnen über „Die Aufgabe der Wehrmachtsführerin“. (26) Ausdauer und Durchhaltevermögen waren bei ihr offensichtlich vorhanden.

Durch Verfügung der Schulverwaltung vom 8.6.1945 wurde Sophie Barrelet von ihrem Amt als Leiterin der Lehrerinnenbildungsanstalt (LBA) beurlaubt. Am 21.11.1945 erfolgte dann, ähnlich wie bei Kurt Holm (27), die Entlassung, endgültig dann durch Verfügung der Britischen Militärregierung vom 31.1.1946.

Den Entnazifizierungsbogen füllte Sophie Barrelet am 19.5.1945 aus. Ihre Sprachkompetenz bewies sie durch parallel gelieferte perfekte englische Übersetzungen ihrer Antworten. (28)

Am 23.6.1945 schien sie noch hoffnungsfroh, weiterbeschäftigt zu werden, „falls es nicht länger möglich sein sollte, mich in einer führenden Position zu beschäftigen“, bot sie eine Tätigkeit als „Tutor für training and higher education of teachers an oder in der Schule.“ (29)

Sie verwies auf ihre Schweizer und englischen Wurzeln.

Als ihre politische Überzeugung und ihre Prinzipien („I have always upheld…“) nannte sie „nationale Ehre und soziale Gerechtigkeit“, sie habe „niemals Hass oder Fanatismus“ gefördert („fostered“). Sie verwies auf ihre kurze DVP-Mitgliedschaft, die während der NS-Zeit von ihr vehement bestritten worden war.

Ihren Beitritt zur NSDAP begründete sie mit dem Glauben „in die Ideale nationaler Ehre und sozialer Gleichheit“.

Immer habe sie „gegenüber ‚defects, unadequateness or faults in the party‘ das Wort erhoben, wiederholt die Politik gegen die Juden kritisiert, keine Schwierigkeiten in den Weg gelegt bekommen wegen ihres kritischen Verhaltens, niemals finanziell oder beruflich profitiert von ihrer Arbeit im NSLB oder der Frauenschaft.“ (30)

Später schrieb sie, „nie Gehässigkeiten gegen andere gelehrt oder bei meinen Schülern geduldet zu haben.“ (31)

Am 23.3.1946 hoffte sie noch, „daß ich noch einmal Gelegenheit bekomme, an der deutschen Jugend zu arbeiten“. (32)

Es begann eine langjährige Auseinandersetzung um die geforderte Wiedereinstellung, später, als ihr klar wurde, wie aussichtslos dieses Anliegen schien, auch um die Festsetzung der Versorgungsbezüge. Dabei wurde Sophie Barrelet zum Teil von ihrem Neffen, dem Rechtsanwalt Horst Barrelet vertreten.

Die Anwälte benannten Leumundszeugen, die Sophie Barrelet entlasten oder Persilscheine ausstellen sollten.

So schrieb die spätere Direktorin des Institutes für Lehrerbildung, Anne Banaschewski, am 5.11.1947, dass sie selbst auf Vorschlag von Fritz Köhne Ostern 1944 an die Lehrerinnen-Bildungsanstalt abgeordnet worden sei. „Es war Fr. Dr. Barrelet bekannt, dass ich nicht Parteimitglied war; trotzdem hat sie mich ohne politische Beaufsichtigung arbeiten lassen. Allerdings übte sie einen gewissen Druck auf mich aus, dass ich mich irgendwo ‚einsetzen‘ müsste. An ihrer überzeugten nationalsozialistischen Einstellung war nicht zu zweifeln, doch versuchte sie auch zu jenen ihrer Mitarbeiterinnen, die nicht Parteimitglieder waren, (wir waren zwei) in ein menschlich anständiges Verhältnis zu kommen.“ (33)

Einen echten Persilschein erhielt Sophie Barrelet von dem ehemaligen Oberschulrat Dr. Wilhelm Oberdörffer. Er bescheinigte ihr, „nie über das durch ihr Amt gebotene Maß“ politisch hervorgetreten zu sein, „nie verschärfend, sondern stets ausgleichend in ihrem Arbeitsbereich gewirkt“ zu haben. (34)

Sophie Barrelet verwies in ihrem Einspruch gegen die Entlassung wieder auf ihre englischen und Schweizer familiären Wurzeln und erklärte: „Ich bin mit vielen Engländern, Amerikanern und Franzosen verwandt und befreundet.“

Der Beratende Ausschuss lehnte die Wiedereinstellung am 23.4.1948 erneut ab: „Nach eingehender Beratung und vor allem nach längerer Rücksprache mit Frau Oberschulrätin Beckmann sind wir der Meinung, dass sie unmöglich im aktiven Schuldienst wieder beschäftigt werden kann. Der Gewährung einer Pension widersetzen wir uns nicht.“ (35)

Das war besonders interessant, wurde Barrelet doch mit Emmy Beckmann in der Zonta-Portrait-Sammlung 50 Jahre später auf eine Stufe gestellt.

Emmy Beckmann musste noch einmal als Zeugin aussagen, weil der Berufungsausschuss für die Ausschaltung von Nationalsozialisten am 8.12.1948 die Tatsache prüfen lassen wollte, „dass Barrelet in Berlin die Auflösung des Philologinnenvereins mit beschlossen habe. Barrelet weist darauf hin, dass sie in Hamburg zur 1.Vorsitzenden des Philologinnenvereins gewählt worden wäre und deshalb dahin gefahren wäre.“ Nach der Aussage von Emmy Beckmann wurde festgestellt, „Barrelet hatte entgegen dem Votum des Hamburger Philologinnenvereins sich in Berlin parteigetreu für die Auflösung eingesetzt“. (36)

In der Sitzung des Berufungsausschusses am 9.2.1949 wurde Sophie Barrelet damit konfrontiert, ob sie „noch im April 1945 eine Art Gedenkfeier anläßlich Hitlers Tod veranstaltet“ habe.  Laut Vermerk erwidert sie: „Ich hatte in meiner Schule ein Wohnheim Ende April oder Anfang Mai, als die Truppen einrückten. Als dieses Wohnheim aufgelöst wurde und die Mädel weggingen, sind wir noch einmal in die Aula gekommen. Daß bei dieser Gelegenheit Hitler gedacht wurde, ist mir nicht erinnerlich.“ (37)

Es war wieder einmal Fritz Köhne, der bestätigte, dass Barrelet keinen Druck auf politisch „nicht als richtige Nationalsozialisten“ zu bezeichnende Lehrer ausgeübt habe. „Meine persönlichen Beziehungen zu Frau Barrelet sind stets angenehm gewesen und hatten keineswegs eine politische Note.“ (38)

Der Berufung wurde stattgegeben Barrelet als Studienrätin mit 75% in den Ruhestand versetzt und in Kategorie IV eingestuft

(Mitläuferin). Als Lehrerin sei „sie nicht mehr tragbar“. (39)

Am 16.10.1952 änderten sich die Grundlagen für Sophie Barrelet. Der Leitende Ausschuss entschied gemäß § 6 des Gesetzes zum Abschluss der Entnazifizierung, dass sie mit Wirkung vom 1.10.1952 in Kategorie V eingestuft werde. Damit war sie als unbelastet entnazifiziert. (39)

Im Weiteren wurde ihre Wiederverwendung sowohl vom Lehrerbetriebsrat als auch von der Deputation nicht getragen. Ähnlich wie im Fall Kurt Holm war auch bei ihr nicht vergessen worden, wie sie im Sinne der Nationalsozialisten zur Auflösung der alten Lehrerorganisationen aktiv beigetragen hatte. Eine Rolle, die in den Akten nicht zu verifizieren ist, hat sicherlich auch Heinrich Landahl gespielt, nach 1945 Schulsenator in Hamburg, vor 1933 Schulleiter der Lichtwarkschule, an der Sophie Barrelet einige Jahre gearbeitet hatte. Aus eigener Anschauung und in langjähriger Kenntnis der Person hatte Landahl sich nicht für die Wiedereinstellung von Barrelet eingesetzt.

Erst nach den Bürgerschaftswahlen 1953 unter der Regierung des Hamburg-Blocks mit dem neuen Schulsenator Hans Wenke wurde die Wiedereinstellung von Sophie Barrelet betrieben. In der Zwischenzeit hatte sie bei der privaten Rakow-Schule Sprachen unterrichtet.

Mit Wirkung vom 1.4.1954 wurde sie, 61-jährig an der Wissenschaftlichen Oberschule für Jungen im Alstertal eingestellt, wo sie Religion, Englisch, Latein, Spanisch und Nadelarbeit unterrichtete. Der Schulleiter begutachtete Sophie Barrelet und lobte sie am 2.2.1956 in den höchsten Tönen: „Frau Barrelet hat sich schnell in das Schulleben hineingefunden und verrichtet ihre Arbeit mit Lust und Liebe. Bei ihrem vorgerückten Alter ist sie von einer außerordentlichen körperlichen und geistigen Frische und Lebendigkeit und besitzt ein erfreuliches Maß von Humor und guter Stimmung. Für alle schulpolitischen und pädagogischen Probleme ist Frau Barrelet aufgeschlossen.“ (39) Hier schloss sich ein weiterer Kreis. Schulleiter war Dr. Hans Roemer, der mit Sophie Barrelet als Lehrer zusammen an der Lichtwarkschule gearbeitet hatte.

1958 wurde Sophie Barrelet in den Ruhestand geschickt.

Zu ihrem 70. Geburtstag beglückwünschte sie der Landesschulrat, Ernst Matthewes. Er gratulierte und erwähnte, dass sie noch bis zum 69. Lebensjahr Lehraufträge übernommen hatte, „einen Verein für das Frauenrudern leiten, noch an schwierigen Kletterpartien teilnehmen würde und frisch und munter wie eine junge Forelle“ wäre. (40)

Auch Ernst Matthewes, der Barrelet in den Auseinandersetzungen der 1930er Jahre kennengelernt hatte, machte offenbar knapp 30 Jahre später seinen Frieden mit ihr.

Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen:
1. Traueranzeige „Hamburger Abendblatt“ vom 30.10.1987.
2. Siehe: Curt Grass u.a.: Allgemeiner Alster-Club Hamburg von 1844- 1969, Hamburg 1969 .
3. „Hamburger Abendblatt“ vom 1.12. 1975.
4. „Hamburger Abendblatt“ vom 12.5 2006, Heike Gätjen: „Der Club der starken Frauen.“
5. „Welt- online“ vom 1.12. 2002, Saskia Bertling: „ Auf den Spuren besonderer Frauen.“
6. Ebd.
7. Ebd.
8. Traute Hoffmann: Der erste deutsche Zonta-Club. Auf den Spuren außergewöhnlicher Frauen, Hamburg 2002, S. 144 ff.
9. „Hamburger Abendblatt“ vom 12.5.2006
10. Siehe Traute Hoffmann, a.a.O.
11. Ebd., S. 146
12. Wenn nicht anders genannt, laut ihrer Personalakte, BSB-Archiv.
13. Schreiben von Sophie Barrelet vom 25.6.1945 an die Schul- und Hochschulabteilung in Hamburg, ebd.
14. Joachim Wendt: Die Lichtwarkschule in Hamburg, Hamburg 2000, S. 358
15. Siehe: Hans-Peter de Lorent: Personalpolitik. In: Reiner Lehberger/Hans-Peter de Lorent (Hg.). „Die Fahne hoch“. Schulpolitik und Schulalltag unterm Hakenkreuz, Hamburg1986, S. 205.
16. Siehe Biografie Deuchler in diesem Buch.
17. Siehe auch: Sophie Barrelet: Leben und Schaffen, in: www.romanistinnen.de/frauen/barrelet.html.
18. Personalakte, a.a.O.
19. HLZ Nr. 23- 1934, S. 374.
20. Ebd.
21. Siehe etwa: HLZ 31/32-1935, S. 316; HLZ 48-1935, S. 470 ; HLZ 16- 1936, S. 176 .
22. HLZ 7- 1934, S. 100 ff.
23. Personalakte Sophie Barrelet, a.a.O.
24. Schreiben vom 25.10 1939, ebd.
25. Nach ihren eigenen Angaben, siehe Entnazifizierungsakte Sophie Barrelet, StA HH, 221-11_Ed 9754
26. Ebd.
27. Siehe Biografie Kurt Holm in diesem Buch.
28. Alle Zitate aus der Entnazifizierungsakte Sophie Barrelet a.a.O., falls nicht anders angegeben.
29. Ebd.
30. Ebd.
31. Ebd.
32. Ebd.
33. Ebd.
34. Siehe Biografie Oberdörffer in diesem Buch. Oberdörffer war mit Sophie Barrelet in den 1920er Jahren Mitglied der DVP.
35. Personalakte Barrelet, a.a.O.
36. Ebd.
37. Ebd.
38, Ebd.
39. Schulleiter Roemer am 2.2,.1955, ebd.
40. Ernst Matthewes am 9.1.1968, ebd.
 

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Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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