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Firma Noleiko

Zwangsarbeiterlager
Friedensallee 128 (heute Gewerbehof „Kolbenhof“)
Siehe auch: Albert Schweim, Graf Henning von Bassewitz-Behr, Hans Stange, Willi Tessmann, Herbert Janssen , Andeas Schwarzkopf, Johann Christian Menzer, Ernst Hofer

Am 11. November 1943 kam es bei den Norddeutschen Leichtmetall- und Kolbenwerken in der Friedensallee 128 in Altona-Ottensen zu einem Streik russischer Zwangsarbeiterinnen. Die Firma „Noleiko“ oder „Noleico“ (heute Gewerbehof „Kolbenhof“) hatte 1942/43 ca. 1000 Beschäftigte, etwa 430 von ihnen waren ausländische Arbeitskräfte. Hergestellt wurden Flugzeugteile für die Luftwaffe. Große Teile der Metallindustrie produzierten im Krieg fast ausschließlich für die Rüstung. Abgesehen von den Großwerften im Hafen waren Altona-Ottensen und Altona-Bahrenfeld die Hamburger Stadtteile mit der größten Konzentration von Rüstungsbetrieben.

Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs waren in Deutschland aufgrund der Einberufungen zur Wehrmacht Arbeitskräfte knapp geworden. Das nationalsozialistische Regime beschloss den massenhaften Einsatz ausländischer Zivil- und Zwangsarbeiter aus West- und Osteuropa, Kriegsgefangener und von KZ-Häftlingen. Allein in Hamburg wurden zwischen 1939 und 1945 fast eine halbe Million Frauen und Männer in allen Zweigen der Wirtschaft zur Zwangsarbeit verpflichtet. Die meisten von ihnen wurden verschleppt, sie stammten aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion und Polens. Im Stadtgebiet existierten rund 1500 Lager, in denen die ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter unter zum Teil menschenunwürdigen Bedingungen leben mussten. Das Amt für kriegswichtigen Einsatz in der Hamburger Bauverwaltung sorgte für den Bau von Barackenlagern und wies kriegswichtigen Firmen „zivile ausländische Arbeitskräfte“ und Kriegsgefangene zu. Die hanseatischen Wirtschaftsunternehmen arbeiteten reibungslos mit der nationalsozialistischen Bürokratie zusammen.

Die Überwachung der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen übernahm das sogenannte Ausländerreferat bei der Gestapo unter Leitung von Kriminalkommissar Albert Schweim. Die Firma Noleiko hatte zur Unterbringung osteuropäischer Arbeitskräfte ein eigenes Barackenlager an der Brahmsstraße (heute Griegstraße ) errichten lassen, das von dem Architekten Konstanty Gutschow im Amt für kriegswichtigen Einsatz geplant worden war. Die Unterbringung, Bekleidung und Verpflegung im Lager oblag der Deutschen Arbeitsfont. Das Essen aus den Werksküchen oder großen Fernverpflegungsküchen war in der Regel unzureichend und qualitativ schlecht; die Menschen litten unter Hunger und Unterernährung. Bei der Firma Noleiko waren eine größere Gruppe weiblicher Kriegsgefangener und einige zivile Zwangsarbeiterinnen beschäftigt; zwischen September 1942 und Juni 1943 wurden dem Werk insgesamt 73 russische Frauen und Mädchen zugewiesen, die Jüngste kam im Alter von sechzehn Jahren in die Fabrik. Die Kriegsgefangenen unter ihnen lebten unter noch schlechteren Bedingungen als die zivilen „Ostarbeiterinnen“. Sie erhielten zum Beispiel keine Ausgangserlaubnis, sondern wurden in einem von einem Wachmann begleiteten Trupp vom Lager zum Arbeitsplatz geführt.

Am 11. November 1943 weigerte sich eine Schicht russischer Zwangsarbeiterinnen, die Arbeit wieder aufzunehmen, da ihnen verdorbenes Essen vorgesetzt worden war. Nach Erinnerung des Gestapo-Abteilungsleiters Schweim war das Werk für schlechte Verpflegung bekannt. Die Gestapo holte die Frauen ab, verhörte sie und befand fünf Russinnen der „Rädelsführerschaft“ für schuldig. Der Höhere SS- und Polizeiführer Graf Henning von Bassewitz-Behr befahl ohne Verfahren die Exekution der fünf kriegsgefangenen Soldatinnen. Am 15. November 1943 wurden sie am Winsberg bei Eidelstedt nördlich von Altona durch Genickschuss hingerichtet. Die anderen russischen Zwangsarbeiterinnen aus dem Werk mussten zuschauen.
(…)

Nach Kriegsende hatten die Siegermächte am 8. August 1945 in London ein Abkommen über die „Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der europäischen Achse“ geschlossen. Britische Militärgerichtsprozesse in Deutschland wurden vorbereitet, zum einen für Verstöße gegen Gesetze und Gebräuche des Krieges, die als internationales Recht galten, zum anderen für „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Erste Ermittlungen begannen schon im Mai 1945. Die britischen Militärbehörden untersuchten auch die Umstände der Verurteilung und Hinrichtung von Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen. Schließlich fand im August 1947 vor dem britischen Militärgericht im Hamburger Curio-Haus ein Prozess gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen statt. Dem Höheren SS- und Polizei-Führer Bassewitz-Behr wurde unter anderem vorgeworfen, er habe im November 1943 die Tötung von weiblichen alliierten Staatsangehörigen befohlen, nämlich die Erschießung von fünf Kriegsgefangenen der Roten Armee, welche in der „ Altonaer Noleiko-Fabrik“ gestreikt hatten. Anklage wurde auch gegen Willi Tessmann erhoben, den Gefängnisleiter von Fuhlsbüttel, und Hans Stange, den stellvertretenden Lagerkommandanten.

Die Aussagen von Betriebsangehörigen waren schon im Juni 1945 zu Protokoll genommen worden. Am 27. Juni hatte der Direktor Ernst Alfred Friedrich Hofer, seit 1935 Geschäftsführer der Metallgesellschaft A.G. mit Sitz in Frankfurt a. M., deren Tochtergesellschaft die Norddeutschen Leichtmetall- und Kolbenwerke waren, erklärt, dass der Firma Noleiko auf Grund ihrer Bedarfsanmeldung im September 1942 fünfzig „Ostarbeiterinnen“ zugewiesen worden seien, bei denen es sich um ehemalige Kriegsgefangene handelte, „in Militärkleidung bei Ankunft, in Militärmänteln“. Am 10. November 1943 sei er unterrichtet worden, dass die Arbeiterinnen im Lager die Einnahme des Essens verweigerten, das „Kartoffel-Eintopfgericht mit Weißkohl und Tomatenmark“ sei „sauer“. Er selbst habe einen halben Teller gegessen, das Tomatenmark habe tatsächlich „einen etwas säuerlichen Grundgeschmack“ ergeben. Dass die Frauen das Essen verweigerten, lag nach seiner Meinung aber an „Abweichungen in unserer Geschmacksauffassung von der slawischen“. Die Frauen hätten die Arbeit nur wieder aufnehmen wollen, wenn sie eine andere warme Mahlzeit erhielten und freien Ausgang.

Nun sei das Essen aus dem Lager geholt und den Frauen einer anderen Arbeitsschicht, die von den Ereignissen im Lager noch nichts wussten, vorgesetzt worden. Vorher hatte Hermann Oellrich, Vorarbeiter bei Noleiko, wie er bei seiner Vernehmung am 27. Juni 1945 berichtete, die Arbeiterinnen der zweiten Schicht, für die er als Meister verantwortlich war, zum Essen und zum Weiterarbeiten gedrängt, weil es sonst „gefährlich“ für sie werden könne. Daraufhin hätten sie „ohne Murren“ gegessen.

Gertrud Mogge, ab Sommer 1943 Leiterin des Barackenlagers Brahmsallee , schilderte den britischen Behörden am 26. November 1946, dass die Frauen, die die Arbeit verweigerten, drei Bedingungen stellten: „anderes Essen, deutsches Geld anstatt Lagergeld und freien Ausgang wie andere Arbeiter“.

Werksdirektor Hofer meldete den Vorfall der Gestapo und erhielt die Order, die Frauen aus dem Lager zu holen und im Luftschutzkeller des Werkes festzuhalten. Nach Aussagen mehrerer Mitarbeiter habe Hofer, dem eine stramme nationalsozialistische Gesinnung nachgesagt wurde, die Arbeitsniederlegung nicht zu melden brauchen.

Am Abend wurden die etwa 160 Frauen im Luftschutzraum A versammelt. Zwei Gestapo-Beamte griffen einzelne Frauen heraus und verhörten sie im benachbarten Luftschutzraum.

Bei den im November und Dezember 1946 stattfindenden Vernehmungen der britischen Militärbehörden berichtete Werksmeister Oellrich:

„Ich hatte den Eindruck, als ob Schweim [Gestapo-Abteilungsleiter], der Fotographien in der Hand hatte, sich 5 Mädels aussuchte, und zwar Arapowa, Koslowa, Minajewa, Smirnowa und Perminowa. […] Der Dolmetscher gebärdete sich während der Vernehmung in einer widerlichen Art und Weise, und zwar schlug er die Mädels mit den Fäusten ins Gesicht, trat mit den Füßen in den Leib und schrie sie auf erbärmliche Art und Weise an. Er ging auch mit einigen Mädchen in den Nebenraum und führte Einzelgespräche durch.“

Schließlich wurden fünf Russinnen ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel abtransportiert.

Gertrud Mogge sagte aus, zwei der festgenommenen Frauen seien nicht an dem „Streik“ beteiligt gewesen: „Arapowa und Smirnowa hatten mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun, da Arapowa Nachtschicht hatte und Smirnowa sich im Werk bei der Arbeit befand.“

Nach Aussage des Werksdirektors verwarf Bassewitz-Behr die Anordnung, die Frauen in ein Arbeitsumerziehungslager zu verbringen, und wandelte sie in eine „exemplarische Bestrafung“ um: „Exekution in den Winsbergen“. Alle russischen Kriegsgefangenen sollten dem beiwohnen.

Kurt Marzian, Fahrer bei Noleiko, berichtete bei seiner Vernehmung im Winter 1946, er habe etwa 30 Russinnen aus dem Lager zur Kiesgrube in Eidelstedt gefahren; vom offenen Lastwagen aus mussten sie der Hinrichtung zusehen.

Im Verfahren des Militärgerichts im Curio-Haus im August 1947gegen Personen, die im Gebiet der britischen Besatzungszone Verbrechen an Alliierten begangen hatten, kam es zu einem Freispruch für den Höheren SS- und Polizei-Führer Graf Hennig von Bassewitz-Behr, der von der Erschießung der Frauen nichts gewusst haben wollte. Obwohl sich die Hinweise verdichteten, dass er eine maßgebliche Rolle bei der Tötungsaktion gespielt hatte, ließen sich die Verantwortlichkeiten wegen widersprüchlicher Zeugenaussagen sowie der Undurchschaubarkeit des NS-Herrschaftsgefüges nicht mehr rekonstruieren; schriftliche Beweise fehlten oder waren vernichtet worden. Wegen anderer Verbrechen lieferte die britische Militärverwaltung Bassewitz-Behr nach seinem Freispruch allerdings an die Sowjetunion aus, wo dieser, verurteilt zu 25 Jahren Zwangsarbeit, im Januar 1949 in einem sibirischen Straflager starb.

Willi Tessmann, der Gefängnisleiter von Fuhlsbüttel, erhielt eine Strafe von sieben Jahren Gefängnis, sein Stellvertreter Hans Stange wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt – beide wegen des Anklagepunktes der Erschießung von fünf „Ostarbeiterinnen“ bei Noleiko ohne Verfahren. Wegen weiterer strafbarer Handlungen wurde Willi Tessmann später zum Tode verurteilt und am 29. Januar 1948 in der Strafanstalt Hameln hingerichtet. Hans Stange erhielt im sogenannten Fuhlsbüttel-Prozess, der im September 1947 ebenfalls im Curio-Haus stattfand, eine Strafe von 15 Jahren Gefängnis wegen „Misshandlung und Tötung von Angehörigen der Alliierten Nationen“.

Ein Verfahren gegen den Dolmetscher Johann Christian Menzer wurde am 6. September 1949 eingestellt. Der Werksdirektor Ernst Hofer zog im November 1949 nach Hannover und wurde nicht weiter vernommen.

Im September 1950 war die Erschießung der fünf Russinnen Thema in einem Verfahren vor dem Landgericht Hamburg. Die Kriminalpolizei lud eine Reihe der Augenzeugen der Hinrichtung vor:

Am 29. September wurde John Karl Heinrich Mau, ehemals Sanitäter im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel, vernommen. Laut schriftlichem Protokoll berichtete er Folgendes:

„Auf dem Hof des Kolafu wurden 5 Russinnen auf einen LKW geladen und von dort nach den Windsbergen [korrekte Flurbezeichnung: Winsberg] in Eidelstedt gefahren. Mit uns fuhr auch noch ein PKW mit hohen Herren. In den Windsbergen waren weitere hohe Gestapobeamte und eine größere Anzahl Beamter in Uniform schon anwesend. […] An der Richtstätte mussten die 5 Frauen unseren LKW verlassen, wurden dann zu zweien etwas vom Wagen fortgeführt und zusammengefesselt. Wenn ich recht erinnere, hat Stange die Fesselung vorgenommen. Die beiden Beamten, die die Erschießung vornahmen, kamen Stange auf halbem Weg entgegen und führten die beiden Frauen jeweils zum Exekutionsplatz. Hier nahmen diese beiden Beamten ca. 1–2 m im Rücken der Frauen Aufstellung und schossen mit Pistolen den Frauen ins Genick. Die Frauen fielen auf diese Schüsse hin und blieben erst liegen. Auf gleiche Weise wurden die weiteren Frauen erledigt. […] Nach Beendigung der Exekution wurden die Leichen auf einen besonderen LKW geladen und zum jüdischen Friedhof in Eidelstedt gebracht. Hier war schon eine Kuhle ausgehoben worden. Und vier Russen aus dem Kolafu, die aber nicht bei der Exekution zugegen waren, mussten hier die Leichen bestatten.“

Am 25. Oktober 1950 machte der ambulante Händler Helmut Hermann Heyne, ehemals Aufseher im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel, seine Aussage:

„Als wir auf der Richtstätte ankamen, hielt dort schon ein großer LKW mit Ausländerinnen, die der Erschießung beiwohnen mussten und an die ein Dolmetscher eine Ansprache hielt. 2 Russinnen wurden durch Stange aufgefordert, das Kopftuch abzunehmen und vor die Augen zu binden. Dann wurden die beiden Russinnen durch Stange mit Papierband zusammengefesselt und auf den Weg zur Richtstätte gebracht. Unterwegs wurden sie von den beiden Beamten der Gestapo, die die Erschießung durchführten, in Empfang genommen, an den Richtplatz geführt und durch Genickschuss erschossen. Das Gleiche erfolgte bei den drei weiteren Russinnen. Ich erinnere mich noch, dass eine Jüdin nach den Schüssen nicht sofort zusammenbrach und erst durch zwei weitere Schüsse erledigt wurde. […] Nach der Erschießung wurden die Leichen auf die mitgebrachten Totenbahren gelegt und wir fuhren mit den beiden LKWs zum Judenfriedhof in Eidelstedt. Auf dem Friedhof wurden die Leichen, nachdem man sie zum größten Teil entkleidet hatte, von Häftlingen in eine Grube geworfen und verscharrt.“

Beide Augenzeugen sagten aus, der Gestapo-Beamte Schwarzkopf sei einer der Henker gewesen. Der Behördenangestellte Heinrich Borgert bestätigte am 3. November 1950 die Aussage Heynes, dass die Frauen entkleidet wurden. „Ich weiß nicht, ob ein Befehl für diese Handlung vorlag. In jedem Fall war die Art der Durchführung eine Leichenschändung.“

Am 3. November 1950 wurde der Augenzeuge Karl Emil Georg Ulrich, ehemals Aufseher im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel, vernommen. „Ein Dolmetscher hielt an diese Frauen eine Ansprache, die ich nicht verstanden habe. Aus den Gebärden des Dolmetschers habe ich aber entnommen, daß er diesen Frauen sagte, wenn ihr Gleiches macht, erleidet ihr dasselbe Schicksal. […] Es war eine ganze Anzahl von Gestapo-Offizieren bei der Erschießung anwesend. […] Von der Lagerleitung Fuhlsbüttel habe ich Tessmann gesehen.“

Am 23. November 1950 sagten weitere Zeugen aus, der Betriebsleiter Hofer und ein Betriebsobmann hätten zusammen mit zwei Gestapo-Beamten Lichtbilder der Russinnen durchgesehen. Der Dolmetscher habe die Russinnen geschlagen. Eine „kleine Russin“, die besonders heftig geschlagen und mit Füßen getreten wurde, habe schließlich weinend eine Aussage gemacht. Daraufhin habe der Dolmetscher fünf der Russinnen ausgewählt. Es habe sich um Jüdinnen gehandelt.

Der Dolmetscher Johann Christian Menzer wurde vernommen und stritt jede Gewaltanwendung ab. Die Frauen seien lediglich zur Strafe im kalten und feuchten Luftschutzbunker im Dunkeln eingesperrt worden.

Am 27. November 1950 berichtete Willi Pagels, Personalchef bei Noleiko, den britischen Militärbehörden, er sei einige Woche vor den Erschießungen zusammen mit dem Betriebsleiter und „Abwehrbeauftragten“ Hofer bei der Firma Fette in Ottensen auf einer im Auftrag der Gestapo durchgeführten Zusammenkunft von Betriebsführern gewesen. „Hier war den Betriebsführern durchgegeben worden unter Hinweis auf die veränderte Lage an der Ostfront jeden Ansatz zur Meuterei bei den Russen bzw. Russinnen sofort der Gestapo zu melden. […] Zuerst wurde durch den Treuhänder der Arbeit über das Lagergeld usw. ein Vortrag gehalten und dann sprach der Gestapokommissar Schweim als Leiter der Ausländerlager zu den Betriebsführern. Ich erinnere noch, dass Schweim den Betriebsführern sagte, daß sie mit ihrem eigenen Kopf hafteten. […] In diesem Zusammenhang erwähnte der Kom. Schweim, daß natürlich insbesondere bei den Ostarbeitern die Gefahr von Meuterei, Sabotage oder passiver Resistenz bestand. Es wären bereits in männlichen Ostarbeiterlagern Stichwaffen und sogar Schusswaffen gefunden worden.“

Offenbar wurden die russischen Zwangsarbeiterinnen ohne Verfahren ermordet, weil die Nationalsozialisten in der letzten Kriegsphase, als das Vorrücken der Roten Armee Zweifel am „Endsieg“ aufkommen ließ, Unruhe in den Arbeitslagern fürchteten und jegliche Form von Widerstand unmittelbar unter Kontrolle bringen wollten. Das Ausländerreferat der Gestapo ging dabei vollkommen willkürlich vor und zielte darauf ab, Exempel zu statuieren.

Am 18. Dezember 1950 erließ das Landgericht Hamburg Haftbefehl gegen die Gestapo-

Beamten Herbert Janssen und Andreas Schwarzkopf wegen der Tötung der Russinnen und Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Doch Janssen, der zusammen mit dem Dolmetscher Menzer die Russinnen vernommen und misshandelt hatte, war nach Kriegsende unter falschem Namen untergetaucht. Zudem erwies sich das Vergehen der Gewaltanwendung seit dem 8. Mai 1950 als verjährt. Schwarzkopf, einer der Gestapo-Beamten, die die Hinrichtungen ausgeführt hatten, war 1944 nach Regensburg versetzt worden und soll bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen sein. Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt.

Albert Schweim, ehemals verantwortlicher Leiter des Auslandsreferats der Gestapo, floh aus einem britischen Internierungslager und wurde in den 1950er Jahren für tot erklärt. Bis zu seiner Festnahme 1974 lebte er unerkannt in Dortmund. Bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht Hamburg im selben Jahr erklärte er, wobei er die Russinnen im Gestapo-Jargon als „Flintenweiber“ bezeichnete: „Ich sehe noch heute, dass ein Angehöriger der Stapoleitstelle Hamburg eine der Russinnen an den Haaren erfasste, den Kopf nach vorn drehte und ihr mit einer Pistole ins Genick schoss.“ Nach Aussagen von Zeugen hatte er die Erschießung geleitet, was er abstritt. Das Ermittlungsverfahren gegen den inzwischen gebrechlichen Mann wurde schließlich wegen „Verhandlungsunfähigkeit“ eingestellt. Albert Schweim starb im darauf folgenden Jahr in Freiheit.
(…)
Bei den Ermittlungen der britischen Militärbehörden 1946 kam ans Licht, dass die Gestapo schon neun Monate vor der Erschießung der fünf wegen des Streiks festgenommenen Zwangsarbeiterinnen, im Februar 1943, die Erschießung einer Russin aus der Noleiko-Belegschaft angeordnet und durchgeführt hatte. Werksdirektor Hofer hatte nach eigenen Angaben nach der Zuweisung von „Ostarbeiterinnen“ einen Appell an die deutsche Belegschaft gehalten, dass „jeder Verkehr, insbesondere Geschlechtsverkehr“ laut Anordnung der Gestapo verboten sei. Gespräche sollten sich auf rein dienstliche Angelegenheiten beschränken. Im Februar 1943 meldete Hofer selbst den Arbeiter Wilhelm Reinhardt bei der Gestapo. Zusammen mit ihm führten die Beamten am 3. Februar 1943 die Zwangsarbeiterin Galina Tkachenko aus dem Betrieb ab. Geboren am 25. November 1921 in Woroschilowgrad (heute Luhansk, Ukraine), war sie seit dem 14. September 1942 bei Noleiko beschäftigt.

Wilhelm Louis Paul Reinhardt, Sohn von Karl R. und Marie von der Heide, geboren am 22. Januar 1913, machte am 10. Dezember 1946 vor den britischen Ermittlern eine Aussage:

„Im Jahre 1943 war ich bei der Noleiko als Maschinenformer beschäftigt. Dort arbeiteten Russische Kriegsgefangene Mädchen. Ich unterhielt mich mit ihnen öfters und habe auch ihnen kurze Berichte über die Kriegs- und Politische Lage gemacht, sowie auch essen geteilt. Dies wurde von Höhner und Wagner bemerkt und verwarnten mich beide. Galina Tkatschenko [angepasst Tkachenko, BG] hatte einen Brief für mich, der von Maria, auch einer Russin, an mich geschrieben war, mir gegeben und ich hatte ihn verloren. Der bei der Noleiko beschäftigte Arbeiter Bunte fand diesen Brief und übergab ihn, soweit mir bekannt ist, der Geschäftsleitung. Bauer von der Gestapo Hamburg hat mich verhaftet und verhört. Ich wurde für ca. 8 Wochen im Untersuchungsgefängnis Hamburg Hütten gehalten und während dieser Zeit 4 oder 5 Mal von Bauer verhört. Ich habe während dieser Vernehmungen, und zwar im Wartezimmer, dem sogenannten Spiegelsaal, die Galina paarmal gesehn, von wem sie jedoch vernommen wurde, ist mir nicht bekannt.

Bei den Vernehmungen wollte ich natürlich diesen Briefwechsel nicht eingestehen und wurde daher von Bauer jedesmal mit der Hand verprügelt. Zum Schluss legte er mir dann die Briefe vor und den Bericht, aus welchen sich ergab, dass das Mädchen ihm bereits alles gesagt hatte. Ich kam nicht vor ein Gericht, sondern nach Neuengamme, wo ich bis zum 19.9.44 blieb. Ich wurde dann entlassen und zur Wehrmacht eingezogen.

Galina Tkatschenko ist ungefähr 21–22 Jahre alt […]. Was mit ihr geschehen ist, ist mir nicht bekannt.“

Die Gestapo-Beamten brachten Wilhelm Reinhardt aus dem Betrieb direkt ins Polizeigefängnis Hamburg-Hütten. Eine Woche später wurde er ins KZ Neuengamme überführt, wo er 17 Monate lang, vom 11. Februar 1943 bis zum 19. September 1944, wegen politischer Korrespondenz mit russischen Kriegsgefangenen einsaß. Während der Haftzeit musste er im Motorenwerk Yastram/Niederlassung Neuengamme, in der Munitionsfabrik Düneberg bei Geesthacht und bei den Hermann-Göring-Werken in Drütte bei Salzgitter arbeiten. Aufgrund einer Intervention der Firma Noleiko wurde er entlassen und arbeitete wieder in der Firma. Zehn Tage später wurde er zu einer Strafkompanie der Wehrmacht eingezogen, wo er eine schwere Kriegsverletzung davontrug und ein Jahr in einem Lazarett verbringen musste.

In einem Verfahren vor dem Amt für Wiedergutmachung im Dezember 1960 versuchte er für seine Haftzeit vom 3. Februar 1943 bis 19. September 1944 „wegen verbotenem Umgang mit Fremdarbeitern und Verbreitung von politischen Nachrichten“ eine Entschädigung zu bekommen. Er sah sich als Gegner des Nationalsozialismus.

„Ich war vor 1933 zwar in keiner politischen Partei tätig, jedoch damals in der sogenannten ‚Häuserschutzstaffel‘ der KPD. Meine politische Einstellung war von Haus aus gegen die NSDAP gerichtet, mein Vater war Mitglied der KPD.“ Da die Russinnen ohne jeden Kontakt zur Außenwelt waren, habe er sie über die militärische und politische Situation unterrichten wollen und Nachrichten mitgeteilt, die ihm durch das Abhören ausländischer Sender bekannt waren. Da Gespräche mit den Russinnen untersagt waren, habe er Briefe über die Dolmetscherin geschrieben. Willi Bunde, der ihn verraten habe, sei ein fanatisierter Nationalsozialist gewesen, der in der Firma Uniform getragen habe.

„Der Schutzhaftbefehl, den man mir in Neuengamme zeigte, trug die Worte: ,wegen verbotenen Umgangs mit Ostarbeitern schadet er dem Deutschen Reich und Volk im Schicksalskampf.‘“

Firmenangehörige bestätigten, dass Reinhardt „Antifaschist“ war, mit Zwangsarbeiterinnen sprach und ihnen Lebensmittel gab.

Sein Antrag auf Entschädigung wurde am 13. März 1968 abgelehnt, da er „lediglich gegen die seinerzeit bestehenden Bestimmungen verstoßen [habe], mit Kriegsgefangenen bzw. Fremdarbeitern keinen Kontakt aufzunehmen“.
(…)
Nach ihrer Befreiung im Mai 1945 wurden die noch im Lager verbliebenen Russinnen in einem Sammeltransport zurück in ihre Heimat gebracht.

Text von Birgit Gewehr, entnommen ihrem Buch „Stolpersteine in Hamburg- Altona. Biographische Spurensuche. Hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung und dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden. Hamburg 2015.

Quellen:
Stadtteilarchiv Ottensen, Bestand Zwangsarbeit in Altona; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 18811/64; StaH 322-33_B92; StaH 322-3 Architekt Gutschow, B 90 (Unterbringung ausländischer Arbeitskräfte); StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 2694-56, Band 1 (Verfahren gegen Helms u. a., S. 14 ff., S. 16 ff.); StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 38908 (Reinhardt, Wilhelm); Auskunft von Katja Hertz-Eichenrode, Freundeskreis der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, 15.1.2014; KZ-Gedenkstätte Neuengamme, HH 3.5.7 Hamburger Besuchsprogramm für ehemalige Zwangsarbeiter 2001–2013/Freundeskreis KZ-Gedenkstätte Neuengamme, und HH 3.5.7.1.1 Korrespondenz mit ehemaligen ZwangsarbeiterInnen, und HH. 3.5.7.2 Historische Fotos, Dokumente und Objekte, und Public Record Office, Akte WO 309/1156, 92383 und Komitee-Akte Wilhelm Reinhardt und FGN Hans-Schwarz-Nachlass, ID 5593 (Wilhelm Reinhardt); ITS Digital Archive, Bad Arolsen, Norddeutsche Leichtmetall und Kolbenwerke Hamburg- Altona, 2.1.2.1/70644075 und Hamburg, 2.1.2.1/70640642; Diercks, Doku Stadthaus, S. 48; Ebbinghaus, u. a., Heilen und Vernichten, S. 179 ff.; Diercks, Gedenkbuch KolaFu, S. 47; Möller, Ein verdrängtes Kapitel, S. 93, Littmann, Ausländische Zwangsarbeiter, S. 554 (Fußnote); Jacobs, Himmlers Mann, S. 99 f.
 

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Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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