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Erinnerungen an 1962

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Ich war damals 5 Jahre alt und wir wohnten in Waltershof im Grund. Es war für uns Kinder ein Paradies, alles Natur, baden konnten wir in der Elbe. Ich kann mich noch erinnern, dass der Grund ca. 100 Meter tiefer lag als der Anleger Waltershof. Man musste den Grund hoch gehen, um einzukaufen.

Erinnerungen an 1962


Beim Anleger war eine Schule, ein Frisör (ich glaube er hieß Herbert?), ein Krämerladen und noch ein, zwei Geschäfte, daran erinnere ich mich aber nicht mehr. Meine Mutter und ich fuhren mit dem Dampfer immer nach Neuhof, dort gab es ein Fischladen und der hatte frische Senfgurken aus dem Fass, ein Genuss sie zu essen. Ich hatte auch einen Freund mit Namen Peter, soweit ich mich erinnere.

Nun zur Nacht der Flut:

Wir besaßen ein Radio und schon am Tage hörte meine Mutter die Nachrichten, dass es eine Sturmflut geben soll. Sie packte schon am Tage alles an Papieren zusammen, um sie griffbereit zu haben, falls etwas passieren sollte. Wir hatten die Hälfte eines Hauses angemietet, von Leo und Maria, die in der anderen Hälfte wohnten. Meine Eltern hießen Helmut und Helga Oschatz, mein Name ist Marcel und mein jüngerer Bruder hieß Burnel, er war 2 Jahre alt.

Die Uhrzeit weiß ich nicht mehr, aber es war dunkel, meine Mutter weckte mich und sagte: „Zieh dich an, wir müssen hier raus“. Als ich meine Augen aufschlug, sah ich, dass mein Holzschemel, den ich hatte, durch das Zimmer schwamm. Das Wasser war schon im Haus. Meine Eltern und unsere Nachbarn Leo und Maria zogen sich und uns Kinder an. Leo war der Einzige, der damals schon ein Auto bzw. zwei Autos besaß. Er meinte „Los, alle ins Auto!“, damit wir den Grund noch hoch kommen, denn das Wasser drang immer mehr in den Grund. Wir stiegen in das Fahrzeug, das vorne auf der Haube eine Weltkugel hatte und fuhren los. Das Wasser stand schon bis zu den Knien im Auto, aber wir schafften es noch gerade den Grund hoch. Hier mussten wir aber aussteigen, denn nun lief der ganze Wagen voll. Meine Mutter und ihre Freundin Maria schnappten mich unter den Achseln, damit ich nicht untergehe, denn das Wasser ging den Erwachsenen schon bis zur Brust. Mein Vater trug meinen Bruder auf den Arm. Nun lagen noch ein paar hundert Meter vor uns, denn meine Eltern wollten zum Anleger Waltershof. Sie hofften, dass dort einige Barkassen oder Dampfer auf die Menschen warten, um sie aufzunehmen. Nur die Strömung des Wassers war so gewaltig, dass wir nach ein paar Metern nicht mehr konnten. Viele Leute standen und hockten auf den anliegenden Familienhäusern, um der Flut zu entgehen. Wir stiegen auch auf ein Dach eines Hauses und konnten ein wenig ausruhen. Aber nach einiger Zeit war man dadurch, dass man klitschnass und das Wetter so eisig war, völlig durchgefroren, so dass es schon weh tat. Wir hörten überall um uns im Dunkeln Hilfeschreie. Es war ganz schlimm und ich hatte große Angst. Mein Vater sagte dann nach einer Zeit, dass wir weiter müssen, ansonsten erfrieren wir. Wir stiegen wieder in das strömende, dunkle und kalte Wasser und versuchten zum Anleger zu kommen.

Als wir immer näher kamen, sahen wir Licht. Es kam von der Schule. Und als wir näher kamen, sahen wir, dass Soldaten den anströmenden Leuten halfen, in das Gebäude zu kommen. Auch wir gingen auf die Soldaten zu, sie standen auch bis zur Brust im Wasser und halfen uns über den eingebrochenen Zaun durch die Fenster ins Gebäude. Die Helfer in der Schule gaben uns Decken, damit wir uns zudecken konnten, es war saukalt. Alle saßen auf den Tischen und irgendwann schlief ich ein.

Ab hier kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich wurde wach und sah, dass wir in Hamburg in der Neustadt bei meiner Oma waren. Ich war glücklich.

Ich weiß nur noch, dass meine Mutter hoch schwanger war, denn am 7. Mai kam mein zweiter Bruder zur Welt. Ich hatte meine Schuhe im Wasser verloren, sowie auch meine Mutter. Wir hatten ganz großes Glück, dass wir überlebt haben. Denn wären wir im Grund geblieben, so wären auch wir umgekommen. Es war die schlimmste Katastrophe, die jemand erleben konnte.

Als wir nach Wochen zum Grund gingen, um zu sehen, was von unserem Haus noch übrig ist, kam der große Schreck. Nichts – es war kein Haus mehr da, weder unseres noch ein anderes. Wir waren obdachlos.

Meine Eltern sind nun schon tot und sicherlich auch die Freunde Leo und Maria. Ohne Maria und meine Mutter wäre ich ertrunken, denn das Wasser war so hoch, dass ich nicht stehen konnte. Ich danke beiden dafür, denn sie trugen mich unter den gewaltigen Umständen durch das Wasser bis hin zur Schule.


Marcel Oschatz – Online veröffentlicht am 29.02.2012

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