Ansicht des Altonaer Rathauses
Leichte Sprache
Gebärden­sprache
Ich wünsche eine Übersetzung in:

1928 - Reportage von Edgar Walsemann

Leichte Sprache
Gebärden­sprache
Ich wünsche eine Übersetzung in:

1928 - Reportage von Edgar Walsemann

Taubennester für alle Rassen: Auch das gab es auf dem Fischmarkt. (Foto: Altonaer Museum) Taubennester für alle Rassen: Auch das gab es auf dem Fischmarkt. (Foto: Altonaer Museum)

Der äußerst amüsante Beitrag des Altonaer Schriftstellers und Journalisten Edgar Walsemann (1890-1977) erschien in dem amtlichen Band „Altona“, herausgegeben vom damaligen „Verein für Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik“.

„Es ist etwas besonderes um den Fischmarkt in Altona an der Elbe. Man muß sagen, daß es dergleichen in der ganzen Welt nicht zum zweitenmal gibt. Und wir von der Wasserkante müssen es wissen. […] Am Sonntagmorgen, wenn die kugelige, rote Sonne gerade hinter den Hamburger Elbbrücken emporklettert, gehen wir nach dem Fischmarkt.

Es lässt sich nicht leugnen: der Weg dorthin führt nicht gerade über die vornehmsten Promenaden der Stadt, sondern durch ein älteres Viertel, das abwechselnd von kleinen, altersschwachen Häusern und himmel-hohen Speichern gebildet und zum Teil von Italienern und Original-Zigeunern bewohnt wird. Demzufolge macht sich in der Gegend des Fischmarktes stets ein charakteristischer Geruch nach Tran, Melasse, Teer, Pflaumen, Baumwollsaatmehl, Essig, Fisch und kleinen Kindern bemerkbar. Er erinnert leicht an Hamburger Aalsuppe und dünkt einem zunächst unerträglich, dann ganz interessant, und schließlich findet man ihn, nachdem man den Salzgeruch der See und den herben Duft des Meeresgrundes darin entdeckt hat, urnatürlich und herzhaft erfrischend. (…) Dies ist die Atmosphäre.

Schon früher gab es auch Kleintiere auf dem Fischmarkt zu erstehen. (Foto: Hamburger Staatsarchiv) Schon früher gab es auch Kleintiere auf dem Fischmarkt zu erstehen. (Foto: Hamburger Staatsarchiv)

Der Fischmarkt selbst liegt am Nordufer der Elbe unmittelbar am (Altonaer) Hafen, ja zum Teil im Hafen, denn ein guter Teil des Marktgetriebes entwickelt sich an und auf den weit in den Strom hinausgebauten Brücken und Pontons. (…) Es wimmelt von Menschen. Alle sind mit einem Korb, einem Netz oder einem Beutel armiert. An dem langen Landungssteg haben zahlreiche Fischereifahrzeuge festgemacht, an der Außenseite die großen Kutter und Ewer aus Finkenwärder, Altenwärder und Blankenese, an der Innenseite die kleinen Schmeißnetzboote. Die großen kommen mit Schollen weither von der See, die kleinen haben auf der Unterelbe die ganze Nacht gefischt, Butt, Brassen, Wittlinge, Stinte, Aale… Aber nicht nur Fische kann man auf dem Altonaer Fischmarkt kaufen, sondern die verschiedensten Dinge. Auf dem großen Platz vor der Halle sind die schnurrigsten Kollektionen zur gefälligen Auswahl malerisch aufgebaut. Man kann dort preiswert erstehen: Schweizer Gebirgsziegen und Tilsiter Käse, Pekingenten, Stiefelbänder, drahthaarige Foxterrier, Harzer Kanarienvögel, reife Tomaten, warme Würstchen, Angorakatzen, Barchentbeinkleider, Rassegeflügel, Zahncreme, Kohlköpfe, Zigaretten, Yorkshire-Fettschwanz-schafe, Hühneraugenmittel, Goldfische im Glas und – in jeder Jahreszeit – Blumen in Hülle und Fülle, (…).

Bananenverkäufer auf dem Fischmarkt (Foto: Hamburger Staatsarchiv) Bananenverkäufer auf dem Fischmarkt (Foto: Hamburger Staatsarchiv)

Man kann nicht gut behaupten, dass der Fischmarkt in Altona Treffpunkt der vornehmen Welt sei. Man muß sagen: Das Publikum ist gewissermaßen gemischt. Die Umgangsformen hierorts zeichnen sich mehr durch volkstümliche Eigenart als durch besondere Gesellschaftsfähigkeit aus. Mitglieder des diplomatischen Korps besuchen den Fischmarkt selten; hingegen sieht man des öfteren Hongkong-Chinesen, Batuneger und arabische Heizer. Und Jonny Bumm, Akkordnieter auf der Vulkanweft, geht zur Deckung des Familienbedarfs einkaufen. Er ist – es nützt nichts, es zu verschweigen – seit Sonnabendnachmittag unterwegs. Jetzt lacht die Sonntagmorgensonne freundlich. Jonnys Antlitz ist noch geschwärzt vom Werftstaub. Sein mühsam mit hunderttausend Hammerschlägen zusammengenieteter Wochenlohn ist bedenklich zusammengeschrumpft. Aber er ist guten Mutes, denn er hat, mit Rücksicht auf den zu erwartenden häuslichen Empfang, großzügig eingekauft. Zwar verrät Jonny Bumms leicht schlingernde Gangart einen mehr oder minder vorgeschrittenen Grograusch. Das Bewusstsein, für des Hauses fraulichen Herd bestens gesorgt zu haben, aber verhilft ihm zu einem starken Gefühl innerer Sicherheit und zaubert auf sein raues Antlitz ein mildes Lächeln.

Besucher stöbern im Haushaltswaren-Angebot. (Foto: Altonaer Museum) Besucher stöbern im Haushaltswaren-Angebot. (Foto: Altonaer Museum)

Er hat einen prächtigen Fisch gekauft, dazu zwei Pfund Limburger Käse, einen Goldfisch, einen lebenden Dackel, ein sizilianisches, garantiert eierproduzierendes Landhuhn und einen Strauß blauer Astern, insgesamt sechs Teile. Zuweilen bleibt Jonny Bumm im Gewühl des Marktes stehen und überzählt prüfend seinen Einkauf. Es ist alles in bester Ordnung: Der Dackel hat sich unlöslich in Jonnys linkes Hosenbein verbissen, der Käse atmet in der rektalen Hosentaschen seines Besitzers aromatische Blasen, der Goldfisch schwänzelt ihm purpurn aus der rechten Westentasche, das Italienerhuhn im linken Arm ist soeben sanft gestorben, und an der Hundeleine folgt klaglos über Stock und Stein der treue Schellfisch seinem Herrn. Jonny Bumm ist zufrieden. Er grinst verklärt. In seiner schwarzen Faust, mit der er sich den Heimweg bahnt, strahlen azurblau die großen Blumen.“

Themenübersicht auf hamburg.de

Anzeige
Branchenbuch