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29. Mai 2018 95 Jahre Buchhandlung Felix Jud

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Grußwort des Senators Dr. Carsten Brosda

95 Jahre Buchhandlung Felix Jud

Sehr geehrte, liebe Frau Krauth,
sehr geehrter Herr von Dohnanyi,
sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Felix Jud – Buchhandel, Kunsthandel, Antiquariat, 
liebe Gäste,

wenn ich hier so stehe, neben all diesen Schätzen, und meinen Blick eben über die wunderbaren Bücher schweifen lassen konnte, über das sorgsam kuratierte belletristische Programm, die kostbaren Erstausgaben, die Kunstwerke, dann fühle ich mich ein wenig wie Peter Kien, der Protagonist in Elias Canettis monumentalem Roman „Die Blendung“. 

Kien, Sie wissen das, meine Damen und Herren, ist biblioman – oder wie nennt man es, wenn jemand 25.000 Bände besitzt und immer noch mehr braucht? 
Wenn jemand süchtig ist nach Buchläden und Bibliotheken? 

Hier, im Neuen Wall 13, in der wunderschönen Buchhandlung Felix Jud hätte Kien seine Sucht stillen, sich mit neuem Stoff versorgen können und wäre noch dazu auf Gleichgesinnte gestoßen. Vielleicht wäre dann alles ganz anders gekommen…

Elias Canetti gehörte im Übrigen zu denjenigen, die nach dem verheerenden Brand der Alsterarkaden am Silvestervormittag 1989, der die Buchhandlung Felix Jud fast gänzlich vernichtete, den Wiederaufbau des Geschäfts finanziell unterstützte. Und er war in bester Gesellschaft: Von Umberto Eco bis Patricia Highsmith, von Siegfried Lenz bis Richard von Weizsäcker, die Namen der treuen Kunden und Unterstützer liest sich wie ein „Who is Who“ der europäischen Geisteswelt. 

Woher ich das weiß? Ich habe es gelesen. 
In dem frisch erschienenen Band „Die Fütterung der Schlangen geschah vor Ladenöffnung – Geschichten von Felix Jud Buchhandlung Antiquariat Kunsthandel“ über diesen ganz besonderen Hamburger Kulturtempel, der von Rainer Moritz so lebendig geschrieben und von Rainer Groothuis so opulent gestaltet wurde. 
Wir werden später mehr daraus hören und, glauben Sie mir, Sie alle werden das Buch komplett lesen und betrachten wollen, denn es erzählt nicht nur von einem der schönsten und kulturvollsten Orte Hamburgs, sondern verwebt die Geschichten von Felix Jud und seiner Bücherstube mit den Geschicken unserer Stadt. 

Zeitgeschichte zum Blättern – kein Wunder, dass beide Herren, Verfasser und Gestalter, in jüngerer Vergangenheit für ihre Verdienste um die Literatur von der Freien und Hansestadt Hamburg mit dem Titel „Professor“ geehrt wurden. 

Ich werde Ihnen nicht viel über die bewegte Geschichte des Hauses berichten, die werden Sie später aus berufenerem Munde hören. 
Und überhaupt: Bei Felix Jud sind die Kunden Freunde und die Freunde Kunden. 

Viele von Ihnen, meine Damen und Herren, gehen hier seit Jahren ein und aus, finden auf den drei Etagen vor den Regalen aus Kirschholz Muße und Inspiration. 

Die Zeit für ein gutes Gespräch gehört einfach dazu. 
Felix Jud, das ist Geschichte, das sind Geschichten. 
Das sind aber auch die Menschen, die hier wirkten und wirken. 
Zuallererst der Namensgeber Felix Jud, ein findiger Geschäftsmann, geradliniger Hamburger, widerständiger Kopf, der am 20. April 1935 – Hitlers 46. Geburtstag – ein Schaufenster gestaltete mit einem schief hängenden Bild des „Führers“, umringt von Stapeln des Buchs „Heiteres Leben mit braunen Menschen“ des jüdischen Autors Richard Katz. 

Heute riskieren die von Klaus Lameier gestalteten Schaufenster der Buchhandlung Felix Jud zum Glück nicht mehr, die Menschen dahinter hinter Schloss und Riegel bringen, spektakulär und anschaulich sind sie allemal: 
Ob „Nicht ohne meine Handtasche“ zum 90. Geburtstag der Queen, ein „Chanel-Fenster“ anlässlich der Schau der Chanel Métiers d'Art-Kollektion des Stammkunden Karl Lagerfeld in der Elbphilharmonie oder eine Ausstellung zum Erscheinen der Briefe Hans von Dohnanyis aus dem Militärgefängnis: Die Buchhandlung Felix Jud wirkt mit Intelligenz, Charme und Haltung in ihr Umfeld hinein, das der unvergessene Wilfried Weber einmal so spöttisch die „Luxuswüste Neuer Wall“ nannte.

Heute Abend kann nicht gefeiert werden, ohne mit Wehmut und Dankbarkeit an Wilfried Weber, den im Sommer 2016 viel zu früh verstorbenen Grandseigneur der „Mellin-Passage“ zu denken. 

Als 22-jähriger ehrgeiziger Buchhändler in die damalige „Hamburger Bücherstube“ eingetreten, steuerte Wilfried Weber das ehrwürdige Bücherstuben-Schiff in die neue Zeit. Geist, Gespräch und Geschmack waren stets seine Koordinaten, stupendes Wissen sein Horizont. Die Stadt Hamburg hat Wilfried Weber viel zu verdanken, nicht zuletzt die Idee eines Literaturhauses am Schwanenwik, die er Mitte der achtziger Jahre gemeinsam mit einer Gruppe lesebegeisterter Hamburger vorantrieb, darunter der damalige Erste Bürgermeister Klaus von Dohnanyi. 

Nach Juds Tod 1985 führte er das Geschäft gemeinsam mit der Kunsthistorikerin und Germanistin Marina Krauth weiter. Sie, die noch beim Gründer Felix Jud gelernt hat, ist seit zwei Jahren die alleinige Inhaberin. 

So ist die Buchhandlung Felix Jud mit ihren 95 Jahren eine springlebendige, geistreiche Dame, die den Austausch mit der Jugend schätzt, die Traditionen pflegt, ohne die Augen vor Neuem zu verschließen. 

Ich wünsche der Besatzung – neben Marina Krauth sind das Karen Baum, Thomas Busch, Constanze Hell, Sandra Hiemer, Klaus Lameier, Torsten Plettner, Annegret Schult und Annika Sprünker – auch in Zukunft viele wissbegierige, lesehungrige und kunstbegeisterte Kunden. 

Denn ein Geschäft, das weiß man in Hamburg sehr genau, lebt nicht nur von seinem Mythos, es lebt von Gespräch, von Beratung und schließlich von Kauf und Verkauf. Deshalb muss die Buchpreisbindung erhalten bleiben. Sie sichert das Kulturgut Buch und seine Verfügbarkeit. Und sie schützt die kleinen Buchläden. 

Und es hängt von Menschen ab, dass sich aus einem Geschäft einer jener Kulturorte entwickelt, an denen wir beinahe beiläufig ins Gespräch kommen über die Dinge, die uns alle angehen. Es sind solche Orte, an denen sich Gesellschaft als Gesellschaft begegnet und so das Fundament für Freiheit und Vielfalt, Offenheit und Wagemut entsteht, auf den unsere Demokratie gegründet ist. 

Man kann diese Orte nicht gesetzlich verordnen und auch nur sehr bedingt staatlich garantieren – jenseits der Freiheitsversprechen des Grundgesetzes. 
Denn sie liegen in den Zwischenräumen, da wo sich Unterschiedliches begegnet, wo Kontraste sichtbar werden und Spontaneität gelebt wird. Es ist das Wunder einer offenen Gesellschaft, dass solche Orte immer wieder entstehen.
Dieses Wunder aber kommt nicht von allein, sondern bedarf des beherzten Engagements und des freiwilligen Sinns für Verantwortung jenseits des eigenen Gartenzauns.

Und so passt die Buchhandlung Felix Jud ganz trefflich in die Hansestadt, denn wie schreibt der Philosoph Volker Gerhardt im Geburtstagsband: 
„Hier ist der zwar kleinste, aber die beste Unterhaltung und die größte Weitsicht bietende Nebeneingang zum ,Tor zur Welt’.“

Ich hoffe, wir sehen uns alle 2023 hier wieder, wenn wir den 100. Geburtstag dieses ebenso erinnerungsgetränkten wie höchst lebendigen Geschäfts feiern werden. 

Bis dahin überlasse ich Sie den mannigfaltigen Gedanken und Anekdoten, die jeder und jede von Ihnen heute mitgebracht hat – natürlich mit einem Gedanken aus der „Blendung“, denn wie sagte Peter Kien so treffend: 
„Ein Buchhändler ist ein König, 
ein König kein Buchhändler.“

Und das ist die einzige Monarchie, die die freien und selbstbewussten Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt ertragen…

Feiern Sie schön!

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