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1. November 2017 „Kunst und Kulturpolitik heute: Zwischen Freiheitsanspruch, Finanzierungszwang und Relevanzsehnsucht“

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Vortrag im Übersee-Club des Senators Dr. Carsten Brosda

Kunst und Kulturpolitik heute - Übersee-Club

In der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins Der Spiegel findet sich ein Kommentar zu den Münchner Plänen für einen neuen Konzertsaal. Darin heißt es: „Kultur dient nicht mehr so sehr der sozialen Integration, sie fördert eher die Spaltung der Gesellschaft.“

Früher, so der Kommentator, sei vom Münchner Kulturzentrum Gasteig in die Stadt hinein gewirkt worden. Heute erhoffe man sich von dem neuen Konzerthaus eine Wirkung aus der Stadt heraus. Während also der heute von manchen bereits als überholt kritisierte Kulturbau aus den 1970er Jahren eigentlich wertvolle zusätzliche Aufgaben für die Stadtgesellschaft übernehme, seien die Neubaupläne geprägt von dem Wunsch, München in der Welt durch einen neuen Ort der Kultur noch bekannter zu machen. Der Text lässt seine Kritik gipfeln in der bemerkenswerten Wortschöpfung eines angeblich „touristisch-elitären Kulturbegriffs“, den man übrigens auch in Hamburg bei der Elbphilharmonie finde, und bei dem es insbesondere um Repräsentation ginge: „Hier wird Kultur, in diesem Fall die klassische Musik und der Konzertbetrieb, als Schmuckstück der Macht benutzt.“

Der Kommentar macht hellhörig, weil er eine sehr grundsätzliche Veränderung in der Wahrnehmung der Kultur suggeriert. Und es besteht ja in der Tat die Gefahr, dass sich die Politik der Kultur bemächtigt, um wichtige Repräsentations- und Symbolbauten zu schaffen – auch die Elbphilharmonie war in ihrer Entstehungsgeschichte davon nicht frei. 

Andererseits sehen wir aber aktuell, wie robust und widerstandsfähig die Kultur und ihre Institutionen sein können. Die Monate nach der Eröffnung der Elbphilharmonie zeigen, dass die Kunst eben doch für sich selbst stehen und dabei ungebrochen attraktiv sein kann. Über vier Millionen Besucherinnen und Besucher auf der Plaza, die weltweite Wahrnehmung, die große Emotionalität – alles das macht zuversichtlich. Es zeigt, welche Wirkungen ein Haus wie die Elbphilharmonie in die Stadt hinein haben kann und weiterhin hat. Es steht nicht nur geographisch im Zentrum der Stadt, sondern auch emotional.

In klarem Gegensatz zum Spiegel-Kommentator möchte ich die These vertreten, dass Kultur derzeit ganz augenscheinlich – auch gesamtgesellschaftlich – an Bedeutung gewinnt. Und zwar nicht, weil wir spektakuläre Häuser bauen, sondern weil die Themen und Diskurse unserer Tage unmittelbar auf kulturelle Themen zurückzuführen sind. Ich habe daher bereits vor einem halben Jahr davon gesprochen, dass uns eine Renaissance der Kulturpolitik bevorstehen kann, weil auch von Seiten der Politik dafür gesorgt werden muss, dass die Rahmenbedingungen dieser wichtigen Debatten stimmen – ich komme später darauf zurück.

Im Titel meines Vortrags sind drei Dimensionen benannt:

1. Freiheitsanspruch

2. Finanzierungszwang 

3. Relevanzsehnsucht

Diese drei Aspekte heutigen künstlerischen Schaffens möchte ich nicht abstrakt, sondern vor dem konkreten Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Situation erläutern. Zudem möchte ich sie immer wieder auch an die konkreten Vorhaben hier in Hamburg knüpfen.

Freiheitsanspruch der Kunst

Die grundlegende Feststellung gleich zu Anfang: Kunst und Kultur sind frei. Das sichert unser Grundgesetz in Artikel 5 Absatz 3. Dort heißt es: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Diese Norm stellt sicher, dass Kunst und Kultur sich eigensinnig und frei von fremdgesetzten Zwängen entfalten können. Das bedeutet auch, dass die Kultur davor geschützt wird, zu einem Instrument zu werden, zu einem Mittel, das externen Zwecken dienen soll. Die Freiheit der Kunst soll sicherstellen, dass die Kunst ganz aus sich selbst heraus Sinn stiftet.

Diese Art der Kunstfreiheit schützt allerdings nicht nur vor falschen Zweckerwartungen, sondern auch vor den vermeintlich richtigen, die sich allzu leicht ergeben, wenn man die Frage danach stellt, was Kunst soll: Welche Aufgaben sie erfüllen soll und womit sie rechtfertigen soll, dass sie durch Steuergelder (mit)finanziert wird.

Es ist nicht für jeden leicht auszuhalten, aber gerade deshalb wichtig, immer wieder zu betonen: Kunst und Kultur brauchen keine Zweckbestimmung, sondern sind aus sich selbst heraus relevant. Es ist ein seltsames Paradoxon: Wenn wir eine Kunst wollen, die utopisches Potential entfaltet, eine Orientierungsfunktion für den Einzelnen bietet und sinnstiftend in unsere Gesellschaft hineinwirkt – genau dann müssen wir darauf verzichten, Kunst unter dem Paradigma der Nützlichkeit zu betrachten. Die Irritationen, die Kunst auslösen kann, sollten wir als Bereicherung begreifen und als lustvolle Aufforderung zur Auseinandersetzung, dann stellen sich andere wünschenswerte Effekte von selbst ein.

Finanzierungszwang: Kunst kostet Geld 

Ein zweiter Aspekt des Kunst- und Kulturschaffens ist jener der materiellen Basis. Natürlich ist Kunst die Arbeit am Überbau. Sie ist Ausdruck des idealistischen Wirkens an Werten und Wahrnehmung unserer Gesellschaft. Aber zugleich braucht sie eben auch das Fundament, die ganz konkrete Basis, also Institutionen, Räume – und vor allem Geld. All das sind Voraussetzungen, die Kunst nicht aus eigener Kraft schaffen kann, ohne die es aber nicht gelingen kann, Kunst zu produzieren – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Und deshalb redet ein Kultursenator auch oft mehr über Geld, als über Kunst…

Aber was genau ist zu tun? Wäre der Idealzustand (so unrealistisch dies auch sein mag), eine Vollfinanzierung für alle Künstlerinnen, Künstler und Kultureinrichtungen, um ihnen jedwede Freiheit zu garantieren? Die Antwort lautet: Ja und Nein. 

Ja, mehr Geld für Kunst und Kultur wäre nicht nur schön, sondern auch gut, denn wahr ist: Viele Kultureinrichtungen und auch freischaffende Künstlerinnen und Künstler kämpfen um ihr finanzielles Überleben oder arbeiten am Rande der Selbstausbeutung. Erst kürzlich habe ich beispielsweise mit zwei jungen Kuratorinnen gesprochen, die sich gemeinsam eine Zweidrittel-Stelle teilen, ihr Monatsgehalt beträgt 750 Euro pro Person – und das in einer staatlich zumindest mitfinanzierten Einrichtung. Es wird in unserer Gesellschaft mit einem ganz gehörigen – oder eher ungehörigen – Maß an Selbstausbeutung kalkuliert und wir müssen uns deshalb kontinuierlich um eine Verbesserung der Bedingungen für Künstler und Kreative kümmern.

Wir brauchen zudem eine große Vielfalt des Kulturangebots, also geht es darum, diese auch zu gewährleisten. Wir leben, gerade in Städten, in einer diversen Gesellschaft, die ein ebenso diverses kulturelles Angebot verlangt. Diese Vielfalt bereichert die Lebenswelt des Alltags und ist darüber hinaus der Boden nicht nur für neue künstlerische, sondern auch für neue gesellschaftliche Entwicklungen. Gute Gründe also, um sich nach Kräften für mehr Geld für die Kultur einzusetzen, denn mit mehr Ressourcen kann man auch mehr machen. Viel hilft viel – diese einfache Gleichung ist in der Kulturpolitik zumindest etwas weniger falsch als in vielen anderen Bereichen.

Man kann die Frage nach einer Vollfinanzierung aber dennoch auch mit einem verhaltenen Nein beantworten. Denn die Notwendigkeit, sich finanzielle Mittel zur Umsetzung eines Projektes aus der Gesellschaft heraus zu besorgen, stärkt die Fähigkeit, den Sinn des eigenen Vorhabens zu beschreiben und seine kulturelle wie gesellschaftliche Relevanz zu erklären. Wenn es gelingt, dann stärkt das die Bedeutung der Kunst noch einmal. In der Kunst kann die Reflexion darüber, was man mit wessen Unterstützung warum tut, durchaus helfen, die Wirkung des eigenen Schaffens zu steigern. Aber – und dieses aber ist wichtig: Es kann dabei immer nur um einen Teilaspekt gehen und nicht um eine quasi strategisch gewollte Prekarität. Kreativität gedeiht auf die Dauer schlecht in Unsicherheit. Wird der Druck auf die Kulturschaffenden zu groß, besteht die sehr handfeste Gefahr der Anbiederung an den Publikumsgeschmack oder an das Wollen der Mäzene. Eine Situation, in der nur noch solche Kunst möglich wäre, die populäre Kriterien erfüllte, bedeutete eine nicht hinnehmbare Einschränkung der künstlerischen Freiheit.

Relevanzsehnsucht statt Pflichterfüllung

Es wäre also zu einfach, die prekäre Finanzierung der Kunst dadurch zu rechtfertigen, dass die Notwendigkeit, einen Teil des Etats selbst erbringen zu müssen, auf Umwegen eine Aufforderung an die Künstlerinnen und Künstler sei, sich stetig zu vergewissern, welche Relevanz das eigene Tun hat. Und gar absichtsvoll eine Prekarität zu erzeugen, wäre mindestens paternalistisch, wenn nicht grob fahrlässig und menschenfeindlich. Es geht vielmehr um die intrinsische Motivation, mit dem eigenen Schaffen auch etwas bewirken zu wollen. Ob das gelingt, dafür kann auch die nicht voraussetzungslos gewährte Unterstützung ein guter Gradmesser sein. Es ist hier ein wenig wie in den journalistischen Medien, in denen das verlegerische Gewinnstreben und der journalistische Wunsch nach gesellschaftlicher Reichweite sich durchaus wechselseitig bestärken und in denen die Frage der Reichweite ein Indikator der Relevanz sein kann.

Die meisten Künstlerinnen und Künstler brauchen diesbezüglich keine Anreize, sondern handeln oft in vollem gesellschaftlichem Bewusstsein. Das zeigt beispielsweise das Entstehen vieler Projekte für und mit Geflüchteten, die von freischaffenden Künstlern ebenso wie von Kultureinrichtungen aus eigenem Antrieb initiiert wurden. Als Beispiele sind das Ausstellungsprojekt „Open Access“ der Kunsthalle Hamburg, das Paten-Programm der Elbphilharmonie oder die Wilhelmsburger Weltkapelle zu nennen. Solche Projekte zeigen das Bedürfnis von Künstlerinnen und Kreativen, Kultur noch stärker in die Mitte unserer Gesellschaft zu rücken. Denn natürlich hofft auch die in Freiheit und ohne Zwang entstehende Kunst darauf, dass sie wahrgenommen wird und Wirkung entfaltet. Oft in sozial integrativer Hinsicht, aber eben nicht nur. Allzu oft und viel zu leichtfertig ist ja die Rede von der Kultur als dem „Kitt der Gesellschaft“. Die Kunst kann aber nicht kitten, was andere auseinander getrieben oder zerbrochen haben. Sie kann auf die Bruchkanten hinweisen und dazu auffordern, an ihnen zu arbeiten.

Es geht bei der Frage nach der Relevanz daher nicht nur um ausdrückliche soziale Verantwortung, sondern auch um die produktive Irritation und Inspiration in unserer Gesellschaft. Als Hamburger Beispiel möchte ich die „Goldene Wand“ des Künstlers Boran Burchhardt auf der Veddel anführen. Ein sehr umstrittenes Projekt sowohl in der Presse als auch bei den Hamburgerinnen und Hamburgern und den Bewohnerinnen und Bewohnern der Veddel selbst. Die Diskussionen rankten sich insbesondere um die Kosten des Projekts im Zusammenhang mit dem Ort, an dem es realisiert wurde. Ist es richtig, in einem der ärmsten Stadtteile Hamburgs für 85.000 Euro eine Wand zu vergolden? Warum finden wir es zulässig, eine denkmalgeschützte Villa mit öffentlichen Mitteln aufwendig zu restaurieren, aber unzulässig, einen Klinkerbau – selbst wenn er in einer Siedlung nach Plänen von Fritz Schumacher steht – mit Blattgold zu überziehen?

Ich will nicht verhehlen, dass ich einige der Gegenargumente, vor allem die finanziellen zum Beispiel des Bundes der Steuerzahler Hamburg, von Anfang an kleingeistig fand. Wer so argumentiert und Kunst gegen Kitaplätze oder soziokulturelle Einrichtungen aufrechnet, der kann gleich die Kulturförderung im Ganzen abschaffen. Im Haushalt der Stadt sind die Mittel bestimmten Zwecken und Aufgaben gewidmet. Darunter gibt es auch einen Posten für Kunst im öffentlichen Raum, dessen Mittel über die Kunstkommission von Expertinnen und Experten an Projekte vergeben wird. Das ist sinnvoll investiertes Geld.

Es ist aus meiner Sicht völlig richtig, an genau diesem Ort, der Veddel, ein solches Projekt wie die Goldene Wand zu realisieren. Es stellt mit künstlerischen Mitteln unsere gewohnten Denkweisen in Frage. Solche Kunstprojekte bringen uns dazu, im Kopf beweglich zu bleiben und den Blick auf Menschen und Orte zu richten, die sich sonst unserer Wahrnehmung vielleicht entziehen. Boran Burchardt berichtete nach Abschluss der Vergoldung, dass das Projekt – trotz aller Diskussion auch im Viertel – einen ungewöhnlichen Effekt habe: „Die Leute gehen aufrechter, sie schauen nach oben.“ Boran Burchhardts künstlerische Intervention hat in den Alltag hinein Debatten und Diskurse ausgelöst, wie wir sie dringend brauchen – und zwar in größerer Zahl!

Für die Kulturpolitik stellt sich immer die Frage: Wie kann die Gratwanderung zwischen Kunstfreiheit einerseits und gesellschaftlicher Relevanz andererseits vor dem Hintergrund der notwendigen Finanzierung von Kunst und Kultur bei eigentlich niemals ausreichend Mitteln gelingen? Meine Amtsvorgängerin Barbara Kisseler formulierte dies wie folgt: Es sei ihre Aufgabe, gemeinsam mit dem Finanzsenator eine Definition dessen zu erreichen, was Kulturstadt Hamburg bedeutet. Das gilt natürlich immer noch.

Kulturstadt Hamburg

In der Hamburger Kulturlandschaft hat sich viel getan in den zurückliegenden Monaten. Die Elbphilharmonie hat bereits vor ihrer Eröffnung am 11. Januar 2017 viel in Bewegung gebracht: Zum einen das intensive Nachdenken darüber, welche Kultur wir in Hamburg wollen und zum zweiten zahlreiche konkrete Maßnahmen, um das Kulturleben unserer Stadt zu stärken und weiter zu entwickeln.

Die Baugeschichte der Elbphilharmonie ist, wie wir alle wissen, abenteuerlich. Es wurde zu früh mit dem Bau begonnen und die zunächst kommunizierten Projektkosten erwiesen sich als deutlich zu niedrig. Noch 2011, also vier Jahre nach Baubeginn, gab es keinen fertigen Bauplan. Eine komplette Neuordnung des Projekts war nötig. Das Haus wurde gemeinsam mit Stuttgart 21 und dem BER zu einer Chiffre für die vermeintliche Unfähigkeit der öffentlichen Hand, ambitionierte Großprojekte zu realisieren.

Heute aber können wir mit Fug und Recht sagen, dass die Resonanz auf den neuen Konzertsaal regional, national und international enorm ist – und enorm positiv! Das Haus strahlt und die Wahrnehmung Hamburgs verändert sich. Während bislang vor allem das Hamburg Ballett von John Neumeier international als Botschafter Hamburger Kultur bekannt war, differenziert sich der Blick und neue Akteure treten hinzu. Nicht nur die Außenwahrnehmung, auch die Selbstwahrnehmung der Stadt ist mit einem Mal mehr und mehr die einer Kulturstadt.

Schon von Beginn an sollten mit der Elbphilharmonie drei Ziele erfüllt werden:

1. Die Schaffung eines herausragenden Konzerthauses,

2. ein Wahrzeichen-Charakter für die Stadt

3. und ein Haus für alle.

Das ist gelungen. Ästhetisch als auch akustisch ist die Elbphilharmonie ein Konzertsaal der Spitzenklasse im weltweiten Vergleich. Das hat schon das mutig programmierte Eröffnungskonzert von Thomas Hengelbrock und den NDR Elbphilharmonikern im Großen Saal gezeigt.

Das Haus ist seit seiner Eröffnung ein Besuchermagnet. Fast 700.000 Besucherinnen und Besucher waren seither in den Konzerten. Am Samstag ist die Plaza ein Jahr geöffnet. Die Besucherzahlen liegen mit rund 4 Millionen genauso hoch wie die in der Sixtinischen Kapelle.

Dieser Erfolg rührt auch daher, dass die Elbphilharmonie als Wahrzeichen so eng an den Ort ihres Entstehens gebunden ist. Viele der allerorten entstehenden so genannten Landmark Buildings sind so generisch, dass ihre Orte austauschbar sind. Die Elbphilharmonie aber konnte nur an dem Ort entstehen, an dem sie heute steht: genau an der Schnittstelle zwischen Stadt und Hafen.

Auch der Anspruch, ein Haus für alle zu sein, wird offensichtlich eingelöst. Diese Öffnung des Hauses wird insbesondere über ein abwechslungsreiches und qualitativ herausragendes Programm erreicht, das nicht nur klassische Musik, sondern auch viele andere Genres präsentiert. Zudem über gestaffelte und auch für niedrigere Einkommensgruppen bezahlbare Ticketpreise. Wer eines der attraktiven Konzerte besucht, der kann sehen, wie bunt im besten Sinne das Publikum dort ist. Verschiedene Musikvermittlungsprogramme bauen Brücken für besondere Zielgruppen. Und das ehrgeizige Ziel, dass jedes Hamburger Kind während seiner Schulzeit mindestens einmal die Elbphilharmonie besucht, ist eine konkrete Umsetzung des Anspruchs, ein Haus für alle zu sein. Auch innovative Ansätze wie ein über das Internet verfügbarer Videostream, waren von Anfang an Teil der Überlegungen. Und seit Sommer 2017 gibt es regelmäßig public viewings auf dem Platz vor der Elbphilharmonie. Es war großartig zu sehen, wie voll mit Menschen der Platz der Deutschen Einheit bei diesen Übertragungen gewesen ist und welche angenehme Stimmung dort beim public viewing herrschte.

Dies alles zeigt, dass die Elbphilharmonie auch in die Stadt hinein wirkt – aber nicht etwa „pädagogisch“, sondern kulturell programmatisch aus eigener Kraft! 

Die Aufgabe der kommenden Zeit wird es sein, die Kraft der Elbphilharmonie für die Vielfalt des kulturellen Lebens in unserer Stadt zu nutzen: 

  • als Leuchtturm, der Licht auf anderes wirft,
  • als Partner in der Gestaltung kultureller Angebote,
  • als Antreiber für kulturelle Verantwortungsübernahme.

Was das bedeuten kann, hat Generalmusikdirektor Kent Nagano im Anschluss an das Eröffnungskonzert des Philharmonischen Staatsorchesters eindringlich beschrieben. Als Amerikaner, so führte er aus, habe er im vergangenen Jahr einen Präsidentschaftswahlkampf verfolgen müssen, an dessen Ende ein Kandidat gewonnen habe, der die Worte „Arts“ oder „Fine Arts“ kein einziges Mal in den Mund genommen habe und unmittelbar nach seiner Amtsübernahme begann, die Abschaffung des National Endowments for the Arts zu betreiben. In schroffem Gegensatz dazu habe die hohe politische Präsenz bei der Eröffnung der Elbphilharmonie – Bundespräsident, Bundestagspräsident, Bundeskanzlerin, Bundesverfassungsgerichtspräsident, das halbe Kabinett, etliche Ministerpräsidenten und viele weitere – gezeigt, welche Bedeutung der Kultur in Deutschland selbstverständlich auch seitens der Politik beigemessen werde. Dies ist ein gutes Zeichen für die Verfasstheit einer offenen und freiheitlichen Gesellschaft.

Und auch die Mezzosopranistin Joyce DiDonato sagte kürzlich sinngemäß beim Echo Klassik, dass der Gegensatz des Krieges nicht Frieden sei, sondern Schöpfung. Und dass somit die Elbphilharmonie als ein Haus künstlerischer Kreation aus sich selbst heraus ein Symbol des Friedens und der Schöpfung sei und damit auch das Symbol eines gesellschaftlichen Modells, das immer wieder neu gesichert werden muss.

Gesellschaftliche Krisenspiralen

Diese Aussagen, die so drängend auf die Rolle der Kunst verweisen, korrespondieren mit einer wachsenden Bedeutung kultureller Fragen in unserer Gesellschaft, die wiederum ihre Ursache in den immer noch wachsenden neuen Unübersichtlichkeiten unserer Zeit haben. Viele sicher geglaubte Errungenschaften scheinen plötzlich wieder unsicher zu werden. Die Soziologie beschreibt schon seit den 1970er Jahren spiralhafte gesellschaftliche Krisenverläufe, in denen sich aus ökonomischen Krisen zunächst politische, dann gesellschaftliche und schlussendlich kulturelle Krisen entwickeln können. Anschaulich hat Jürgen Habermas schon vor über 40 Jahren in dem Suhrkamp-Bändchen „Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus“ beschrieben, wie sich Fragen nach dem Zusammenhang und dem Zusammenhalt unserer Gesellschaft herunterfressen bis hin zu ganz grundlegenden Fragen nach dem kulturellen Sinn. Wenn das geschieht, dann erreicht der gesellschaftliche Diskurs jene Fragen, die immer schon im Zentrum der künstlerischen Beschäftigung und Auseinandersetzung standen und stehen.

In bestimmten Bereichen erleben wir aktuell genau diesen Prozess. Und wenn kulturelle Fragen an Bedeutung gewinnen, dann werden natürlich auch kulturpolitische Akzente plötzlich ganz anders wahrgenommen. In diesen Zeiten ein Haus der Kunst, die Elbphilharmonie, an einem Akupunkturpunkt der Stadt zu bauen – genau da wo bei Google Maps der rote Pin auf die Karte kommt, wenn Sie Hamburg suchen – ist ein solches Statement, dessen Kraft wir nicht unterschätzen sollten. Es ist aber auch ein Statement, das Verantwortungsbereitschaft signalisiert. 

Denn in einer Welt, die immer unübersichtlicher wird, brauchen wir Orte, die Begegnung ermöglichen, und Angebote, die Orientierung geben. Die unmittelbare, mimetische Kraft von Kunst und Kultur kann hier besonders stark und über kulturelle und gesellschaftliche Grenzen hinweg wirken. Hierin liegt auch die eingangs angesprochene Renaissance kultureller Fragen und damit auch der Kulturpolitik begründet. Für die Städte haben Kunst und Kultur eine unmittelbare Relevanz. Sie wird daher inzwischen auch in der Stadtentwicklung immer mitgedacht – und damit auch der Zusammenhalt in der Gesellschaft. Denn auch wenn die Perspektive des Standortmarketings und der Markenpositionierung einer Stadt verlockend erscheint, weil sie sonst unerreichbare Finanzierungsquellen erschließt, ist sie doch ein zweischneidiges Schwert, weil sie die Finanzierung auch von der Erfüllung des Marketingzwecks abhängig macht. Dies ist keine nachhaltige kulturpolitische Grundlage.

Wir sollten unseren kulturpolitischen Fokus vielmehr auf jenen intrinsischen Wert legen, der sich letztlich von selbst einstellt, wenn sich Künstlerinnen und Künstler mit den drängenden Fragen unserer Zeit beschäftigen. Dass sie dies nicht immer ohne Widerspruch tun, gehört zum Charakter der Kunst, paradox in unsere Routinen zu intervenieren und so neue Perspektiven und Erkenntnispotenziale zu öffnen. Einer These von Theodor W. Adornos folgend, ist es die Aufgabe von Kunst, Chaos in die Ordnung zu bringen. Das heißt, sie darf beziehungsweise sie muss widerständig sein. In einer sich stetig wandelnden Gesellschaft müssen wir immer wieder aufs Neue aushandeln, wie wir leben wollen. Kunst und Kultur können uns in ihrer Eigensinnigkeit hier wertvolle Impulse geben.

Jürgen Habermas begreift Gespräche über Kunst und Kultur sogar als wesentliche Katalysatoren gesellschaftlicher Vernunft. Ihm zufolge „gelangt […] das Publikum erst auf dem Wege über die kritische Aneignung von Philosophie, Literatur und Kunst dazu, sich aufzuklären, ja, sich als den lebendigen Prozess der Aufklärung zu begreifen.“ Die Lust am Denken, die Kunst in uns entfachen kann, ist demnach gleichzusetzen mit der Befähigung  zur Demokratie. Kunst lehrt uns schon seit Jahrhunderten in allerbester Form den Disput, die Neugier auf andere Sichtweisen und andere Argumente, sie befähigt uns, die eigene Wahrnehmung zu schärfen und Sachverhalte zu kontextualisieren. Dieser „lebendige Prozess der Aufklärung“ ermöglicht die Entwicklung zu Citoyen – also zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern, die sich aktiv und kompetent in die Gesellschaft einbringen.

Veränderungen gestalten: Digitalisierung, Globalisierung, Migration

Die Welt wandelt sich beständig und in immer rascherem Tempo. Das stellt nicht nur die Gesellschaft vor immer größere Herausforderungen. Auch ganz konkret für die Kulturpolitik lassen sich Gestaltungsaufgaben formulieren. Die über Jahrzehnte gewachsene kulturelle Infrastruktur muss sich den großen Modernisierungsvorhaben innerhalb unserer Gesellschaft stellen, die sich aus Digitalisierung, Globalisierung und Migration ergeben.

Durch die Digitalisierung verändert sich die Art und Weise unserer gesellschaftlichen Informations- und Kommunikationsroutinen rasant. Wir erleben das als Gesellschaft immer noch vergleichsweise „bewusstlos“ und schwanken in der Folge halbwegs erratisch zwischen Affirmation und Fundamentalkritik. Das ist in der Regel ein Signal dafür, dass wir uns selbst nicht so sicher sind, wie wir die Dinge bewerten sollen. Das gilt es zu ändern – mit fröhlichem Optimismus, aber ohne Blauäugigkeit.

Jedenfalls ist klar zu erkennen, dass sich Charakter und Struktur unserer Öffentlichkeit durch neue digitale Mittler verändern. Der wahrscheinlich gravierendste Unterschied zur klassischen massenmedialen Öffentlichkeit des 20. Jahrhunderts besteht darin, dass sich heutzutage jeder beinahe ohne Verbreitungskosten mit seiner Meinung und seinen Äußerungen an eine ubiquitäre Öffentlichkeit wenden kann, ohne vorher einen redaktionellen Filter durchdringen zu müssen. Diese Meinungen stehen oftmals unverbunden nebeneinander und es gelingt noch zu selten, aus dieser Vielheit der Stimmen auch einen Diskurs zu formen, in dem wir gemeinsam das Vernünftige bestimmen. Die technologisch begründeten neuen Möglichkeiten schaffen oft eben keine Kommunikation, sondern bloß vielfache Chancen der Meinungsäußerungen. Die nächsten Schritte haben wir als Gesellschaft noch vor uns.

Die Konsequenzen dieser veränderten vielstimmigen Öffentlichkeit und ihrer Freiheitspotenziale betreffen auch die Kultureinrichtungen. Kulturelle Angebote müssen sich in einer Gesellschaft behaupten, in der jeder überall „always on“ ist. Es ist eine Herausforderung, sich in der effizienzorientierten Aufmerksamkeitsökonomie unserer modernen Gesellschaft Wahrnehmung zu verschaffen. 

Andererseits bieten sich aber auch zahlreiche positive neue Möglichkeiten, Zugänge zu Kunst und Kultur zu öffnen. Digitale Vermittlung beispielsweise kann vor Ort, aber auch online und mobil eingesetzt werden. In den Hamburger Museen gibt es bereits zahlreiche erfolgreiche Projekte, die das Museumserlebnis durch den Einsatz digitaler Technik real und virtuell bereichern. So beispielsweise die kostenfreie App „Kulturpunkte“, die Anwendungen für kulturelle Entdeckungstouren oder zur Vorbereitung einer Städtereise bietet. Es ist eine große Aufgabe der Vermittlung, auf solchen neuen Kanälen all jene anzusprechen, die es bislang nicht (oder nicht mehr) als eine plausible Freizeitbeschäftigung ansehen, eine Kultureinrichtung zu besuchen.

Vor mindestens ebenso große Herausforderungen stellt uns die Globalisierung. Die Redewendung, dass keine Heimat hat, wer im (digitalen) globalen Dorf zu Hause ist, ist inzwischen allerdings hinlänglich widerlegt. Der Mensch braucht eine Heimat. Und die Debatte darüber, was das heißt, ist überfällig. Im Kern steht der Wunsch nach einer neuerlichen Sinnstiftung, die aber eben nicht mehr linear aus bereits bekannten Traditionslinien weiterentwickelt werden kann, sondern stets aufs Neue im Wortsinne erlebt werden muss. Dafür braucht es Orte und Anstiftung.

Kultur kann dabei helfen, beheimatet zu sein. Aber Kultur ist nichts statisches, sondern etwas sehr veränderliches. Kultur entsteht, anknüpfend an Traditionslinien, täglich neu. Es ist ein grundlegendes Charakteristikum der Moderne, dass letztlich alles kontingent ist und in Zweifel gezogen werden kann. Es bedarf dann der Diskussion und einer neuerlichen Übereinkunft. Daher ist in unseren Gesellschaften nichts so wichtig, wie das gemeinsam miteinander Sprechen, mithin das gesellschaftliche Gespräch zur Zeit. In ihm werden jene unabdingbaren Voraussetzungen und jener notwendige Sinn geschaffen, den wir nicht mehr einfach als gegeben unterstellen können. Die damit verbundenen Anstrengungen und Risiken sind janusköpfig mit den immanenten Freiheiten verbunden, die wir in modernen, offenen Gesellschaften leben können.

Ein weiteres Merkmal unserer Gegenwart, welches mit der Globalisierung zusammenhängt, ist die Migration. Bürgermeister Olaf Scholz hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass Deutschland  zu einem „Hoffnungsland“ und Hamburg zu einer „Arrival City“ geworden sind, zu Anziehungspunkten für viele Menschen, die eine neue Heimat suchen. Für uns alle ist das eine vergleichsweise neue Erfahrung, denn traditionell haben Menschen unser Land verlassen auf der Suche nach einem besseren Leben. Dass jetzt viele nach Deutschland und Hamburg kommen, weil sie hier ihren „Pursuit of Happiness“ leben wollen, ist sehr besonders. Darin steckt eine gesellschaftliche und kulturelle Kraft, die wir noch gar nicht richtig begriffen haben. Das sollte jedoch keine Angst machen, sondern uns mutig und zuversichtlich sein lassen, denn wir haben es hier mit den Herausforderungen des Aufbruchs und der Hoffnung zu tun. Dadurch wird auch die Kultur unserer Stadtgesellschaft bunter und vielfältiger.

Wenn aber 95 Prozent der AfD-Wähler bei der Bundestagswahl als einen Grund für ihre Wahlentscheidung angeben, dass sie die deutsche Kultur in Gefahr sehen, dann ist das ein Fanal, mit dem wir umgehen müssen – und zwar offensiv und im Vertrauen auf die Kraft einer offenen und vielfältigen Gesellschaft.

Lange Zeit war das Kugelmodell von Johann Gottfried Herder diskursprägend, wenn es um unser Verständnis kultureller Begegnungen geht. Herder schrieb 1774: „Jede Nation hat ihren Mittelpunkt der Glückseligkeit in sich selbst, wie jede Kugel ihren Schwerpunkt.“ Kulturelle Begegnungen werden in diesem Verständnis zum Billardspiel. Die Kugeln treffen sich, stoßen einander ab und kommen unverändert wieder ganz zu sich selbst. Aber: Dieses Bild stimmt nicht. Und es stimmte wahrscheinlich auch zu keinem Zeitpunkt der Geschichte. Gesellschaften werden diverser und neue transkulturelle Netze lassen sich zwischen den Kulturen und durch sie hindurch knüpfen. In der heutigen globalisierten Zeit müssen wir endgültig einsehen, dass die Erde eine Kugel ist.

Künstlerische Projekte leisten einen wertvollen Beitrag zur Vermittlung zwischen den Kulturen. Dafür brauchen wir zum Beispiel auch die vielen Stadtteilkulturzentren, die tagtäglich engagierte Kulturarbeit leisten, um die gute Nachbarschaft von Alteingesessenen und Zugezogenen voranzutreiben.

Kulturpolitische Themen der Zukunft

Für die kommende Zeit lassen sich neben diesen eher grundsätzlichen Überlegungen für Hamburg einige sehr konkrete kulturpolitische Themen bestimmen. Ich möchte zu einigen wesentlichen ein paar Anmerkungen machen.

Kultureinrichtungen

Die Hamburger Theater und die Staatsoper haben ein großes Renommee und eine große künstlerische Relevanz. Alle Häuser werden derzeit von starken und kreativen Persönlichkeiten geleitet. Kürzlich konnten wir den Vertrag von Georges Delnon als Opernintendant und Kent Nagano als Generalmusikdirektor um weitere fünf Jahre verlängern. Beide kümmern sich intensiv darum, das Programm der Staatsoper und des Orchesters in seiner gesellschaftlichen Anschlussfähigkeit zu stärken und zu modernisieren. Die Auszeichnung von Alban Bergs Lulu in der Regie von Christoph Marthaler und unter dem Dirigat von Kent Nagano als Inszenierung des Jahres in der Opernwelt zeigt das deutlich.

Und auch an den anderen Häusern der Stadt ist intensiv zu spüren, dass die gesellschaftlichen Umbrüche und Unsicherheiten Auswirkungen auf die Spielpläne haben. Theater gehören schließlich zu den wichtigsten Räumen gesellschaftlicher Auseinandersetzung, die wir haben. Sie liefern kulturelle Irritationen ebenso wie Deutungsangebote, beispielsweise die letzten beiden Premieren an den Staatstheatern, „Die Orestie“ am Thalia Theater und Jelineks „Am Königsweg“ am Deutschen Schauspielhaus, oder „1984“ jüngst am Ernst-Deutsch-Theater oder Projekte wie „Staging Democracy“ im Lichthof Theater. Überall spielen Fragen der aktuellen gesellschaftlichen Verfasstheit vor dem Hintergrund sehr grundsätzlicher normativer Diskurse eine wichtige Rolle.

Das war schon so, als im Sommer im Rahmen des Festivals „Theater der Welt“, ausgerichtet von Thalia und Kampnagel, Theatergruppen aus der ganzen Welt nach Hamburg kamen und die Aktualität und Relevanz des Theaters auf der ganzen Welt eindringlich unter Beweis stellten. Das Ziel muss sein, diese Impulse auch ganzjährig noch stärker in das Angebot unserer Stadt zu holen. Mit Kampnagel und dem dortigen internationalen Sommerfest haben wir zwei starke Anker in der kulturellen Avantgarde, aber auch im klassischen Stadttheater könnten diese Perspektiven stärker miteinander verschmelzen.

Die derzeit intensiv geführte Debatte über die Rolle des Theaters in unseren Gesellschaften sollte sehr ernst genommen werden. Denn natürlich ist Eskapismus zu wenig. Genauso aber bringt die dauerhafte diskursive Verflüssigung der Kunst das Theater auch nicht weiter. Ich bin fest davon überzeugt, dass es am stärksten wirkt, wenn es sich auf die Kraft seines Spiels konzentriert und so die abstrakten Fragen unserer Zeit ganz praktisch und unmittelbar vor Augen führt. Die Staats- und Privattheater verfügen über diese Kraft. Sie sind überdies Orte, an denen die demokratische Kraft der Verständigung zwischen den Bürgerinnen und Bürgern unserer offenen Gesellschaft erlebbar wird. Solche Orte brauchen wir. Dass wir sie so zahlreich auch haben – darauf dürfen wir in Hamburg ruhig ein wenig stolz sein.

Wenn wir für unsere Gegenwart eine besondere Unübersichtlichkeit feststellen, wenn wir sogar über alternative Fakten diskutieren müssen und uns ehemalige Gewissheiten zwischen den Fingern zu zerrinnen drohen, dann ist es dringend geboten, sich um die Institutionen zu kümmern, die Wissens- und Kulturvermittlung als zentrale Aufgaben haben. Auch deshalb ist in den Museen augenblicklich zu Recht viel in Bewegung.

Die Kunsthalle, Dank der Spende der Stiftung von Dorit und Alexander Otto spektakulär modernisiert neu eröffnet, war im letzten Jahr das bestbesuchte Kunstmuseum in Deutschland. Das Museum für Kunst und Gewerbe setzt seit Jahren mit klugen und aktuellen Ausstellungen Maßstäbe. Und die Deichtorhallen haben sich als der Ort der modernen Kunst in Hamburg etabliert.

In den Häusern der Stiftung Historische Museen Hamburg sind aktuell viele Modernisierungsvorhaben in der Vorbereitung oder bereits in der Umsetzung: Damit öffnen sich die Sammlungen noch besser in den Stadtraum, werden zugänglicher und einladender und bieten sich noch nachdrücklicher als Orte der Begegnung und der Debatte an.

Das gilt auch für die anstehende Neupositionierung des Museums für Völkerkunde, das seit dem Frühjahr unter einer neuen Leitung steht. Es bewahrt eine der bedeutendsten Sammlungen dieser Art nicht nur im deutschen, sondern auch im europäischen Maßstab. Das muss in der Gestaltung des Museums wieder besser zur Geltung kommen. Hier wird es in den kommenden Jahren darum gehen, die Dauerausstellung neu zu konzipieren, das koloniale Erbe angemessen aufzuarbeiten und auch Themen der Gegenwart endlich vertieft zu präsentieren. 

Mit dem geplanten Deutschen Hafenmuseum wird Hamburg darüber hinaus einen neuen Ort erhalten, an dem zentrale Fragen der globalisierten Welt verhandeln werden können. Natürlich interessiert alle derzeit, wo es denn entstehen wird und wo dann auch die Peking einen Liegeplatz im Hafen finden wird. Aber es geht um viel mehr: Das Konzept für das neue Haus wird von der Stiftung Historische Museen Hamburg erarbeitet, also unter Beteiligung aller historischen Museen der Stadt. In dem neuen Museum werden die hafenbezogenen Bestände dieser Museen zusammengeführt und somit einerseits eine Konzentration des Themas geschaffen und andererseits freier Raum für neue Möglichkeiten an den bestehenden Häusern. Zugleich wird darauf zu achten sein, dass eine Komplementarität mit dem Internationalen Maritimen Museum möglich sein wird, das ja von der Faszination der Seefahrt detailreich berichtet, während die neue Institution die sozioökonomischen Zusammenhänge an Land in den Blick nehmen soll. Anders als die vielen Industriedenkmäler des Ruhrgebiets soll das Deutsche Hafenmuseum dabei jedoch nicht nur die Vergangenheit der Stückgutfracht romantisch musealisieren, sondern auch die Gegenwärtigkeit von Hafen, Warenhandel und Globalisierung in Hamburg zeigen. Denn der Hafen bleibt neben einem spannenden Kulturraum auch in Zukunft eine wesentliche Herzkammer von Hamburgs Wirtschaftskraft. Auch das muss in dem neuen Haus deutlich werden. Es kann gelingen, hier ein Museum der Globalisierung zu entwickeln, das unserer bislang ortlos geführten Debatte über Freihandel und Protektionismus, über TTIP und CETA einen Kristallisationspunkt verschafft.

Investitionen in die Substanz

Ein klares Signal für attraktive kulturelle Angebote werden wir in den kommenden Jahren mit einer breit angelegten Modernisierungsoffensive unserer Kulturbauten setzen. Mit der im kommenden Jahr geplanten Einführung eines Mieter-Vermieter-Modells für die städtischen Kultureinrichtungen, stehen auf struktureller Ebene Verbesserungen der Rahmenbedingungen an. Im Kern geht es darum, ein städtisches Immobilienmanagement auch im Kulturbereich zu entwickeln, das nicht die Verwaltung des Mangels kultiviert, sondern Kulturbauten dauerhaft werthaltig bewirtschaftet, das heißt in einen ordentlichen Zustand bringt und dann auch in diesem erhält. Da gibt es viel zu tun. Das wird den Kulturinstitutionen umgekehrt ermöglichen, sich auf ihre eigentliche Aufgabe – auf die Gestaltung des kulturellen Angebots – zu konzentrieren und notwendige Bau- und Sanierungsmaßnahmen spezialisierten Fachleuten zu überlassen. 

(Post)koloniales Erbe

Ein weiteres bedeutsames kulturpolitisches Thema ist die Aufarbeitung des (post)kolonialen Erbes. Die entsprechenden Debatten erreichen jetzt auch die Bundesebene. Hamburg hat hier durchaus eine Vorreiterrolle inne, die verpflichtet. Bereits 2014 wurde auf Beschluss des Senats eine Forschungsstelle an der Universität Hamburg eingerichtet; ihre Arbeit findet nationalen und internationalen Widerhall. Im Jahr 2018 werden die bisherigen Forschungsergebnisse in einer Tagung und einer Publikation vorgestellt und diskutiert werden. 

Diese Arbeit hilft dabei, die Zeugnisse der kolonialen Vergangenheit in der Stadt angemessen zu kontextualisieren und damit zugänglich zu machen. Als ersten Schritt koordiniert die Behörde für Kultur und Medien derzeit die Erstellung und Anbringung einer Informationstafel über den Kolonialoffizier Lothar von Trotha (einer der Hauptverantwortlichen für den Genozid an den Ovaherero und Nama in den Jahren 1904-08), die am „Trotha-Haus“ der ehemaligen Lettow-Vorbeck-Kaserne in der heutigen Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr angebracht werden wird. 

In einem nächsten Schritt wird es um eine Kontextualisierung der „Askari-Reliefs“ im sogenannten Tansania Park in Jenfeld gehen, durch die das Abgebildete historisch eingeordnet und hinsichtlich seiner kolonialistischen Bezüge verstehbar gemacht wird. Weitere Orte in der Stadt werden folgen.

Die Hamburger Museen haben ebenfalls begonnen, sich des Themas in ihren Ausstellungen und mit Bezug auf ihre Sammlungen verstärkt anzunehmen.

Um die unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen und öffentlichen Akteure zu vernetzen und zu einer engen und nachhaltigen Zusammenarbeit zu gelangen, wurde ein runder Tisch initiiert, der Ende November zusammenkommen wird. Dieses Zusammentreffen von Vertreterinnen und Vertretern zivilgesellschaftlicher Initiativen, diasporisch-migrantischer Gruppen und Vereine, Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie aus den Bereichen Universitäten, Museen, Archive und Geschichtswerkstätten sowie von Behörden, Wirtschaft und Politik wird der Auftakt eines kontinuierlichen Austauschprozesses sein.

Freie Szene

Ein weiteres Thema für die städtische Kulturpolitik sind zu Recht die Rahmenbedingungen für freischaffende Künstlerinnen und Künstler. Die Freie Szene als Labor für neue künstlerische Entwicklungen ist ein wichtiger Bestandteil der Kulturlandschaft. Darüber hinaus erobert sich die Freie Szene in Ermangelung fester Einrichtungen regelmäßig neue Räume in der Stadt und gibt auf diese Weise wichtige Impulse für die Stadtentwicklung. Im Leitbild einer integrierten Stadtentwicklung sind Kunst und Kultur daher inzwischen fester Bestandteil in Planungsprozessen. Ziel sind urbane Quartiere mit Mischnutzungen von Wohnen, Arbeit, Gewerbe und Freizeit. Insbesondere freischaffende Künstlerinnen und Künstler sowie kreativwirtschaftliche Akteure können hier wertvolle Partner sein. Es gelingt ihnen oftmals, in einem Viertel verschiedene Akteure zu gemeinsamen Projekten zusammen zu bringen und Zusammenhalt und Zusammenhang zu bewirken.

Gerade die Freie Szene hat aber spartenübergreifend oft unter existenzieller Geldnot zu leiden. Das durchschnittliche Einkommen der bei der Künstlersozialkasse Versicherten betrug zum 1.1.2017 rund 1.370 Euro brutto pro Monat. Deshalb ist staatliche Förderung unabdingbar, um freie Theaterarbeit, bildende Kunst oder Musik überhaupt in dem Maße entstehen zu lassen, wie das für unsere Gesellschaft sinnvoll ist.

Hier sind wir nicht so weit, wie wir sein müssten. Der in der Kultur so wichtige technische Begriff der „Zuwendung“ hat in diesem Zusammenhang durchaus zwei Bedeutungen: Im eigentlichen Sinne meint er die finanzielle Zuwendung, also die monetäre Förderung. Wenn aber die Kassen nicht so voll sind, um eine unmittelbar sinnvolle pekuniäre Zuwendung zu erlauben, ist die persönliche emotionale Zuwendung in Form von ideeller Unterstützung und Aufmerksamkeit für das künstlerische Schaffen umso wichtiger. Aber alles Weitere muss folgen.

In der Musik schafft der neue Musikstadtfonds substanzielle Verbesserungen. Aber in der Freien Tanz- und Theaterszene sind die Ergebnisse einer bereits mehrere Jahre zurückliegenden Potentialanalyse noch nicht ausreichend umgesetzt. Und auch im Bereich der bildenden Kunst fehlt es oft an den notwendigen Mitteln, um lange etablierte Programme weiterzuentwickeln. Diese Prekarität fördert die Kreativität aller Beteiligten – und vieles geht deshalb irgendwie immer doch. Aber wir stehen vor der Aufgabe, hier die Rahmenbedingungen schrittweise zu verbessern, um den kreativen Humus unserer Kulturstadt kraftvoll zu halten.

Kreativwirtschaft

Neben der geförderten Kunst  wollen wir auch die Rahmenbedingungen der Kreativwirtschaft verbessern und damit marktwirtschaftliche Strukturen stärken. In diesem Jahr wurde Hamburg zur Gründerhauptstadt gekürt. Unsere Stadt, die seit Jahrhunderten Kreativität und Kaufmannsgeist vereint, bietet offenbar exzellente Bedingungen für Start ups und ein attraktives, urbanes Lebensumfeld. Dies gilt es insbesondere für die Kreativwirtschaft weiter auszubauen. In unserer Stadt arbeiten beinahe 80.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Kreativwirtschaft – damit gehört diese Branche zu den arbeitsplatzintensivsten. Darüber hinaus stellen wir fest, dass sie längst zu einem Innovationsmotor auch für andere Branchen geworden ist, weil sie Instrumente und Techniken entwickelt hat, wie mit stetiger Veränderung und Unsicherheit umgegangen werden kann, um die drohende Disruption durch rechtzeitige Transformation zu verhindern. Kreativwirtschaftliche Prozesse sind längst zur Blaupause für Innovation jenseits der Routinen in den klassischen Abteilungen für Forschung und Entwicklung der Unternehmen geworden.

Deshalb ist es nicht nur kulturpolitisch, sondern auch stadtökonomisch klug, hier in wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen zu investieren. Die Entwicklung des Oberhafenquartiers, der für Anfang 2018 geplante Einzug von Künstlern und Kreativen in den Kreativspeicher M28 in der Speicherstadt oder das Areal „Hamburger Hochwasserbassin“ stehen exemplarisch für dieses Vorhaben. Gleiches gilt für die Bemühungen der Initiative nextMedia.Hamburg, neue Geschäftsmodelle für den Umgang mit kreativen Medieninhalten im Digitalen hier am Standort zu entwickeln.

Kultur für alle

Es ist immer wieder neu zu hinterfragen und zu klären, wen kulturelle Angebote in unserer Gesellschaft erreichen. Denn auch das ist, wie eingangs dargelegt, ein Maßstab der Sinnhaftigkeit künstlerischen Schaffens. Laut Studien besuchen etwa 50 Prozent der Bürgerinnen und Bürger keine öffentlich geförderten Einrichtungen und nehmen solche Angebote nicht wahr. Umso dringlicher ist es, die Elbphilharmonie als ein „Haus für alle“ zu etablieren und zum Ausgangspunkt weiterer kultureller Erfahrungen zu machen.

Vor allem aber geht es darum, kulturelle Angebote unter den beschriebenen veränderten Rahmenbedingungen weiterhin präsent zu halten und neue Zugänge zu eröffnen. Digitale Wege zu den Nutzerinnen und Nutzern können uns dabei helfen. Mit einer eigenen eCulture-Agenda sollen die Kultureinrichtungen und -anbieter der Stadt unterstützt werden in dem Bemühen, noch bekannter zu machen, welche Angebote es in der Stadt gibt. Hier dürfen wir keine falschen Berührungsängste haben, sondern müssen in unseren Kommunikations- und Vermittlungsbemühungen überall dort präsent sein, wo kulturelle Inhalte eine Rolle spielen. Schwellenängste müssen abgebaut und konkrete Zugangsmöglichkeiten geschaffen werden. Dies können beispielsweise auch mehrsprachige Angebote oder Barrierefreiheit durch Audiodeskription in den Theatern und Museen sein.

Die Frage der Zugänglichkeit kultureller Angebote wird eine der entscheidenden kulturpolitischen Fragen der kommenden Jahre sein. Denn wir erleben, dass sich Individualisierungsprozesse insbesondere durch das Digitale immer weiter fortsetzen. Hier den anderen und meist universalistischeren Blick der Kunst in den Diskurs zu bringen, ist dringend notwendig. Wer hier besondere Anstrengungen unternimmt, der biedert sich nicht an den Zeitgeist an, sondern sichert die Zukunft kultureller Angebote.

Besondere Hamburger Perspektive

Alle diese Projekte basieren auf den Möglichkeiten eines Stadtstaates. Das bedeutet auch, dass wir das Umland nicht an der Finanzierung unserer Infrastrukturen und Angebote beteiligen können, sondern im Gegenteil mit rund 1,8 Millionen Einwohnern die kulturelle Infrastruktur für über fünf Millionen Menschen in der Metropolregion gewährleisten. 

Die Zuversicht, dass das auch gelingen kann, hängt mit der bürgerlichen Kulturtradition der Stadt Hamburg zusammen. Hamburg war nie Residenzstadt und hat kein monarchistisches Erbe, sondern ein zutiefst bürgerliches Selbstverständnis. Die Gründung zahlreicher Kulturinstitutionen der Stadt geht auf die Initiative ihrer Bürgerinnen und Bürger zurück: die Oper am Gänsemarkt, das Orchester, der Kunstverein (der gerade 200 Jahre alt wurde), das Deutsche Schauspielhaus, die Laeiszhalle und auch die Elbphilharmonie – sie alle sind so entstanden. Diese republikanische Kulturtradition ist bis heute lebendig – nicht ohne Neid blicken viele andere Städte auf das bürgerschaftliche Engagement der Hamburgerinnen und Hamburger und ihre großzügige Förderung der Kunst und Kultur. Und für die Hamburger ist das reichhaltige Kulturleben der Stadt auch Ausdruck ihres Bürgerstolzes. Hier prägen engagierte Citoyen das kulturelle Leben mit.

Hinzu kommt, dass Hamburg die größte Stadt Europas ist, die niemals Hauptstadt war. Hamburg war nie Präsentierteller der Nation und hat alles selbst erwirtschaftet und selbst geschaffen. Was hier zu sehen ist, entstammt anderen Kontexten und anderen Absichtsüberlegungen. Dies ist eine besondere Perspektive im Kulturdiskurs, die wir souverän betonen sollten.

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