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8. September 2017 Spielzeiteröffnung Thalia Theater

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Grußwort des Senators Dr. Carsten Brosda

Spielzeiteröffnung des Thalia Theaters Hamburg 2017

Lieber Herr Lux,
liebe Freundinnen und Freunde des Thalia-Theaters,

für diese Spielzeit haben Sie sich ein großes, neben der Liebe das vielleicht sogar größte Thema überhaupt ausgesucht: Demokratie! Das passt in unsere Zeit. Das nimmt Debatten auf, bei denen wir auf Theater angewiesen sind.

Es war der Tagesspiegel, der vor ein paar Wochen zu Recht schrieb: „Die Politik kann den Kampf gegen die Populisten nicht alleine stemmen. Die Theater der Republik dürfen alles – aber nicht schweigen.“ Gut, dass das Thalia Theater nicht schweigt!

Zur visuellen Unterfütterung finden sich im Spielzeitheft Bilder von Orten der Demokratie: unter anderem vom Nationalrat der Schweiz, vom Parteitagssaal der KP Frankreich oder vom Sitzungsraum des FIFA Exekutivkomitees.

Angesichts dieser Reihe muss man sich fragen: Steht es so schlecht? Ist gar das Grundböse unterwegs, wie Joachim Lux schreibt? Herrschen wirklich schon Chaos und Unklarheit?
Solange wir diese Fragen stellen können, dürfen wir zuversichtlich sein, dass das nicht so ist, sondern dass das Versprechen der Demokratie gilt.

Besser als alle Theoretiker und Philosophen hat es der große Leonard Cohen vor 25 Jahren in einem Lied mit dem Titel „Democracy“ beschrieben. Von überall her kommt in seinen Zeilen die Demokratie – durch Löcher in der Luft, durch Risse in den Wänden, aus Kriegen und Gebeten, aus Chevrolet-Motoren und der Bergpredigt. Und aus der Liebe!

In dieser Quellenforschung eines großen Lyrikers findet sich eine Zeile, die uns heute zu denken geben sollte. Er singt über die Demokratie:

„It’s coming from the feel that it ain’t exactly real
or it’s real but it ain’t exactly there.“

Diese Beobachtung führt uns mitten hinein in Debatten über alternative Fakten, fake news und all die untergründigen Zweifel, dass uns der gesellschaftliche Zugriff auf die Wirklichkeit abhandenkommt. Joachim Lux schreibt dazu: „Die Realität hat uns die Lügen geklaut.“

In der Tat kann man sich aktuell fragen, was die Kunst der Raserei der Wirklichkeit noch entgegensetzen kann. Insbesondere die immer atemloseren Nachrichten aus den USA – „the cradle of the best and the worst“, wie Leonard Cohen singt – lassen uns zweifeln.

Haben unsere aufklärerischen Unterstellungen von Vernunft, Wahrheit und Wahrhaftigkeit noch eine Zukunft? Oder lugt bereits die von Colin Crouch beschriebene Postdemokratie um die Ecke, in der die Institutionen zwar noch stehen, aber nur noch den Anschein von Sinnhaftigkeit erzeugen.

Mit der Demokratie haben wir diskursive Verfahren gefunden, wie wir mit unterschiedlichen Interessen und Überzeugungen umgehen und wie wir im vernünftigen Gespräch ermitteln, welchen Weg wir gemeinsam gehen wollen.

Die Kunst und das Theater müssen sich daran nicht halten. Sie können – ja: sollen! – überrumpeln, statt zu überzeugen. Sie können Wahrheiten behaupten und Lügen in die Welt brüllen. Sie können Erwartungen unterlaufen und übertreffen. Und sie können auf die begründungsfreie Einsicht in die Zusammenhänge setzen. Sie verschleiern, um zu entkleiden.

Diese Trennung scheint aktuell nicht aufzugehen. Wir haben das Gefühl, „that it ain’t exactly real“. Dass es irgendwie anders ist, als es sein sollte.

Vielleicht hat auch deshalb eine Spielzeiteröffnung mitten im Schlussspurt eines Wahlkampfes einen etwas besonderen Geschmack: Denn gerade jetzt zeigt sich, welche Bedeutung theatralische Inszenierungen auch in der Politik haben.

Es scheint, Politik wird zunehmend selbst zum Theater. Symbolische Aufführungen sollen für Zustimmung und nötige Emotion sorgen.

Das ist kein Problem, solange es um gute Verpackung geht. Denn während die Inszenierung im Theater für sich steht, kann sie in der Politik immer nur das Mittel zum Zweck sein. Aber es wird schwierig, wenn wir fürchten müssen, dass da nicht mehr ist als der bloße Schein der Politik.

Mir ist im Sommer ein Text von Bertolt Brecht wieder in die Hände gefallen, in dem er über eine Begegnung mit Adolf Hitler 1922 in München schreibt. Der Diktator und Massenmörder in spe hatte gerade Schauspielunterricht genommen. Brecht beobachtet die Ergebnisse:

„Und dort, wo dem Redner die Beweise fehlten, führte er jedenfalls aufs Schönste die Gesten und die Haltung eines Mannes vor, der Beweise hat. Das war sein Trick. Er spielte den Logischen. Seine Schauspielerei war überzeugend. Die acht Mark, die er Basil pro Stunde gezahlt hatte, waren gut angelegt.“

Solche Vexierspiele erleben wir heute allerorten und müssen uns anstrengen, ihnen nicht auf den Leim zu gehen. 

Es ist daher nur sinnvoll, wenn sich im Gegenzug das Theater der Realität und des Politischen bemächtigt, um unserer Gesellschaft vernünftige Deutungsangebote zu unterbreiten. Aber es ist ebenfalls sinnvoll, dass das Theater dies mit seinem eigenen Handwerkzeug unternimmt und seinen ganz eigenen Zugriff auf die Welt wahrt, in der wir leben.

Es fällt jedenfalls auf, dass aktuell im Theater die Diskursangebote die theatrale Inszenierungsmacht zu verdrängen drohen. Oder wie Patrick Bahners in der SZ schreibt (8.8.17): „Der Eindruck eines gewissen Überangebots an Gesprächsangeboten drängt sich auf.“

Natürlich sind Theater auch Orte der gesellschaftlichen Verständigung. Aber in erster Linie sind sie Orte der mimetischen Erkenntnis und weniger der diskursiven Einsicht. Es wird merkwürdig, wenn die Theater plötzlich Politik machen, weil die Politik so viel Theater macht.

Theater sollten sich nicht verpflichtet fühlen, den Job der Politik zu machen. Sie sollten uns vielmehr zu demokratischer Politik befähigen.

Diese Freiheit müssen wir Ihnen organisieren, damit sie wiederum unsere gesellschaftliche und kulturelle Freiheit sichern helfen können. Dabei darf die Freiheit nicht auf Kosten der Wahrheit gehen: „Freiheit ist die Freiheit zu sagen, dass zwei plus zwei vier ist. Wenn das gewährt ist, folgt alles weitere“, heißt es bei George Orwell in „1984“.

Die Wahrheit muss heutzutage zwar immer wieder neu errungen werden. Das aber macht sie keineswegs beliebig, sondern bindet sie erst recht an gute Gründe und an den zwanglosen Zwang des besseren Arguments.

Um zu diesen Einsichten zu gelangen, brauchen wir Orte, an denen notwendige Verständigung und spontane Erkenntnis stattfinden können. Das sind die diskursiven Orte der Politik genauso wie die künstlerischen Orte des Theaters.

Die Demokratie bleibt dabei ein stiller, zäher und wertvoller Partner. Um ein letztes Mal Leonard Cohen zu zitieren:

“I’m stubborn as those garbage bags that time cannot decay
I’m junk but I’m still holding up this little wild bouquet”,

Dieses kleine, wilde Bouquet der Demokratie müssen wir pflegen – beharrlich und unverwüstlich.

Es gibt wenige Aufgaben, die man sich schöner vorstellen kann. Und wenige, in denen der Wille und die Überzeugung bereits der erste Schritt zur Veränderung unserer Wirklichkeit und unserer Welt sein können. Das immerhin haben Politik und Theater in unserer Demokratie gemeinsam.

In diesem Sinne wünsche ich uns eine realitätsbezogene und erkenntnisreiche, eine überzeugende und überwältigende Spielzeit!
Wir können sie gut gebrauchen.

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