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22. September 2017 200. Jubiläum Kunstverein in Hamburg

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Grußwort des Senators Dr. Carsten Brosda

200. Jubiläum des Kunstvereins in Hamburg

Sehr geehrter Herr Prof. Falckenberg,
Sehr geehrte Frau Steinbrügge,
sehr geehrte Mitglieder des Vorstands,sehr geehrte ehemalige Direktoren des Kunstvereins,
sehr geehrte Damen und Herren,


 „Kunst entfacht libidinöse Verwirrungen“ sagte einmal ein Kunstkritiker im Deutschlandfunk. Begeisterung, Faszination, Enttäuschung, Unverständnis, Kritik: Kunst kann in uns die ganze Palette der Gefühle hervorrufen. Und sie geht – so die Pointe in dem Radiobeitrag – manchmal auch fremd. 

Er meinte damit, dass Kunst ihren eigenen Kopf hat und macht, was sie will. Egal ob Galerist, Sammler, Kurator, Kunstkritiker, Connaisseur, Bürger oder Kulturpolitiker – wir können noch so sehr von den Künstlerinnen und Künstlern einfordern: Macht Sachen, die sich gut verkaufen lassen; oder solche, die kritisch die Gegenwart abbilden, ästhetisch wie auch inhaltlich; macht Kunst, die viele verstehen und vielen gefällt; oder am besten alles auf einmal… Wir müssen uns daran gewöhnen, dass das so noch nie funktioniert hat. Die Geschichte zwischen Kunst bzw. Künstlerinnen und Künstlern einerseits und Kunstbetrachterinnen und –betrachtern andererseits ist eine immerwährende Liaison zwischen Eigensinn und Hingabe – und zwar von beiden Seiten. 
Daraus muss allerdings keinesfalls eine „gefährliche Liebschaft“ werden. Ganz im Gegenteil. 
Kunst ermöglicht die Verständigung über Kohäsion und Kohärenz, über Zusammenhalt und Zusammenhang in unserer Gesellschaft. Nicht durch langwierige rationale Diskurse, sondern durch unmittelbare Irritation und Inspiration. Kunst ermöglicht uns Erfahrung und Erkenntnis, genauer:   Erkenntnis durch Erfahrung. 

Jürgen Habermas beschreibt die frühbürgerlichen Gespräche über Kunst und Literatur daher sogar als wesentliche Katalysatoren gesellschaftlicher Vernunft.Ihm zufolge „gelangt […] das Publikum erst auf dem Wege über die kritische Aneignung von Philosophie, Literatur und Kunst dazu, sich aufzuklären, ja, sich als den lebendigen Prozess der Aufklärung zu begreifen.“ Die Lust am Denken ist, wenn man dieser Idee folgt, gleichzusetzen mit der Befähigung zur Demokratie.

In der Betrachtung von Kunst und vor allem auch im Gespräch über Kunst sind wir aufgefordert, Argumente zu entwickeln und zu formulieren. Und Argumentieren setzt – im besten Falle – eine Betrachtung der Dinge von allen Seiten voraus und eine sich daraus ergebende eigene Haltung. Kunst lehrt uns somit schon seit Jahrhunderten in allerbester Form den Disput, die Neugier auf andere Sichtweisen und andere Argumente, und sie befähigt uns die eigene Wahrnehmung zu schärfen und Sachverhalte zu kontextualisieren. Dieser „lebendige Prozess“ der Aufklärung macht uns zu Citoyens – also zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern, die sich aktiv und kompetent in die Gesellschaft einbringen.

Gemeinsam sollten wir – Kulturpolitikerinnen und -politiker, Kuratorinnen und Kuratoren, Galeristinnen und Galeristen – deshalb dafür sorgen, dass Kunst möglichst vielen Menschen zugänglich ist, damit möglichst viele Menschen über Kunst ins Gespräch kommen.
Die Kunstvereine in ganz Deutschland tun das seit jeher ganz entscheidend. Schon im 18. Jahrhundert begann ein selbstbewusstes, kunstinteressiertes Bürgertum sich intensiv mit zeitgenössischer Kunst zu beschäftigen – zunächst in privaten Salons, dann in öffentlichen Veranstaltungen und Einrichtungen. Aus diesem engagierten Interesse heraus, Kunst auch für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich zu machen, entstanden die Kunstvereine. Sie bilden die Grundlage für das gesellschaftliche Gespräch, über Sinn und Unsinn unseres Zusammenlebens und unsere gemeinsamen gesellschaftlichen und kulturellen Aufgaben.
Heute gibt es bundesweit 298 Kunstvereine in 264 Städten mit über 100.000 Mitgliedern und über 1 Millionen Besucher pro Jahr, wie die Arbeitsgemeinschaft deutscher Kunstvereine mitteilt.Das finde ich beachtlich.

Der Kunstverein in Hamburg wurde im Jahr 1817 gegründet (formal erst 1822) und ist somit einer der ersten Kunstvereine überhaupt. 

Institutionengeschichtlich hat der Kunstverein generell einen sehr interessanten Stellenwert in unserer Stadt. Die ersten Bürger, 19 an der Zahl, die sich einmal pro Woche im Haus des Hamburger Bleideckermeisters Mettlerkamp trafen, um über Kunst zu diskutieren, waren Mitglieder der Patriotischen Gesellschaft. Der Kunstverein ist die älteste Kunsteinrichtung Hamburgs.Und ohne die engagierten Bürger des Kunstvereins gäbe es eine weitere wichtige Kultureinrichtung der Stadt nicht: die Hamburger Kunsthalle. Die Mitglieder setzten sich nämlich maßgeblich für die Gründung eines Museums ein. Und nicht nur das: Sie sammelten die nötigen Spenden, überredeten die Stadt einen Baukostenzuschuss dazu zu geben und schenkten obendrein die eigene Sammlung als Grundstock für das neue Museum, das endlich 1869 eröffnet wurde. 

Die Geschichte des Kunstvereins ist deshalb auch eine des bürgerschaftlichen Engagements. Eine Tradition, die auch heute noch lebendig ist und unsere Stadt auszeichnet. Seit seiner Gründung wird der Verein durch bürgerschaftliches Engagement getragen, inzwischen gibt es zusätzlich die staatliche Förderung.

Einige Bilder der in die Kunsthalle eingebrachten Sammlung gehören übrigens auch heute noch zu den Favoriten der Hamburgerinnen und Hamburger. Das bekannteste ist sicherlich Caspar David Friedrichs „Das Eismeer“, das 1826 auf der ersten Ausstellung des Kunstvereins zu sehen war. Wie eng die Verbindung der beiden Institutionen war und ist, war bis vor kurzem in der Kunsthalle zu sehen, in der Ausstellung „Die Kunst ist öffentlich. Vom Kunstverein zur Kunsthalle“. 
Das zeigt: Auch 200 Jahre nach seiner Gründung ist der Kunstverein immer noch taufrisch. Womöglich hat das etwas mit seinem Bekenntnis zur zeitgenössischen Kunst zu tun. Es zwingt schließlich dazu, sich niemals im Status Quo einzurichten, sondern sich immer wieder neu zu positionieren: zur aktuellen Kunst genauso wie zur jeweiligen Gegenwart. 

Jeder neue Direktor und auch die aktuelle Direktorin Bettina Steinbrügge haben die Aufgaben des Kunstvereins immer wieder neu definiert, und das ist richtig so, denn Zeitgenossenschaft braucht unterschiedliche Gangarten und konzeptionellen Freiraum. 

Einst Zeichen bürgerlicher Emanzipation, ist der Kunstverein heute der Ort, an dem die Kunst unserer Zeit ihre ersten Bewährungsproben bestehen muss; an dem Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Positionen geschaffen werden; und an dem wir das kennenlernen können, was heute Diskussionen anregt und vielleicht erst übermorgen auf breite Zustimmung trifft. Der Kunstverein ist ein Raum für Künstlerinnen und Künstler, bevor sie ihren Platz in den Museen finden.

Deshalb gehört es auch zu den Aufgaben eines Kunstvereins, über die Vermittlung nachzudenken. Wie können wir bei den Besucherinnen und Besuchern das Interesse am Zeitgenössischen vermitteln und Lust an den damit verbundenen Auseinandersetzungen wecken? Ein Blick in die Ausstellungsliste des Kunstvereins der vergangenen Jahrzehnte zeigt, dass er seine vielfältigen Aufgaben glänzend erfüllt hat. Er hat vielen interessanten Künstlerinnen und Künstlern einen Raum geboten, darunter sind inzwischen sehr bekannte Namen wie Blinky Palermo, Albert Oehlen und Werner Büttner, Pipilotti Rist, Olafur Eliasson und Norbert Schwontkowski – um nur einige wenige zu nennen. Heute Abend wird die Ausstellung eines weiteren großartigen Künstlers eröffnet: Wolfgang Tillmans.

In einem Interview mit dem ZEIT-Magazin sagte Tillmans kürzlich:„Das ist das Tolle am Bildermachen: dass es immer erst durch den Betrachter vollendet wird. Ohne Ursprung und Empfänger sind Bilder ohne Zusammenhang, also völlig bedeutungslos. Nur dadurch, dass sie etwas auslösen, bekommen sie eine Bedeutung, die nicht immer mit Worten zu benennen ist.“ 
Tillmans definiert Kunstvermittlung also weit entfernt von biederer Kunstdidaktik oder arroganter Hybris – Tillmans denkt Kunstvermittlung mehr als so eine Art innige ménage à trois von Künstler, Kunstwerk und Kunstbetrachter.  Zur Bundestagswahl hat Tillmans eine Plakatkampagne mit einem parteien-ungebundenen Wahlaufruf gemacht. Ein Beispiel dafür, wie sich Kunst ganz konkret in der Gegenwart verankert. 

Das kann Kunst, muss sie aber nicht. Kunst kann auf viele Arten politisch sein. Sie kann ein Seismograph für politische und gesellschaftliche Entwicklung sein, sie kann uns Widerhaken ins Bewusstsein treiben, uns zu Widerspruch anregen oder uns zu Utopien auffordern.
Meine Utopie an dieser Stelle ist:200 weitere Jahre Kunstverein in Hamburg. Dazu gehören weiterhin viele engagierte Menschen – Direktoren, Vorstände, Mitglieder, Politiker, Bürgerinnen und Bürger – die sich für den Kunstverein einsetzen, durch alle Fährnisse begleiten und gemeinsam um die jeweils richtige Ausrichtung in der jeweiligen Zeit ringen. 

Möge der Kunstverein der zeitgenössischen Kunst für viele weitere Jahre neue Wege bereiten, diese Wege mutig gehen und ein Ort sein für unser immerwährendes Rendezvous mit der Kunst, für eine verlässliche amour fou. Denn natürlich ist ein bisschen Wahnsinn in der Kunst auch immer dabei.
Frau Steinbrügge und ihrem Team danke ich für das ambitionierte Programm im Jubiläumsjahr. Allen Engagierten danke ich für ihre tatkräftige Unterstützung, in welcher Form auch immer – mit Zeit, mit Rat, mit Tat, mit Spenden.Und Ihnen allen heute Abend wünsche ich: ein rauschendes Fest!

Vielen Dank. 

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