Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft,
sehr geehrte Frau Engelschall,
sehr geehrter Herr Dr. Landry,
sehr geehrter Herr Schmitz-Morkramer,
liebe Freundinnen und Freunde der Hamburgischen Kulturstiftung,
im Namen des Senats der Freien und Hansestadt heiße ich Sie herzlich willkommen zum Stiftermahl im Großen Festsaal des Hamburger Rathauses.
„Speaking truth to power is never easy, Mr. President.” Mit diesen klaren Worten brachten die Mitglieder des amerikanischen Kunstausschusses ihren Widerstand gegen die ausbleibende Positionierung Donald Trumps zur rechtsradikalen Gewalt in Charlottesville im vergangenen August zum Ausdruck – und traten kollektiv zurück. Sie führten damals weiter aus:
„Art is about inclusion. The Humanities include a vibrant free press. You have attacked both. […] We know the importance of open and free dialogue […]. Your words and actions push us all further away from the freedoms we are guaranteed.”
Der hier angesprochene offene und freie Dialog ist wichtig für unsere offene und freie Gesellschaft. Er gewinnt weiter an Bedeutung.
Freiheit ermöglicht, ja erzwingt Widerspruch. Kunst erzeugt, ja erfordert Widerspruch, wenn sie nicht mit Kitsch und Reklame verwechselt werden will, wenn sie anders und relevant sein will.
Die Freiheit der Kunst ist immer auch eine Aufforderung, sie auszuleben und auszutesten. Dass ihre Anwendung öffentlich und privat gefördert wird, ist richtig. Denn unbequeme Wahrheiten auszuhalten, mit denen uns die Kunst konfrontiert, ist nicht nur eine Haltungsfrage, sondern ein Ausweis unserer Demokratiefähigkeit.
Für die Hamburgische Kulturstiftung ist es daher Gründungsgedanke und Gegenwartsaufgabe, gerade das Außergewöhnliche, das Anstrengende, das Abseitige zu fördern, das Widerspruch formuliert, das Widerspruch auslöst. Und das macht die Stiftung ganz hervorragend; seit beinahe dreißig Jahren.
Dafür möchte ich Ihnen danken, liebe Frau Engelschall, lieber Herr Dr. Landry, die Sie die Geschicke der Hamburgischen Kulturstiftung lenken.
Danken möchte ich ebenso den Kuratoriumsvorsitzenden der Hamburgischen Kulturstiftungen, Philipp Schmitz-Morkramer und Stefanie Lafrentz, den Mitgliedern des Stiftungsrats und des Kuratoriums, die die Stiftung ehrenamtlich und oftmals schon seit vielen Jahren unterstützen.
Und danken möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren, liebe Freunde und Förderer der Hamburgischen Kulturstiftung, die Sie das Wirken der Stiftung zugunsten der Hamburger Kultur überhaupt erst ermöglichen. Ob Sie der Hamburgischen Kulturstiftung Zeit, Geld oder Kompetenz schenken: Mit ihrem Engagement, sorgen sie dafür, dass die Stiftung ihrer Aufgabe als wichtiger zivilgesellschaftlicher Akteur nachkommen kann.
Unsere Demokratie braucht das Engagement der Zivilgesellschaft. Heute vielleicht mehr als seit langer Zeit. Stiftungen sind dabei „Brandmelder“, nicht „Feuerlöscher“.
Und diese Brandmelder müssen derzeit auch bei uns im Land anschlagen. Wir haben am Sonntag eine Bundestagswahl erlebt, die von vielen Beobachterinnen und Beobachtern zu Recht als Zäsur betrachtet wird. Neben dem Wahlergebnis haben mich einige Zahlen besonders bewegt, die Infratest dimap für die ARD erhoben hat und die Aufschluss darüber geben, warum es eine rechtspopulistische Partei in den Deutschen Bundestag geschafft hat.
Die Wählerinnen und Wähler der AfD haben zu 95% große Sorgen, „dass wir einen Verlust der deutschen Kultur erleben“ und zu 94%, „dass sich unser Leben in Deutschland zu stark verändern wird“. 91% fürchten überdies, „dass unsere Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet“.
In diesen Zahlen spiegelt sich ein Unbehagen an der freiheitlichen und offenen Gesellschaft der Moderne, das uns alle nicht nur zum Nachdenken, sondern zum Handeln herausfordern muss.
Die Zahlen zeigen, dass sich die bekannte Krisenspirale von der wirtschaftlichen über die politische und die gesellschaftliche Krise bereits bis zum Fundament unserer Kultur heruntergefressen hat. Es ist daher höchste Zeit, dass wir den Grundkonsens unserer Gesellschaft – wenn Sie so wollen: unseren Gesellschaftsvertrag – erneuern.
Freie und offene Gesellschaften zeichnen sich dadurch aus, dass wir tagtäglich neu verhandeln müssen, was uns wichtig ist und was uns ausmacht.
Wir brauchen dazu den Konsens über die demokratischen und rechtsstaatlichen Verfahren, in denen wir das tun können. Wir müssen uns einig sein, wie wir mit unseren alltäglichen Konflikten und Meinungsverschiedenheiten umgehen.
Wir zehren dabei von Grundlagen, die wir nicht allein in Gesetzen festschreiben können, sondern die in die Humanität unseres Zusammenlebens eingeschlossen sein müssen.
Und wir gehen aus von der respektvollen Einsicht, dass wir in unserem Zusammenleben alle ohne Angst verschieden sein wollen und auch können.
Diese fundamentalen Übereinkünfte müssen wir in unserer Gesellschaft erneuern, wenn wir auch künftig Zusammenhalt und Zusammenhang unserer Demokratie sichern wollen. Das gesellschaftliche Gespräch zur Zeit, die Verständigung über das Verbindende brauchen wir vielleicht mehr denn je.
Kunst und Kultur sind durch die aktuell offenen Fragen genauso angesprochen wie Wirtschaft und Gesellschaft. Gerade die Fragen nach dem Sinn unseres Zusammenlebens, nach den orientierenden Strukturen und nach den Werten, die wir teilen, reichen bis direkt an den Kern kulturellen und künstlerischen Handelns.
Kunst und Kultur werden noch wichtiger. Paradoxerweise brauchen sie deshalb gerade jetzt unseren Schutz vor allzu leichtfertigen Instrumentalisierungen als vermeintlicher „Kitt unserer Gesellschaft“. Erst in vollständiger und zweckbefreiter Freiheit entfalten sie die gesellschaftliche Wirkung, die wir nicht funktional erwarten dürfen.
Beinahe ebenso fragil gestaltet sich die Sicherung der zivilgesellschaftlichen Ressourcen unseres Landes. Die Hamburger Tradition der stolzen Bürgerrepublik ist ein gutes Beispiel dafür, wie ihre Erneuerung immer wieder gelingen kann. Diese zutiefst städtische und moderne Geschichte kann in vielerlei Hinsicht stilprägend sein für unsere Zeit.
Sie lehrt uns unter anderem, dass auch das in Stiftungen verfasste zivilgesellschaftliche Engagement freier Bürgerinnen und Bürger, unbedingten staatlichen Schutz braucht – gerade weil es für die staatlichen Institutionen unbequem sein kann.
Wenn wir in Länder schauen, wo derzeit zivilgesellschaftliche Akteure in ihrem Handeln beschränkt werden, ihre Repräsentanten Repressalien oder Verboten ausgesetzt sind, dann ist dies nicht nur hehre Einsicht, sondern eindringliche Forderung. Und diese richtet sich nicht nur an ferne autoritäre Regime, sondern mittlerweile auch an manche europäische Partner, ich denke zum Beispiel an das NGO-Gesetz von Juni 2017 in Ungarn.
Nicht umsonst hat sich die europäische Stiftungsszene mit der Warschauer Erklärung in der Philantropic Alliance for Solidarity and Democracy in Europe im Juni für die Zivilgesellschaft stark gemacht. Mit dabei in diesem Zusammenschluss führender europäischer Stiftungen sind übrigens auch die Hamburger Körber-Stiftung und die Zeit-Stiftung. Ausgehend von Polen, der Wiege der Solidaritätsbewegung in Europa, sendet die philanthropische Community eine „starke kollektive Botschaft“, dass „sich die Demokratie durchsetzen muss und nur dann lebendig ist, wenn eine starke, unabhängige und aktive Zivilgesellschaft gewährleistet ist“.
Das Erstarken der Zivilgesellschaft als Reaktion auf autoritäre oder radikale Tendenzen macht Mut; es ist Teil der Lösung. Denn es reicht nicht, gegen etwas zu sein; sondern man muss für etwas stehen. Wenn andere mit der Angst arbeiten, müssen wir Hoffnung machen und konkrete Ziele formulieren, die wir in breitem Bündnis und mit Ausdauer und Geduld verfolgen.
Dass Deutschland in den vergangenen Jahren für viele Menschen auf der Welt zu einem Hoffnungsland geworden ist, wie Olaf Scholz schreibt, sollte uns daher mutig und zuversichtlich machen. Dass unser Land zu einem Ort geworden ist, an dem viele den „Pursuit of Happiness“ verwirklichen wollen, haben wir alle miteinander erst halb begriffen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass hier eine Stärke liegt, die wir gemeinsam nutzen können.
Damit das gelingt, müssen wir hinschauen, wenn unser Gemeinwesen in Gefahr ist; wir müssen Stellung beziehen, und wir müssen einstehen, für das, was uns wichtig ist. Oder, wie es die 17 Mitglieder des amerikanischen Kunstausschusses, von denen ich eingangs berichtete, mutig gegenüber Präsident Trump formulierten:
„We cannot sit idly by […] without speaking out against your words and actions.“ Das sollten auch wir uns ins Stammbuch schreiben. Wir alle müssen uns einmischen.
Ich wünsche uns allen einen anregenden Abend!