Sehr geehrter Herr Niggemeier,
sehr geehrte Frau Molzow,
Sehr geehrte Frau Harnack,
sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hamburger Morgenpost,
liebe Gäste,
meine Glückwünsche zum 70. Geburtstag möchte ich mit ein paar Sätzen von Kurt Tucholsky beginnen:
„Wesentlich an einer Zeitung ist zunächst und vor allem, was sie bringt, und was sie nicht bringt. Niemand wird annehmen, dass täglich stets gerade so viel geschieht, wie in sechzehn Seiten hineingeht – aber fast jeder wird annehmen, dass da das Wesentliche, gewissermaßen der Extrakt aller alltäglichen Geschehnisse, zu lesen sei.“
Diese Feststellung ist bis heute hochmodern: Journalistinnen und Journalisten wählen aus. Und sie fragen sich dabei, was alle wissen müssen, weil es alle zu interessieren hat.
Der Weg zur Einlösung dieses Versprechens aber ist steinig: In Zeiten des Internets und der sozialen Medien ist es zwar viel einfacher geworden, an Informationen heranzukommen und sich auch ohne klassische Medien der Welt mitzuteilen. Gerade deshalb aber ist jener von Tucholsky beschworene „Extrakt“ nur noch unter großen Anstrengungen herauszukristallisieren. Das ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit.
Jeder kann jederzeit alles erfahren und alles äußern – aber wie daraus ein gesellschaftlicher Gesprächszusammenhang wird, ist eine offene Frage, die alle redaktionellen Medien unmittelbar berührt. Das gilt insbesondere für lokale und regionale Medien, die in einem klar umrissenen Kommunikationsraum wirken und ihn bisweilen durch ihre Berichterstattung überhaupt erst schaffen.
Daraus erwächst eine besondere Verantwortung, die der US-Journalismusforscher Jay Rosen als Public Journalism beschrieben hat. Er meint damit die Verantwortung, die regionalen Medien zuwächst, die nicht bloß beobachten und berichten, sondern die selbst die Öffentlichkeit und die Anlässe schaffen, zu denen sich eine Stadtgesellschaft zusammenfinden und die sie betreffenden Belange verhandeln kann.
Dies gilt für die Hamburger Morgenpost in besonderer Weise. Sie wird von den Hamburgerinnen und Hamburger liebevoll MOPO genannt und ist Teil der DNA unserer Stadt.
Das können wir auch eindrucksvoll an den Macherinnen und Machern der MOPO sehen. Viele von ihnen haben mit ihren Geschichten und ihrem Blick für das, was unser Zusammenleben ausmacht, die Stadt mit geprägt.
Unvergesslich ist – um nur eine Journalistin herauszugreifen – Erika Krauß, die über 60 Jahre als Fotografin für die Hamburger Morgenpost gearbeitet hat und in all der Zeit aus dem Rathaus nicht wegzudenken war.
Diese feine Dame hatte ihre ganz eigenen Methoden entwickelt, zu denen es auch gehörte, gerne einmal ein paar Minuten später zu kommen, um den offiziellen Bildmoment zu umgehen und das nicht gestellte, echte Bild zu bekommen, das hat sie freimütig und mit feinem Humor gerne selber verraten. Gerne nahm Sie sich auch den Rat von Gustaf Gründgens zu Herzen, der einst zu ihr gesagt haben soll: „Langsam Erika! In der Eile steckt der Teufel.“ Welch guter Rat, den auch heute manch einer beherzigen sollte. Völlig zu Recht ist heute in der Mitte Altona eine Straße nach der unvergesslichen Erika Krauß benannt.
Die MOPO steht nicht nur wegen solch beeindruckender Persönlichkeiten in einer sehr besonderen Traditionslinie.
1949, nur wenige Jahre nach der „Stunde Null“ von der Hamburger SPD gegründet, war sie die erste Boulevardzeitung Deutschlands.
Sie verband die Tradition der parteigebundenen Zeitung mit den Charakteristika der Straßenverkaufszeitungen, die etwas lauter, plakativer und zugespitzter sein mussten als ihre zu abonnierenden Schwestern. Diese Gattung, auf die oft etwas herabgeschaut wird, ist deshalb essentiell für die Demokratie: Sie popularisiert Information und macht sie vielen Menschen zugänglich, die keine Lust auf lange komplizierte Texte haben.
Bekannte Namen prägten das Blatt: Wolfgang Clement, der spätere Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, war von 1986 bis 1989 Chefredakteur der MOPO, der heutige Vorstandsvorsitzende von Axel Springer, Mathias Döpfner übernahm von 1996 bis 1998 die redaktionelle Verantwortung für die MOPO, während der ehemalige Gruner+Jahr-Chef und heutige Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein, Bernd Buchholz, damals Verlagsleiter war.
In einem Interview mit der MOPO sagte er einmal:
„Vorstandschef Gerd Schulte-Hillen hat eigentlich alle jungen Leute hierher geschickt, von denen er meinte, sie hätten Potenzial..
Über viele Jahrzehnte war die Morgenpost in Hamburg die einzige lokale Tageszeitung, die nicht zum Verlag von Axel Springer gehörte. Sie war damit auch ein Stück praktische Vielfalt in der Hamburger Öffentlichkeit.
In ihren bisher 70 Jahren Existenz hat die MOPO vieles gewechselt:
- mehrmals den Besitzer,
- 1987 unter Gruner + Jahr das Format,
- mehrmals den Standort, zunächst vom Pressehaus am Speersort nach Bahrenfeld und nun mitten hinein nach Ottensen,
- manchmal auch die die Strategie – gerade in den letzten Jahren vom reinen Print-Geschäft hin zu einer multimedialen Strategie auf vielen Kanälen.
Und aktuell stehen neuerliche Umbrüche an, deren Reichweite und Konsequenzen aktuell nicht abzuschätzen sind. Auch wenn wir alle hoffen, dass es gut weitergeht. Die Voraussetzungen dafür sind da:
Die MOPO ist derzeit das reichweitenstärkste regionale Nachrichtenportal im Norden: Täglich werden 550.000 Menschen erreicht, das sind pro Monat 19 Mio. Visits. In den sozialen Netzwerken folgen mehr als 164.000 Menschen der MOPO bei Facebook, dazu kommen Instagram und Twitter.
Und in jüngerer Zeit hat die MOPO ihre Geschäftsfelder auch auf Messen und Events wie die Fahrradmesse „Velo“ und die Ausbildungsmesse „Karriere-Tag“ ausgeweitet. Ganz aktuell hat die MOPO mit dem „Discovery Dock“ gepunktet, einer Mixed-Reality-Welt, die den Hafen interaktiv auf völlig neue Weise erlebbar macht.
In der Wahrnehmung der Hamburgerinnen und Hamburger aber ist und bleibt die MOPO ihr lokaler Boulevard mit Haltung. Das steht im Kern der Marke:
Eine ganz besondere Zeitung in einer ganz besonderen Stadt.
Eine Zeitung, von der ich mir wünsche, dass sie uns noch lange erhalten bleibt.
Meine Damen und Herren,
die Medienbranche wandelt sich seit zwei Jahrzehnten rasant: Während vor 20 Jahren die öffentliche Meinungsbildung im Wesentlichen durch den öffentlichen wie privaten Rundfunk sowie die Zeitungen, Zeitschriften und Magazine bestimmt wurde, ist im Digitalen das tradierte Sender-Empfänger-Prinzip aufgebrochen worden. Branchengrenzen verschwimmen nunmehr. Blogger, Social-Media-Plattformen, Technologiekonzerne, Markenunternehmen sowie die Nutzerinnen und Nutzer selbst können nun aktiv an der öffentlichen Diskussion teilnehmen und ihre Inhalte verbreiten.
Das führt zu einer paradoxen Situation: Nie war die Reichweite journalistischer Inhalte größer als heute. Aber nie war es auch so schwierig, mit diesen Inhalten vernünftig Geld zu verdienen.
Wir werden viel Fantasie brauchen, um die Erlöse, die mit dem Abschmelzen des klassischen Printgeschäfts verloren gehen, im Digitalen zu kompensieren.
Doch es wäre falsch, schlechte Laune zu bekommen. Es gibt gute Gründe, zuversichtlich in die Zukunft der Medien, auch der redaktionellen Medien zu blicken: Erstens werden sie so sehr gebraucht, wie schon lange nicht mehr. Wir leben in Zeiten, in denen Information und Wahrheit zu umkämpften Ressourcen werden. Es braucht mutige Journalistinnen und Journalisten, die sich als Anwälte eines demokratischen öffentlichen Gesprächs verstehen. Daraus müssen wir neue Wertschätzung wachsen lassen, so wie wir es gerade mit unserer Plakatkampagne hier in Hamburg unterstützen.
Zweitens wächst der Medien- und Kreativstandort – nach Umsatz und Mitarbeitern. Klassische Printverlagsangebote stehen zwar unter Druck, aber andere Bereiche expandieren und Fachkräfte nennen Hamburg häufiger als alle anderen Medienstädte Deutschlands als Lieblingsstandort. Daraus müssen wir gemeinsam mehr machen.
Drittens ist Hamburg ein starker Digitalstandort – mit den Deutschlandzentralen großer Plattformen wie XING, Google, Facebook, Twitter, Twitch, Dropbox oder Snap, die auch die Rahmenbedingungen des Contentgeschäfts verändern. Wir unterstützen die nötige digitale Transformation mit der Netzwerkarbeit von nextMedia.Hamburg, mit gezielten Inkubator- und Accelerator-Programmen und mit einer Vernetzung zwischen Praxis und Wissenschaft. Da kann und muss noch mehr gehen, wenn wir Zukunftsstrategien entdecken und entwickeln wollen.
Andere Medienunternehmen sehen diese Stärke und kommen dazu, wie jüngst die Zentralredaktion Digital der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sowie der Medienholding Nord und seit ein paar Monaten auch der Rowohlt Verlag, der von Reinbek nach Hamburg gezogen ist.
Das sind viele wichtige Bausteine auf dem Weg hin zu einem innovativen, digitalen Medien-Ökosystem und ich könnte mit dieser Aufzählung noch lange weitermachen…
Entscheidend ist aber neben diesen technischen und wirtschaftlichen Aspekten vor allem, dass wir die inhaltliche Kraft der Medien schützen und stärken:
Der Senat setzt sich mit vielen Mitteln dafür ein, dass Journalismus in Hamburg gute Rahmenbedingungen vorfindet. Denn eine Demokratie ohne einen guten und vielfältigen Journalismus ist nicht vorstellbar. Dazu braucht es immer wieder auch neue Impulse und Innovationen.
Die nächste Gelegenheit, sich darüber auf internationalem Niveau auszutauschen, bietet sich schon in der kommenden Woche, wenn wir gleich drei große Konferenzen in der Stadt haben, die sich mit der Zukunft des Journalismus befassen:
Unser jährliches ScoopCamp konzentriert sich auf Fragen technologischer Innovation.
Auf der INMA Media Innovation Week treffen sich führende Medienverantwortliche aus aller Welt. Im Zentrum stehen neue Geschäftsmodelle für klassische Nachrichtenmedien.
Und die Global Investigative Journalism Conference gilt als derzeit vielleicht wichtigste internationale Journalismuskonferenz. Wir erwarten über 1.500 Journalisten aus 130 Ländern in der Stadt.
All das begleiten wir aktuell mit einer Plakatkampagne, die Wertschätzung für den Journalismus fördern soll.
Es gibt also bei allen Umwälzungen in der Branche hier bei uns in Hamburg guten Grund für Zuversicht – auch bei der 70 Jahre alten MOPO. Denn die MOPO macht vieles richtig. Sie macht es uns Politikern nicht bequem – und sich selbst auch nicht. Sie wagt immer wieder Neues.
Hamburg ohne die MOPO, diese handliche und freche, ja kämpferische Zeitung – das ist gar nicht mehr vorstellbar. Und das will ich mir auch gar nicht vorstellen.
Seit 70 Jahren sorgt sie in unserer Stadt für Meinungsvielfalt.
Und durch die emotionale Lokalberichterstattung und milieuübergreifende Leseransprache trägt sie außerdem konsequent zur Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Stadt bei. Das geht nur, wenn man eine engagierte und gute Redaktion hat und sie ins Herz der Arbeit stellt.
Die MOPO schafft es, dass sich auch weniger politikinteressierte Menschen mit politischen Themen beschäftigen. Denn wer sich jeden Tag aufs Neue am Kiosk und in der digitalen Welt behaupten muss, der weiß ganz genau, wie man zum Beispiel die Bedeutung einer neuen EU-Richtlinie so aufbereiten muss, dass das Ganze tatsächlich auch gelesen und verstanden wird.
Dass die Gradwanderung zwischen anspruchsvollen Themen und allgemeinverständlicher Aufbereitung gelingt, hat auch mit der Haltung der MOPO zu tun. Damit, dass sie Haltung hat und zeigt:
Sie setzt sich mit den Mitteln der öffentlichen Aufklärung für Menschen ein, denen Unrecht widerfahren ist, die von Miethaien abgezockt oder von Krankenkassen im Stich gelassen werden.
Sie dreht sich nicht nach dem Fähnchen im Wind – auch wenn es das Olympiafähnchen ist.
Und sie kooperiert eng mit Hamburger Behörden, ohne ihre Unabhängigkeit aufzugeben, zum Beispiel wenn ihre Recherchen gravierende rechtliche Missstände ergeben haben, zuletzt etwa beim Fall der überbelegten und verwahrlosten Häuser in Harburg – der Fall zog umfangreiche Ermittlungen nach sich.
Die MOPO – sie wirkt. Und die MOPO stellt sich als Boulevardzeitung mit Haltung dem Zeitgeist entgegen. Frank Niggemeier hat erst heute wieder in der Jubiläumsausgabe das Credo der MOPO so treffend auf den Punkt gebracht: „Herz statt Hetze“.
Dass man selbst an der Wirksamkeit der eigenen Haltung zweifelt, liebe Kolleginnen und Kollegen der MOPO, ist nichts Besonderes.
Das ging schon Kurt Tucholsky zu Beginn des 20. Jahrhunderts schon so. Zeitlebens zweifelte er an der Kraft des öffentlichen Wortes und bewies doch mit seinen Texten immer wieder selbst, wie viel gehen kann, wenn man denn nur will. Es gelang ihm mit seiner „Schreiberei“ zwar nicht, die „Sadisten und Bürokraten“ von ihren Posten zu entheben, wie er es sich wünschte, aber er hat in den Köpfen vieler Einzelner immer wieder Saatkörner für ein leidenschaftlich vernünftiges und wahrhaftiges Denken gelegt. Und er war ein Kämpfer für die Gerechtigkeit.
Wahrheit, Wirklichkeit und Wirksamkeit. Das sind drei zentrale Begriffe in Tucholskys Nachdenken über den journalistischen Ethos.
Wahrheit, Wirklichkeit und Wirksamkeit sind auch für die Hamburger Morgenpost der Antrieb, um eine – so Henrich Braune, der Erfinder der MOPO – „unabhängige Zeitung … mit leidenschaftlichem politischen Engagement ohne Scheuklappen“ zu machen, „aber immer mit dem Finger da drückend, wo es schmerzt“.
Dass es dafür verschiedene Mittel und Wege gibt, dass weiß die bekennende Boulevardzeitung. Sie geht ihren ganz eigenen „morgenpost’schen“ Weg – gedruckt oder digital.
In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch und alles Gute für die nächsten 70 Jahre Hamburger Morgenpost!
Feiern Sie schön!