Sehr geehrte Frau Hoss,
lieber Herr Wiederspiel,
sehr geehrter Herr Thalheimer,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
„mir geht es darum, dass es nicht harmlos ist, was ich mache“ hat Nina Hoss einmal in einem Interview gesagt. Einer der schönsten Sätze, die ich je gelesen habe. Und einer, der zeigt, wie vielschichtig diese wunderbare Künstlerin ist.
Sie ist früh und fulminant in die Schauspielerei gestartet. „Eine Klasse für sich“ schrieb das ZEIT-Magazin in einer Ausgabe vor einigen Jahren und meinte damit den begnadeten Jahrgang an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ mit Lars Eidinger, Fritzi Haberlandt, Devid Striesow, Mark Waschke und natürlich Nina Hoss.
Man kann dieser Hochschule dankbar dafür sein, dass sie diese Talente aufgenommen, ausgebildet und auf die Bretter entlassen hat, die die Welt bedeuten.
Jeder für sich und alle gemeinsam prägen sie heute die Theaterlandschaft und den deutschen Film.
Nun soll es heute aber nicht um die Auszeichnung eines Quintetts gehen, sondern um Sie, liebe Nina Hoss. In dem besagten ZEIT-Interview ist zu lesen, dass Sie bei ihrer Aufnahmeprüfung im Jahr 1995 schon damals alle in Grund und Boden spielten und in der Rolle der Nina in Tschechows „Möwe“ brillierten. Neid oder Missgunst seitens der Mitschüler? Fehlanzeige. Stattdessen Bewunderung. Ein Star, der keinen Wert darauf legt, einer zu sein. Grundsympathisch obendrein.
Dazwischen liegen 25 Jahre, in denen Sie eine beeindruckende Karriere hingelegt haben, die den meisten hierzulande trotz Talent und harter Arbeit versagt bleibt. Die fiktive Nina aus Tschechows „Möwe“, als Schauspielerin nicht mit Erfolg gesegnet, scheint mit der realen Nina nicht viel gemein zu haben.
Sie haben kürzlich gesagt, „dass wir nicht sprachlos sein dürfen und dem Hass, der geschürt wird und der Angst vor dem Fremden etwas Positives entgegensetzen müssen.“
Wie Recht Sie haben. In einer Zeit, in der an der Demokratie kräftig gerüttelt wird und die Stimmen gegen den Pluralismus und unsere hart erkämpften Werte immer werden lauter werden, gilt es, Zeichen zu setzen.
Als der Hongkonger Aktivist der Stunde, Joshua Wong, vor zwei Wochen in Berlin zu Besuch war, sagte er, dass er statt Tränengas in seiner Heimat in Deutschland „den Duft der Freiheit atme“.
Für einen kurzen Moment war das ein gutes Gefühl, bei allen Abwärtsprognosen an etwas erinnert zu werden, dass wir hierzulande – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern auf der Welt – als selbstverständlich erachten dürfen.
Doch wenn wir einem Demokratiekämpfer der vergangenen Stunde Glauben schenken dürfen, ist genau das das Trügerische. Kein geringerer als Barack Obama sagte bei seiner Abschiedsrede:
„Demokratie ist dann gefährdet, wenn wir sie als selbstverständlich betrachten.“
Es ist unser aller Aufgabe, miteinander dafür zu sorgen, dass die Freiheit und die Offenheit des künstlerischen Ausdrucks und auch unserer Gesellschaft insgesamt gewährleistet bleiben. Es geht darum, dieser verdrehten Welt eine Richtung zu geben.
Die Geschichte zeigt, dass wir solidarisch für die Kunstfreiheit und die Freiheit von Künstlerinnen und Künstlern einstehen müssen, vor der eigenen Haustür genauso wie in Übersee. Ich danke „Filmfest Hamburg“, dass es den Finger immer wieder in die Wunde legt, auf Missstände aufmerksam macht und auch bedrohten Künstlerinnen und Künstlern eine Plattform für ihr Schaffen bietet.
Was passieren kann, wenn uns das nicht gelingt, zeigt auch die entfernte und nahe Vergangenheit um den Douglas Sirk Preis. Der Namensgeber des Preises musste 1937 aufgrund der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ins Exil flüchten. Jafar Panahi, Preisträger des letzten Jahres, durfte nicht anreisen. Seine Tochter nahm den Preis statt seiner auf dieser Bühne entgegen, da er, mit einem Berufsverbot belegt, Iran bis heute nicht verlassen darf. Filme dreht er trotzdem.
Ich freue mich daher umso mehr, dass Sie, liebe Frau Hoss, uns nicht per Videobotschaft zugeschaltet sind, sondern heute Abend hier sein können und dürfen, um den Preis persönlich entgegenzunehmen.
„Vertrauen wir der Kultur! Wir müssen mehr voneinander erfahren – in Büchern, im Theater, im Kino. Wie sollen wir zusammenkommen, wenn wir nichts voneinander wissen?“, haben Sie in einem Interview auf die Frage gesagt, wo die europäische Reise hingehen soll.
Ich danke Ihnen sehr, dass Sie diese Gedanken in die Welt tragen, sich einmischen und mit Ihrer Präsenz auf der Bühne und der Leinwand zeigen, welcher Reichtum in der europäischen Vielfalt und unserer Kultur steckt.
An das Verbindende zu glauben heißt, weiter an die Freiheit zu glauben. Wir sollten nicht damit aufhören. Wir sollten sie leben. Und das ist alles andere als harmlos!
Vielen Dank.