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11. November 2019 Werknutzung auf Plattformen – medienpolitische Aspekte

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Keynote des Senators Dr. Carsten Brosda auf der 7. Urheberrechtskonferenz der Initiative Urheberrecht

7. Urheberrechtskonferenz der Initiative Urheberrecht

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Streit anlässlich der Reform des Urheberrechts wird von den unterschiedlichsten Akteuren quer durch die Branche und quer durch die Gesellschaft geführt. Ich habe die große Hoffnung, dass wir diesen Streit beilegen und gemeinsam zu einer konstruktiven Lösung finden. Umso mehr freue ich mich, dass bei der „7. Urheberrechts-Konferenz“ der Initiative Urheberrecht Urheber, ausübende Künstler sowie Vertreter von Verbänden und Gewerkschaften sind, die offen ihr Interesse an dieser Reform zeigen und sich aktiv einbringen.

Ich möchte zunächst einmal die politische, gesellschaftliche und kulturelle Gemengelage zum Thema beleuchten: In welcher Situationen befinden wir uns, wie ist sie entstanden und wie können wir sie zusammen meistern?

Prof. Dr. Bernd Holznagel sagte, dass die Urheberrechtsrichtlinie eine schwere Geburt gewesen sei. Als Herr Oettinger ankündigte, er nehme das jetzt in die Hand – mit entsprechenden Zeitplänen – waren viele sicher, dass dies eine Verdreifachung des in der Europäischen Union üblichen Tempos bei solchen Entscheidungsprozessen bedeuten würde. Insofern war es zwar einerseits eine schwere, andererseits aber auch fast schon wieder eine Sturzgeburt. Vielleicht hängen die Komplikationen und die Geschwindigkeit, trotz der zwischenzeitlichen Blockaden, ja zusammen. Denn wir haben gesellschaftlich noch keinen Konsens darüber, wie wir eigentlich mit urheberechtlichen Fragen umgehen wollen.

Das ist vielleicht auch nicht verwunderlich, denn es handelt sich dabei um ein Themenfeld, das über Jahrzehnte hinweg eher ein Spezialisten-Thema war, das Bürgerinnen und Bürger im Alltag nur sehr selten betraf. Es gab zwar beispielsweise die Diskussionen, ob ich mit der Kassette etwas aus dem Radio aufnehmen darf oder ob ich eine CD mit meinen Lieblingsliedern sampeln darf, aber selbst, wenn die Antwort „Nein“ wäre: Wer hätte es herausfinden sollen, wenn ich die Aufnahme nicht hundertfach vervielfältigt und verkauft hätte? Und mit welchem technischen Gerät hätte ich als Privatperson überhaupt in großem Maßstab vervielfältigen können?

Das zeigt: Viele Themen sind erst mit der Entmaterialisierung des kulturellen und medialen Produkts im Urheberrecht zu einer gesellschaftlich relevanten Fragestellung geworden. Hinzu kommen die Besonderheiten, dass die Möglichkeiten des urheberrechtlichen Missbrauchs der neuen technologischen Optionen sich parallel zu den geschäftlichen Möglichkeiten entfaltet haben, die mit der unbegrenzten Vervielfältigungsmöglichkeit einhergingen.

Eines der eindringlichsten Beispiele dafür: In dem Jahr, bevor The Pirate Bay oder Napster auf den Markt kamen, sind so viele CDs verkauft worden, wie noch nie. Und man sah die CD schon als die digitale Verheißung an, schließlich war die Musik bereits digitalisiert. Als dann aber auch noch das Trägermedium entfernt wurde, fingen auch die Probleme an.
Seitdem erleben wir sowohl in der öffentlichen Debatte als auch in allen Parteien immer wieder Pendelschwünge. Mal schwingt das Pendel mehr in Richtung Meinungs- und Informationsfreiheit und mal mehr in Richtung der urheberrechtlichen Eigentumsverfügung.
Jede Partei musste diesbezüglich ihre eigenen Damaskuserlebnisse machen, wann immer sie mit einer vermeintlichen Klärung in Parteitage hineingegangen ist. Sie musste feststellen, dass die Interessenlage sehr komplex ist und die, die bis dato geschwiegen hatten, nun auf einmal ihre Stimme erhoben. Die Folge waren programmatische Kompromiss-Formulierungen, die mit dem Ausgleich der verschiedenen Interessen zu tun haben. Dabei beließ man es meist.
Selbst im Koalitionsvertrag steht einerseits, dass Uploadfilter keine Option sind, und andererseits, dass wir die Stellung der Urheberinnen und Urheber gegenüber den Plattformen stärken wollen. Wie das zusammenpasst, ist dann in der Redaktionsgruppe, die den Gesamttext zu verantworten hatte, meiner Einschätzung nach nicht mehr ausreichend berücksichtigt worden.
Das könnte man auch die politisch-programmatische Übersetzung der „praktischen Konkordanz“ nennen, die mein Vorredner Herr Holznagel in seinem Vortrag erwähnte, also der juristischen Lösung im Falle zweier konkurrierender, aber im Grunde eigentlich gleichrangiger Verfassungsnormen. Es sei jedoch zugestanden, dass die Sichtweise einer netzpolitischen oder digitalpolitischen Gruppe auf das Thema sich so grundsätzlich unterscheidet von der Sichtweise einer kulturpolitischen Gruppe, dass die Komplikationen damit gleichsam vorprogrammiert waren.
Die Debatte, die wir in Europa erlebt haben, war uns zutiefst entglitten und am Ende von einer Zuspitzung geprägt, die keinem der Beteiligten guttat. Wir sollten alle miteinander dafür sorgen, dass sich das so nicht wiederholt. Es entstand eine gesellschaftliche Diskurslage, in der klar war: Die Bereitschaft und der Wille, sich auf etwas Gemeinsames zu verständigen, war bei allen Beteiligten unterausgeprägt. Das spiegelten auch die Stellungnahmen wider. Dass auch die Politik nicht in der Lage war, verständigungsbereite Diskursräume zu eröffnen, war ebenfalls nicht förderlich. Aber: Ein Blame-Game, das danach fragt, ob die Schuld bei denen liegt, die über Bots spekulierten, oder bei denen, die von der Content-Mafia fabulierten, hilft jetzt niemandem weiter. Zugespitzt formuliert ging es bei den einen um den Untergang der Kultur des europäischen Abendlandes und bei den anderen um den Untergang der abendländischen Demokratie. Wir haben es nicht geschafft, ernsthaft darüber zu diskutieren, wie wir die unterschiedlichen Interessen sinnvoll ausbalancieren können.
Das müssen wir in der Debatte zur nationalen Umsetzung schaffen. Es stimmt ja nicht, dass morgen die Demokratie untergeht, wenn Uploadfilter kommen, oder alle Geschäftsmodelle für kreative Inhalte verschwinden, sollten sie denn nicht kommen. Aber es wird jeweils schwieriger, wenn wir nicht einen vernünftigen Weg finden, diese beiden Aspekte so zueinander in Beziehung zu setzen, dass es gut gehen kann.

Es gibt ein sehr lesenswertes Buch von den zwei Harvard-Politologen Steven Levitsky und Daniel Ziblatt mit dem Titel „How Democracies Die“, also wie Demokratien sterben. Sie beschreiben darin, dass Demokratien jenseits der rechtlichen Verfasstheit bestimmte kulturelle Faktoren brauchen, damit sie gut funktioniert. Sie formulieren sogenannte „Leitplanken der Demokratie“, die es uns ermöglichen, mit Entscheidungsvorhaben innerhalb demokratischer Kontexte gut umzugehen.
Eine der Leitplanken, die sie benennen, ist die Annahme, dass der andere auch Recht haben könnte. Das hat nicht nur Sinn, sondern ist auch notwendig, wird aber in der Politik erstaunlich selten befolgt. Die zweite Leitplanke, die Levitsky und Ziblatt benennen, lautet, dass es sinnvoll sei, nicht jedes Recht, das man erstritten hat, auch bis zum Exzess in Anspruch zu nehmen. Auch das ist relevant, weil die Wertungskonflikte meist erst in den randständigeren Detailfragen zum Tragen kommen. Wenn alle Beteiligten kompromissbereiter wären und sich stattdessen mehr auf die grundlegenderen Übereinstimmungen konzentrieren würden, würden wir unter Umständen auch weiter kommen.

Helmut Schmidt hat immer wieder darauf hingewiesen, dass, wer nicht zum Kompromiss fähig sei, auch nicht zur Demokratie fähig sei. Dass ich so ausführlich über Demokratie spreche, hat den Hintergrund, dass wir zwar vordergründig über Urheberrechte diskutieren, aber eigentlich über die Bedingung einer Demokratie unter digitalen Umständen. Das hat auch der Komponist Matthias Hornschuh völlig zu Recht stets betont. Wir reden pars pro toto darüber, ob und wie es uns gelingen kann, Regeln zu vereinbaren, mit denen wir bestehende Konsense und Konfliktlösungsmechanismen in technisch neu gestaltete Kontexte übertragen können – und zwar ohne, dass wir die ursprünglichen Wertungen und Gehalte, die wir damit einmal verbunden haben, aufgeben müssen. Das ist etwas ganz entscheidendes, denn wenn uns das gelingt, wird es uns auch an anderer Stelle gelingen können, so zum Beispiel wenn es um die Art und Weise geht, wie wir im Netz übereinander und miteinander sprechen. Es geht ganz grundsätzlich um die Frage, wie wir digitale Räume so gestalten, dass grundrechtliche Werte erhalten und verschiedene grundrechtliche Interessen zu einem vernünftigen Ausgleich gebracht werden können.

In der Debatte um das Urheberrecht ist nicht allein die Vergütung entscheidend, also die Tatsache, dass Künstler und Kreative auch an der Wertschöpfung ihrer Werke beteiligt sein sollen. Bedeutsamer finde ich die souveräne Verfügungsgewalt der Künstlerinnen und Künstler beziehungsweise der Urheberinnen und Urheber über ihre Werke.
Darüber, wie uns das gelingen kann, müssen wir konstruktiv streiten. Letztes Jahr haben wir das zu wenig getan – wir waren in der Diskussion zu schnell bei den Themen Lizensierungsverträge und Vergütung. Es gibt aber zweifellos Komponistinnen und Komponisten, die ein Mitspracherecht dabei haben wollen, ob ein Partei-Wahlwerbespot mit einem Song von ihnen unterlegt wird oder nicht. Eine bloße Lizenzgebühr sieht aber keine Möglichkeiten vor, gegen die Verwendung des Werkes vorzugehen. Was demnach sichergestellt werden muss, ist die Verfügungsgewalt der Künstler über ihr Werk. Sie müssen entscheiden können, in welchem Kontext ihre Werke genutzt werden dürfen.

An genau dieser Stelle werden auch diejenigen hellhörig, die uns als die neuen digitalen Urheberinnen und Urheber entgegenkommen und am liebsten nichts mit dem Urheberrecht zu tun haben zu wollen. In diesen Grenzbereichen werden sie nachdenklich, denn auch sie wollen ihre Entscheidungsfreiheit nicht einbüßen. Aber dafür brauchen wir ein Instrument und zwar in Form einer urheberrechtlichen Verfügungsgewalt. Wir brauchen ein durchsetzungsfähiges Urheberrecht, um die Künstlerinnen und Künstler in ihrer Souveränität zu stärken. Und dann kommt im zweiten Schritt natürlich die Frage der angemessenen Vergütung hinzu.

Ich freue mich sehr, dass heute Morgen auch Künstlerinnen und Künstler mit debattiert haben, denn ohne die Stimme der Künstlerinnen und Künstler geht es nicht. Sie erinnern sich sicher noch an die Unwucht der öffentlichen Debatte über die Richtlinie im Frühjahr, bei der viele Stimmen zum Vorschein kamen: die Plattformbetreiber, die Plattformnutzer, wie zum Beispiel YouTuber, die sich gegen die Verwerter aussprachen mit der Begründung, dass diese ihnen lediglich ihre Erträge wegnähmen, sowie die Verbände und Werkmittler, die sich für die Verabschiedung der Richtlinie stark machten.

Das Problem dabei war, dass diese Wahrnehmung denjenigen entgegenkam, die die Meinung vertraten, dass Unternehmen sich die Pfründe alleine sichern wollen. Die Unwucht bestand darin, dass nicht in ausreichender Zahl Künstlerinnen und Künstler fortgesetzt wahrnehmbar in der Debatte vertreten waren. Künstlerinnen und Künstler wissen sehr wohl, dass Werkmittler auch die Vielfalt in einer kreativwirtschaftlichen, kulturwirtschaftlichen Struktur garantieren, die wir unbedingt brauchen. Ihre Statements sind als Ergänzung unglaublich wichtig. Denn es ist nicht anzunehmen, dass die Vielfalt gewinnt, wenn sich Künstlerinnen und Künstler direkt mit dem Algorithmus auseinandersetzen müssen. Deswegen brauchen wir in diesem Diskurs auch diese Stimmen ganz dringend, gerade auch die der prominenten Künstlerinnen und Künstler. Die wahrscheinlich größte Intervention, die wir im urheberrechtlichen Diskurs in Deutschland in den letzten zehn Jahren hatten, war ein Telefoninterview mit Sven Regener, das eine gesamte Debatte gekippt hat. Davon hätten wir im Frühjahr mehr gebraucht, weil sie etwas hätten verändern können.

Dass Künstlerinnen und Künstler sich nicht fortgesetzt und direkt in diese Debatte einmischen wollten, ist verständlich, weil es den Eindruck eines kulturell-künstlerischen Harakiri-Kommandos erweckt, sich in so eine aufgeheizte Diskussion einzumischen und für die Urheberrechtslinie zu stimmen. Konrad Adenauer hat einmal dazu geraten, sich erst einmal unbeliebt zu machen, damit man ernst genommen wird. Das ist natürlich ein pointierter Aphorismus, der als Ratschlag für die Praxis nur bedingt taugt. Aber wenn wir – also diejenigen, die kulturpolitisch Verantwortung übernehmen, und diejenigen, die künstlerisch schaffen – uns zusammentun und gemeinsam unbeliebt machen, dann können wir damit vermutlich weit kommen.

Als Kulturpolitiker, der sich für das Urheberrecht einsetzt, bin ich bereit, mich bei Teilen der Gesellschaft unbeliebt zu machen – denn so kommen wir miteinander ins Gespräch. Und das Gespräch ist entscheidend, um zu einem guten Ergebnis zu kommen, mit dem alle leben können.

Etwas Weiteres kommt hinzu: In der Politik haben wir Debatten- und Entscheidungsstrukturen, die manchmal recht verzwickt sind: Mit den Künstlerinnen und Künstlern reden auf Länderebene in der Regel die Kulturressorts. Die Verbände und die Unternehmen sprechen normalerweise mit den Wirtschaftsressorts, wo in der Regel die Verantwortung für die Kultur- und Kreativwirtschaft angesiedelt ist, weil dort die ordnungsrechtlichen- und die Marktrahmen-Bedingungen verhandelt werden.

Dass die Wirtschaftsressorts nicht unbedingt nur mit den Kreativunternehmen reden, sondern auch mit den Plattformen, ist dann wiederum ein Problem. Denn wenn es um die Idee von Wachstum, Aufbruch, Modernisierung und digitaler Ermächtigung einer digitalen Gesellschaft geht, liefern die Plattformen den Wirtschaftsressorts das vermeintlich bessere Narrativ im Vergleich zu den klassischen Kreativunternehmen. Dadurch rutschen häufig gerade kleinere und mittelständische kreative Unternehmen durch das politische Raster hindurch und es ergibt sich folgendes Bild: Der Wirtschaftskollege spricht mit den großen Digitalen, der Zuständige für Kultur spricht mit den Musikern, den Schriftstellerinnen und den bildenden Künstlern. Die Unternehmen, die künstlerische Produktionen ermöglichen, haben kaum noch Ansprechpartner. Sie sind aber wichtige Vielfaltsgaranten in unserer Wirtschaftsstruktur. Sie sorgen dafür, dass auch gute Produktionsbedingungen, Vertriebsbedingungen, Verbreitungsbedingungen und am Ende auch gute ökonomische Rahmenbedingungen entwickelt werden können. Hinzu kommt, dass die DSM-RL auf Bundesebene federführend durch ein drittes Ressort, nämlich dem Justizressort, verantwortet wird. Kurzum: Hier sind einige Akteure am Ball und das macht es umso bedeutsamer, die Perspektiven besser miteinander zu verknüpfen.

Das betone ich auch vor dem Hintergrund der Kulturministerkonferenz, deren Vorsitzender ich dieses Jahr sein darf. Aktuell sind wir mit kleinen unabhängigen Verlagen darüber in Gesprächen, ob eine Verlagsförderung notwendig ist, weil die Produktionsbedingungen auf dem Markt mittlerweile so schwierig geworden sind, dass es kaum mehr möglich ist, ein anspruchsvolles literarisches oder Sachbuch-Programm eigenständig zu realisieren. Das Problem ist aber, dass die meisten von uns Diskutierenden diese Idee zwar als kulturell wertvoll erachten, in ihren Landesregierungen aber gar nicht zuständig sind für die Finanzierung. Sie können also mit verhandeln, müssen dann aber ihren Wirtschaftskollegen überzeugen, die entsprechenden Mittel bereitzustellen. Ich bin ausdrücklich dankbar dafür, dass in Hamburg die Kulturbehörde gleichzeitig auch die Kreativwirtschaftsbehörde ist – wir haben die gesamte Bandbreite der Kreativwirtschaft in vollständiger Betreuung bei uns. Ich spreche also nicht nur mit dem Schriftsteller, sondern auch mit der Verlegerin; ich spreche nicht nur mit der Musikerin, sondern auch mit ihrem Label. Das ist aufschlussreich, um zu begreifen, dass wir nicht nur fördern, sondern auch in der Lage sein müssen, die Rahmenbedingungen und Ordnungsrechte zu prägen und einen Markt so zu gestalten, dass er funktionieren kann – nur so können wir künstlerische Vielfalt dauerhaft aufrechterhalten.

Auf dieser Konferenz wurde bereits viel über die einzelnen Regelungsgehalte gesprochen, die in der Richtlinie – insbesondere in Art. 17 DSM-RL – vorkommen. Ich möchte nur noch auf eines hinweisen: An keiner Stelle war in der Richtlinie zu lesen, dass jetzt Uploadfilter einzuführen seien. Stattdessen sind kollektive Lizensierungsvorgänge möglich oder es können andere, möglicherweise noch zu entwickelnde Verfahren, etabliert werden, die Uploadfilter überflüssig machen und das Risiko so weit einschränken, dass es aushaltbar wird und kein Chilling Effect eintritt.

Das ist meiner Meinung nach der Kernpunkt der Debatte. Ich würde gerne gemeinsam mit denen, die sich ihrer technologischen Innovationskraft rühmen, intensiver darüber nachdenken, wie wir es schaffen können, technologische Lösungen für etwas zu finden, das wir aktuell noch als problematisch ansehen. Klar ist: Es kann nicht um eine einzige technologische Lösung gehen, die es entweder anzunehmen oder abzulehnen gilt.
Das heißt aber umgekehrt auch, dass wir Räume brauchen, in denen wir ohne Anfeindungen erst einmal die verschiedenen Positionen klären können. In einem zweiten Schritt sollten dann alle gemeinsam – also Netzpolitiker, Künstler, Urheber, Werkmittler und Plattformen – sich austauschen und darüber diskutieren bis zu welcher Ebene die eigenen Positionen abstrahiert werden können, um wieder zu einem Common Ground zu finden.

Das Problem ist – und so war es auch in dieser Debatte –, dass wir ganz schnell ein einzelnes Instrument identifizieren und dieses einzelne Instrument zu politischen Ziel- und manchmal sogar zu politischen Wertefragen verklären. Das bringt uns aber nicht weiter. Ein Instrument ist erst einmal kein Wert an sich – es ist zunächst ein Mittel zum Erreichen eines bestimmten Regelungszustandes. Das verlieren wir in diesen aufgeheizten Debatten manchmal aus den Augen. Wir müssen erst einmal klären, welches Ziel wir erreichen wollen, dann können wir uns auch den Instrumenten widmen.

Jetzt haben wir eine neue europäische Regelung und damit die Chance, uns zu dieser zu positionieren. Die Politik ist hier ausdrücklich mit eingeschlossen. Es darf aber nicht darum gehen, dass jeder sein Recht um jeden Preis durchsetzt. Das Ziel muss sein, dass in der nationalen Umsetzung eine handhabbare Regelung entsteht, mit der wir nicht nur die Kultur- und Kreativwirtschaft, sondern auch die Demokratie unter den Bedingungen digitaler Technologien gestalten können. Ich hoffe, dass wir das in den kommenden Monaten und im kommenden Jahr gemeinsam miteinander hinbekommen werden. Ich bin sicher, dass es ohne kritische Nachwehen in den verschiedenen Grenzbereichen gelingen kann, die europäische Urheberrechtsrichtlinie in ein nationales Recht zu übersetzen und Regeln festzuschreiben, die unsere digitale Zukunft mitbestimmen sollen.

Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der es plausibel und möglich ist, dass Künstlerinnen und Künstler selbst entscheiden können, was mit ihren Werken geschieht. Wenn Künstler aber die Verbreitung ihrer Werke mit dem Argwohn betrachten müssen, dass sie unter Umständen mit jeder weiteren Verbreitung immer wieder aufs Neue enteignet werden, ist genau das nicht der Fall. Ganz im Gegenteil sollten die Rahmenbedingungen so sein, dass Künstler darauf vertrauen können, dass die Verbreitung und der Erfolg eines Werkes beim Publikum ein Indiz dafür ist, dass das Werk und dass die kulturelle Produktion geschätzt und honoriert wird. Das muss gelingen. Das kann aber auch gelingen, wenn wir uns die beiden Leitplanken, die uns Ziblatt und Levitsky an die Seite gestellt haben, immer wieder ins Gedächtnis rufen: Wir müssen, erstens, davon ausgehen, dass der andere auch Recht haben könnte, und wir sollten, zweitens, nicht jedes Recht, das wir besitzen, sofort und bis zum Anschlag in Anspruch nehmen.

Lassen Sie uns also gemeinsam für ein gutes Urheberrecht und eine lebendige Demokratie eintreten. 

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