Sehr geehrter Herr Professor Klar,
sehr geehrter Herr Kölle,
sehr geehrte Frau Dr. Pisot,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich möchte mit einem Zitat von Horkheimer/Adorno aus der „Dialektik der Aufklärung“ beginnen, dort heißt es:
„Es gehört zum heillosen Zustand, dass auch der ehrlichste Reformer, der in abgegriffener Sprache die Neuerung empfiehlt, durch Übernahme des eingeschliffenen Kategorienapparates und der dahinter stehenden schlechten Philosophie die Macht des Bestehenden verstärkt, die er brechen möchte.“
Die Künste haben das schon immer verstanden. Immer wieder sind Künstlerinnen und Künstler auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen – nicht um der Form willen, sondern um der Aussage willen. Es ist also kein Wunder, dass wir künstlerische Neuerungen oft in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche finden. Das eine beflügelt das andere. Manchmal dokumentiert die Kunst solche Veränderungen mehr im Nachhinein, manchmal begleitet sie die Veränderungen parallel mit ihrer eigenen Wandlung - und manchmal eilt sie gleichsam prophetisch voraus.
Dass sie dabei auch immer wieder aneckt, ist nicht verwunderlich. Die Suche nach dem adäquaten Ausdruck, sei es in der Dichtung, der Malerei oder der Bühnenkunst, ist immer auch ein Ringen um Wirklichkeit, Wahrheit und Erkenntnis; um Freiheit des Ausdrucks und Wirkung der Aussage!
Auf solch eine Phase schaut auch diese Ausstellung. Goya, Fragonard, Giovanni Battista und Giovanni Domenico Tiepolo gelten als künstlerische Schlüsselfiguren des 18. Jahrhunderts und als Wegbereiter der Malerei der Moderne.
Die Epoche der Aufklärung war insbesondere gekennzeichnet durch einen Umbruch im Bewusstsein der Menschen: Unter anderem die Denker Kant, Lessing und Herder knüpften die menschliche Autonomie, die Freiheit, an den Gebrauch der Vernunft. "Sapere aude!“ Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, heißt es bei Kant.
Kritikfähigkeit sollte die Menschen dazu befähigen, aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zu entkommen, indem überkommene Wahrheiten und Autoritäten hinterfragt werden. Das Ziel war die Verbesserung der sozialen Verhältnisse, das Wohl der Menschen im Diesseits.
In dieser Zeit also lebten und wirkten die vier Maler, deren Werke in dieser Ausstellung zu sehen sein werden. Sie reagierten mit ihrer Kunst auch auf die weltanschaulichen, politischen und gesellschaftlichen Umbrüche in den jeweiligen Zentren ihres Schaffens – Madrid, Paris und Venedig – sowie darüber hinaus. Dabei waren weder sie selbst noch ihre Werke durchweg politisch motiviert; ihre Werke spiegeln aber das Infragestellen traditioneller Werte wider – beispielsweise der Institution Kirche –, die Verurteilung grausamer, politisch motivierter Kriege und die Hinwendung zum neu entstehenden Bürgertum. Sie zeigen, wie sich Gewissheiten verflüssigen und Traditionen begründungsbedürftig wurden.
Vor allem aber zeichnet sie der Drang nach einer neuen malerischen Ausdrucksweise aus, einer neuen „Sprache“, die den Veränderungen der Welt und ihrer Wahrnehmung gerecht wird. Die vor allen Dingen darauf reagiert, dass der Mensch in der Moderne befreit worden war – dass er nicht mehr nur einen festen Platz auszufüllen hatte, sondern durch sein Handeln Welt gestalten konnte...
Die heute eröffnende Ausstellung „Goya, Fragonard, Tiepolo. Die Freiheit der Malerei“ ist daher nicht einfach nur eine großartige Werkschau weltberühmter Künstler. Sie zeigt beispielhaft, dass die Kraft der Kunst vor allem auch darin begründet ist, dass sie – wie Horkheimer/Adorno es forderten – einem neuen Denken dadurch zur Wirkung verhelfen kann, dass sie eine neue Ausdrucksform dafür findet. Die – auch im Ausstellungstitel beschworene – „Freiheit der Kunst“ hinsichtlich der Wahl ihrer Themen und ihrer Ästhetik, gilt es daher unbedingt zu verteidigen.
Dass wir das heute wieder so offensiv betonen müssen, hat nicht nur mit den Verhältnissen in den Autokratien unseres Planeten zu tun, in denen Künstlerinnen und Künstler zensiert oder gar verfolgt werden. Auch hier in Deutschland gibt es in jüngster Zeit Kräfte, die die Kunstfreiheit einzugrenzen versuchen. Dem müssen wir uns vehement widersetzen.
Meine Damen und Herren,
eine der bekanntesten Arbeiten von Goya heißt „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“. Die Arbeit wird durchaus konträr interpretiert, auch weil das spanische Wort „sueño“ sowohl mit Schlaf als auch mit Traum übersetzt werden kann. Je nachdem sehen die einen in der Darstellung die Abwesenheit der Vernunft, die Gräuel produziert, die anderen den Traum der absolut gesetzten Vernunft, die ebenfalls Unheil anrichtet.
Eine interessante Frage: Kann es zu viel Vernunft geben? Wir wissen, dass ihre fiktionale Übersteigerung in Probleme führt. Die unmenschlichen Auswüchse der technischen Vernunft haben wir im 20. Jahrhundert erleben müssen.
Es kommt also darauf an, die Vernunft richtig zu begreifen. Vernunft ist ja nicht nur Effizienz und Technik, sondern liegt vor allem im Gespräch zwischen vernunftbegabten Bürgerinnen und Bürgern, sie ist kommunikativ und damit lebensweltlich. Sie hat viele Stimmen und muss immer wieder neu bestimmt werden. Nicht durch den Einzelnen, nicht durch Erkenntnismomente, sondern gemeinsam.
Die spanische Kunsthistorikerin Manuela Mena Marqués glaubt daher bei dem in Rede stehenden Bild an eine von Goya gewollte Doppeldeutigkeit des Titels.
In der Radierung erkennt sie eine zeitlose Darstellung für den Zwiespalt zwischen Gefühl und Vernunft und damit für das Bewusstsein des rational-aufgeklärten Menschen der Moderne. Möglicherweise haben wir es aber auch mit einem künstlerischen Selbstbekenntnis zu tun. Goya selbst sagte einmal, „die von der Vernunft verlassene Fantasie erschafft unglaubliche Ungeheuer“. Ungeheuer, die wir überall in seinen Werken finden. Und ganz ehrlich: Die von der Fantasie verlassene Vernunft ist nicht minder schwierig!
Damit wären wir wieder bei der Freiheit der Kunst. Die Freiheit, die notwendig ist, damit die Fiktion in Interaktion gehen kann mit der Realität. Dann ist Kunst welthaltig und dann entfaltet sie eine Wirkmacht, die nachhallt über die Jahrhunderte.
Ich möchte Herrn Professor Klar und seinem Team mit Frau Dr. Pisot, sowie den Unterstützerinnen und Unterstützern der Ausstellung herzlich für diese Ausstellung danken. Sie bildet einen würdigen Abschluss dieses programmatisch reichhaltigen Jahres zum 150. Jubiläum der Hamburger Kunsthalle.
Vielen Dank.