Insbesondere hat bisher London die unangefochtene Rolle als Gerichtsstandort für internationale Prozesse gebührt. Der Brexit gefährdet diese Rolle nun zunehmend. Gerichtsurteile aus Großbritannien könnten ihre Bindungswirkung für das europäische Festland verlieren. So bedauerlich ein Brexit wäre, könnten sich für den Justizstandort Deutschland daraus durchaus substantielle Chancen ergeben. Dies gilt besonders in Bezug auf große internationale Wirtschaftsstreitigkeiten, die bisher vor dem Commercial Court in London verhandelt werden. Fast 50 Prozent aller dort anhängigen Verfahren (jedes Jahr kommen ca. 800 Verfahren hinzu) werden ausschließlich zwischen ausländischen Parteien geführt und zeichnen sich nicht selten durch hohe Streitwerte aus.
Gerade weil auch andere Länder von internationalen Rechtsstreitigkeiten profitieren wollen, ist in den vergangenen Jahren ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Staaten und Standorten bei der Schaffung sogenannter International Commercial Courts entstanden: Dubai, Singapur, Katar, Amsterdam, Brüssel und Paris stehen in Konkurrenz zueinander.
Nun lassen sich auch innerhalb Deutschlands vermehrt Ambitionen erkennen, internationale Schiedsverfahren in die großen Metropolen des Landes zu locken. Der Rechtsstandort Hamburg als internationale Wirtschaftsmetropole ist mit seinen angesehenen Gerichten, einer hervorragenden Anwaltschaft mit vielen auch international operierenden Großkanzleien, exzellenten Notariaten, seinen rechtswissenschaftlichen Ausbildungs- und Forschungsinstitutionen und seinem guten Ruf als deutschem Schiedsgerichtsstandort mit langjähriger Tradition sehr gut aufgestellt.
Ansässig sind unter anderem das Schiedsgericht der Handelskammer Hamburg, das CEAC - Chinese European Arbitration Center -, diverse Branchenschiedsgerichte, darunter das Schiedsgericht des Vereins der Getreidehändler der Hamburger Börse e.V. und das Schiedsgericht des Deutschen Kaffeeverbandes e.V. In der Hansestadt sind auch die „Hamburger Freundschaftliche Arbitrage" oder die German Maritime Arbitration Association zu Hause. Auf der Website der ebenfalls vom Rechtsstandort Hamburg e.V. gegründeten Plattform Dispute Resolution Hamburg (www.dispute-resolution-hamburg.com) finden sich vielfältige Informationen zum Thema Streitschlichtung und den entsprechenden Angeboten Hamburgs in zehn Sprachen.
Mit der anvisierten Einführung von Commercial Courts im staatlichen deutschen Gerichtssystem neben den schon vorhandenen Schiedsgerichtsorganisationen kann ein wichtiger Beitrag zur Stärkung des Rechtsstandorts Deutschland und damit insbesondere Hamburgs als international aufgestellte Stadt im Wettbewerb auch um internationale grenzüberschreitende wirtschaftliche Streitigkeiten geleistet werden. Es ist festzustellen, dass neben den Streitschlichtungsinstrumenten wie Schiedsgerichtsbarkeit und Mediation auch und gerade eine Nachfrage nach gerichtlichen Entscheidungen besteht. Im Zuge des Brexits wird sich die Frage nach der Vollstreckbarkeit gerichtlicher Entscheidungen Londoner Gerichte im Raum der EU stellen. Das stellt eine Chance für konkurrierende Gerichtssysteme dar, gegenüber der bisherigen britischen Vorherrschaft konkurrenzfähiger zu werden. So hat auch Hamburg als einen ersten Schritt englischsprachige Spruchkörper am Landgericht für Streitigkeiten mit internationalem Bezug eingeführt und ist durch die Justizbehörde maßgeblich auf Länderebene an der Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für die Einführung von Commercial Courts im Rahmen des staatlichen Gerichtssystems beteiligt.
Deutschland ist mit der bereits vorhandenen Infrastruktur des Rechtssystems bestens ausgestattet, um anderen Ländern Konkurrenz in Bezug auf die Gründung eines internationalen Schiedsstandorts zu machen und die sich aus dem Brexit ergebenden Chancen zu nutzen. Im internationalen Vergleich kann Deutschland insbesondere mit der hervorragenden Ausbildung der Richterschaft, der Unabhängigkeit und Akzeptanz der Richterinnen und Richter, der guten Kalkulierbarkeit des Prozessrisikos, geringen Verfahrenskosten und einem effizienten Verfahrensablauf punkten. Auch die Lage der Bundesrepublik im Zentrum Europas sowie die gute Verkehrsinfrastruktur fördern den Gerichtsstandort Deutschland.