Von einigen Formen neuer Virusvarianten, wie z.B. B.1.1.7 (Britische Virusvariante) und B.1.351 (Südafrikanische Virusvariante) wird vermutet, dass diese möglicherweise durch eine gesteigerte Übertragbarkeit gekennzeichnet sind. Um herauszufinden, ob neue Virusvarianten in Hamburg vorkommen, ob sie sich schneller verbreiten und womöglich andere Krankheitsverläufe hervorrufen, sind umfangreichere Genomsequenzierungen erforderlich. Verbunden mit der epidemiologischen Analyse der Daten können so die Wirkungen eingeschätzt und zielgerichtete Maßnahmen ergriffen werden. Auch bisher sind diese Untersuchungen schon durchgeführt worden: Das Institut für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene des UKE und die Forschungsgruppe Virus Genomik und Technologieplattform Hochdurchsatzsequenzierung des HPI haben gemeinsam ein sequenzbasiertes SARS-CoV-2-Überwachungs- und Frühwarnsystem entwickelt. Die Plattform baut auf Forschungsarbeiten aus der Virusgenomik auf, die UKE und HPI bereits seit mehreren Jahren in Patientenproben durchführen.
Aufgrund der Corona-Surveillance-Verordnung des Bundes werden nun flächendeckend positive Corona-Befunde näher untersucht: Für die Sequenzierung werden Proben zufällig ausgewählt. Daneben können die Gesundheitsämter eine Genomsequenzierung für sogenannte Verdachtsproben beauftragen, zum Beispiel bei Erkrankungen von Reiserückkehrer*innen, bei besonderen Krankheitsverläufen oder ungewöhnliche Ausbruchsgeschehen.
Mit Unterstützung des Senats werden in den kommenden sechs Monaten circa 4.000 der in Hamburg auftretenden SARS-CoV-2-Fälle sequenziert. Das entspricht bei den bisherigen zu Grunde liegenden Zahlen etwa zehn Prozent der positiv getesteten Fälle aus Hamburg. Eine Sequenzierung dauert in der Regel je nach Fall zwischen fünf und sieben Tagen.
Die Ergebnisse sollen bundesweit anderen Behörden wie dem RKI und den Gesundheitsämtern zur Verfügung gestellt werden. Zusätzlich sollen die Daten aber auch in Forschungsnetzwerke eingespeist werden und für andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zugängig gemacht werden.
Die Sequenzdaten werden mit Hilfe computergestützter Methoden analysiert und anschließend durch ein gemeinsames UKE/HPI-Expert*innenteam bewertet, um frühzeitig die Ausbreitung bereits bekannter, aber auch die Entstehung möglicher neuer Mutationen erkennen zu können.
Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank: „Mehr und umfangreichere Kenntnis über die Virusmutante und deren Verbreitung zu haben, ist ein Schlüssel zum Erfolg im Kampf gegen die Pandemie. Das Universitätsklinikum Eppendorf und das Heinrich-Pette-Institut sind hervorragend dafür aufgestellt und helfen mit ihrer Expertise den Wissenschaftsstandort weiter zu stärken. Es ist ein wichtiges Zeichen, dass Hamburg bei diesem Thema entschieden voran geht: Durch das neue wissenschaftliche Verfahren kann ein Virusgenom auf Grund seines spezifischen genetischen Fingerabdruckes auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene zurückverfolgt werden. Während diese Rückverfolgung am Anfang der Pandemie aufgrund geringerer Diversität der Genome nur begrenzt möglich war, so ist die Diversität der Sequenzen aufgrund fortwährender Mutation des Virus mittlerweile deutlich angestiegen und ermöglicht damit eine effiziente Clusterzuordnung und Nachverfolgung von Infektionsketten. Das hilft uns allen beim Monitoring der nach wie vor dynamischen Infektionslage und auch noch schneller und gezielter reagieren zu können und geeignete Maßnahmen mit allen Beteiligten zu ergreifen.“
Gesundheitssenatorin Dr. Melanie Leonhard: „Viele Fragen rund um die veränderten Corona-Viren sind noch offen. Gleichzeitig sind die Antworten sehr wichtig für die Entscheidungen, die wir in den kommenden Wochen in der Eindämmung der Corona-Pandemie treffen müssen. Deswegen werden die Ergebnisse dieser Untersuchungen in den Behörden und im Rathaus sehr genau angesehen werden. Es ist dafür von großem Vorteil, Expertinnen und Experten in Hamburg als verlässliche Gesprächspartner zu haben.“
Prof. Dr. Martin Aepfelbacher, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene des UKE: „Wir danken Frau Senatorin Fegebank und der Wissenschaftsbehörde für die langjährige Unterstützung der Infektionsforschung im UKE sowie Frau Senatorin Leonhard und der Gesundheitsbehörde für die Kooperation und Unterstützung bei diesem Projekt. Dieses zukunftsweisende Projekt der Coronavirus-Surveillance in Hamburg wurde erst durch die Kooperation zwischen den Behörden, dem HPI und dem UKE möglich gemacht. Die Plattform hilft dabei, die Verbreitungswege des SARS-CoV-2-Erregers in Hamburg nahezu in Echtzeit zu verfolgen.“
Prof. Dr. Adam Grundhoff, Leiter der Abteilung Virus Genomik sowie der Technologieplattform Hochdurchsatzsequenzierung am HPI: „Ich freue mich sehr über die Unterstützung der Stadt Hamburg bei der Realisierung dieses Projektes. Damit wird es uns möglich sein, die Gesundheitsbehörden auch zukünftig aktiv bei der Bekämpfung der Pandemie zu unterstützen. Die enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie den Landesbehörden beim Betrieb der Hamburger Überwachungs- und Frühwarnplattform ist ein großer Vorteil und dürfte bundesweit Vorbildcharakter besitzen.“
Hintergrund
Seit Beginn der Corona-Pandemie haben UKE und HPI mehr als 1.700 SARS-CoV-2-Genome sequenziert und analysiert. Die Sequenzdaten wurden in einem systematischen Querschnitt aller beim UKE eingegangenen SARS-CoV-2-Proben erhoben, um die Viruseinträge in Hamburg zu überwachen, die Ausbreitung von SARS-CoV-2 zu verfolgen und insbesondere die genetischen Veränderungen des Erregers in der Metropolregion genauestens zu beobachten und zu bewerten. Von Hamburger Gesundheitsämtern und -behörden beauftragte Sequenzanalysen konnten darüber hinaus bereits einen wichtigen Beitrag bei der Untersuchung lokaler Ausbrüche in Krankenhäusern, Schulen und Pflegeheimen leisten.
Die Hamburger Virusgenomik-Surveillance-Plattform ist auch bundesweit ein wichtiger Bestandteil der Erhebung von SARS-CoV-2-Sequenzdaten. Die Daten werden entsprechend der Bundesverordnung CorSuRV, die seit dem 18. Januar 2021 in Kraft ist, auch an das Robert Koch Institut (RKI) weitergeleitet. Der Ansatz dieses Projektes beruht darauf, dass die vollständige Sequenz des Virusgenoms eines Ausbruchsstamms bestimmt und in die Landschaft der in Hamburg, Deutschland und weltweit beobachteten Virusgenome eingeordnet wird.
Seit dem Auftreten des ersten Falles in Hamburg im Februar 2020 haben UKE und HPI mit dieser Methodik die Viruseinträge in Hamburg katalogisiert und die Ausbreitung von SARS-CoV-2 in der Metropolregion verfolgt. Bis heute wurden über 1.200 Virusgenome aus allen Phasen der Pandemie sequenziert, analysiert und archiviert
Zuverlässige Beurteilung des Infektionsgeschehens
Fazit der Forschungsgruppe ist, dass die Kombination von zeitnah durchgeführter Genomanalytik und Epidemiologie eine zuverlässige Beurteilung des Infektionsgeschehens erlaubt und die frühzeitige Entscheidungsfindung zur Kontrolle der lokalen Übertragung von SARS-CoV-2 in Hamburg erleichtert.
Um die Ausbreitung von SARS-CoV-2 langfristig kontrollieren zu können, ist neben einer optimalen, gezielten Teststrategie unter Verwendung von PCR-, Antikörper- und Antigen-Tests eine umfassende Surveillance-Strategie von essentieller Bedeutung. Die seit Beginn der Pandemie durch die Gesundheitsämter geleistete Erfassung von Neuinfektionen und Eintragsquellen, sowie die Nachverfolgung von infizierten Personen und deren Kontakten stellen tragende Säulen einer solchen Strategie dar. Sie erfordern jedoch grundsätzlich ein umfängliches Wissen über Personenkontakte und können zudem in exponentiellen Phasen einer Epidemie bzw. Pandemie schnell an Kapazitätsgrenzen stoßen. In diesem Zusammenhang bieten neue Methoden der Genomanalytik ein erhebliches Potential, um
- Infektionscluster retrospektiv aufzuklären, diese Infektionshäufungen präziser zu interpretieren und Infektionstreiber zu identifizieren
- mit konventionellen Methoden nicht erkannte Infektionsketten aufzudecken
- die Wirkung von Containment-Maßnahmen gezielt zu bewerten
- die Virusausbreitung zu überwachen
- Mutationen zu erkennen und auch nach erfolgten Impfungen die Entwicklung des Virus zu verfolgen
- ein Frühwarnsystem zu etablieren
Es ist zu erwarten, dass die Surveillance-Plattform auch für den Zeitraum nach Beginn der Impfungen von großem Nutzen sein wird, u.a. um auftretende Sequenz-Veränderungen hinsichtlich eines Selektionsvorteils durch die mögliche Entstehung von Resistenzmutationen einschätzen zu können.