Begriffserklärungen

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Heinrich Matthaei

(11.10.1889 Hamburg – 14.8.1954)
stellvertretender Schulleiter der Oberschule für Jungen in Barmbek
Josef-Klant-Straße 28 (Wohnadresse 1938)

Hans-Peter de Lorent hat über Heinrich Matthaei ein Portrait verfasst, das in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz. Band. 3. Hamburg 2019 erschienen und im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg erhältlich ist. Hier der Text:  
„Seine Zugehörigkeit zur Partei war für ihn nur eine sich aus seiner Stellung als stellvertretender Schulleiter ergebende Notwendigkeit.“

Eine interessante Personalie in den Entnazifizierungsverfahren war Heinrich Matthaei. Er war der Vetter des langjährigen Hamburger Finanzsenators Dr. Walter Matthaei, der sich 1946 für seinen Verwandten einsetzte. Bemerkenswert sind die Leumundszeugnisse von ehemaligen Kollegen, die behaupteten, dass es innerhalb des Kollegiums eine Absprache gegeben hätte, Matthaei zu bitten, in die NSDAP einzutreten, um ihre Schule zu schützen. Die vorhandenen Unterlagen sollen dazu ausgewertet werden.
Heinrich Matthaei wurde am 11.10.1889 in Hamburg geboren. Leider ist seine Personalakte nicht mehr vorhanden, da sie am 5.7.1984 von der Hamburger Schulbehörde vernichtet wurde.[1] Dieses geschieht in den Fällen, 30 Jahre nachdem ein ehemaliger Mitarbeiter verstorben ist und die jeweilige Person nach Einschätzung der Prüfenden nicht die Bedeutung gehabt hatte, um die Unterlagen im Staatsarchiv aufzubewahren. In diesem Fall hätte es sich gelohnt, die Personalakte zu archivieren. Wie das kurze, dokumentierte Entnazifizierungsverfahren belegt, gab es bei Heinrich Matthaei einige Besonderheiten, die illustrieren, was 1933 in Hamburger Kollegien möglicherweise erörtert wurde.
Anhand der Hamburgischen Lehrerverzeichnisse können die Stationen des Studienrats Heinrich Matthaei rekonstruiert zu werden. So ist er in dem Hamburgischen Lehrerverzeichnis vom Schuljahr 1930–31 zum ersten Mal aufgeführt, ohne Hinweis auf Art und Ort der Ausbildung und das Jahr des Eintritts in den Hamburger Schuldienst. Als Schule war in dem Schuljahr schon das Realgymnasium mit Realschule in Barmbek angegeben.[2]
Über seinen familiären Hintergrund schrieb sein Vetter, Dr. Walter Matthaei, der selbst am 22.12.1874 in Hamburg geboren wurde, die Gelehrtenschule des Johanneums besucht und danach Jura studiert hatte. Seit 1910 gehörte er der Hamburger Bürgerschaft als Abgeordneter an und seit 1919 war er Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei. Matthaei wurde 1921 in den Hamburger Senat gewählt und war in Hamburg langjähriger Finanzsenator. Walter Matthaei war auch einer der Nicht-Nationalsozialisten, die am 8.3.1933 dem Koalitions-Senat angehörten, wenn auch nur für zwei Monate. Er schied am 18.5.1933 wieder aus, als Reichsstatthalter Karl Kaufmann den Senat stramm nationalsozialistisch ausrichtete.[3]
Oberstudienrat Heinrich Matthaei, der am 1.5.1933 der NSDAP beigetreten war, Mitglied in der NSV und dem NSLB seit 1935 war, ebenso des Reichskolonialbundes und der dem Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA) seit 1931 angehörte, war vom Schulsenator des NS-geführten Senats, Karl Witt, im Sommer 1933 zum stellvertretenden Schulleiter der Oberschule für Jungen in Barmbek ernannt worden.[4] Da nach Ende der NS-Herrschaft alle am 1.5.1933 in die NSDAP eingetretenen Beamten entlassen wurden, gehörte auch Heinrich Matthaei zu diesem Kreis. Seine Entlassung war im Namen der Britischen Militärregierung am 26.10.1945 von Senator Heinrich Landahl ausgesprochen worden.[5]
Es begann danach wie in allen anderen Fällen ein intensiver Prozess der Stellungnahmen, Erklärungen und Verhandlungen vor den Entnazifizierungs-Ausschüssen. In diesem Kontext gab auch der ehemalige Senator Walter Matthaei eine eidesstattliche Erklärung ab, die den familiären Hintergrund seines Vetters Heinrich Matthaei beleuchtete:
„Ich erlaube mir, über die Persönlichkeit und die Familie meines Vetters, des Oberstudienrats Dr. Heinrich Matthaei, in vollem Bewusstsein der Bedeutung der eidesstattlichen Erklärung folgendes zu berichten: In der Familie meines Vetters hat von jeher eine christliche und liberale Tradition geherrscht. Zwei seiner Brüder sind Pastoren gewesen, sein Vater, Professor Dr. Adolf Matthaei war ebenfalls Halb-Theologe. Heinrich Matthaei selbst hatte, wie er berichtete, in seiner Jugend enge Freundschaften mit Jungen aus jüdischen Familien, die im Hause seiner Eltern als Pensionäre lebten: der eine war Heinz Enoch aus Hamburg, der andere Theodor Suse, der Sohn eines bekannten Hamburger Rechtsanwalts. Der Vater meines Vetters war auf’s engste befreundet mit dem Juden Dr. Oskar Frankfurter, der Sanskritist und Bibliothekar in Bangkok (Siam) war, und mit Professor Dr. Karl Dissel, dessen Frau eine Schwester des weltbekannten Professor Einstein war. Mein Vetter ist der Kirche stets treu geblieben und hat seinen Sohn christlich erzogen. Er ist trotz seiner äußeren Zugehörigkeit zur NSDAP stets von freisinniger Gesinnung gewesen. Seine Zugehörigkeit zur Partei war für ihn nur eine sich aus seiner Stellung als stellvertretender Schulleiter ergebende Notwendigkeit. Heinrich Matthaei ist niemals in der Partei oder einer Parteiorganisation tätig gewesen. Er hat sich vielmehr, da irgendeine Beschäftigung von ihm verlangt wurde, mit voller Absicht im ,Verein für das Deutschtum im Auslande‘ (VDA) betätigt, der von der Partei unabhängig war, bereits seit 1889 besteht und insbesondere von den demokratischen Regierungen in den Jahren 1918 bis 1933 gefördert worden ist. Er hat auch nie eine braune Uniform getragen.“[6]
Dies könnte nun als „Persilschein“ aus familiärer Verbundenheit gesehen werden, war aber sicherlich von hohem Gewicht. Auffällig ist, dass es noch andere Schreiben gibt von Personen, die eine deutliche antinationalsozialistische Gesinnung hatten und sich für Heinrich Matthaei in ähnlicher Weise verwendeten.
So zum Beispiel Otto Rautenberg (1876–1961), ehemaliger hamburgischer Staatsrat und Senatssyndikus seit 1919, 1936 in den Ruhestand versetzt. Er erklärte:
„Dr. Heinrich Matthaei ist mir seit seiner Geburt bekannt. Seine Mutter steht in einem weitläufigen verwandtschaftlichen Verhältnis zu meiner Familie. Die Eltern haben ihre sieben Kinder streng im festen evangelischen Glauben erzogen, und Matthaei ist diesem treu geblieben. Wenn Matthaei der NSDAP beigetreten ist, so ist das wohl auf Druck geschehen. Innerlich hat er seinen Charakter nicht geändert und ist der alte Idealist geblieben, der er als Akademiker mit humanistischer Bildung vorher gewesen ist. Ob er in der ‚Partei‘ aktiv gewesen ist, weiß ich aus eigener Wissenschaft nicht, bezweifle das aber, da das seinem ganzen Wesen nicht entspricht. Jedenfalls ist er ein Mensch, dem als Angehörigen einer uralten Hamburger Familie ein demokratischer, liberaler Sinn selbstverständlich ist.“[7]
In diesem Fall gab es offenbar auch einen, wenn auch entfernteren, familiären Hintergrund, wobei Rautenberg ein gewichtiger Zeuge war.
Zum Engagement von Heinrich Matthaei an der Oberschule für Jungen in Barmbek und zu seinem Eintritt in die NSDAP gaben drei ehemalige Kollegen der Schule Auskunft, die von sich behaupteten, niemals Mitglied der NSDAP gewesen zu sein. Es waren die Studienräte Dr. Johannes Wilke, Heinrich Harleb und Wilhelm Große, die am 6.9.1946 ebenfalls eidesstattlich berichteten:
„Herr Dr. Heinrich Matthaei war vom Sommer 1933 bis Ostern 1942 stellvertretender Leiter an der Oberschule für Jungen in Barmbek. Zur Übernahme des Postens hatte er sich im April des Jahres 1933 bereit erklärt, als es ihm von dem damaligen Schulleiter Dr. Kaphengst als sein und des Kollegiums Wunsch entgegengebracht wurde, damit die feste Geschlossenheit des Kollegiums und die Tradition der Schule nicht durch Eingreifen der Behörde gestört würde. Als daraufhin der zuständige Oberschulrat von ihm den Eintritt in die NSDAP verlangte, tat er nach seiner durchaus zutreffend erscheinenden Darstellung diesen Schritt, um des erwähnten Zweckes willen, und dieser wurde dadurch auch vollkommen erreicht. Von Ostern 1936 bis Ostern 1938 leitete er einige Jahre hindurch zunächst als Stellvertreter des schwer erkrankten und leidenden Herrn Dr. Kaphengst und nach dessen Tode kommissarisch die Oberschule für Jungen in Barmbek.
Sie verdankt ihm ihr weiteres Aufblühen in erzieherischer und wissenschaftlicher Hinsicht. Er liebte es nicht, viel von sich reden zu machen und der vorgesetzten Behörde durch ‚Paradestücke‘ nach außen auffällige Einrichtungen und Veranstaltungen, die mit der eigentlichen Aufgabe der Schule nichts zu tun haben, in die Augen zu fallen und zu imponieren. Er arbeitete eindringlich, aber schlicht. Er sorgte für Zucht, Ordnung und Disziplin in gutem Sinne, was ihn nicht daran hindert, dass die Schüler sich zu frohen und selbstständigen Charakteren entwickeln, und für strenge und scharfe wissenschaftliche Arbeit, die aber dem Leben nicht entfremdet. Wenn das Kollegium sich durch geschlossene Einigkeit und gemeinsamen Zielwillen auszeichnete, so ist das nicht zuletzt sein Verdienst. Alle verehrten seinen hochanständigen Charakter und seine unbedingte Gerechtigkeit.
So war es für uns alle eine Selbstverständlichkeit, dass er allein als Nachfolger des Herrn Dr. Kaphengst infrage komme, und wir waren sämtlich empört, als er trotz seiner mehrjährigen mühevollen und erfolgreichen Arbeit als Stellvertreter bei der Ernennung des neuen Schulleiters übergangen und an seiner Stelle ein ‚alter Kämpfer‘ auf diesen Posten berufen wurde; wir empfanden diese Behandlung von Herrn Dr. Matthaei als ungerecht, unsachlich und undankbar. Er ertrug diese Missachtung und Nichtanerkennung seiner Verdienste und Leistungen mit Würde. Als aber dann der neue Schulleiter im Gegensatz zu dem geraden vorbildlichen, von gegenseitigem Vertrauen getragenen Verhältnis zwischen Herrn Dr. Kaphengst und Herrn Dr. Matthaei den letzteren als seinen Stellvertreter nie in die jeweiligen schulischen Belange einweihte und sie nie mit ihm besprach und ihn, wenn wohl auch nicht in böswilliger Absicht, als überflüssig betrachtete, zog Dr. Matthaei die Folgerung und bat um seine Versetzung an eine andere Schule, die dann auch von der Schulverwaltung gewährt wurde.
Es sei zum Schluss noch darauf hingewiesen, dass Herr Dr. Matthaei auch sonst nicht die geringsten Vorteile von seiner Parteizugehörigkeit hatte. Ob die nachfolgenden Einzelheiten zur Kenntnis der Partei und der Schulverwaltung gelangten, entzieht sich unserem Wissen, doch darf es angenommen werden. Sie seien hier hinzugefügt, um zu verdeutlichen, dass Herr Dr. Matthaei allerdings der Partei nicht als zuverlässiger und ihrem Willen gefügiger und somit für eine führende Stellung in Frage kommender Pg. gelten konnte. Er wies mehrmals die HJ in die gebührenden Schranken, wenn sie sich in unsere schulischen Angelegenheiten einmischen wollten und leitete auch sonst die Schule, soweit wie möglich, in der guten alten Tradition, auch wenn diese nicht im Einklang mit den Anschauungen der Partei stand. Er behielt die christlichen Andachten zur Eröffnung der neuen Schulwoche bei, und gestaltete Feierlichkeiten, wie zum Beispiel Weihnachten, weiter in christlichem Sinne. Auch war er immer bemüht, die unterrichtlichen Belange so wenig wie möglich unter der nationalsozialistischen Propaganda leiden zu lassen. Als der VDA in die Abhängigkeit von der Partei geriet und so seinem eigentlichen, kulturell-betreuenden Ziel entfremdet und zu pangermanischen Zielen vergewaltigt wurde, die ihm im Grunde ganz wesensfremd sind, sorgte er auch dafür, dass diese der Schule ferngehalten wurden und vor der Schulgemeinschaft keine vom VDA gesandten Redner für diese hetzerischen Ideen eintraten. Dass bei solchen Stellungnahmen Herr Dr. Matthaei niemals die Herren des Kollegiums politisch zwangsweise beeinflusste und die Nicht-Pg‘s nicht benachteiligte oder gar für Ihre Entfernung aus der Schule sorgte, bedarf kaum der Erwähnung.
So sind wir fest davon überzeugt, dass die Entfernung des Herrn Dr. Matthaei von der Schulleitung auf politische Gründe zurückzuführen ist. Wir bekunden ferner aus 20-jähriger genauer Bekanntschaft mit seinen Anschauungen, dass Herr Dr. Matthaei kein überzeugter Militarist ist. Endlich wissen wir aus den Gesprächen in letzter Zeit, dass er sich auf den Boden der neuen Ordnung gestellt hat.“[8]
In einer eigenen Stellungnahme hatte Dr. Johannes Wilke, der von sich behauptete, „niemals Mitglied der NSDAP und stets ein entschiedener Gegner derselben gewesen“ zu sein, erklärt:
„Mir ist aus täglich mit ihm gepflogenen Gesprächen bekannt, dass er nur nach schweren Bedenken im Interesse der Schule der Partei beigetreten ist. Das zu einem Zeitpunkt, in dem er die verhängnisvollen Folgen der sich später entwickelnden Alleinherrschaft der NSDAP nicht übersehen konnte. In der Folgezeit war es ihm ohne Vernichtung seiner bürgerlichen Existenz nicht mehr möglich, den Austritt aus der Partei vorzunehmen.“[9]
Der von Heinrich Matthaei zu seiner Verteidigung hinzugezogene Rechtsanwalt Hans Meyer erstellte auch auf Grundlage der zitierten eidesstattlichen Erklärungen einen Schriftsatz, mit dem er den Einspruch gegen die Entlassung seines Mandanten begründete. Darin hieß es:
„Der Antragsteller war im Jahre 1933 stellvertretender Schulleiter der Oberschule für Jungen in Barmbek, für den die Ernennung zum Schulleiter auch nach Verlautbarungen seiner vorgesetzten Behörde und nach seinem rein fachlichen Können zwangsläufig bevorzustehen schien. Bei den damaligen allerersten Anfängen des nationalsozialistischen Umschwungs in Deutschland liess sich aber die Tragweite der nationalsozialistischen Revolution, vor allem auf rein schulischem Gebiet, nicht voll vorhersehen. Der übergeordnete Dienstvorgesetzte, Oberschulrat Behne, drängte sehr auf eine Einreihung der Lehrerschaft in die NSDAP. Um das weitere Wohl der schulischen Entwicklung besorgt und um vor allem die spezielle Schule vor allen etwaigen behördlichen Eingriffen zu bewahren, beratschlagte das gesamte Lehrerkollegium mit dem Ergebnis, dass ein Mitglied des Kollegiums der Partei beitreten müsse, und zwar am tunlichsten der stellvertretende Schulleiter, der nicht durch persönliches Kranksein behindert, die schulischen Belange am nachdrücklichsten vertreten könne. So trat denn der Antragsteller demzufolge mit dem Stichtag 1. Mai 1933, dem allgemeinen Ansinnen nachgebend, persönlich nur sehr zögernd, vorsorglich in die NSDAP ein, um eine angemessene schulische Betätigung des gesamten Kollegiums und seiner selbst aufrecht erhalten zu können, wie es auch dem allgemeinen Interesse entsprechen müsste.“[10]
Wahr ist, dass Oberschulrat Walter Behne ein überzeugter Nationalsozialist seit 1931 war und in entsprechendem Sinne gewirkt hatte. Die Erklärung des Rechtsanwaltes ist nun aber pointiert und verschweigt, dass durchaus auch andere Mitglieder des Kollegiums und insbesondere der Schulleiter August Kaphengst Parteimitglieder waren oder wurden. Und solche Aussagen führten auch eher zur Skepsis bei den Mitgliedern der Ausschüsse, die für die Entnazifizierung verantwortlich waren.
Ein starkes Argument war sicherlich der Hinweis des Rechtsanwalts, dass Heinrich Matthaei trotz seines schulischen Engagements nicht als Nachfolger des verstorbenen Schulleiters Kaphengst berufen wurde, den er während dessen Krankheit längere Zeit erfolgreich vertreten hatte:
„Wegen seines Ausschlusses von dem Direktorat wegen nicht genügender nationalsozialistischer Zuverlässigkeit und seine demzufolge Versetzung an eine andere Schule, wo er nicht mehr als Oberstudienrat und stellvertretender Schulleiter, sondern nur noch als Studienrat beschäftigt wurde, dürfte der Antragsteller auch wirklich nicht als nationalsozialistischer Nutznießer zu betrachten sein, dagegen weit eher als durch den Nationalsozialismus Geschädigter angesehen werden können.“[11]
Hier trug der Rechtsanwalt wieder eher zu stark auf. Dennoch waren die Reaktionen in den Entnazifizierungsausschüssen positiv. So erklärte der Beratende Ausschuss für das höhere Schulwesen:
„Unser Zeuge, Herr Studienrat Hermann Müller, hat lange Jahre mit Heinrich Matthaei in Barmbek zusammengearbeitet. Er hat dort keinerlei nationalsozialistische Aktivität entfaltet und als Leiter das Lob seiner Kollegen verdient. Seine betont nationale Haltung, die in seiner Tätigkeit im VDA ihren Ausdruck fand, besaß er schon vor 1933. Wir empfehlen eine Milderung des Urteils, und glauben, dass er als Studienrat weiterhin tätig sein kann.“[12]
Wegen der vielen zu behandelnden Fälle zog sich die Entscheidung über einen längeren Zeitraum hin, so dass der Berufungsausschuss 3 für die Ausschaltung von Nationalsozialisten erst am 7.7.1947 eine Entscheidung treffen konnte. Danach wurde der Berufung stattgegeben, „mit der Maßgabe, dass Dr. Matthaei als Studienrat wieder angestellt werden kann“.[13] Matthaei wurde in Kategorie IV eingestuft und in der Begründung hieß es:
„Dr. Walter Matthaei ist durch seinen Eintritt in die Partei im Jahre 1933 und seine langjährige Tätigkeit in VDA, zu denen Zugehörigkeit zu anderen Organisationen hinzukommt, nicht unerheblich belastet. Andererseits muss als Entlastung bewertet werden, dass er in die Partei auf Wunsch seines Kollegiums eingetreten ist. Als Aktivist ist er nach dem persönlichen Eindruck, den der Ausschuss von ihm gewonnen hat, sicherlich nicht zu bezeichnen. Eine Rückstufung in die Stellung eines Studienrates erscheint gleichwohl mit Rücksicht auf seine formale Belastung als geboten.“[14]
Walter Matthaei wurde also wieder als Studienrat eingestellt, aber bereits am 1.4.1949 aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzt.[15]
Er starb am 14.8.1954.[16]
Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen
1 Laut einem Schreiben an mich von der Altregistratur der Behörde für Schule und Berufsbildung vom 3.3.2014. Danach war die Akte von Heinrich Matthaei am 5.7.1984 vernichtet worden.
2 Hamburgische Lehrer-Verzeichnisse für das Schuljahr 1930–1931, herausgegeben von der Gesellschaft der Freunde und vom Verein Hamburger Volksschullehrerinnen, S. 41.
3 Christof Brauers: Die FDP in Hamburg 1945 bis 1953. Start als bürgerliche Linkspartei. München 2007, S. 95.
4 Entnazifizierungsakte Matthaei, StA HH, 221-11_6942
5 Ebd.
6 Eidesstattliche Erklärung vom 28.8.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
7 Erklärung vom 30.8.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
8 Eidesstattliche Berichtformen 6.9.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
9 Erklärung vom 6.9.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
10 Einspruch von Rechtsanwalt Hans Meyer vom 24.9.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
11 Ebd.
12 Beratender Ausschuss vom 19.10.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
13 Berufungsausschuss vom 17.7.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
14 Ebd.
15 Hamburgisches Lehrerverzeichnis Jahrgang 1953/54, herausgegeben von der Gesellschaft der Freunde, S. 62.
16 Nach Auskunft von Sabine Büge, Altregistratur der Behörde für Schule und Berufsbildung in Hamburg vom 3.3.2014.
 

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Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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