Begriffserklärungen

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Gerhard Rieckmann

(15.8.1902 Hamburg – 31.10.1984)
Schulleiter der Volksschule Klinikweg 5, Schulleiter der Senator-Emil-Krause-Schule
Krampstieg 28 (Wohnadresse 1953)

Hans-Peter de Lorent hat über Gerhard Rieckmann ein Portrait verfasst, das in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz. Band. 3. Hamburg 2019 erschienen und im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg erhältlich ist. Hier der Text:  
„Ich selbst hoffte durch meine Mitarbeit die Art und den Ton in der Partei mäßigen zu können. Ich habe diese Haltung als Politischer Leiter wie auch in meinem Beruf als Lehrer und Erzieher stets bewahrt.“
Es gibt einige Schulleiter im Hamburger Bildungswesen, die während der NS-Zeit in Leitungsfunktionen tätig waren und in den 1950er Jahren wieder als Schulleiter berufen wurden. Dazu gehört Gerhard Rieckmann. Auch seine Geschichte zeigt, dass eine wirkliche Entnazifizierung nicht stattgefunden hat, wenngleich er sicherlich nicht zu den besonders Belasteten gehörte. Bemerkenswert ist dennoch, dass er bereits fünf Jahre nach seiner Wiedereinstellung erneut als Schulleiter bestellt werden konnte.
Gerhard Rieckmann wurde am 15.8.1902 in Hamburg als Sohn des Lehrers Georg Rieckmann geboren. Er hatte fünf Geschwister, besuchte von 1909 bis 1918 die Realschule Hamm und wechselte nach der Einjährigen-Prüfung auf das Lehrerseminar Steinhauerdamm , das er von 1919 bis 1924 besuchte. Dort legte er am 12.1.1924 die erste Lehrerprüfung ab. Zu seiner Prüfungskommission gehörten Landesschulrat Umlauf und der reformpädagogische Schulrat Carl Götze. Seit 1927 war Rieckmann an der Schule Imstedt als Hilfslehrer angestellt. Nach der zweiten Lehrerprüfung am 20.6.1928 erfolgte seine Festanstellung als Volksschullehrer.[1]
Gerhard Rieckmann war seit dem 8.12.1928 mit Gertrud Schönwolf verheiratet und unterrichtete nebenberuflich von 1931 bis 1933 an der Volksmusikschule mit 4 bis 5 Stunden Musiklehre und Blockflöte.
Am 10.2.1937 wurde Rieckmann an der Schule Imstedt 20 als stellvertretender Schulleiter berufen, kurze Zeit danach, zum 27.10.1937 zum Schulleiter der Volksschule Klinikweg 5 bestellt, einer Knabenschule mit acht Lehrern und einer Lehrerin.[2] Nicht unerheblich dafür war sicherlich sein Eintritt in die NSDAP zum 1.5.1937 und seine Blockleitertätigkeit, die unmittelbar danach begann.[3]
Am 12.2.1939 war Gerhard Rieckmann für eine dreiwöchige Reichsschulung vom Gauschulungsamt gemeldet worden und seit 1939 war er Ortsgruppenhauptstellenleiter der NSDAP in Bergstedt für den Bereich Schulung.[4]
Gerhard Rieckmann war am 17.8.1938 zum „aktiven Wehrdienst“ für zwei Monate einberufen worden, dann am 15.1.1940 zur Wehrmacht. Am 2.2.1941 wurde er „uk gestellt“ („unabkömmlich“), um ab dem 18.2.1941 die Schulleitung der Schule Lohkoppelstraße 36 zu übernehmen. Seine Personalakte verzeichnet ein Hin und Her: 1942 sollte er vom Reichserziehungsministerium als Schulgebietsbeauftragter für die Ostgebiete eingesetzt werden. Dazu wurde eine fachliche Beurteilung über Gerhard Rieckmann eingefordert, die der vertretungsweise als Schulrat eingesetzte Wilhelm Dressel am 16.6.1942 abgab und in der es hieß:
„Rektor Rieckmann ist ein guter Lehrer und Leiter seiner Schule, die er einwandfrei in Ordnung führt. Zu seinen Lehrkräften steht er in einem angenehmen kameradschaftlichen Verhältnis, Ton und Umgang sind sehr erfreulich. Er ist willig und fleißig und hat in Unterricht und Erziehung sehr gute Erfolge aufzuweisen. Eine Beauftragung in dem vorgeschlagenen Amt kann unter allen Umständen zum mindesten versuchsweise empfohlen werden.“[5] Wobei Obersenatsrat Edens darauf hinwies: „Dadurch, dass bereits über 1300 Hamburger Lehrkräfte sich im Heeresdienst befinden und mehrere 100 in der Kinderlandverschickung eingesetzt sind, besteht für Hamburg ein großer Lehrermangel, sodass die Abgabe ohne Ersatzgestellung nicht befürwortet werden kann.“[6] Daraufhin bat das Büro des Reichsstatthalters in Hamburg das Reichsministerium, „von einer Abordnung des Rektors Gerhard Rieckmann abzusehen“.[7]
Am 12.2.1943 wurde seine uk-Stellung aufgehoben und am 17.4.1943 wurde er als Sanitätsdienst-Unteroffizier wieder zur Wehrmacht eingezogen. Laut Personalakte geriet er am Ende in kurze Kriegsgefangenschaft, aus der er am 22.7.1945 entlassen wurde.[8]
Danach war die Welt bekanntlich erst einmal eine andere. Den für den Schulkreis von Gerhard Rieckmann ehemals verantwortlichen Schulrat Gustav Schmidt, der von den Nationalsozialisten suspendiert worden war, weil er nicht in die NSDAP eintreten wollte, hatte der neue Schulsenator Heinrich Landahl wieder in die Schulbehörde geholt. Er schrieb am 25.6.1945 zur Personalie Gerhard Rieckmann:
„Es bestehen Bedenken gegen die Wiederaufnahme der Schulleitung bei seiner Rückkehr.“[9]
Senator Landahl versetzte Rieckmann am 23.7.1945 unter Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs als Lehrer an die Schule Graudenzer Weg .[10]
Da Gerhard Rieckmann nicht bereits am 1.5.1933 in die NSDAP eingetreten war, er aber durch seine Blockleitertätigkeit und die Funktion des Schulungsverantwortlichen in der Ortsgruppe Bergstedt deutlich belastet war, erfolgte seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis am 22.2.1946.[11]
Am 15.7.1945 hatte Gerhard Rieckmann seinen Entnazifizierungsfragebogen eingereicht, der von Schulrat Gustav Schmidt als Zeuge gegengezeichnet worden war und in dem er auch Themen seiner Vorträge vor „15–20 Politischen Leitern der Ortsgruppe Bergstedt“ von 1939–1940 aufführte, mit den interpretationsmöglichen Themen: „Bevölkerungspolitik und 4000 Jahre Geschichte des europäischen Ostraumes“.[12]
Rieckmann geriet unter Erklärungsnot und verfasste am 8.11.1945 einen ersten Bericht über seine politische Tätigkeit, den er an Schulrat Gustav Schmidt schickte. Darin hieß es:
„Ich habe mich bis 1933 nie politisch betätigt. Meine künstlerischen Neigungen, vor allem auf dem Gebiete der Musik, füllten meine Freizeit neben den Arbeiten für die Schule aus, wobei mich besonders das Studium der Komposition ganz erfüllte. Nach 1933 nahm ich dann gezwungenermaßen trotz starken inneren Widerstrebens an nationalsozialistischen Vorträgen und Schulungslehrgängen teil, die dann durch ihre überzeugende propagandistische Vortragsweise, gestützt auf innen-, und außenpolitische Erfolge, nicht ohne Wirkung auf mich blieben, obgleich ich die Art und den Ton innerhalb des Parteiorganismus ablehnte. Besonders schmerzlich war es für mich, meine musikalischen Arbeiten im Interesse Deutschlands, wie ich damals glaubte, aufgeben zu müssen. Ich trat dann, nachdem die Schulverwaltung eine letzte Aufforderung zum Eintritt und zur Mitarbeit in der NSDAP gegeben hatte, am 1.5.1937 in die Partei ein.“[13]
Zu seiner Tätigkeit als Blockleiter und Schulungsbeauftragter in Bergstedt erklärte Gerhard Rieckmann:
„Da in der Ortsgruppe Bergstedt, der ich angehörte, Beamte grundsätzlich zur Mitarbeit herangezogen wurden, wurde mir das Amt eines Blockleiters übertragen. Ich selbst hoffte durch meine Mitarbeit die Art und den Ton in der Partei mäßigen zu können. Ich habe diese Haltung als politischer Leiter wie auch in meinem Beruf als Lehrer und Erzieher stets bewahrt. Meine Tätigkeit als Blockleiter von Juli 1937 bis zum Oktober 39 bestand darin, monatlich von den Parteigenossen meines Blockes die Mitgliedsbeiträge einzuziehen und dem Zellenleiter abzuliefern, Handzettel aller Art auszuteilen und an Parteiveranstaltungen teilzunehmen. Da es in der Ortsgruppe Bergstedt, damals 1400 Menschen, an geeigneten Männern fehlte, die die Schulung durchführen konnten, wurde ich, da ich als Lehrer als am besten geeignet erachtet wurde, durch den Ortsgruppenleiter mit der Durchführung der Schulung beauftragt. Meine Tätigkeit bestand darin, das zum Vorlesen geeignete vom Gauschulungsamt Hamburg ausgearbeitete Schulungsmaterial in jeweils einem Vortrag im Monat den Politischen Leitern der Ortsgruppe zur Kenntnis zu bringen.“[14]
Rieckmann konnte von Nachbarn Leumundszeugnisse beilegen, die ihn entlasteten mit Sätzen wie: „Unter dem Druck des Naziterrors trat er 1937 der Partei bei und wurde in der Ortsgruppe Bergstedt als Blockleiter und zuletzt als Schulungsleiter eingesetzt. Er war nie Fanatiker und erfreut sich auch heute noch aufgrund seines lauteren Charakters allgemeiner Wertschätzung.“[15]
In einem anderen Schreiben des Nachbarn Elfried Esch vom 2.11.1945 wurde darauf hingewiesen, dass Rieckmann „als erfahrener Pädagoge nicht konform ging mit den Methoden der Nazi-Jugenderziehung (Hitler-Jugend)“. Gerhard Rieckmann selbst hatte unter Anmerkungen in seinem Entnazifizierungsfragebogen handschriftlich angefügt: „Für meine persönliche Einstellung zur Jugenderziehung führe ich an, dass ich mich trotz wiederholter Befehle geweigert habe, meinen Sohn Andrej R. in die Hitlerjugend eintreten zu lassen.“[16]
Schulrat Gustav Schmidt formulierte daraufhin am 8.11.1945 für Senator Heinrich Landahl ein Schreiben an die Britische Militärregierung, in dem es hieß:
„Der Rektor Gerhard Rieckmann ist auf Anordnung der Militärregierung vom 28.9.1945 suspendiert worden, um weitere Ermittlungen anstellen zu können. Die Ermittlungen haben ergeben, dass R. anfangs ein gläubiger Nationalsozialist gewesen ist. Alle laute oder grobe Propaganda hat ihm ferngelegen. Er ist immer behutsam und anständig geblieben. Seine Tätigkeit als Blockleiter beschränkte sich auf untergeordnete mechanische Arbeiten. Zum Schulungsleiter wurde er, weil er Lehrer war, durch die Parteivorgesetzten gezwungen; er hat sich darauf beschränkt, viermal ihm gelieferte Vorträge vorzulesen. Seine Nachbarn bezeugen ihm eine vornehme Gesinnung. Die Schulverwaltung kennt ihn als einen tüchtigen Lehrer mit guten Erfolgen. Er ist durch die Lehren der Zeit kurze Zeit irregeführt worden, hat schon bald den Nationalsozialismus durchschaut und entsprechend gehandelt. Die Schulverwaltung schlägt vor, ihn nicht mehr als Rektor zu verwenden, sondern ihn als Lehrer zu bestätigen.“[17]
Diese erstaunlich positive Stellungnahme unterschrieb Heinrich Landahl sowohl in deutscher und englischer Sprache und gab sie an die Britische Militärregierung am 8.11.1945.[18]
Dies überzeugte offenbar die Britische Militärregierung nicht sofort, das Verfahren dauerte an. Gerhard Rieckmann legte Berufung ein, stellte seinen beruflichen Werdegang noch einmal dar und betonte, wie sehr ihm die Schularbeit und seine parallelen musikalischen Studien am Herzen gelegen hätten.[19]
Gustav Schmidt verfasste an den Prüfungsausschuss 2 noch einmal ein entlastendes Gutachten:
„Anfangs ist R. überzeugter Nationalsozialist gewesen, wenn er auch erst 1937 der Partei beitrat. Er ist jedoch niemals ein Mann gewesen, der durch Propaganda andere Leute bedrängt hat, im Gegenteil konnte man bei ihm sich frei und offen aussprechen. Er ist immer duldsam und bescheiden geblieben. Ich glaube es ihm, dass seine Tätigkeit als Blockleiter in seinem kleinen Wohnort Bergstedt sich auf unwichtige mechanische Arbeit beschränkte. Weil er Lehrer war, wurde er auch in seinem Wohnort als Schulungsleiter herangezogen. Seine Nachbarn bescheinigen ihm, dass er einen unantastbaren Charakter hätte. Seit seiner Entlastung arbeitet R. als Bauhilfsarbeiter.“[20]
Der zuständige Beratende Ausschuss für die Entnazifizierung setzte sich aus Personen zusammen, denen Gerhard Rieckmann persönlich durchaus bekannt war. Und dieser Ausschuss kam zu einer etwas anderen Einschätzung.
Ihm gehörten die Lehrer Wilhelm Siegel und Friedrich Gosau an, die am 25.10.1946 feststellten:
„Gerhard Rieckmann wird recht unterschiedlich beurteilt. Die meisten Beurteiler halten seinen zur Schau getragenen Eifer für echte Überzeugung, einige wenige meinen, darin nur den Beweis erblicken zu können, das R. beruflich ehrgeizige Pläne hatte. Sie sagen ihm auch nach, dass er mit dem Gedanken gespielt hat, nach dem Osten zu gehen, um Schulrat zu werden. Er selber leugnet diese Absicht. Entscheidend dürfte die Tatsache sein, das R. nicht nach dem Osten gegangen ist. Die Frage, ob R. durch seine eifrige Arbeit in der Partei berufliche Förderung erhalten hat, ist kaum zu entscheiden. R. wurde 1937 zum Rektor befördert, aber man kann in dieser Tatsache nicht den Beweis einer parteiseitigen Förderung erblicken, denn die berufliche Qualifizierung liegt fraglos vor. R. fiel 1933, und in den späteren Jahren durch seinen Eifer auf, mit dem er den Anforderungen der Partei nachkam. Seine eigene Darstellung vom 1.7.1946, in der er von seiner ‚feindlichen Haltung’ dem Nationalsozialismus gegenüber spricht, ist durchaus unrichtig. Er hat fraglos der Partei eifrig gedient, ist bis zum örtlichen Schulungsleiter aufgestiegen und war die rechte Hand des Ortsgruppenleiters. Er hat auch eifrig Schulungslager des Lehrerbundes mitgemacht. Als Schulleiter verhielt sich R. durchaus kollegial, sodass es berechtigt ist, zu sagen, er sei beliebt gewesen. Beide Berichterstatter kennen R. in seiner Rektorentätigkeit aus eigenem Erleben, R. vertrat 1942 einige Wochen den Schulleiter der Schule Lohkoppelstraße 36, an der die Unterzeichner dieses Berichtes tätig waren. In diesem Lehrkörper befand sich in der Zeit kein Pg. Es wurde dort sehr offen gesprochen, auch in Gegenwart Rieckmanns. R. gab sich bei diesen Gesprächen naiv-unwissend, wenn ihm Tatsachen über die Praktiken der Partei mitgeteilt wurden. R. kam regelmäßig ins Lehrerzimmer, versuchte aber niemals eine Einrede oder eine Verteidigung der Partei. Hat niemals den Versuch gemacht, ein Gespräch zu verändern, abzubiegen oder diesem Gespräch – etwa durch Fernbleiben oder Fortgehen – auszuweichen. Hat niemals einen Kollegen zur Rede gestellt oder irgendwelche Schwierigkeiten verursacht, obgleich Inhalt und Ton unserer Kritik Anlass genug bot. Ob seine zur Schau getragene ‚naive‘ Haltung seinem Wesen entspricht oder nur gespielt war, ist nicht zu entscheiden.
Seine Haltung als Lehrer den Schülern gegenüber war vorbildlich. Der Inhalt seines Unterrichts war für uns natürlich nicht zu erkennen, weil wir keinen Einblick hatten. Sehr versöhnend ist seine heutige Haltung. Er verrichtet Aufräumungsarbeiten und empfindet diese Arbeit als gerechte Sühne. Er verhält sich also nicht so, wie viele frühere Parteigenossen, die einen willigen Arzt suchen und finden, der sie mit seinem Attest vor diesem Einsatz schützt.
Der Beratende Ausschuss weist darauf hin, dass man R. persönlich keine Vergehen nachsagt, aber allseitig auf seine menschlichen und seine pädagogischen Qualitäten hinweist und schlägt vor, im Hinblick auf seine erhebliche politische Belastung ihm eine Bewährungsfrist von zwei Jahren aufzuerlegen, in denen er sich bei Aufräumungsarbeiten zu betätigen hat, ihm aber dann die Rückkehr in den Lehrberuf zu gestatten unter Ausschluss einer Beförderung in leitende Stellungen auf die Dauer von weiteren 3–5 Jahren.“[21]
Ein vergleichsweise ungewöhnlicher Bericht eines Beratenden Ausschusses in einem Entnazifizierungsverfahren.
Der Berufungsausschuss folgte der Empfehlung und gab am 19.12.1946 der Berufung statt mit der Maßgabe, Rieckmann zum 1.4.1948 wieder als Lehrer zuzulassen und ihn dann mit einer fünfjährigen Beförderungssperre zu belegen. Einerseits belastete es ihn, „die rechte Hand des Ortsgruppenleiters“ gewesen zu sein, andererseits spreche für ihn, „sich trotz seiner Tätigkeit im Kollegenkreis anständig benommen und nie jemand politisch geschädigt“ zu haben.[22]
Am 1.4.1948 wurde Gerhard Rieckmann an der Senator-Emil-Krause-Schule als Lehrer wieder eingestellt und verbeamtet.[23]
Am 8.4.1951 wies Rieckmann darauf hin, dass es aus seiner Sicht nicht nachzuvollziehen sei, nicht wieder in seiner alten Besoldungsgruppe beschäftigt zu werden. Er verwies auf Parallelfälle und setzte damit eine Prüfung innerhalb der Schulbehörde in Gang.
Juristisch war Gerhard Rieckmann in den Status eines Rektors zur Wiederverwendung (z. Wv.) gelangt und er war an der Schule, der er 1948 zugewiesen worden war, seit 1952 als stellvertretender Schulleiter tätig. Der Leitende Ausschuss hatte ihn am 1.6.1952 in die Kategorie V eingestuft und ihm damit Rechtsansprüche gewährt, die die Möglichkeit boten, wieder in eine Schulleitungsfunktion zu gelangen.
Oberschulrat Walter Vonarb schlug dem Personalreferenten im Volkschulbereich, Oberschulrat Karl Hoffmann, am 18.3.1953 vor, nach Teilung der Emil-Krause-Schule Gerhard Rieckmann für einen Teil zum Schulleiter zu bestellen. Er war dafür die Personalakte durchgegangen, stellte die positiven Aussagen über Gerhard Rieckmann zusammen und schrieb abschließend:
„Herr Rieckmann gehört anscheinend zu den nicht sehr zahlreichen früheren Nationalsozialisten, die aus der Entwicklung ernste Konsequenzen gezogen und zu klarer und eindeutig positiver Haltung gefunden haben. Eingehende Rücksprachen mit solchen Kollegen aus der Schule, deren antinationalsozialistische Einstellung während des Dritten Reiches außer Zweifel stehen (unter anderen Herr Lambeck, Herr Eckhoff) haben ergeben, dass sie sich uneingeschränkt zu Herrn Rieckmann bekennen und davon überzeugt sind, dass er nicht nur die notwendigen menschlichen und fachlichen Voraussetzungen für das Amt eines Schulleiters in hohem Maße besitzt, sondern durch die Erkenntnisse seines politischen Irrtums und durch den Missbrauch seines Idealismus und seines guten Willens eine deutliche Vorstellung von dem politischen Auftrag entwickelt hat, den die Schule heute hat und sich innerlich zu ihm bekennt. Unter den befragten Lehrkräften besteht die Auffassung, dass Herr Rieckmann wahrscheinlich das uneingeschränkte Vertrauen fände, wenn die Lehrer aufgefordert werden würden, dazu Stellung zu nehmen, ob sie Herrn Rieckmann für geeignet halten, das Amt des Schulleiters zu bekleiden.“[24]
Im Ergebnis wurde Gerhard Rieckmann für ein Jahr zum Schulleiter auf Probe ernannt. Nach einem Jahr kam die Konferenz am 11.5.1954 zusammen, um über die endgültige Bestellung von Gerhard Rieckmann abzustimmen. Bei der geheimen Wahl erhielt Rieckmann 17 Stimmen bei drei Enthaltungen und einer Nein-Stimme.[25]
Oberschulrat Vonarb legte Oberschulrat Hoffmann das Ergebnis vor und schrieb dazu:
„Herr Rieckmann besitzt die notwendige organisatorische Befähigung, um den reibungslosen Ablauf der Schularbeit sicherzustellen, zeigt im Umgang mit Lehrern und Eltern eine vornehm-ausgleichende Art und hat ein feines Verhältnis zu den Schülern und Schülerinnen. Herr Rieckmann ist um die Fortbildung der an seiner Schule tätigen Junglehrer besorgt und stets und routiniert für neue Fragestellungen aufgeschlossen. Trotz der Weite seiner Einstellung lässt er es nicht an Genauigkeit und Konsequenz fehlen. Er ist für die notwendige Verwaltungsarbeit ebenso geeignet wie für die pädagogische Führungsaufgabe, die eine Schulleitung bedeutet.“[26]
Rieckmann wurde mit Zustimmung des Betriebsrates endgültig zum Schulleiter bestellt.[27]
Es schloss sich ein Kreis, Gerhard Rieckmann arbeitete erfolgreich als Schulleiter, bemühte sich insbesondere um die Betreuung der Junglehrer und wurde von seinem Schulleiterkollegium gebeten, „als Prüfungskommissar bei zweiten Lehrerprüfungen mitzuwirken“.[28]
Gerhard Rieckmann wurde am 6.9.1967 pensioniert.
Er starb am 31.10.1984.[29]
Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen
1 Personalakte Rieckmann, StA HH, 361-3_A 2410
2 Personalakte a. a. O.
3 Laut Entnazifizierungsakte Rieckmann, StA HH, 221-11_Ed 5109
4 Personalakte a. a. O.
5 Fachliche Beurteilung vom 16.6.1942, Personalakte a. a. O.
6 Vermerk vom 4.8.1942, Personalakte a. a. O.
7 Schreiben vom 25.8.1942, Personalakte a. a. O.
8 Personalakte a. a. O.
9 Personalakte a. a. O.
10 Personalakte a. a. O.
11 Personalakte a. a. O.
12 Entnazifizierungsfragebogen vom 15.7.1945, Entnazifizierungsakte a. a. O.
13 Schreiben vom 8.11.1945, Personalakte a. a. O.
14 Ebd.
15 Schreiben von Horst Berger vom 5.11.1945, Personalakte a. a. O.
16 Schreiben vom 2.11.1945, Personalakte a. a. O.
17 Entnazifizierungsfragebogen vom 15.7.1945, Entnazifizierungsakte a. a. O.
18 Personalakte a. a. O.
19 Schreiben vom 1.7.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
20 Gutachten von Gustav Schmidt vom 22.7.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
21 Bericht des Beratenden Ausschusses vom 25.10.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
22 Berufungsausschuss vom 19.12.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
23 Personalakte a. a. O.
24 Schreiben vom 18.3.1953, Personalakte a. a. O.
25 Konferenzprotokoll vom 11.5.1954, Personalakte a. a. O.
26 Vermerk vom 18.5.1954, Personalakte a. a. O.
27 Einverständnis am 26.5.1954, Personalakte a. a. O.
28 Schreiben des Landesschulrates i.V. zu Rieckmanns 70. Geburtstag vom 15.8.1972, Personalakte a. a. O.
29 Personalakte.
 

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Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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