Begriffserklärungen

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Felix Schmidt

(23.5.1887 Altona – 20.2.1965)
Schulleiter der Oberschule Barmbek, Vorsitzender der Vereinigung Quickborn
Inselstraße 18 (Wohnadresse 1955)

Hans-Peter de Lorent hat über Felix Schmidt ein Portrait verfasst, das in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz. Band. 3. Hamburg 2019 erschienen und im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg erhältlich ist. Hier der Text:  
„Ich klebe nicht an meinem Direktorenposten, den ich übrigens nicht der NSDAP zu verdanken habe, und kann auch mich nicht, trotz allem was ich inzwischen erfahren habe (auch von Nationalsozialisten), im Handumdrehen zu einer ganz anderen Weltanschauung bekennen.“
Zu den Personen im Hamburger Bildungsbereich, die schon früh in die NSDAP eingetreten waren (1931) und die nach Beginn der NS-Herrschaft sowohl im Schulbereich Karriere machten als auch im Rahmen der niederdeutschen Bewegung in führende Positionen gelangten, gehörte Felix Schmidt. Er war der Neffe des Altonaer Lehrers und Schriftsteller Otto Ernst (Schmidt), der sich 1912 einmal für dessen Einstellung bei der Schulverwaltung verwendete.
Felix Schmidt wurde als „Alter Kämpfer“ der NSDAP politisch protegiert. Aufschlussreich sind manche Facetten in seinem Entnazifizierungsverfahren.
Felix Schmidt wurde am 23.5.1887 in Altona geboren. Er war Neffe des Lehrers und Schriftstellers Otto Ernst Schmidt, der unter dem Namen Otto Ernst bekannt geworden war durch die 1905 erschienene Kindheitsgeschichte seiner Tochter Senta-Regina Möller-Ernst, genannt „Appelschnut“. Otto Ernst (1861–1926) war durchaus anerkannt in der reformpädagogisch orientierten „Gesellschaft der Freunde“, in der sein populäres Theaterstück „Flachsmann als Erzieher“ aus dem Jahre 1900 sehr geschätzt wurde.[1]
Felix Schmidt besuchte in Altona die Realschule und das Gymnasium und studierte nach der Reifeprüfung 1907 an den Universitäten Marburg, München, Berlin und Kiel Deutsch und Englisch.[2]
Nachdem Felix Schmidt 1912 das erste Staatsexamen abgelegt hatte, verwendete sich sein Onkel Otto Ernst für ihn und sprach als prominenter Schriftsteller und Lehrer am 10.12.1912 beim „hochgeehrten Herrn Schulrat“ vor, um die Einstellungsmöglichkeiten seines Neffen zu eruieren.[3]
Das Probejahr absolvierte Felix Schmidt 1914 an der Oberrealschule vor dem Holstentor. Anschließend erhielt er eine Anstellung an der Realschule Weidenstieg . Im August 1915 zog Felix Schmidt in den Ersten Weltkrieg, in dem er am 9.4.1918 in Flandern schwer verwundet wurde und den er als Reserveoffizier, abermals schwer verwundet, erst am 31.3.1919 beendete.[4]
Felix Schmidt wurde 1921 der Realschule Rothenburgsort zugewiesen und unterrichtete dort Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch. Er heiratete am 15.7.1929 und bekam mit seiner Frau drei Kinder.[5] Sein 1930 geborener Sohn wurde auf den Namen Adolf getauft.[6] Das kann Zufall sein. Allerdings trat Felix Schmidt am 1.10.1931 in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer 681.705)[7] und somit erscheint es durchaus nicht abwegig, dass diese Namensgebung einem politischen Bekenntnis entsprach. Schmidt trat in den NSLB bereits 1932 ein, später wurde er auch Mitglied der SA (1937).[8]
Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten trat Felix Schmidt auf zwei Ebenen in Erscheinung. Auf der Liste der neuen Schulleitungen vom 10.7.1933 war er als stellvertretender Schulleiter der Realschule Rothenburgsort vermerkt.[9]
Er war Stellvertreter des in den Zeiten der Selbstverwaltung seit 1930 gewählten Schulleiters, August Wulff, der zum 1.5.1933 in die NSDAP eingetreten war und vorerst als Schulleiter weiter an der Realschule Rothenburgsort fungierte.[10]
Als die Nationalsozialisten in den Leitungsstellen der höheren Schulen ein Revirement vornahmen und August Wulff an eine andere Schule erst einmal als stellvertretender Schulleiter versetzt wurde, war der Weg für Felix Schmidt frei. August Wulff schrieb später dazu:
„Im Oktober 1934 musste ich mein Amt als Schulleiter an ein altes Parteimitglied, das dem Lehrkörper angehörte, abtreten.“[11]
Es scheint so, als habe sich Felix Schmidt in der NS-Zeit auf seine politische und ehrenamtliche Arbeit in der niederdeutschen Kultur konzentriert. Dazu habe ich in diesem Band in den Biografien Heinrich Behnken und Alexander Strempel, die eng mit Felix Schmidt zusammenarbeiteten, einiges geschrieben. Einen guten Überblick dazu gibt der von Kay Dohnke, Norbert Hopster und Jan Wirrer herausgegebene Band: „Niederdeutsch im Nationalsozialismus. Studien zur Rolle regionaler Kultur im Faschismus“.[12]
Darin wird zusammengefasst:
„Das Bestreben der Niederdeutschen Bewegung, eine geschlossene Kulturfront zu bilden und dadurch eine – vermeintlich vormals innegehabte – Bedeutung für die Allgemeinheit zurückzugewinnen, erschien manchen Funktionären nach 1933 alsbald realisierbar.
Schon im Frühjahr 1933 gelang es dem 1929 gegründeten radikal-rassistischen Kampfbund für deutsche Kultur Alfred Rosenbergs, die Vereinigung Quickborn zum Instrument der von ihm geplanten Gleichschaltung aller niederdeutschen Vereinigungen und Verbände zu machen. Der bis dahin amtierende Vorsitzende Hans Böttcher wurde vom Kampfbund – vor allem in der Person seines Hamburger Landesleiters und Parteigenossen Heinrich Haselmayer – durch den Pg. Felix Schmidt ersetzt.“[13]
Felix Schmidt spielte in diesem Zusammenhang aufgrund seiner frühen Parteimitgliedschaft eine führende Rolle und hatte in der „Vereinigung Niederdeutsches Hamburg“ engen Kontakt zu deren Vorsitzendem, dem NS-Senator Wilhelm von Allwörden, der auch einige Jahre als Senator für den Kultur- und Schulbereich fungierte.[14]
Durch seinen Status als „Alter Kämpfer“, den er durch seine NSDAP-Mitgliedschaft seit 1931 hatte, konnte Felix Schmidt sich auch in einem Schreiben des Ausschusses für niederdeutsche Kultur vom 11.4.1933 für die Vereinigung Quickborn und die Fehrs-Gilde an den Reichskanzler Adolf Hitler wenden:
„Die niederdeutsche Kultur, insbesondere die plattdeutsche Sprache, hat bewiesen, dass sie hingebungsvoller Pflege wert ist; denn das Plattdeutsche, die bodenständige Sprache der Bauern und Tagelöhner, Handwerker, Schiffer, Fischer und Seeleute, hat einen schützenden Wall gegen zersetzende Einflüsse jeglicher Art gebildet, hat sich im Grenzkampfe als gefürchtete Waffe gegen die Dänen, wie sie selbst bekennen, und neuerdings auch gegen die Polen erwiesen und hat die Bevölkerung der rein plattdeutschen Gebiete – so in Schleswig- Holstein, Oldenburg, Ostfriesland – dem Gedanken der nationalen Bewegung aufgeschlossen, so dass sie hier am frühesten über die absolute Mehrheit verfügten.
Ferner hat die Pflege der niederdeutschen wie jeder landschaftlichen Kultur die gesamte deutsche Kultur gestärkt, denn der Weg zu Deutschland führt nur über die Heimat.
Aus diesen Gründen wendet sich der Niederdeutsche Ring mit einer Eingabe an den Herrn Reichsminister Dr. Goebbels, die beizufügen wir uns gestatten. Wir bitten nun den Herrn Reichskanzler, die zuständigen Stellen anzuweisen, dass sie die niederdeutschen Stämme nachdrücklich unterstützen und fördern in ihrem Streben, eigene Art und Sprache zu erhalten auf allen Gebieten geistigen Lebens, in Kirche und Schule, Presse, Rundfunk, Bühne, Wissenschaft und Kunst.“[15]
Neben Felix Schmidt unterschrieben noch Alexander Strempel und zwei Vertreter der Fehrs-Gilde.[16]
Felix Schmidt fand auch die Unterstützung des fanatischen Nationalsozialisten und Trägers des Goldenen Parteiabzeichens (Mitgliedsnummer unter 100.000), Heinrich Haselmayer, der Leiter der Volkshochschule geworden und Führer des Kampfbundes für Deutsche Kultur war.[17] Haselmayer bescheinigte am 13.5.1933: „Pg. Felix Schmidt, der Vorsitzende der Vereinigung Quickborn, ist mit dem Referat für die niederdeutsche Bewegung innerhalb des Kampfbundes für Deutsche Kultur beauftragt worden und hat den Auftrag erhalten, die gesamte niederdeutsche Bewegung gleichzuschalten und zusammenzufassen.“[18]
Felix Schmidt hatte ein gutes Einvernehmen mit der nationalsozialistischen Funktionselite. Am 9.7.1941 schrieb er an den neuen starken Mann in der Schulverwaltung im Bereich der höheren Schulen, Oberschulrat Albert Henze[19]:
„Hiermit bitte ich, die Ferien für mich auf vier Wochen zu verlängern. Wir haben Unterkunft in Thüringen gefunden. Meine beiden kleinen Töchter sind aber wegen der Luftgefahr in Danzig. Ich will nun meine Töchter aus Danzig holen und nach Thüringen bringen, um sie am Ende der Ferien nach Danzig zurückzubringen. Die Ferien kann ich sowieso nur zum Teil der Erholung widmen, da ich als Nichtfachmann fünf Lateinstunden übernommen habe (davon drei Überstunden) und ich mich auf dieses neue Fach vorbereiten muss. Außerdem werde ich Portugiesisch wiederholen, um mich im September oder Oktober der vierten Dolmetscherprüfung zu unterziehen. Ich komme mit der Bitte erst jetzt, da wir meine beiden Kleinen (acht bzw. drei Jahre) zunächst mit der NSV nach Thüringen schicken wollten. Bei den heutigen Umständen ist uns das aber zu unsicher. Eine anderweitige Beschäftigung kommt für mich wohl nicht infrage, weil ich in Hamburg zurückgekommenen Schülern der Klasse 8 Förderunterricht in Deutsch, Latein und Französisch geben will.“[20]
Felix Schmidt war seit dem 1.4.1938 Schulleiter der Oberschule Barmbek.[21] Er zeigte sich in dem zitierten Schreiben als engagierter und sprachlich vielfach qualifizierter Pädagoge. Als Neusprachler konnte er auch noch Englisch und Spanisch unterrichten und erlernte in den nächsten Jahren noch weitere Sprachen.
Der Krieg holte aber auch Felix Schmidt ein. Beim Versuch, eine Brandbombe auf dem Grundstück seines privaten Hauses zu löschen, hatte er sich am 27.7.1942 schwer verletzt. Er brauchte ein halbes Jahr, um sich davon wieder zu erholen und teilte der Schulverwaltung zudem am 5.3.1943 mit, dass seine Mutter im Oktober 1940 bei einem Luftangriff in Ottensen getötet worden war.[22]
Wie gravierend die Verletzungen des Oberstudiendirektors Felix Schmidt waren, berichtete sein Vertreter der Schulverwaltung am 15.11.1942:
„Zu beiliegendem ärztlichen Attest wird ergänzend mitgeteilt, dass Pg. Schmidt sich nach den schweren Verletzungen am 27.7.1942, (Schnittwunden an Stirn, Nase, Augenlid und Oberlippe mit Verlust mehrerer Zähne, Schädelbruch und Nervenschock, Bruch beider Arme, des linken Mittelfingers und Handgelenkes, Schlagaderverletzung, Prellungen an den Beinen) auf dem Wege der Besserung befindet. Die linke Hand ist allerdings trotz dauernder Behandlung noch wenig beweglich, und bei seinem ersten kurzen Besuch in der Schule am 4. November und einer persönlichen Unterhaltung vor einigen Tagen war ihm die nervöse Erschöpfung nach kurzer geistiger Anspannung trotz äußerlich erfreulich guten Aussehens deutlich anzumerken. Er soll noch nach Fertigstellung des Zahnersatzes einen mehrwöchigen Sanatoriumsaufenthalt in Braunlage nehmen.“[23]
Die wirklichen Schwierigkeiten begannen für Felix Schmidt aber nach Ende der NS-Herrschaft. Am 20.6.1945 erhielt er seine Entlassung durch Schulsenator Heinrich Landahl.[24]
Am 14.7.1945 schrieb Felix Schmidt an die Schulverwaltung mit Absender der Oberschule Barmbek in der Osterbeckstraße 107. Dabei wählte er einen ungewöhnlichen Einstieg:
„Da ich durch einen Kollegen erfahren habe, dass man gegen seine Entlassung Einspruch erheben kann, gestatte ich mir, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Ich klebe nicht an meinem Direktorenposten, den ich übrigens nicht der NSDAP zu verdanken habe, und kann auch mich nicht, trotz allem was ich inzwischen erfahren habe, (auch von Nationalsozialisten) im Handumdrehen zu einer ganz anderen Weltanschauung bekennen, aber ich muss darauf hinweisen, dass ich nicht nur keine Grausamkeiten begangen habe, sondern im Gegenteil, soweit ich konnte, den Andersdenkenden geholfen habe, bei denen ich eine ehrliche Überzeugung voraussetzte. Den Untergebenen, die nicht in die NSDAP eintreten konnten oder wollten (wegen einer nichtarischen Frau, Zugehörigkeit zu einer Loge usw.) habe ich dasselbe Wohlwollen bewiesen wie den anderen. Dazu gehört auch, dass ich keinerlei Druck für den Eintritt in die Partei ausgeübt habe und mir auch abweichende politische Meinungen ruhig angehört habe, sowie ich auch immer frei meine Meinung geäußert habe.“[25]
Felix Schmidt gab einige Personen an, die dies bestätigen könnten, unter anderem auch Alexander Strempel.
Schmidt hatte wohl die realistische Einschätzung, dass er als alter Parteigenosse stark belastet war. Er bat darum, „mich mit meiner Pension in den Ruhestand zu versetzen, was sich auch aus gesundheitlichen Gründen rechtfertigen ließe, da auch meine Hörfähigkeit gelitten hat. Erwähnen darf ich wohl noch, dass ich 58 Jahre alt bin, 1942 beim freiwilligen Löschen von Brandbomben schwer verwundet worden bin, sodass ich noch nicht meine frühere Arbeitskraft wieder erlangt habe, mir Ende April beim Volkssturm ein Herz- und Gefäßleiden zugezogen habe und noch drei schulpflichtige Kinder zu versorgen habe, derentwegen ich hauptsächlich diesen Einspruch erhebe.“[26]
Auch seine Frau schrieb mit der Unterschrift, „Frau Felix Schmidt“, am selben Tag handschriftlich an Senator Landahl, aus „schwerer Not und Sorge um meine Kinder“. „Dass er früh in die Partei eintrat, beweist nur, dass er an Deutschland glaubte und diesem Glauben treu blieb. Er hat sich geirrt in seinem Glauben. Ist das Schuld? Wenn nun aber diese ‚Nazis‘ ausgerottet werden müssen, weil viele besonders auch viel später einige 120-prozentige Verbrechen begangen haben, warum aber wir Frauen und Kinder mit, die nicht der Partei angehörten? In einem demokratischen Staat haben wir Frauen auch Rechte. Ich habe mich nie politisch betätigt, nicht einmal meinen Jungen (15-jährig) angehalten, in die HJ zu gehen, in die er ungern ging, weil sie ihm nichts bot.“ Und sie schrieb: „Ich hasste die Partei nicht, wohl aber die vielen Zwangsmaßnahmen und Übertreibungen und merkte eher als mein Mann, dass wir betrogen wurden. Mein Mann kam uns manchmal vor wie ein Kind, das unerschütterlich an den Weihnachtsmann glaubt. Nun ist der Zusammenbruch umso furchtbarer für ihn. Meinen Mann politisch beeinflussen war mir nicht möglich. Ich mochte keine Politik im Hause haben, außerdem lassen sich auch die wenigsten Männer von ihren Frauen beeinflussen. Wir haben keine Schuld an dem politischen Treiben unserer Männer.“[27]
Heinrich Landahl vermerkte auf dem Schreiben an OSR Schröder, „mit der Bitte um Bericht. Wie steht es mit eventueller Versorgung?“[28]
Schon früh hatte Felix Schmidt seinen Fragebogen mit einem Schreiben an OSR Karl Züge eingereicht, der sein ehemaliger Vorsitzender im Hamburger Philologenverein gewesen war und der selbst zum 1.5.1933 der NSDAP beitrat und Oberschulrat für die höheren Schulen geworden war.[29]
Schmidt schrieb: „Es ist mir klar, dass ich nicht Schulleiter bleiben kann, wenn ich natürlich auch nicht mehr die Ansichten habe wie früher. Als Lehrer möchte ich auch nur in den Fächern unterrichten, die man rein oder vorwiegend wissenschaftlich betreiben kann, zum Beispiel in den alten Sprachen und in der Mathematik. Ich bitte deshalb, mich in diesen Fächern weiter unterrichten zu lassen oder mich mit meiner Pension in den Ruhestand zu versetzen.“[30]
In Ergänzung zu seinem Entnazifizierungfragebogen hatte Felix Schmidt noch angegeben:
„Keine Veröffentlichungen politischer Natur. Ansprachen in meiner Eigenschaft als Schulleiter. Gelegentliche Vorträge als Politischer Leiter oder in der SA über geschichtliche und auslandskundliche Themen (zum Beispiel Geschichte Elsass-Lothringen, englisches Schulwesen, Paris, Karl der Große) und über Erblichkeit.“[31]
Da Felix Schmidt selbst angegeben hatte, Politischer Leiter gewesen zu sein und Mitglied der NSDAP seit 1931, überprüfte die Hamburger Kriminalpolizei seinen eingereichten Fragebogen und kam am 19.12.1945 zu folgendem Bericht:
„Schmidt gibt zu, am 1.10.1931 in die Partei eingetreten zu sein. Als Grund seines so frühen Eintritts in die Partei gibt er folgendes an: Von 1924–1930 war Schmidt Mitglied der Volkspartei, aus der er dann 1930 infolge Meinungsverschiedenheiten ausgetreten ist. Nach seiner Überzeugung gab es nur zwei Parteien, die die Macht erringen konnten: KPD oder NSDAP. Er entschied sich dann der Nazipartei beizutreten. Als Idealist und aus Überzeugung trat er 1932 dem Korps der Politischen Leiter bei. Ab 1936 übernahm er den Posten eines Zellenleiters.
Von 1937–1945 war Schmidt in der SA und betreute ca. ein Jahr den Posten als Sturmpressewart.
NSLB 1932–1945, keine Ämter. NSV 1934–1945 keine Ämter. VDA 1938–1945.“[32]
Am 4.7.1946 legte Felix Schmidt Einspruch gegen seine pensionslose Entlassung ein. Seinen Parteieintritt 1931 begründete er damit, dass er „in dieser Partei die einzige Möglichkeit sah, aus der schlimmen Lage, in der wir uns schon damals befanden, wieder herauszukommen, nicht weil ich mit all ihren Grundsätzen, vor allem mit der Unterdrückung der Meinungsfreiheit, einverstanden gewesen wäre; auch trat diese Sache, wie so manches andere, damals noch nicht so klar hervor, wenigstens in meinem Beruf. Ich habe mir den Mund auch so leicht nicht stopfen lassen, auch nicht von dem stellvertretenden Gauleiter Harry Henningsen. Vor 1933 herrschte ein schönerer, opferwilligerer Geist, der Anteil der Idealisten war entschieden größer, nach meiner Meinung besonders bei den einfacheren Parteigenossen, und an Entschlossenheit ließen sie sich von niemand übertreffen.“[33]
Schmidt behauptete immer wieder, keine Vorteile von seiner Parteimitgliedschaft gehabt zu haben. Wobei es auf der Hand liegt, dass seine Funktion als Oberstudiendirektor auf seine frühe Parteizugehörigkeit zurückzuführen war.
Felix Schmidt schrieb weiter: „Ich habe wohl kaum Feinde außer zwei Lehrern, gegen die ich wegen mangelnden Arbeitseifers vorgehen musste, und vielleicht den ein oder anderen, den ich lieber als andere Kollegen an eine andere Anstalt habe versetzen lassen.“[34]
Dieser Hinweis war am Seitenrand von Lesern des Schreibens angestrichen worden, ebenso wie die Aussage:
„Wenn man sagt, die Nationalsozialisten hätten es nicht besser getrieben, so ist das wirklich nicht Schuld meiner Kinder, nicht einmal die meinige. Man soll ja schließlich auch nicht die Fehler der Nationalsozialisten wiederholen, und was die Beamten angeht, so hat die NSDAP die meisten ihrer Gegner im Amt belassen und von den anderen den größten Teil pensioniert. Auch die Kinder der Nichtnationalsozialisten werden durch diese Verfolgung ihrer doch unschuldigen Kameraden nicht für die Demokratie gewonnen werden. Ein ehemaliger Schüler erklärte mir, dass die Jugend nicht in die politischen Parteien eintrete, damit man ihnen nicht in 5–10 Jahren sage: ‚Das war die größte Dummheit deines Lebens.‘“[35]
Und auch bei folgender Aussage wundert man sich über das mangelnde Reflexionsvermögen von Felix Schmidt: „Wie der Kriminalpolizei gegenüber, möchte ich auch hier erklären, dass ich es ablehne, Größen und Einrichtungen der Vergangenheit zu schmälern, um mir Erleichterung zu verschaffen. Die Polizei schien dafür Verständnis zu haben. Ich habe auch nach dem Sturz des Kaisertums dieses nicht geschmälert, obwohl ich schon in meiner Schulzeit als Republikaner verrufen war. Ich möchte aber auch an dieser Stelle die Hoffnung aussprechen, dass ich mit derselben Großzügigkeit behandelt werde, wie ich während der Diktatur meine politischen Gegner behandelt habe. Man wird ja auch in der Demokratie aufrechte Männer gebrauchen.“[36]
Schmidt konnte einige Leumundszeugnisse vorweisen, so von der Lehrerin Ella Hayungs, die bezeugte, dass sie sich 1937 von der „vorgesetzten Behörde stark bedrängt sah“, in die Partei einzutreten. Schulleiter Schmidt hätte ihr, „wegen meiner gegensätzlichen Einstellung von diesem Schritt“ abgeraten.[37]
Auch der Sozialdemokrat Edmund Hoehne, der mit einer Halbjüdin verheiratet gewesen war und während der NS-Zeit (1933–36) „wenig verkappte Satiren auf das Nazitum im ‚Simplizissimus‘ veröffentlichte“, sei von Schulleiter Schmidt geschützt worden, der von beidem gewusst habe.[38]
Das alles konnte den Beratenden Ausschuss für das höhere Schulwesen nicht überzeugen, der einen guten Überblick über die Situation an den höheren Schulen hatte und über Felix Schmidt urteilte:
„Er ist aus Überzeugung schon 1931 in die NSDAP eingetreten. An der von ihm später geleiteten Oberschule in Barmbek herrschte ein stures nationalsozialistisches Regime.“[39]
Felix Schmidt war weiterhin verzweifelt und hatte Schwierigkeiten, die fünfköpfige Familie zu ernähren. Er legte am 14.2.1947 Berufung dagegen ein, ohne Pension in den Ruhestand geschickt worden zu sein. Er verwies auf die Schicksalsschläge und Krankheiten in der Familie.[40]
Erst der Berufungsausschuss 3 unter Leitung des für Milde bekannten Vorsitzenden Dr. Wilhelm Kiesselbach[41] änderte die Situation. Der Ausschuss gab der Berufung statt und pensionierte Felix Schmidt mit 50 Prozent der Pension eines Studienrates und stufte ihn in Kategorie IV ein. In der Begründung wurde insbesondere die Erklärung von Edmund Hoehne stark gewichtet. Auch andere Leumundszeugnisse hätten ergeben, dass Schmidt trotz früher NSDAP-Mitgliedschaft „ein anständiger Mann“ gewesen sei.[42]
Felix Schmidt fühlte sich durch den Spruch des Berufungsausschusses ermutigt und forderte noch einmal, doch wenigstens Privatunterricht geben zu dürfen. Er behauptete nach wie vor: „Die Nationalsozialisten haben dieses doch den wenigen Lehrern erlaubt, die 1933 entlassen wurden und meistens gleich oder nach kurzer Zeit ein Ruhegehalt erhielten. Auch sonst konnten sie ihre geistigen Fähigkeiten verwerten, zum Beispiel im Verlagsbuchhandel.“[43] Damit spielte Felix Schmidt auf die Tätigkeit von Heinrich Landahl an, nachdem der 1934 vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden war und Schmidt zeigte, dass er über das Ausmaß nationalsozialistischer „Säuberungen“ nicht informiert war.
Er mobilisierte jetzt noch einmal weitere Leumundsbekundungen. So etwa von Alexander Strempel, der mit ihm zusammen in der Vereinigung Quickborn gearbeitet hatte und der beispielsweise das Schreiben an Adolf Hitler mit unterzeichnet hatte. Strempel schrieb am 11.3.1948, es sei insbesondere Felix Schmidt gewesen, der als Vorsitzender des Quickborn gegen die Absicht der Nationalsozialisten dazu beigetragen hatte, den Quickborn zu erhalten. Strempel bezeugte auch, dass sich Schmidt für die jüdische Germanistin Agathe Lasch[44] eingesetzt habe und dass Schmidt ihn, Strempel, gegen den NS-Aktivisten Prof. Hans Teske in Schutz genommen habe.
Ich habe in der Biografie von Alexander Strempel dargestellt, dass ich ihn selbst auch für belastet und insofern seine Leumundszeugnisse für begrenzt gewichtig halte.[45]
Der Beratende Ausschuss unter Vorsitz von Johann Helbig musste sich am 20.4.1949 erneut mit dem Fall Felix Schmidt befassen und stellte fest, dass dieser nach erneuter Anhörung keine neuen Tatsachen im Vergleich zum Berufungsausschuss vom 15.12.1947 vorbringen konnte. Allerdings: „Es ist jedoch nicht zu verkennen, dass die Gesamtauffassung in der Entnazifizierung seit jener Zeit eine mildere geworden ist. Wir würden daher, vor allem in Hinblick auf seine in der Ausbildung sich befindenden Kinder die Gewährung eines höheren Prozentsatzes der Pension eines Studienrats befürworten.“[46]
Der Berufungsausschuss 17 befasste sich am 7.5.1949 mit der Angelegenheit und gab der Berufung statt, mit der Maßgabe, Schmidt mit Wirkung vom 1.5.1949 die volle Pension eines Studienrates zuzuerkennen und ihn ab dem 1.7.1949 in die Kategorie V einzugruppieren.[47]
Felix Schmidt versuchte es immer wieder. Er wandte sich 1951 an den Leitenden Ausschuss, der eine weitere Änderung am 13.6.1951 ablehnte, ebenso am 5.3.1952 und der am 21.5.1952 entschied, keine weiteren Eingaben mehr zuzulassen.[48]
Merkwürdig ist in meinen Augen ein Vermerk, den Oberschulrat Hans Reimers am 13.11.1953 anfertigte. Darin hieß es:
„Herr Felix Schmidt hat seine Ausbildung und seinem Examen nach die Voraussetzungen für die Laufbahn erfüllt, die auch für die Ernennung zum Oberstudiendirektor vorgeschrieben sind. Es dürfte nicht zweifelhaft sein, dass die Tatsache, dass Herr Felix Schmidt sogenannter ‚alter Kämpfer‘ war, dazu beigetragen hat, ihn für die Leitung einer höheren Schule und für die Ernennung zum Oberstudiendirektor vorzusehen. Daneben kann aber auch festgestellt werden, dass seine persönliche und sachliche Befähigung zur Führung eines derartigen Amtes im Rahmen des Erforderlichen vorhanden gewesen ist. Die Schulbehörde kann deshalb nicht den Nachweis führen, dass die Beförderung zum Oberstudiendirektor weitgehend nur aufgrund seiner Verbindung zum Nationalsozialismus erfolgt sei.“[49]
Dies ist für mich eine Argumentation, die entweder zeigt, wie weit die juristische Position zur Ausschaltung von Nationalsozialisten mittlerweile aufgeweicht war, wenn im Umkehrschluss nachgewiesen werden musste, ob eine Beförderung „weitgehend nur aufgrund der Verbindung zum Nationalsozialismus“ erfolgt war. Und es erhöht meine Skepsis in Bezug auf die Person Hans Reimers, den ich in Band 2 der „Täterprofile“ porträtiert habe und den ich für stark NS-belastet halte.[50]
Erstaunlicherweise wurde Schmidts Ruhegehalt ab 1964 an der A 15-Besoldung orientiert.[51]
Felix Schmidt starb am 20.2.1965.[52]
Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen
1 Siehe: August Volquardsen: Otto Ernst. Einblick in sein Leben und Schaffen, Altona 1927.
2 Personalakte Felix Schmidt, StA HH, 361-3_A 1034
3 Schreiben von Otto Ernst vom 10.12.1912, Personalakte a. a. O.
4 Siehe sein Schreiben vom 31.12.1953, Personalakte a. a. O.
5 Personalakte a. a. O.
6 Personalakte a. a. O.
7 Entnazifizierungsakte Felix Schmidt StA HH, 221-11_Ed 7783
8 Ebd.
9 Siehe das Kapitel Personalpolitik, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 1, Hamburg 2016, S. 32.
10 Siehe die Biografie August Wulff, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 2, Hamburg 2017, S. 526 ff.
11 Biografie August Wulff a. a. O., S. 530.
12 Kay Dohnke/Norbert Hopster/Jan Wirrer(Hrg.): „Niederdeutsch im Nationalsozialismus. Studien zur Rolle regionaler Kultur im Faschismus“, Hildesheim–Zürich–New York 1994.
13 Norbert Hopster und Jan Wirrer: Tradition, Selbstinterpretation und Politik. Die „Niederdeutsche Bewegung“ vor und nach 1933, in: Niederdeutsch im Nationalsozialismus 1994, S. 79.
14 Siehe dazu auch die Biografien Heinrich Behnken und Alexander Strempel in diesem Band.
15 Schreiben des Ausschusses für niederdeutsche Kultur vom 11.4.1933, abgedruckt in: Hopster und Wirrer, a. a. O., S. 85 f.
16 Ebd.
17 Siehe die Biografie Heinrich Haselmayer, in: de Lorent 2016, S. 621 ff.
18 Abgedruckt in: Hopster und Wirrer, a. a. O., S. 82.
19 Siehe die Biografie Albert Henze, in: de Lorent 2016, S. 162 ff.
20 Schreiben vom 9.7.1941, Personalakte a. a. O.
21 Personalakte a. a. O.
22 Schreiben vom 5.3.1943, Personalakte a. a. O.
23 Schreiben vom 15.11.1942, Personalakte a. a. O.
24 Personalakte a. a. O.
25 Schreiben vom 14.7.1945, Personalakte a. a. O.
26 Ebd.
27 Schreiben von Frau Schmidt an Senator Landahl, Personalakte a. a. O.
28 Ebd.
29 Siehe die Biografie Karl Züge, in de Lorent 2016, S. 385 ff. Züge selbst wurde am 19.7.1945 verhaftet und für einige Monate in Neuengamme interniert.
30 Schreiben an Karl Züge vom 31.5.1945, Entnazifizierungsakte a. a. O.
31 Entnazifizierungsakte a. a. O.
32 Bericht der Kriminalpolizei Hamburg vom 19.12.1945, Entnazifizierungsakte a. a. O.
33 Schreiben vom 4.7.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
34 Ebd.
35 Ebd.
36 Ebd.
37 Schreiben von Ella Hayungs vom 17.8.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
38 Schreiben von Edmund Hoehne vom 1.9.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
39 Beratender Ausschuss für das höhere Schulwesen vom 19.10.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
40 Schreiben vom 14.2.1947 Entnazifizierungsakte a. a. O.
41 Siehe den Abschnitt über die Entnazifizierungspraxis nach 1945 in Hamburg,: de Lorent 2016, S. 38 ff.
42 Berufungsausschuss 3 vom 15.12.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
43 Schreiben vom 3.5.1948, Entnazifizierungsakte a. a. O.
44 Agathe Lasch, am 4.7.1879 in Berlin geboren, war die erste Professorin der Universität Hamburg und die erste Professorin des Faches Germanistik in Deutschland. Sie begründete die historische Erforschung der mittelniederdeutschen Sprache. Die Professoren Walter Niekerken und Conrad Borchling erklärten später ebenfalls, sich für ihre Kollegen Agathe Lasch eingesetzt zu haben. Die jüdische Professorin verlor 1934 ihren Hamburger Lehrstuhl und wurde am 15.8.1942 nach Riga deportiert und drei Tage später ermordet.
45 Siehe die Biografie Alexander Strempel in diesem Band.
46 Beratender Ausschuss vom 20.4.1949, Entnazifizierungsakte a. a. O.
47 Berufungsausschuss 17 vom 7.5.1949, Entnazifizierungsakte a. a. O.
48 Entnazifizierungsakte a. a. O.
49 Vermerk von Hans Reimers vom 13.11.1953, Personalakte a. a. O.
50 Siehe die Biografie Hans Reimers, in: de Lorent 2017, S. 249 ff.
51 Personalakte a. a. O.
52 Personalakte a. a. O.
 

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Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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