Begriffserklärungen

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Walter Scheidt

(27. Juli 1895 Weiler im Allgäu – 9. Juli 1976 Lindenberg/ Allgäu)
Anthropologe/Rassenbiologe
Adresse 1931 bis 1966: Höpen 36 (Hamburg-Langenhorn)
Wirkungsstätte: Rassenbiologisches Institut der Universität Hamburg, Mollerstraße 2
1924 bis 1933 Museum für Völkerkunde Hamburg
1933 bis 1964 Universität Hamburg

Er war nie in der NSDAP. Er war auch kein Hamburger. Dennoch war er seit den 1920er- Jahren und von 1933 bis 1945 ein das Hamburger akademische Leben beeinflussender Wissenschaftler – unter wechselnden Bezeichnungen: Biologe, Anthropologe, Rassenhygieniker. Seine Bemühungen um Einfluss waren aber nicht auf den universitären Bereich begrenzt; er hatte Kontakt zu völkisch-niederdeutschen Kreisen und war schulpolitisch aktiv, war nebenbei – unter Benutzung eines Pseudonyms – auch als völkischer Schriftsteller nicht ohne Erfolg. Sein universitäres Wirken ging bruchlos nach 1945 weiter und endete erst mit seiner Emeritierung im Jahr 1964.

Professor Dr. Walter Scheidt, von dem hier die Rede ist, wird in der Reihe prominenter Erbforscher, Rassenkundler, -biologen und -hygieniker, Eugeniker und Bevölkerungswissenschaftler der Weimarer Republik und des „Dritten Reichs“ nicht unbedingt (mehr) an erster Stelle erwähnt. Neben anderen sind eher Erwin Baur, Fritz Lenz und Eugen Fischer, Ludwig Ferdinand Clauß, Ernst Rüdin, Otmar Freiherr v. Verschuer und Hans F. K. Günther bekannt. Und doch war es Scheidt, der seit den 1920er-Jahren „einen hervorragenden wissenschaftlichen Ruf genoß“; und „gegen Ende der zwanziger Jahre nahm er zusammen mit Eugen Fischer, Fritz Lenz, Ernst Rüdin und anderen eine Spitzenposition in der deutschen 'Rassenhygiene' ein.“[1]

Walter Scheidt, Sohn eines Zahnarztes, machte sein Abitur am humanistischen Gymnasium in Kempten/Allgäu, nahm als Kriegsfreiwilliger am Ersten Weltkrieg teil und studierte danach in München. Medizin (allerdings ohne Abschluss) und vor allem Naturwissenschaften waren seine Fächer. Er beendete das Studium mit einer naturwissenschaftlichen Promotion (1921), arbeitete danach als Assistent am Anthropologischen Institut der Universität München und habilitierte sich drei Jahre später auf dem Gebiet Rassenkunde. Privatdozent Scheidt war somit ab dem 1. Oktober 1924 Leiter der Anthropologischen Abteilung (später „Rassenkundliche Abteilung“) des Museums für Völkerkunde in Hamburg. Seit 1928 trug er den Titel eines außerordentlichen Professors.[2]

Seine Variante der Rassenkunde machte ihn in Fachkreisen bekannt und ließ Hamburg zu einem vielversprechenden Stützpunkt der Rassenwissenschaft werden. Eugen Fischer (1874-1967) beispielsweise war eine der weithin unangefochtenen Größen der Rassenbiologie in Deutschland (1927 bis 1942 Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin). Er gab seinen anfänglich „überkommenen, statischen, taxonomisch angelegten, von morphologischen Merkmalen ausgehenden Rassenbegriff zugunsten eines dynamischen, evolutionsbiologisch aufgefaßten, genetisch begründeten Rassenbegriffs auf. Damit rückte er von der Vorstellung a priori gegebener reiner Systemrassen, die den Rassentypologien des 19. Jahrhunderts zugrundegelegen hatte, ab und näherte sich – in Anklang an Walter Scheidt (1895-1976) der Vorstellung von Lokalrassen oder Menschenschlägen an, rasch wandelbarer Gruppen mit einer relativen Häufung spezifischer Erbanlagen, die wiederum als Produkt von Auslese und Anpassung in geographischer Isolation aufgefaßt wurden. Fischers Konzept der Sozialanthropologie schließlich faßte Anthropologie als angewandte Wissenschaft auf, als Basis für eine wissenschaftlich angeleitete Biopolitik: Anthropologie, Humangenetik und Rassenhygiene/Eugenik bildeten im Denken Fischers eine unauflösliche Einheit.“[3]

Scheidts Vorstellung von Rassenbiologie entsprach diesem Konzept.[4] Ein erstes Beispiel praktischer Rassenforschung, das diese Ideen umsetzen wollte, lieferte er 1925/26 in einem Projekt, das er kennzeichnender Weise in Finkenwerder, der relativ separierten, zu Hamburg gehörenden „Elbinsel“, durchführte.

Er untersuchte dort eine „virtuell rekonstruierte“[5] Bevölkerung, d.h. nur jenen begrenzten Teil der Einwohner, den er als ursprüngliche, eigentliche Finkenwerder anerkannte. Andere Bewohner Finkenwerders waren lediglich Zugezogene, rassenbiologisch sozusagen irrelevante Eindringlinge. So befasste sich Scheidt letztlich mit rund 150 Personen. Er maß und beschrieb ihr Äußeres: Schädelform, Körpergröße, Augen- und Haarfarbe usw. (Bei aller methodischer Modernität war das Schädel- und sonstige Knochenvermessen auch bei Scheidt noch selbstverständlich integriertes, anthropologisches und rassenbiologisches Instrumentarium). Porträt-Fotografien ergänzten das Material. Außerdem wertete er genealogische Informationen zur Familien- und Sippengeschichte aus (etwa auf Grundlage von Kirchenbüchern) und versuchte die unterschiedlichen Grade von Lebenstüchtigkeit und -erfolg („Bewährung“) der Familien über Jahrhunderte festzustellen. Soweit irgend möglich wurden Daten mathematisch-statistisch dargestellt, ausgewertet und aufbereitet.

Diese Art wissenschaftlicher Evidenz brauchte eine Ergänzung, um Aussagen über die seelische, charakterliche, wesensmäßige Seite der so Erfassten machen zu können. Scheidt war nie an einzelnen Individuen interessiert, und intuitive, vage, für subjektive Interpretationen anfällige Einschätzungen lehnte er als unwissenschaftlich ab. Stattdessen bediente er sich der vermeintlich hilfreichen Befunde eines dilettierenden Volkskundlers – in diesem Fall des niederdeutsch-bewegten Finkenwerder Lehrers und Schriftstellers Hinrich Wriede. Aus dessen generalisierenden, teils anekdotischen Feststellungen und Erzählungen zu Sitten, Gebräuchen, Lebensgewohnheiten, der Sprache etc. sollte die „Wesensart“ dieses „Menschenschlags“ darstellbar sein.

Die inneren Widersprüche und Unzulänglichkeiten dieser „Wissenschaftlichkeit“ hier zu erörtern, erübrigt sich.[6] Das Ergebnis aller Vermessung, Erhebung und Berechnung war jedenfalls, auch schon in Anbetracht des getriebenen Aufwands, eher dürftig zu nennen: „Die meisten Eigenschaften [der Finkenwerder] werden herkömmlicher[-] und wohl auch berechtigterweise der nordischen Rasse zugeschrieben.“ Ähnlich vage und ungewiss („möglicherweise“, „wohl“, „wahrscheinlich“, „soweit möglich“ usw.) lautete das Fazit, „aus der immerhin größeren Ähnlichkeit der Finkenwärder Eigenschaftsgruppe mit der als nordisch beschriebenen Rasse (und wahrscheinlich auch mit der als nordisch angesehenen frühgeschichtlichen Bevölkerung Nordwestdeutschlands) läßt es sich wohl rechtfertigen, in der Eigenschaftsgruppe der Finkenwärder einen Schlag nordischer Rasse zu sehen.“ Schließlich: „Soweit die Möglichkeiten einer statistischen Nachprüfung reichen, berechtigen also die Ergebnisse derselben auch zu dem Schluß, daß die vorstehenden Schilderungen des Finkenwärder Volkstums und der körperlichen Beschaffenheit der Leute die typische ererbte Eigenart des Finkenwärder Menschenschlages beschreiben.“[7]

Eugen Fischer zeigte sich beeindruckt, hielt die Studie für vorbildlich und entwickelte ein Forschungsprogramm mit dem Ziel, ganz Deutschland auf diese Weise „mit einem Beobachtungsnetz zu überziehen, das immer enger werden müsse“.[8] Dabei sollten die Hamburger Anthropologen vom „Völkerkundemuseum“ (Thilenius und Scheidt) eines der „regionalen Zentren“ bilden. Fischer machte sich für eine ab 1928 geplante „Vielzahl von Projekten“ stark, die „vor allem initiiert [waren] von Walter Scheidt“ (neben anderen Rassenbiologen).[9]

So sollte in Zukunft eine vielbändige „Deutsche Rassenkunde“ erarbeitet werden. Als Band 1 erschien 1929 von Willy Klenck und Walter Scheidt eine Darstellung von Elbe-Weser Geestbauern.[10] Unter Scheidt wurde in diesem Zusammenhang u.a. auch eine große Untersuchung der Schwalm-Bevölkerung (Hessen) begonnen, die eine „Genealogie der Schwalmer Bauernbevölkerung von 1575 bis zur Gegenwart“ erbringen sollte. 1935 wurde das Projekt an v. Verschuer übergeben, in dessen Begründungsschrift an die Adresse der Deutschen Forschungsgemeinschaft (20. Februar 1936) es hieß, diese Studie könne „praktischen Aufgaben der Erb- und Rassenpflege [dienen], indem sie Unterlagen für den weiteren Ausbau der Sterilisierung, der Eheberatung und anderer Maßnahmen liefert.“[11]

Scheidt hatte seine Finkenwerder-Untersuchungen weiter ausgebaut und auch sonst viel geforscht und veröffentlicht. [12] 1933, nach der Etablierung des NS-geführten Senats unter Reichsstatthalter und Gauleiter Kaufmann, ging es darum, die Universität Hamburg (nun in „Hansische Universität“ umbenannt) nationalsozialistisch auszurichten - im Einklang mit den Vorgaben des nationalsozialistischen Regierungsdirektors der Hochschulbehörde (1933) bzw. Rektors (ab 1934) Gustav Adolf Rein (1885-1979) – Professor für „Kolonial- und Überseegeschichte“.[13] (Rein hatte seine Vorstellungen schon 1932 in seiner Schrift „Die Idee der politischen Universität“ programmatisch vorgestellt.) Jetzt schien eine gebührende Berücksichtigung der NS-Rassenideologie unumgänglich. Sowohl kostensparend als auch ideologisch hinreichend angemessen erwies sich - wenn auch begleitet von internen Querelen – die schließlich gefundene Lösung: Dr. Walter Scheidt wurde im Oktober 1933 zum ordentlichen Professor für „Rassen- und Kulturbiologie“ an der Philosophischen Fakultät ernannt. Kostengünstig war diese Regelung deshalb, weil keine neue Professorenstelle eingerichtet wurde, sondern die des entlassenen, ins Exil getriebenen jüdischen Philosophen Ernst Cassirer umgewidmet wurde, und Scheidts Anthropologische Abteilung am Völkerkundemuseum wurde in ein „Rassenbiologisches Institut“ der Universität umgewandelt, dessen Direktor Scheidt war.[14]

In diesen entscheidenden Umbruchszeiten meldete sich Scheidt mehrfach zu Wort. Er sah nun die große Stunde für das, was er Rassen- und Kulturbiologie nannte.

„Die Rassenbiologie ist der Oberbau der Gesamtbiologie unserer Zeit. Sie hat die allgemeinbiologischen Ergebnisse der Erblichkeits- und Ausleselehre auf den Menschen angewendet und ist damit in den Bereich der seelischen Lebensäußerungen vorgedrungen. Dadurch ist eine lebensgesetzliche Betrachtung der kulturellen Erscheinungen möglich geworden. Diente die Naturkunde bis zum Auftreten der Rassenbiologie nur einer individualistischen Naturbeherrschung (durch Technik und Heilkunst), so hat die rassenbiologische Erkenntnis der überindividuellen (generativen) Lebensgesetze eine exakt wissenschaftlich begründete Kunst der staatlichen, überindividuellen Lebensgestaltung geschaffen. Zu der auf das Leben des einzelnen beschränkten angewandten Naturkunde, der Heilkunst, trat die Bevölkerungspolitik (als Anwendung der Bevölkerungsbiologie) und die Rassenhygiene oder Kulturpolitik (als Anwendung der biologischen Geschichtsforschung oder Kulturbiologie)“. Zur wenig präzisen Begrifflichkeit sei hier auf Scheidts „Definition“ verwiesen: „Rassenhygiene ist nichts anderes als angewandte Rassenbiologie.“[15]

Dass Scheidt mit seiner Sicht, die Grundlage jedweder kultureller, staatlicher, politischer „Lebensgestaltung“ sei die Rassenbiologie, nicht so weit von den offiziellen Verlautbarungen der NSDAP-Rassisten entfernt war, wie es manchmal und manchem scheinen will[16], zeigt beispielsweise folgendes Zitat des Mediziners Walter Groß (Leiter des „Rassenpolitischen Amts der NSDAP“), mit dem Scheidt später auch Auseinandersetzungen hatte:

„Die Rassenhygiene ist nicht eine Erweiterung hygienischer Betrachtungen über das Individuum hinaus, etwa auf die 'Erbmasse', wie man das manchmal sagen hört. Sie ist vielmehr eine völlig neue Betrachtungsweise, die nicht nur im Bereich der 'Hygiene', sondern im Bereich der Gesamtmedizin, darüber hinaus aber im Bereich unseres ganzen öffentlichen Lebens der sozialen, der wirtschaftlichen, der rechtlichen Lebensbedingungen die Auslesevorgänge im streng biologischen Sinne untersucht bzw. in ihrem praktischen Teil lenken will. Die Rassenhygiene greift also über das Gebiet hygienischer Fragestellungen auf so ziemlich alle medizinischen Disziplinen über, sie greift über alle Gebiete der Medizin noch einmal hinaus in das weite Reich der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einflüsse, auf die Auslesevorgänge überhaupt. Sie erfordert ein Durchdenken unzähliger Teilgebiete unserer Lebensbedingungen auf ihre auslesende oder gegenauslesende Wirkung hin und sie erfordert dementsprechend sachliche Kenntnisse, die verschiedenste Gebiete unseres öffentlichen Lebens unter solchem Gesichtspunkt zu prüfen gestatten.“[17]

Den grundsätzlichen und umfassenden Anspruch, alle Lebensbereiche rassenbiologisch erklären und steuern zu wollen, wie ihn auch Groß zu erkennen gibt, setzte Scheidt 1933 sogleich in konkrete Forderungen um. Seine Überlegungen zur Politik und Biologie waren nicht unbedacht in der „Hamburger Lehrerzeitung“ erschienen. So verlangte er, dass Schulunterricht und Lehrerbildung rassenbiologisch fundiert werden sollten, was sich in der Lehrerausbildung in Hamburg auch niederschlug; er wurde mit der „rassenbiologischen Lehrerfortbildung“ betraut. (Was die Unterrichtsgestaltung an Volks- und Höheren Schulen betraf, folgten entsprechende Verordnungen in Hamburg, später auch zentrale vom Reichserziehungsministerium.)[18]

Ebenso erreichte er, dass in die Pflichtveranstaltungen des Jurastudiums rassenbiologische Veranstaltungen aufgenommen wurden und solche Fortbildungskurse für Richter angeboten wurden (die er auch selbst durchführte).1937 wurde er Mitglied des Reichsjustizprüfungsamtes.[19] Seine Vorstöße, die rassenbiologische Ausbildung der Hamburger Mediziner zu übernehmen und im Fachbereich Psychologie eine vakante Professur (des vertriebenen jüdischen Psychologen William Stern) als Rassenpsychologe zu besetzen, wurden von beiden Fakultäten allerdings abgewehrt.[20]

Grundlage der Scheidt'schen Rassenvorstellungen war seine angeblich wissenschaftlich begründete Vision einer zunehmend degenerierten deutsche Bevölkerung, deren fortschreitenden Niedergang er zu berechnen wusste. Demnach, so lautete seine Prognose, würde die deutsche Bevölkerung „um 2000“ aus 18% „hoch- und überdurchschnittlich Begabten“, 29% „mittelmäßig Begabten“ und 53% „schwach und mangelhaft Begabten“ bzw. „Schwachsinnigen“ bestehen. „Das“, so seine Erkenntnis 1933, „ist die Zukunft des deutschen Volkes, wenn nur noch zwei Generationen lang die generative Kraft der hochbegabten Familien so vernichtet, die Nachkommenschaft der Minderwertigen so aufgezüchtet wird, wie es bisher geschah.“ Genau so stand es dann auch in seinem 1934 erschienenen Buch „Die Träger der Kultur“ zu lesen, wo er allerdings die Rettung nahe sah: „Die Regierung des Dritten Reiches hat sich, vom Weitblick unseres genialen Führers Adolf Hitler geleitet, vor allem anderen die gewaltige Aufgabe gestellt, diesen verhängnisvollen Weg des Volkes aufzuhalten. Wenn einer, so wird Adolf Hitler die geistige Kraft und die politische Macht haben, dieser Aufgabe in der letzten Stunde möglicher Hilfe Herr zu werden.“[21]

Der Kampf gegen diese Entwicklung, also gegen die „Minderwertigen“, war Scheidts rassenbiologisches und -politisches Programm: Ein Drittel der Bevölkerung sei „entartet“, erklärte er vor Medizinern in einer „Vorlesungsserie (…) und empfahl die Einrichtung eines mit Personenkennziffern arbeitenden 'bevölkerungsbiologischen Katasters' zu ihrer Erfassung und Aussonderung“.[22] In der Praxis bedeutete das, dass Scheidt dem Hamburger Stadtphysikus, Obermedizinalrat Dr. Kurt Holm, 1934 einen Vorschlag für die „Einrichtung eines Registers für das Erbgesundheitsgericht“ unterbreitete, der später auch beim Aufbau des „Zentralen Gesundheitspaßarchivs“ Hamburgs - einem Instrument zwangsweiser Sterilisationen - dienlich war.[23]

Um Verfall, Degeneration und Untergang des Volkes Einhalt gebieten zu können, war die Beschaffung möglichst vieler Angaben über die Bevölkerung eine grundlegende Voraussetzung, daher Scheidts Drang zu immer mehr Daten, Fakten, Zahlen: „Im Lauf der Jahre hat er 250.000 Menschen anthropologisch vermessen, Familienstammbäume rekonstruiert, Fotoalben angelegt, Zettelkästen mit Notizen über ihre Lebensverhältnisse gefüllt und 400.000 Auszüge aus Kirchenmatrikeln angefertigt.“[24]

Das Problem bestand darin, dass die Umsetzung seiner Rassenbiologie folgerichtig auf rassenhygienische Maßnahmen gegen Teile der Bevölkerung (des „Volkskörpers“ bzw. der „Volksgemeinschaft“, wie es im NS-Jargon hieß) hinausliefen, die vornehmlich in den sozialen Unterschichten (zunächst der Großstadt Hamburg!) zu finden waren. Auf deren „generatives“ Leben einzuwirken (also es zu verhindern bzw. zu beenden) war für Scheidt wichtiger, d.h. vordringlicher, als der Kampf gegen Rassenmischung.

Diese Position bedeutete aber zugleich eine Frontstellung gegenüber dem NSDAP- Rassismus, wie ihn etwa NS-Ärzteführer Willy Holzmann, Walter Groß vom „Rassenpolitischen Amt der NSDAP“ oder letztlich auch der Chef des „Rasse- und Siedlungshauptamts“ der SS (bis 1938), Reichsbauernführer und Ernährungs- und Landwirtschaftsminister Walther Darré vertraten. Sie setzten andere Prioritäten: Erste Aufgabe sei die Aussonderung und Beseitigung vor allem von nicht „deutschblütigen“ Menschen - „Zigeunern“, Slawen, Juden.[25](Der rassenkundliche Weg zum Holocaust war vorgezeichnet.)

In den sich entwickelnden Kontroversen zog Scheidt letztlich den Kürzeren. So wurden ihm die weiteren Mittel für sein groß angelegtes Projekt „Rassenkundliche Erhebung des deutschen Volkes“ 1934 verweigert.[26] Forschung in diesem Stil entsprach offenbar nicht mehr den Erfordernissen der Zeit. Scheidt hat sich 1939 darüber beklagt, dass „die spezielle rassenbiologische Forschung in Deutschland seit dem Sommer 1934 allenthalben ganz eingestellt und daß sie seitdem nicht wieder aufgenommen worden ist.“ Ergänzend gab er zu verstehen, dass sich im Archiv seines Instituts „ein in keinem anderen Institut Europas mehr vorhandenes, bei 10.000 Familien umfassendes und größtenteils noch nicht einmal ganz bearbeitetes Material vorfinden“ lasse.[27]

Obwohl Scheidt, so schon sein Professorentitel, auch als Vertreter einer „Kulturbiologie“ auftrat und zunächst ja tatsächlich Fühler in Richtung Volkskunde ausgestreckt hatte, wurde doch zunehmend klar, dass er sich als Naturwissenschaftler verstand, der sich selbst an der Philosophischen Fakultät fehl am Platze sah. Nach längeren inneruniversitären Auseinandersetzungen und langwierigen Abstimmungen mit dem Ministerium für Erziehung und Wissenschaft in Berlin wurde seine Professur schließlich 1941 an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der „Hansischen Universität“ angesiedelt – mit der Maßgabe, dass sein Lehrstuhl wie sein Institut nach seiner Emeritierung in die Medizinische Fakultät eingegliedert werden sollte, mit der Bezeichnung „Institut für Erb- und Rassenhygiene“.[28] Im Prinzip wurde dies, als Scheidts Universitätstätigkeit 1964 beendet war, auch so umgesetzt: Seine Stelle und sein Institut für „Anthropologie“, wie es nach 1945 wieder hieß, wurde zur Professur und zum Institut für „Humanbiologie“, allerdings an der Biologischen Fakultät, ohne dass der speziellen Vergangenheit, die Lehrstuhl und Institut mit sich brachten, damals besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde.[29]

Nach dem Wechsel in die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät gingen die Streitigkeiten um Scheidts Mitwirken bei den Medizinern weiter [30]. Er selbst hatte seit Ende seiner rassenbiologischen Bevölkerungserhebungen neue Schwerpunkte gesetzt, so 1936 mit zwei Titeln zur „Sprachoberfläche der Seele“, die sich einer naturwissenschaftlichen Betrachtung eher entziehen.[31] Ein Eklat war Scheidts eigenmächtige Verlagerung seines Instituts, d. h. der Bibliothek – vermutlich auch seines Archivs – nach Braunschweig, nachdem weite Teile Hamburgs im Sommer 1943 in der „Operation Gomorrha“ zerstört wurden. Trotz Aufforderung, das Material wieder nach Hamburg zu bringen, blieb es bis Kriegsende in Braunschweig.[32] Im Übrigen vertrat er in der Nachfolge seiner rassenpsychologischen Ansätze nach 1945 eine sogenannte „Inbildlehre“ (was er noch 1948 als „Lehrbuch der Anthropologie“ veröffentlichte, nannte er in neuer Auflage 1954 „Die menschliche Inbildlehre“), die später als „esoterisch“ bezeichnet wurde. Sie ließ ihn auch in Fachkreisen zum unverstandenen „Außenseiter“ werden.[33]

Dass er, trotz seiner oft betonten Naturwissenschaftlichkeit, bereits früher schon, als er noch als anerkannter Rassenbiologe galt, auch anderen Motivationen zugänglich war, wird durch seine literarische Produktion belegt. Unter dem Pseudonym Berchtold Gierer schrieb er nebenbei Romane („Die Geige“, 1938; „Geschlechter am See“, 1940; „Pallasch und Federkiel“, 1942; „Spiegel der Welt“ - darin: „Der Karfunkelberg“, „Der sterbende Wald“, „Der Regenbogen“ -, 1942; noch 1949 erschien „Im Troß der Reiter“), von denen zumindest einer, „Geschlechter am See“, zeitgemäß durchaus erfolgreich war: 1941 wurde er mit dem „Dichterpreis“ der Stadt Braunschweig („Wilhelm-Raabe-Preis“) ausgezeichnet. Nicht um anspruchsvolle Literatur, sondern um die Verbreitung „völkisch-propagandistischen Schrifttums“ ging es bei diesem Preis. Zusammen mit Scheidt war 1941 zweiter „Volkspreisträger“ der Lehrer und NS-Kulturfunktionär Karl Götz (1903-1989) (Mitglied der NSDAP 1933, der SS 1941) mit seinem Roman „Die große Heimkehr“.[34] Scheidts preisgekrönter Roman erzählt vom „Leben verschiedener Bauerngeschlechter gegen Ende des 14. Jahrhunderts am Bodensee“. „Am Ende des Romans steht der letzte kinderlose Enkel, dessen Hoffnung auf die noch ungeborenen Kinder kaum den Niedergang der eigenen Familie und des ganzen Bauernstandes überspielen kann.“ Ausgesprochen nationalsozialistische Inhalte fehlen, doch „belegt der Roman die völkische Position des Autors“[35], urteilt der Literaturwissenschaftler Frank Westenfelder.[36]

Es gibt verschiedene Ereignisse, die Scheidt, was sein Auftreten, seinen Umgang mit akademischen Kollegen, mit seinen Assistenten und Studenten betrifft, als widerspenstig, vielleicht starrköpfig, elitär, rechthaberisch, auch intrigant erscheinen lassen. Dies kann der vorliegenden Literatur entnommen werden, besagt aber nicht unbedingt etwas über seine wissenschaftliche, vor allem aber politische Haltung. Auch bezüglich letzterer gibt es mehrfach angeführtes sozusagen Anekdotisches, das – entgegen seiner durch Jahrzehnte belegten Zuarbeit, Kooperation und Nutznießung der Verhältnisse im Vorfeld und während der Herrschaft des Nationalsozialismus – auf eine vielleicht doch eigensinnige Antihaltung hindeuten soll, wie etwa die erwähnte Tatsache, dass er nie in die NSDAP eingetreten ist, dass seine Kinder nicht in der HJ waren, dass er sich über den „Führer“ „ironisch“ geäußert habe etc. Von Scheidt selbst gibt es dazu offenbar keine Darstellung.[37]

Erwähnt sei hier allerdings, dass Scheidt schon am Beginn seiner akademischen Karriere nicht nur akademischen Umgang pflegte. Damals trat er beispielsweise beim „Gildetag“ (15./16. August 1925) der von dem rassistischen Pastor Christian Boeck geführten „Fehrs-Gilde“ in Bad Segeberg auf. Dieser Verein gehörte zu den rührigsten Zirkeln der Niederdeutschen Bewegung, in Konkurrenz (bei teilweiser Zusammenarbeit) mit der Hamburger Vereinigung „Quickborn“. Bei den Fehrs-Niederdeutschen hielt man viel von dem prominenten Rassenkundler Hans F. K. Günther, von Rassen, Stämmen, Volkstum überhaupt. Scheidt referierte am 15. August über „Rassenkunde in Niederdeutschland“, was nicht allen Fehrs-Aktiven gefiel: Franz Frommans Bericht in den „Blättern der Fehrs-Gilde“ hielt fest, gegenüber den offenbar hohen Erwartungen an den „Herrn Privatdozenten Dr. Walter Scheidt aus Hamburg“, wie er angekündigt worden war, „mußten die kühlen, stark verneinenden Erörterungen abfallen und enttäuschen“. Scheidt hatte vermutlich auch dort seiner Geringschätzung der Rassenvorstellungen Günthers Ausdruck verliehen und demgegenüber seinen eigenen wissenschaftlichen Anspruch herausgestrichen. Pastor Boeck sah sich genötigt, die Unzufriedenheit zu besänftigen: „Wenn in diesem [Vortrag] auch die Kritik stark zu Worte kam, so fehlte doch keineswegs der positive Gehalt.“ Die „Fehrs-Gilde“ blieb übrigens Günthers Rassenkunde treu.[38]

Scheidt hatte sich zur gleichen Zeit, 1925, mit Hinrich Wriede, dem Schriftsteller der Niederdeutschen Bewegung in Finkenwerder/Hamburg, zusammengetan, der seine rassenbiologischen Berechnungen volkskundlich anreichern sollte. (Wriede war leitend in der „Quickborn“-Vereinigung aktiv.) Der Kontakt zwischen den „Niederdeutschen“ und Scheidt hielt sich bis in die NS-Zeit hinein: So hat der Schulleiter der Oberschule für Jungen in Eppendorf und Leiter des „Fachausschusses für Heimatliche Geschichte“ der „Vereinigung Niederdeutsches Hamburg“(VNH), die ab 1935 alle Hamburger Niederdeutsch-Aktivisten zusammenfassen und auf NS-Linie bringen sollte, über Absprachen mit Scheidt berichtet. Anlässlich der 2. VNH-Tagung 1937 in Bergedorf meldete er, Rudolf Schmidt, seinem Fachausschuss: „Sie haben im vorigen Jahr [1936] in der Schulausstellung bereits eine Reihe von familienkundlichen Arbeiten gesehen. Wir haben damals versprochen, die Arbeit sollte fortgesetzt werden. Das ist auch geschehen. Die Unterlagen sind schon vorhanden und ausgewertet von der Oberschule für Jungen in Eppendorf. (…) Das größere Hamburg soll auch durch diese zunächst bescheidenen Untersuchungen erfaßt werden. (…) Welch reiche Vielfältigkeit, welch Fülle von Beobachtungsmöglichkeiten, reichend bis zum Blick in den Gesamtaufbau des deutschen Volkskörpers! Schon ist die Verbindung zu Professor Scheidt von der Hansischen Universität einerseits, zum Institut für Landesplanung andererseits gesichert – und was als Arbeit einer einzelnen Schule und ihrer Elternschaft begann, das wird endigen in einer Gesamtschau des weit verästelten, aber zu gemeinsamem Einsatz für die neue Hansestadt Hamburg aufgerufenem Volkstums dieses Gemeinwesens.“[39]

Auch Scheidt war zu markigen Worten – Jahre vor 1933 – fähig: Beim „Akademischen Reichsgründungskommers“ am 20. Januar 1927 hielt der Privatdozent eine Rede, in der er das „Erbgut unserer Ahnen“ beschwor und die Kenntnis von „Rasse und Volkstum“ als „Weg zu den Quellen dessen, was deutsch ist“, bezeichnete. Als 1933 die „neuen Zeiten“ anbrachen, stand dann auch Scheidt auf der Liste der Unterzeichner des „Bekenntnisses der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“, und für das Reichsinnenministerium wirkte er als „Gutachter für Fragen der arischen Abstammung“.[40]

Zu NS-Zeiten ist Scheidts Verhältnis zu Partei und Staat uneinheitlich gesehen worden. 1936 urteilte der Rektor der Universität über ihn: Er sei zwar kein Parteigenosse, „er bejaht aber unbedingt den Nationalsozialismus als ein Forscher, der seit mehr als 10 Jahren für den Rassengedanken eingetreten ist.“ Die Gauleitung der NSDAP fand 1938, er „hänge zwar die Hakenkreuzfahne heraus“, aber sein Leben „stimme nicht mit seiner Lehre überein.“ 1941 hielt man ihn in NS-Sicht für „unzuverlässig“.[41]

Aus zeitlichem Abstand und mit Blick auf seine gesamte universitäre Karriere bis 1945 wird „der Rassenkundler Scheidt“, will es scheinen, nicht zu Unrecht zu denen gezählt, die als „aktive Nationalsozialisten oder Vertreter der staatlichen Politik (…) während der Kriegszeit“ eingestuft werden müssen.[42]

Nach Kriegsende und Ende der NS-Herrschaft ging Scheidts Weg ins akademische Abseits, wie erwähnt. Als er die Universität verließ, war er schnell vergessen. Man sprach jedenfalls nicht von ihm. Als durch studentische Aktionen die rassenpolitische Tradition der Hamburger Anthropologie oder, wie es inzwischen hieß, Humanbiologie in den Blick geriet, fiel auch kurz noch einmal der Name Scheidt.[43] Das war rund 30 Jahre, nachdem der Rassenbiologe Hamburg den Rücken gekehrt hatte. Er war in seine Heimat, ins Allgäu, zurückgekehrt und dort 1976 gestorben.

Text: Ralph Busch

ANMERKUNGEN
1 Christian Hünemörder, „Biologie und Rassenbiologie 1933-1945“, in: Eckart Krause/Ludwig Huber/Holger Fischer (Hg.), Hochschulalltag im „Dritten Reich“. Die Hamburger Universität 1933-1945, 3 Bände, Berlin/Hamburg 1991, S. 1169; zweites Zitat: Karl Heinz Roth, „Großhungern und Gehorchen“, in: Angelika Ebbinghaus/Heidrun Kaupen-Haas/Karl Heinz Roth (Hg.), Heilen und Vernichten im Mustergau Hamburg. Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik im Dritten Reich, Hamburg 1984, S. 116
2 Grundsätzlich zu Scheidt und zu den biographischen Angaben: Hünemörder (wie Anm. 1), S. 1155-1196; Hans-Christian Harten/Uwe Neirich/Matthias Schwerendt, Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs. Bio-bibliographisches Handbuch (= edition bildung und wissenschaft 10), Berlin 2006, S. 285-289; Bernd Gausemeier, Walter Scheidt und die „Bevölkerungsbiologie“. Ein Beitrag zur Geschichte der „Rassenbiologie“ in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“, [Magisterarbeit FU] Berlin 1998; zur Wohnadresse in Hamburg: Adressbücher Hamburg 1931 ff. und Telefonbuch Haburg 1967.
3 Hans-Walther Schmuhl, „'Neue Rehobother Bastardstudien'. Eugen Fischer und die Anthropometrie zwischen Kolonialforschung und nationalsozialistischer Rassenpolitik“, in: Gert Theile (Hg.), Anthropometrie. Zur Vorgeschichte des Menschen nach Maß, München 2005, S. 277-306, Zitat: S. 277/278; vgl. auch: Hans-Walther Schmuhl, Grenzüberschreitungen. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, 1927-1945, Göttingen 2005
4 Das Standardwerk Baur-Fischer-Lenz hatte der junge Privatdozent Scheidt – wie viele andere Rezensenten – positiv besprochen. (1924 in der „Zeitschrift für Kinderforschung“, siehe Heiner Fangerau, Das Standardwerk zur menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene von Erwin Baur, Eugen Fischer und Fritz Lenz im Spiegel der zeitgenössischen Rezensionsliteratur 1921-1941, Diss. Bochum 2000 [http://www.deutsch-digitale-bibliothek.de/ (1.8.2015)], S. 186 und S. 208)
5 Thomas Etzemüller, „Die 'Bevölkerungsfrage' und wie sie in die Welt kam“, in: Zeitgeschichte online, Januar 2011, http://www.zeitgeschichte-online.de/kommentar/die-bevoelkerungsfrage-und-wie-sie-die-welt-kam (1.8.2015) (Hingewiesen wird auf das noch laufende Projekt „'Bevölkerung'. Die 'Bevölkerungsfrage' und die soziale Ordnung der Gesellschaft, ca. 1798-1987“). – Bis 1937 gehörte nur der größere Nordteil Finkenwerders („Finkenwärder“) zu Hamburg – mit dem größeren Bevölkerungsanteil. Der Südteil gehörte zu Preußen. Die ortsanwesende bzw. Wohn-Bevölkerung Finkenwerders betrug nach den von Schloz zusammengestellten Angaben 1925 im nördlichen, hamburgischen Teil 4.534 bzw. 4.717, 1927 4.814 bzw. 4.871. Wenn der südliche, bis 1937 preußische Teil hinzugerechnet wird, erhöht sich die Zahl um maximal ca. 1.000 Personen, wenn man die Zahlen von 1937 bzw. 1939 annähernd hinzuzieht: 1937 gab es im hamburgischen Teil 5.153 Einwohner, im zusammengefassten hamburgischen und preußischen Finkenwerder 1939: 6.318.(Harald Schloz, Finkenwerder – vom „Fischeridyll“ zum „Industriestandort“?, Hamburg 1996, Anlage III, S. 533/534.)
6 Siehe z.B. Heidrun Kaupen-Haas/Christian Saller (Hg.), Wissenschaftlicher Rassismus. Analysen einer Kontinuität in den Human- und Naturwissenschaften, Frankfurt/M./New York 1999; am prominenten Beispiel der Untersuchungen Fischers zu den „ Rehobother Bastards“: Schmuhl, „'Neue Rehobother Bastardstudien'“ (wie Anm. 3). Vgl. auch die Bemerkungen von Etzemüller (wie Anm. 5).
7 Walter Scheidts Teil „Rasse“, in Walter Scheidt/ Hinrich Wriede, Die Elbinsel Finkenwärder, München 1927 (eine erste Ausgabe erschien 1926), S. 110, S. 111, S. 114 – Zur Darstellung und Diskussion siehe auch Laukötter (2007), wie Anm. 9, S. 286-292.
8 Schmuhl, Grenzüberschreitungen (wie Anm. 3), S. 115 und (Zitat) S. 116
9 Ebd., S. 117. In einer Denkschrift vom 2. Februar 1928 zu diesen Forschungsvorhaben führte Fischer aus, welchen Nutzen diese Studien bringen könnten, ging es dabei doch auch um die Feststellung von „Degenerationserscheinungen“, „Inzucht“, „Geburtenrückgang“ u.ä., so dass auf diese Weise eine „praktische für sanitäre und bevölkerungspolitische Verwaltungs- und Gesetzesfragen unendlich wichtige Quellensammlung“ erstellt werden könne.(Ebd.) Von der „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“ (später: Deutsche Forschungsgemeinschaft) wurde Scheidt zum Leiter des gesamten Projekts eingesetzt (bis 1934). (Siehe Roth (wie Anm. 1), S. 118.) - Unterstützt wurde die Finkenwerder-Studie, wie später das ganze von Fischer empfohlene Forschungsprogramm, auch von Georg Thilenius (1868-1937), der das Hamburger Völkerkundemuseum leitete und Anthropologie-Professor der Universität war. (Siehe die Darstellung: Anja Laukötter, Von der „Kultur“ zur „Rasse“ - vom Objekt zum Körper? Völkerkundemuseen und ihre Wissenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2007).) Ihm hatte schon ab 1905 vorgeschwebt, die Völkerkunde um eine „anthropologische“ Dimension zu erweitern (siehe ebd., S. 235), was allerdings auf Jahre hinaus nur bedingt zu verwirklichen war. Nachdem Otto Reche, der zunächst für die anthropologische Abteilung des Museums zuständig war, 1924 nach Wien gegangen war, wurde mit Walter Scheidt dann ein Experte gewonnen, der die anthropologische Abteilung am Museum in neuem Geiste gestalten konnte. Als 1928 eine „Schausammlung“ erstmals gezeigt wurde, hieß sie inzwischen „rassenkundliche Abteilung“. In der begeisterten Hamburger Presse wurde berichtet: „Im Museum für Völkerkunde ist jetzt eine rassenkundliche Schausammlung neu eröffnet worden. Der Leiter des Museums, Universitätsprofessor Dr. Thilenius, hat schon seit langem die Einbeziehung der Rassenbiologie in den Forschungs- und Lehrbetrieb völkerkundlicher Museen geplant und jetzt am Hamburger Museum die erste rassenkundliche Abteilung ins Leben gerufen. Das Hamburger Museum, das führend in der Völkerkunde ist, geht auch auf diesem Sondergebiete der Forschung bahnbrechend vor. Die neue Abteilung ist dem Privatdozenten Dr. Walter Scheidt unterstellt, ihre Aufgabe ist die rassenbiologische Forschung, d.h. die Erforschung der Erbgeschichte der Völker.“ („Hamburger Nachrichten“, 12. Mai 1928, zit. nach Laukötter, a.a.O., S. 236.) Trotz späterer Konkurrenz mit Scheidt (der 1933 sein „Rassenbiologisches Insitut der Universität“ im Völkerkundemuseum unterbrachte, gegen Thilenius' Vorbehalte), war Thilenius u.a. auch zunehmend mit Scheidts eugenischen/rassenhygienischen Vorstellungen bezüglich der deutschen Bevölkerung d'accord. Wie Scheidt gehörte auch Thilenius übrigens 1933 zum Kreis der deutschen Professoren, die sich zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat „bekannten“.
10 Willy Klenck/Walter Scheidt, Niedersächsische Bauern I. Geestbauern im Elbe-Weser Mündegebiet (= Deutsche Rassenkunde 1), Jena 1929
11 Schmuhl, Grenzüberschreitungen (wie Anm. 3), S. 380/381. - Außer mit Finkenwärder, dem Elbe-Weser-Gebiet und den Schwalm-Bauern hat sich Scheidt mindestens noch mit Bevölkerungsgruppen in Oberschwaben, Böhmen-Mähren, dem Illergau und der Lüneburger Heide befasst.
12 U.a. Walter Scheidt, Rassenbiologie und Kulturpolitik, Leipzig 1930; seine erweiterte Finkenwerder-Studie (nun aber ohne Volkskunde): Walter Scheidt, Bevölkerungsbiologie der Elbinsel Finkenwärder vom dreißigjährigen Krieg bis zur Gegenwart (= Deutsche Rassenkunde 10), Jena 1932. Wirklich neue Erkenntnisse erbrachte sie nicht: „Scheidt bezeichnete als 'natürliche' Bevölkerung – im Gegensatz zu einer bloß ortsansässigen – 'eine Gruppe von Menschen', welche durch die 'siebenden, modelnden, erbändernden und auslesenden Einflüsse eines bestimmten Wohngebietes' zu einem 'Volkskörper' verschmolzen seien. Dieser könne, so Scheidt, nur untersucht werden, indem Merkmalsgruppen durch Befragungen, Vermessungen und Archivarbeit aufwendig erhoben und korreliert würden, etwa Länge und Breite der Schädel bzw. Gesichter, Haar- und Augenfarbe, Struktur der Haare usw. Scheidt berechnete 'Ahnerbteilsziffern' auf der Basis genealogischer Daten und erstellte einen 'Altansässigkeitsindex'. Auf diese Weise meinte er nachweisen zu können, dass die Finkenwerder Bevölkerung sich mit großer Wahrscheinlichkeit erbbiologisch von den Nachbarpopulationen unterschied, dass Zuwanderer aus diesem Grunde zumeist 'gesiebt' wurden und Abwanderer sich in der Regel erbbiologisch von den übrigen Finkenwerder 'Erbstämmen' unterschieden. Vergleichsstudien über prähistorische und zeitgenössische Schädel anderer Regionen zeigten ihm die erbbiologische Kontinuität auf. Am Ende konnte 'kaum Zweifel' an der Tatsache herrschen, dass die Finkenwerder Bevölkerung eine Rasse darstellte.“(Etzemüller, wie Anm. 5)
13 Zu Rein: Krause/Huber/Fischer (wie Anm. 1), passim. Als umfassender Überblick liegt vor: Arnt Goede, Adolf Rein und die „Idee der politischen Universität“ (= Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte 17), Berlin u.a. 2008.
14 Die internen Konkurrenzkämpfe, v.a. mit dem NS-„Führer der Hamburger Ärzteschaft“ Wilhelm („Willy“) Holzmann (einem Neurologen), zugleich Gauobmann des NSDAP-„Aufklärungsamts für Bevölkerungs- und Rassenpflege“ /„Rassenpolitischen Amts der NSDAP“ in Hamburg, sind bei Hünemörder und Roth (wie Anm. 1) und bei Hendrik van dem Bussche, Im Dienste der „Volksgemeinschaft“. Studienreform im Nationalsozialismus am Beispiel der ärztlichen Ausbildung (= Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte 4), Berlin/Hamburg 1989, S. 104-112, eingehend dargestellt.
15 Das lange Zitat: Walter Scheidt, „Politik und Biologie. Bemerkungen zur Idee der politischen Universität“, „Hamburger Lehrerzeitung“ 12/1933, S.457; Scheidts „Definition“ nach: van dem Bussche (wie Anm. 14), S. 110. Das Jonglieren, will es scheinen, mit Begriffen, denen letztendlich immer eine rassenbiologische und -politische Bedeutung zugewiesen wurde, wird bei Scheidt schon 1931 deutlich: Kulturpolitik, heißt es bei ihm, „fällt (…) völlig zusammen mit dem, was man Rassenhygiene oder Eugenik nennt. Diese Tatsache konnte nur so lange verborgen bleiben, als man Befriedigung des persönlichen, individuellen Lebens als Wertmaßstab anerkannte. Heute ist das nicht mehr möglich.“ (Walter Scheidt, Kulturpolitik, Leipzig 1931, S. 6/7, zitiert nach Jürgen Cromm, „Gesellschaft versus Individuum. Bevölkerungswissenschaftliche Standpunkte und Postulate in der Zeit vor dem Nationalsozialismus“, in: Rainer Mackensen (Hg.), Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik vor 1933. Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft und der Johann Peter Süßmilch-Gesellschaft für Demographie mit Unterstützung des Max Planck-Instituts für demographische Forschung, Rostock, Opladen 2002, S. 77-102, Zitat: S. 88.
16 So beispielsweise Harten/Neirich/Schwerendt (wie Anm. 2), S. 286: „(...) er wahrte Distanz zur Politik und bestand auf seiner Unabhängigkeit als Wissenschaftler“. Selbst für Massin (s.u., Anm. 29), S. 19, gilt der Rassenbiologe als „der als gemäßigt einzustufende Walter Scheidt“. Schon Lutzhöfts Darstellung der Ansichten und Rolle H. F. K. Günthers geht von der Annahme aus, Scheidt (wie v. Eickstedt und Schwidetzky) sei geeignet, „wissenschaftliche“ Argumente gegen die NS-Rassenideologie, etwa in Gestalt der Ausführungen Günthers, liefern zu können. (Siehe Hans-Jürgen Lutzhöft, Der Nordische Gedanke in Deutschland 1920-1940, Stuttgart 1971) Auch Michael Vetsch, Ideologisierte Wissenschaft. Rassentheorien in der deutschen Anthropologie zwischen 1918 und 1933, Lizenziatsarbeit, Bern 2003, S. 81, übernimmt diese Sicht. So fasst er zusammen: „Seine Weigerung, rassische Abstammungsgutachten zu erstellen verdeutlichen Scheidts nicht anbiedernde Gesinnung. (…) In einer Art schweigendem Widerstand durfte er den ideologischen Abweichungen zum Trotz bis 1945 unbehelligt weiter forschen und lehren.“ Insbesondere, so Vetsch weiter, habe Scheidt zwar „das Konzept einer nordischen Rasse nicht vollständig [verworfen], doch sah er weder alles Nordische bzw. Arische als überlegen an, noch erachtete er die Juden als minderwertig oder gar für den 'deutschen Volkskörper' als gefährlich.“ Tatsächlich hat Scheidt es jedoch verstanden, seine demonstrative „Wissenschaftlichkeit“ auch mit gängig-antisemitischen Darlegungen zu verbinden, wie etwa sein Aufsatz von 1937 über „Die nordische Rasse“ belegt. (S. 501-515, in: Hans Friedrich Blunck (Hg.), Die nordische Welt. Geschichte, Wesen und Bedeutung der nordischen Völker, hrsg. unter Mitwirkung v. Fred J. Domes, Berlin 1937.) Scheidts Gegenüberstellung einer „nordischen“ und einer „vorderasiatischen“ „Rasse“ bzw. „Wesensart“ gipfelt in der Behauptung: „Für die Begegnung der vorderasiatischen und der nordischen Wesensart in der Lebenshaltung mitteleuropäischer Völker hat das Judentum besondere zeichen- und beispielsmäßige Bedeutung gewonnen, weil die rassisch ganz vorwiegend vorderasiatischen Juden als Träger und Sendboten eines rasseneigenen, also wesentlich vorderasiatischen Volkstums diese Begegnung sozusagen personifizieren.“ (S. 508) Diesem „Judentum“ bzw. der „vorderasiatischen Rasse“ werden dann Eigenschaften wie die folgenden zugeschrieben: Ein Mensch dieser „Rasse“ gelte, „im Gegensatz zum nordischen Menschen, als h ä n d l e r i s c h e r Mensch“ mit einer „ausgeprägten Fähigkeit zur suggestiven (…) Menschenbehandlung“ und werde daher oft als der „zudringlich abgelehnte vorderasiatische Mensch“ empfunden – wegen seiner „'andringenden' Wesensart“. (S. 504) Im Wirtschaftsleben arbeite er vorwiegend „mit den Mitteln der Überredungskunst und des Triebreizes“, wobei sich die „andringenden Wesensarten“ vor allem mit „'Absatz'“, mit dem „Material- und dem Tauschmittelmarkt (also besonders dem Geldmarkt)“ befassen würden, im Unterschied zum „nordischen“ Menschen, der sich der „Erzeugung“ von Waren widme. (S. 505) („So erklärt sich auch der Eindruck einer 'ausnützerischen', 'schmarotzenden' Haltung der händlerischen Menschen“, merkt Scheidt an; S. 508, Anmerkung 1). Dieser, der „nordische Mensch“, sei – wie Scheidt an einem anderen Lebensbereich erläutert – beispielsweise als „Lehrer“ mit „Wissensgebieten“ der „Naturbewältigung“ befasst, für jenen – den „vorderasiatischen Menschen“ - sei dagegen die „literarisch-ästhetische Behandlung der Sprache, [seien] die meisten Behandlungsformen der Kunstgeschichte, ein großer Teil der Schulphilosophie“ typisch.(S. 506) Auch in der Kunst – in der „Suggestionskunst“ - sei eine „ vorderasiatisch-jüdische“ Richtung festzustellen, welche „Vertreter extrem suggestiver, nur-andringender Kunstversuche“ hervorbrächten: und zwar „im Expressionismus, im Kubismus, in der 'atonalen Musik', im Dadaismus“. (S. 507) Insgesamt ließe sich zu dem „oft nachgewiesenen übermäßigen Anteil der Juden in führenden Stellungen des öffentlichen Lebens“ sagen: „Diese frühere kulturelle Machtstellung der Juden ist u.a. durch ihre besondere Fähigkeit zur suggestiven Menschenbehandlung zu erklären“.(S. 509) Wie der „Wissenschaftler“ Scheidt zu seiner „Schilderung des bedeutsamsten rassenpsychologischen Unterschiedes europäischer Völker“ gekommen ist, erklärt er mit einem knappen methodologischen Hinweis: „Ich habe mir aus den bei der medizinischen Psychologie schon seit einiger Zeit vorhandenen Ansätzen, in deren Anwendung auf andere Darstellungen und eigene Erfahrungen folgendes vorläufiges Bild davon gemacht“.(S. 504) Zu solcherart gewonnenen „rassenpsychologischen“, verschiedenen „Wesensarten“ nachspürenden Angaben gesellen sich die eher klassischen: „Im Vergleich zu mittel- und südeuropäischen Landschaften weisen die nordeuropäischen Völker größeren Wuchs, hellere Körperfarbe und längere Kopfform auf“, es sei also eine „nordische Rasse“ festzustellen, „welche, was die körperlichen Eigenschaften betrifft, aus den Erbanlagen für beträchtliche Körpergröße und Kopflänge, helle Augen und Hautfarbe, schlichte Haarform und schmale Lippenform besteht.“ Im Gegensatz dazu die „vorderasiatische Rasse“: „geringere (etwa mittlere) Körpergröße, ausgesprochen kurze Kopfform, dunkle Augen, dunkle Haare, dunklere Haut, wellige Haarform und dickere Lippenform.“(S. 511) Bemerkungen zur Nasen- und Fußform der „Vorderasiaten“ spart Scheidt hier aus, aus rein „wissenschaftlichen“ Gründen vermutlich. Sein Beitrag – bemerkenswerter Weise nicht einer von Hans F. K. Günther - gehört in den Zusammenhang des „Nordischen Gedankens“, der u.a. von Verleger Lehmann (mit „Volk und Rasse“), Darré und H. F. K. Günther sowie eben auch Blunck in dieser Zeit propagiert wurde. Scheidts Einbeziehung ist bisher kaum thematisiert worden.
Dagegen wurde mehrfach hervorgehoben, dass Hamburgs Universität insofern eine Ausnahme in der rassenbiologischen Wissenschaftsszene gebildet habe, als unter Scheidt keine Abstammungsgutachten erstellt worden seien, die vor allem als Nachweis „arischer“ Abstammung benötigt wurden. Bei Michael Vetsch, a.a.O., S. 75, heißt es beispielsweise über Scheidt: „1938 schlug er die an ihn gestellten Gesuche auf Erstellung von rassenkundlichen Abstammungsgutachten mit der offiziellen Begründung aus, er sei nicht in der Lage derartige zeitraubende Gutachten zu erstellen, ohne die Lehr- und Forschungsaufgaben zu vernachlässigen.“ Daraus zu schließen, damit werde Scheidts innerer politischer Widerstand gegenüber dem NS-Regime deutlich, ist jedoch keineswegs zwingend. Scheidt hatte, wie es weiter heißt, „schon Jahre zuvor an der Wissenschaftlichkeit und Aussagekraft der Abstammungsgutachten gezweifelt“ (ebd.), wie sie von vielen anderen Rassenbiologen erstellt wurden. Während der Professor für „Rassen- und Kulturbiologie“ mit seinem Rassenbiologischen Institut also selbst keine Gutachten erstellte, übernahm diese Aufgabe sein Mitarbeiter (Assistent) Friedrich Keiter (bis zu seinem Weggang nach Würzburg) um so eifriger - siehe dazu bereits Hünemörder (wie Anm. 1) -, was sich als auf verschiedene Weise nützliche Arbeitsteilung erweisen sollte. (Scheidt stand nach 1945 mit „sauberen“ Händen da, was diese Gutachten betraf; Keiter konnte sich als freischaffender Vaterschaftsgutachter über Wasser halten, bis er endlich doch wieder in die Wissenschaftsgemeinde in Würzburg und Hamburg als Fachmann aufgenommen wurde – ab 1958 als „außerplanmäßiger“ Professor.)
17 Walter Groß, „Über die Rassenhygiene als Lehr- und Forschungsfach“, „Ziel und Weg“ 7/1937, S. 166, zitiert nach: van dem Bussche (wie Anm. 14), S. 99/100
18 Siehe Scheidt, „Politik und Biologie“ (wie Anm. 15), S. 457-461; auch: Walter Scheidt, „Soll der Schulunterricht auch in Zukunft vorwiegend ein philologisch-historischer Unterricht sein? Zum anderen Mal ein Wort für die Biologie“, „Hamburger Lehrerzeitung“ 12/1933, S. 527-529 - Beispielsweise zu Hamburgs Volksschulen siehe „Grundsätze zu einer Bildungsplanung für die hamburgische Volksschule“, 4. Dezember 1933, nach: Reiner Lehberger, „Der 'Umbau' der Hamburger Volksschule. Eine Dokumentation schulpolitischer Maßnahmen in der Frühphase der NS-Zeit“, in: Reiner Lehberger/Hans-Peter de Lorent (Hg.), „Die Fahne hoch“. Schulpolitik und Schulalltag in Hamburg unterm Hakenkreuz, Hamburg 1986, S. 15-33. - An dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, dass Scheidts Vorstellungen von der Verbindung von Rasse, Kultur und Erziehung offensichtlich in pädagogisch empfänglichen Kreisen eine gewisse Attraktivität besaßen, wie an der Konzeption Peter Petersens („Jena-Plan“) ablesbar ist: „Er bezog sich vor allem auf Günther und Darré, aber auch auf die rassen- und kulturbiologischen Ansätze von Scheidt und Keiter (…).“ (Harten/Neirich/Schwerendt (wie Anm. 2), S. 174) Siehe zu Petersen auch Benjamin Ortmeyer, Mythos und Pathos statt Logos und Ethos. Zu den Publikationen führender Erziehungswissenschaftler in der NS-Zeit: Eduard Spranger, Hermann Nohl, Erich Weniger und Peter Petersen, Weinheim 2009.
19 Siehe zu Scheidts Vorstößen in die Bereiche Erziehung, Justiz und Psychologie u.a. Harten/Neirich/Schwerendt (wie Anm. 2), S. 286-288
20 Details bei Hünemörder, Roth und Harten/Neirich/Schwerendt (wie Anm. 1 und 2).
21 Scheidt, „Politik und Biologie“ (wie Anm. 15), S. 458; Walter Scheidt, Die Träger der Kultur, Berlin 1934, S. 130. In diesem Buch gibt Scheidt eingangs zu erkennen, welche Kontinuitätslinien seine Rassenbiologie bestimmten und welche Euphorie ihn (damals noch) erfasst hatte: „Die vorliegende Schrift ist aus den Vorlesungen über Rassenhygiene entstanden, welche der Verfasser seit einer Reihe von Jahren an der Hamburgischen Universität gehalten hat. (…) Die Niederschrift erfolgte im Sommer 1932 (…). Vieles von dem, was früher zur allgemeinen Grundlegung des biologischen Denkens an geschichtlichen Stoffen und politischen Aufgaben vorausgeschickt werden mußte, ist heute überflüssig geworden. Denn die weltgeschichtliche Tat unseres Führers Adolf Hitler hat das, was einmal Theorie Weniger gewesen ist, zur Wirklichkeit Aller gemacht. Sein Erfolg läßt alle anderen Versuche der grundsätzlichen Überzeugung verblassen. Die Zeit, da rassenbiologische Lehren belächelt, bezweifelt und bekämpft wurden, liegt für immer hinter uns. Die deutschen Rassenhygieniker (…) danken es der nationalsozialistischen Revolution, daß ihre Arbeit nicht vergeblich gewesen ist.“(Ebd., S. 5)
22 Roth (wie Anm. 1), S. 113
23 Siehe ebd., S. 116.
24 Ebd.
25 Siehe hierzu vor allem Roth (wie Anm. 1), besonders S. 115-119 („Kontroversen um die beste 'Rassenbiologie'). Gegen Roths Darstellung ist verschiedentlich eingewandt worden, er gehe in Schlussfolgerungen zu weit, es mangele an konkreten Belegen u.ä., was insbesondere die Rolle des Rassenbiologen bezüglich der Hamburger Mediziner und der Hamburger Verwaltung angeht (siehe z.B. van dem Bussche, wie Anm. 14 ). Die Charakterisierung der Rassenbiologie Scheidt'scher Prägung, wie sie Roth ausführt, ist jedoch auch dort nicht bestritten worden. Siehe dazu inzwischen insbesondere das Kapitel 3.1 „Rassetypologie und Mischungslehre“ in Bernhard Matz, Die Konstitutionstypologie von Ernst Kretschmer. Ein Beitrag zur Geschichte von Psychatrie und Psychologie des Zwanzigsten Jahrhunderts, Diss. Berlin 2000, ebenso Vetsch (wie Anm. 16), S. 74-82.
26 Siehe Roth (wie Anm. 1), S. 118.
27 Aus einem Schreiben Scheidts nach Fortgang seines Assistenten bzw. Mitarbeiters Keiter (nach Würzburg) betreffend geeignete Studenten und neue Assistenten (aus dem Staatsarchiv Hamburg, zitiert nach Hühnemörder (wie Anm. 1), S. 1176).
28 Dazu detailliert ebd., S. 1181-1184.
29 Zu dieser lange verdeckten Historie siehe besonders Benoît Massin, „Anthropologie und Humangenetik im Nationalsozialismus oder: Wie schreiben deutsche Wissenschaftler ihre eigene Wissenschaftsgeschichte?“, in: Heidrun Kaupen-Haas/Christian Saller (Hg.) (wie Anm. 6), S. 12-64. Siehe in dieser Veröffentlichung auch das Vorwort des Herausgeberteams.
30 Siehe van dem Bussche (wie Anm. 14), S. 110/111
31 Hünemörder (wie Anm. 1), S. 1175, schreibt dazu: „Die beiden Bände (…) stehen aber so sehr außerhalb der Naturwissenschaften, daß sich ein Eingehen an dieser Stelle [wo es um Biologie und Rassenbiologie geht] verbietet.“
Der Untertitel der beiden Schriften (1. Teil: Theorie und Methode, 2. Teil: Die zahlenmäßige Kennzeichnung verschiedener Stile) lautet: Versuch einer Sprachdeutung als Hilfsmittel für rassenpsychologische Forschungen.
32 Einzelheiten siehe ebd., S. 1185/1186
33 So ebd., S. 1187. Zur Charakterisierung als „esoterisch“: Jakob Michelsen/Robert Boltin, „Rassenbiologie am Humanbiologischen Institut Hamburg. Prof. rer. rass.“, http://archive.is/mzWXQ (8. 8. 2015); vgl. auch: Nimtz-Köster, „Alte Lehren zementiert“, „Der Spiegel“ 20/1997, S. 218 ff.
34 Angaben nach Hanna Leitgeb, Der ausgezeichnete Autor. Städtische Literaturpreise und Kulturpolitik in Deutschland, 1926-1971, Berlin 1994, S. 227. - Zu Karl Götz siehe: „Karl Götz (Schriftsteller) – Wikipedia“, https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Götz_(Schriftsteller) (8.8.2015) – Wilhelm Raabe, nach dem der Preis benannt war, stand im Ruf, ein Lieblingsschriftsteller von Propagandaminister Goebbels zu sein.
35 Zitate zum Roman: http://www.wesfr.de/ns-literatur/dekadenz.htm (4.8. 2015)
36 Der Text (siehe Anm. 35) stammt aus: Frank Westenfelder, Genese, Problematik und Wirkung nationalsozialistischer Literatur am Beispiel des historischen Romans zwischen 1890 und 1945 (= Europäische Hochschulschriften 1/Diss. Karlsruhe 1987), Frankfurt/M. u.a. 1989, S. 307 ff.
37 Zu Scheidts Verhalten siehe u.a. Harten/Neirich/Schwerendt (wie Anm. 2), S. 286.
38 Ankündigung des Vortrags: „Blätter der Fehrs-Gilde“ 2/Juli-September 1925, S. 52; Frommans kritischer Bericht „Gildetag in Segeberg“: „Blätter der Fehrs-Gilde“ 3/Oktober-Dezember 1925, S. 5-11 (Zitat: S. 8); Boecks „Rettungsversuch“: ebd., S. 15-18 (Zitat: S. 15). Drei Jahre später brachte die „Fehrs-Gilde“ die Publikation „Was ist niederdeutsch?“ (Kiel 1928) heraus, mit dem Beitrag von Hans F. K. Günther zum „Niederdeutschen Stammestum“.
39 Vereinigung Niederdeutsches Hamburg (Hg.), Nedderdüütsch Volk – een enig Volk. Bericht über die 2. Niederdeutsche Tagung in Bergedorf 1937 erstattet von Prof. Dr. Rud[olf]. Schmidt, Hamburg 1937, S. 83/84 – Rudolf Schmidt hatte sich noch 1933 in der „Hamburger Lehrerzeitung“ gegen Scheidts biologische Allmachtswünsche gesperrt ( Rudolf Schmidt, „Eine ganz kleine bescheidene Entgegnung“, „Hamburger Lehrerzeitung“ 12/1933, S. 507-509), nun war ihm die Zusammenarbeit mit dem Rassenbiologen recht; ob bzw. in welcher Weise es tatsächlich zu einer Zusammenarbeit gekommen ist, müsste geklärt werden.
40 Zu Scheidts „markigen“ Worten: Barbara Vogel, „Anpassung und Widerstand. Das Verhältnis Hamburger Hochschullehrer zum Staat 1919 bis 1945“, in: Krause/Huber/Fischer (wie Anm. 1), S. 3-38, Zitat: S.72, Anm. 123. „Volk und Rasse“ war auch der Titel der vom völkischen Aktivisten und Verleger Lehmann lancierten Zeitschrift, für deren Herausgabe er 1926 Scheidt gewonnen hatte, dessen Finkenwerder-Studie vom gleichen Jahr (1926) er verlegte. Überhaupt erschienen in J. F. Lehmanns Verlag bis 1926 zahlreiche von Scheidts Publikationen; nach 1945 veröffentlichte er dann eine Reihe von Schriften im Verlag Urban & Schwarzenberg , der als Nachfolger von J.F. Lehmanns (für wissenschaftliche Literatur) fungierte. Verleger Lehmann gehörte auch zu den direkten „Förderern“ der Finkenwerder-Untersuchung - ebenso wie Thilenius bzw. das Völkerkundemuseum, Otto Lehmann, Leiter des Altonaer Museums, und die niederdeutsche Vereinigung „Männer vom Morgenstern“ (siehe Laukötter (wie Anm. 9), S. 286/287). (Scheidt gab seine Herausgebertätigkeit für „Volk und Rasse“ nach dem ersten Jahr wieder auf; die Herausgeberschaft ging an den Rassenbiologen Otto Reche, später auch an Himmler und Darré über.) - Zu Scheidts Gutachtertätigkeit in Sachen „arischer Abstammung“ siehe Harten/Neirich/Schwerendt (wie Anm. 2), S. 460.
41 Harten/Neirich/Schwerendt (wie Anm. 2), S. 286
42 Peter Borowsky, „Die Philosophische Fakultät 1933 bis 1945“, in: Krause/Huber/Fischer (wie Anm. 1), S. 441-458, Zitat: S. 450
43 Siehe Anm. 33.
 

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Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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