Begriffserklärungen

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Heinrich Sahrhage

(21.4.1892 Hamburg – 23.5.1969 Hamburg)
Lehrer, Führend in der Schullandheimbewegung und in der Kinderlandverschickung
Kupferdamm 74 (Wohnadresse 1943)
Wirkungsstätte: Dammtorstraße 25 (Unterrichtsbehörde)

Dr. Hans-Peter de Lorent verfasste dieses Profil für sein Buch „Täterprofile Band 2“.

Heinrich Sahrhage ist in jeder politischen Phase, vor, nach und während der Zeit des Nationalsozialismus die führende Person der Schullandheimbewegung gewesen. Ab 1940 war er in enger Verbindung mit der Schulverwaltung, dem NSLB und der HJ der Organisator und Chefinspekteur der erweiterten Kinderlandverschickung (KLV).

Während des Entnazifizierungsverfahrens, das ihn zum Studienrat zurückstufte, knüpfte er nahtlos an die Schullandheimarbeit an. 1961 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen.

Heinrich Sahrhage wurde am 21.4.1892 in Hamburg als Sohn des Kaufmanns Johann Hermann Sahrhage und dessen Frau Margarethe geboren. Nach der Reifeprüfung am 23.9.1911 an der Oberrealschule St. Georg studierte Heinrich Sahrhage Naturwissenschaften an der Universität Kiel, wo er am 13.11.1915 „zum Doktor promoviert wurde“.1

Die Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen bestand er am 3.12.1915 mit der Lehrbefähigung für Botanik und Zoologie, Chemie nebst Mineralogie und Erdkunde. An der Oberrealschule vor dem Holstentor absolvierte Sahrhage seit dem 1.4.1916 sein Anleitungsjahr und das Probejahr. Während dieser Zeit wurde Sahrhage vom Bezirkskommando I zum 11.7.1916 für den Kriegsdienst reklamiert. Der Einspruch der Oberschulbehörde bewahrte ihn davor, ließ ihn die Ausbildung zum Lehrer fortsetzen. Die Militärkommission des Senats stellte ihn zurück, gruppierte ihn zu den „Überzähligen“, so dass er bis Ende des Krieges nicht mehr eingezogen wurde.

Am 1.6.1923 wurde Heinrich Sahrhage zum Oberlehrer ernannt.2 Er arbeitete weiter an der Oberrealschule vor dem Holstentor, einer Schule, die zusammen mit der Lichtwarkschule zu den reformpädagogisch orientierten höheren Schulen in Hamburg zählte.3

Heinrich Sahrhage erkannte als Naturwissenschaftler von Beginn seiner Lehrtätigkeit an den Wert, das Lernen nicht nur im Schulgebäude stattfinden zu lassen, Ausflüge und Wanderungen durchzuführen. „Die erste Fahrt mit Übernachtungen unternahm Sahrhage mit seinen Schülern zu Pfingsten 1919. Ein Vater stellte sein Sommerhaus in Niendorf an der Ostsee zur Verfügung. Für vier Tage musste sich die Klasse, versorgt durch mitgenommene Lebensmittel, selbst verpflegen. Im Januar des folgenden Jahres unternahm man eine siebentägige Klassenfahrt in das Heidehaus Horst des Hamburger Schwimmvereins Stern.“4

Für Sahrhage waren das „die ersten Versuche eines landverbundenen Unterrichts“.5 Er wurde danach zum Propagandisten und Funktionär der Schullandheimbewegung. Für die Oberrealschule vor dem Holstentor (später Albrecht-Thaer Schule) initiierte und realisierte er 1922 den Kauf des Schullandheims in Hoisdorf. Mit Schülern und Kollegen „machte er sich umgehend an die Herrichtung des erworbenen Niedersachsenhauses mit 10.000 m² Grundstück, zwei Stallgebäuden, Garten, Teich und Ackerland“.6

Mit einer Gruppe ausgesuchter Schüler blieb er dort für einige Wochen. Ein Schüler erinnerte diese Zeit: „Unser Tagwerk war eingeteilt in Unterricht, Küchendienst und Arbeit am Haus. Wir durften gegenüber der Klasse nicht zurückbleiben. Dr. Sahrhage bestritt den gesamten Unterricht für zwei Klassen allein. 2–3 Stunden vormittags reichten aus. Schularbeiten waren nicht nötig.“7

Und Heinrich Sahrhage beschrieb den Wert der Arbeit im Schullandheim so: „Man lernte sich im kleinen Kreise schnell kennen, man wurde mit den Klassenlehrern seiner Jungen vertrauter, man gewann das Gefühl der gemeinsamen Mitverantwortlichkeit.“8

Später pointierte Sahrhage dies: „Der Lehrer stieg (endlich) vom Katheder und wurde Mensch, lernte seine Kinder besser kennen und – oft erst dann – auch wirklich seinen Beruf verstehen.“9

Sahrhage war somit offensichtlich ein pädagogischer Pionier.

Er verschrieb sich seiner Arbeit völlig, lebte dafür. Kein einzuweihendes Schullandheim in Hamburg ohne Heinrich Sahrhage. Als der Reichsbund Deutscher Schullandheime am 1.10.1925 gegründet wurde, gehörte Sahrhage dem Vorstand an, zuständig für die Tagespresse und später für das Mitteilungsblatt des Reichsbundes. Er war gleichzeitig Vorsitzender der AG Hamburger Schullandheime10, wobei Sahrhage, anders als die Protagonisten der Reformpädagogik, sich nicht auf eine explizit pädagogische Ausrichtung, ein pädagogisches Programm festlegen wollte. Sahrhage schrieb: „Denn das ist die Grundlage des Schulheimgedankens: die einzelnen Klassen geschlossen hinaus zu schicken unter Führung ihrer Lehrer, die in der Schule bestehende Arbeitsgemeinschaft zu erweitern zu einer Lebensgemeinschaft, zugleich der körperlichen Erholung und geistigen Entspannung zu dienen und für den Unterricht neue wertvolle Anregungen zu gewinnen. Obgleich zumeist aus der Erholungsfürsorge geboren, geht der Schulheimgedanke heute weit darüber hinaus.“11 Und an anderer Stelle „Das ist ja das Schöne an der Schullandheimbewegung, daß sie nicht aus bestimmten pädagogischen Theorien von außen her geformt wird, sondern sich nach eigenen inneren Gesetzen folgerichtig aus der pädagogischen Praxis entwickelt.“12

Sahrhage war überregional unterwegs, hielt Vorträge zum Thema Schullandheime. Auch an internationalen Tagungen nahm er teil. Für einen Kongress in Brüssel vom 8. bis zum 11.4.1931 vom Comiteé international des Écoles de plein air erhielt er Dienstbefreiung und einen Kostenzuschuss von 200 Reichsmark.

Für die Nationalsozialisten erwiesen sich die Schullandheime und die Schullandheimbewegung als sehr nützlich. Sie boten den Rahmen für andere ideologische Zwecke. Und Heinrich Sahrhage, der laut seiner Entnazifizierungsakte von 1918 bis 1933 der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und der daraus entstandenen Deutschen Staatspartei angehört hatte, machte weiter mit.

An der Oberrealschule vor dem Holstentor war der eifrige Nationalsozialist Bruno Peyn als Schulleiter eingesetzt worden13 und auch der Verein des Schullandheims in Hoisdorf wurde nach dem Führerprinzip umstrukturiert. Bruno Peyn stand als Vorsitzender des Schullandheimvereins der Schule an der Spitze mit Heinrich Sahrhage als Geschäftsführer. Ziele und Zwecke des Schullandheims änderten sich, um, wie der Lehrer Erich Schefe schrieb „nach so vielen lauen Jahren erste Grundlagen zu Mannhaftigkeit und Wehrhaftigkeit zu legen“.14

1933 wurde damit begonnen, in der Umgebung des Schullandheimes Schießübungen zu veranstalten. „Diese Art der Erziehungsabsicht mündete nach dreijähriger Gemeinschaftsarbeit in einem 50 m langen, von Wällen umgebenen Kleinkaliberschießstand mit vier Ständen. Im Rahmen der nationalsozialistischen Wehrsporterziehung kamen im wöchentlichen Wechsel 3–4 Klassen für einen Tag nach Hoisdorf, um dort Schießübungen abzuhalten.“15

Im Schullandheim Hoisdorf fanden jetzt auch Lehrer- und Schulungslager des NSLB statt, auch unter Teilnahme von Heinrich Sahrhage: „Hinzu kamen Tagungen des BDM. Als Neuerung wurde von der NSV den Schullandheimen für die Sommerferienbetreuung einige erholungsbedürftige Kinder zugewiesen.“16

Der Reichsbund der deutschen Schullandheime schwenkte sofort in NS-Richtung um. In einer Erklärung, die der Vorstand unter Beteiligung von Heinrich Sahrhage am 1.4.1933 abgab, hieß es: „Der Reichsbund der deutschen Schullandheime vertritt eine pädagogische Bewegung, welche aus ihrem innersten Wesen heraus nationale und soziale Zwecke verfolgt. Hygienische Lebensführung, kameradschaftlicher Geist, soziales Verantwortungsgefühl, staatsbürgerliche Gesinnung und tief empfundene Vaterlandsliebe sind seine Ziele. In diesem Sinne führen wir unsere Arbeit weiter und begrüßen den sozialen und nationalen Ausbau unseres Schulwesens, mit dem wir einen machtvollen Aufschwung der deutschen Schullandheimbewegung erwarten.“17

Und der Vorsitzende des Reichsbundes, Rudolf Nicolai, der am 1.4.1933 in die NSLB und am 1.5.1933 in die NSDAP eingetreten war, schrieb im „Völkischen Beobachter“: „Ein Bäumchen, das bisher wenig beachtet im Schatten stand, hat nun die Möglichkeit bekommen, sich frei zu entfalten und zu einem kräftigen Baum zu entwickeln: das deutsche Schullandheim“.18

In den Führerbeirat des Reichsbundes berief Nicolai als Stellvertreter den Hamburger Leiter der Schülerfürsorge, Theodor Breckling und Heinrich Sahrhage als Schriftführer und Leiter der Wirtschafts- und Pressestelle.19

Sahrhage war seit dem 1.5.1933 im NSLB und seit dem 1.5.1937 NSDAP-Parteimitglied geworden. Er fungierte als Gausachbearbeiter für die Schullandheime.

Der Reichswalter des NSLB, wie der Führer der Gesamtorganisation genannt wurde, Fritz Wächter, hatte 1936 erklärt: „Eine Schule kann ihre heutige nationalsozialistische Erziehungsaufgabe nicht voll erfüllen, wenn ihr nicht die Möglichkeit gegeben ist, ihre Klassen alljährlich ins Schullandheim zu bringen.“20

Tobias Mittag notierte, dass auch Adolf Hitler sich sehr „erfreut“ über die Nutzungsmöglichkeiten der Schullandheime für die Arbeit mit Schulklassen geäußert hatte, so dass NSLB-Führer Wächter feststellen konnte: „Wer also heute noch Zweifel über die Bedeutung der Schullandheime hegt, setzt sich in Widerspruch zu der Meinung unseres Führers.“21

Heinrich Sahrhage arbeitete nun im Curiohaus, hielt dort Sprechstunden ab und veröffentlichte in der HLZ unterm Hakenkreuz, auch zu Themen, die nicht unmittelbar mit Schullandheim-Fragen zu tun hatten, im Laufe der Jahre dann insbesondere im Zusammenhang mit der Kinderlandverschickung. Seit 1940 übernahm Heinrich Sahrhage eine zentrale Rolle als „Leiter des Einsatzstabes bei der Gauwaltung des NSLB“. Er war hierbei der engste Mitarbeiter von NSLB-Führer Willi Schulz, der gleichzeitig als Landesschulrat fungierte. In enger Absprache mit Schulz und der Schulverwaltung sowie der NSDAP, der HJ und den Hamburger Schulen organisierte Heinrich Sahrhage die Verschickung der Kinder, der Lehrer und der Lagerleiter. Er war die Ansprechperson bei allen Schwierigkeiten, Problemen und Konflikten und bewies dabei viel Umsicht, Klarheit und Problemlösungskompetenz. Sahrhage schien in seinem Element. Unzählige Dokumente im KLV-Bestand des Staatsarchivs Hamburg belegen dies. Da das Thema Kinderlandverschickung von zentraler, lebensrettender Bedeutung war im Laufe der Kriegsjahre22, erlangte Heinrich Sahrhage in dieser Funktion eine wichtige Rolle und Verantwortung für das Hamburger Schulwesen, den NSLB und die NSDAP. Er war Teil des NS-Apparates, mit allen führenden Personen im engen persönlichen Kontakt. Und auch in seinen Veröffentlichungen machte er deutlich, Teil der NS-Bewegung zu sein.

Ein paar Beispiele: „Mit dem 30. Januar 1933 trat der Wendepunkt in der deutschen Wirtschaftskrise ein. Adolf Hitler wurde Kanzler und Führer des Reiches. Neues Vertrauen wuchs wie überall im Lande so auch bei uns und kam bei der feierlichen Flaggenhissung am ‚Tag der Schulgemeinde‘ in Hoisdorf zum Ausdruck.“23

Das Schwerpunktheft des Mitteilungsblattes des NSLB, Gauwaltung Hamburg, im Februar 1941 wurde eingeleitet durch einen Beitrag von Heinrich Sahrhage: „Die Hamburger Kinderlandverschickung im Kriegswinter 1940/1941“. Sahrhages Funktion im NSLB-Einsatzstab wurde dabei benannt. Er begann: „In den ersten Oktobertagen 1940 erging ein Rundschreiben der NSDAP Gau Hamburg, Amt für Volkswohlfahrt, an alle Hamburger Eltern. Darin hieß es: ‚Von jeher ist es das Bestreben unseres Führers, die Gesunderhaltung der Jugend ganz besonders zu fördern. Jetzt, mitten im Kriege, ist es wieder seiner großzügigen Anregung zuzuschreiben, daß eine stattliche Anzahl Kinder sich fern der Großstadt erholen sollen.‘“24

Wie sehr Sahrhage im Zentrum des Geschehens stand, beschrieb er: „Der Gauleiter selbst faßte in zwei großen Sitzungen im Rathaus alle an der Arbeit beteiligten Parteistellen und Organisationen zusammen und gab ihnen genaue Richtlinien für die gemeinsame Arbeit. Die NSV übernahm die Anmeldung und Transportleistung, sowie die Unterbringung der Kinder unter zehn Jahren in Familienpflegestellen. Die HJ hatte in den Gastgauen für die Bereitstellung der Lagerunterkünfte für die 10 bis 14-jährigen Jungen und Mädel zu sorgen. Der NSLB bekam den Einsatz der Lehrkräfte für die unterrichtliche Betreuung der verschickten Kinder und die verantwortliche Leitung der Lager. Neben dem Lehrer sollte jeder Gruppe ein HJ-Führer bzw. eine BDM-Führerin zugeordnet werden. So lief die Sache schnell in geordneten Bahnen. Um die praktische Verbindung mit den Gastgauen herzustellen, wurden Verbindungsstäbe nach Bayreuth, Dresden, München und Wien entsandt, denen Mitglieder von NSV und NSLB, HJ und BDM, NS-Frauenschaft und NS-Ärzteschaft angehören.“25

Und auch die Größe der Aufgabe für Heinrich Sahrhage im Epizentrum der Organisation im Curiohaus wurde deutlich: „Der Gauwalter des NSLB, Pg. Landesschulrat Schulz, bildete einen Einsatzstab, der seither im Curiohaus wirkt und über die zehn Kreiswalter mit den Schulwaltern und Schulleitern die Besetzung der Transporte, Gastschulen und Lager mit Lehrkräften regelt, diese betreut und sie nach Bedarf austauscht, versetzt, beurlaubt oder ergänzt, und zwar im Einvernehmen mit den Lehrerbundsvertretern in den Verbindungsstäben, welche wieder in den Gau- und Kreiswaltungen der Gastgraue den Anschluss an die dortigen Berufsorganisation herstellen. Dieser Einsatz ist leichter gesagt als getan, da bis Weihnachten rund 1200 Berufskameraden davon erfasst wurden, welche etwa 60.000 Hamburger Kinder betreuen.“26

Für Heinrich Sahrhage wurde dabei offensichtlich auch der Gedanke der Schullandheimbewegung Wirklichkeit – nun in der lebensbedrohenden Not des freilich selbst angezettelten Krieges: „Da wechseln nicht nur die Mahlzeiten mit Unterricht, Sport, HJ-Dienst, Freizeit und Appellen, da gibt es nicht nur Ausmärsche, Besichtigungen, Wanderungen, Ski- und Schlittenfahrten, Musik, Gesang, Spiel und Tanz, sondern da heißt es Bettenbauen, Stuben fegen, Küchendienste leisten, Körperpflege treiben, Haareschneiden, Kleidung und Schuhe in Ordnung halten, an die Eltern schreiben und vieles andere mehr.“27

Es erwies sich schon zu diesem Zeitpunkt, noch lange bevor die unendlichen Klagen von Lehrern und KLV-Lagerleitern im Curio-Haus ankamen, dass Heinrich Sahrhage durchaus den Wert und die Funktion der HJ-Führer und BDM-Führerinnen zu schätzen wusste und weit entfernt davon war, über Kompetenzschwierigkeiten zu lamentieren: „In diesen Dingen haben sich die HJ-Führer bzw. BDM-Führerinnen vielfach als gute Helfer und Mitarbeiter der Lehrkräfte erwiesen, und es wird gewiß auch ein Erfolg der Kinderlandverschickung sein, daß Hitler-Jugend und Lehrerschaft in wirklicher Gemeinschaftsarbeit sich gegenseitig kennen und verstehen gelernt haben.“ Wobei Sahrhage einräumte: „Gewiß sind nicht alle Lehrkräfte und alle HJ-Führer in gleicher Weise für den Lagerbetrieb geeignet, es sind ja aber auch Lehrer abgestellt, um an den örtlichen Schulen der Gastgaue die dort eingeschulten Hamburger Kinder aus den Familienpflegestellen zu unterrichten. Gewiß sind auch nicht alle Kinder für die Verschickung geeignet, es gibt darunter robuste wie empfindliche, Flegel wie Muttersöhnchen, solche, die mehr aus Abenteuerlust oder elterlicher Bequemlichkeit als aus wirklicher Notwendigkeit mit hinausgingen. Gewiß sind Schwierigkeiten und Mißverständnisse aller Art vorgekommen und nicht restlos beseitigt. Aber: wenn 95 v. H. vom Ganzen in Ordnung sind, dann soll man es nicht nach dem Rest von 5 v. H. beurteilen. Wir wissen jedenfalls, und möchten das vom Einsatzstab des NSLB her ausdrücklich feststellen, daß sich unsere Berufskameraden größter Tatkraft und Gewissenhaftigkeit unter persönlichem Einsatz aller ihrer körperlichen und geistigen Kräfte der ihnen mit der Kinderlandverschickung gestellten Aufgaben hingeben. Das ist umso anerkennenswerter, als sich von den am besten geeigneten jüngeren männlichen Lehrkräften ein großer Teil bei der Wehrmacht befindet und weiter mehrere Hundert beim Sicherheits- und Hilfsdienst, im Luftschutz, an wichtigen Parteistellen, sowie im Osteinsatz unabkömmlich sind. Und wenn wir daneben bisher 1200 Lehrer und Lehrerinnen für die Kinderlandverschickung haben einsetzen müssen, so sind dieses nicht gerade diejenigen, die in Friedenszeiten in erster Linie dafür in Frage gekommen wären.“28

Bevor Heinrich Sahrhage mit dieser zentralen Aufgabe beginnen konnte, wurde die Gauwaltung Hamburg im Auftrag der Reichswaltung des NSLB aufgefordert, „eine politische Beurteilung darüber abzugeben, ob Bedenken irgendwelcher Art gegen Studienrat Sahrhage bestünden.“29

Ende Oktober 1940 übersandte der NSLB-Hamburg der Reichswaltung des NSLB in Bayreuth zwei Gutachten über Sahrhage. Zum einen eine politische Beurteilung der NSDAP, Gau Hamburg vom 16.8.1940, zum anderen eine Einschätzung des Amtes für Erzieher vom 7.7.1940:

Der Gauhauptstellenleiter des Amtes für Erzieher, Wilhelm Arp, bescheinigte Sahrhage, daß er „ein tüchtiger Lehrer sei, der sich ‚durch sein Wirken in vielen Ehrenämtern …‘, insbesondere in der Schullandheimarbeit, ‚… voll und ganz für Partei und Staat …‘ einsetzt“. Und der Kreisleiter der NSDAP schrieb: „Vor der Machtergreifung war Dr. Sahrhage marxistisch eingestellt und gehörte bis 1933 dem Reichsbanner an. Nach der Machtergreifung ist in politischer und charakterlicher Hinsicht Nachteiliges nicht bekannt geworden.“

In dieser Undifferenziertheit wurden Mitglieder der SPD und selbst der DDP, die auch noch der „Gesellschaft der Freunde“ angehörten, pauschal als „Marxisten“ bezeichnet.

Tobias Mittag vermutete: „Die Aussage, Sahrhage sei marxistisch gewesen, könnte eventuell darauf beruhen, daß er 1931 in ‚Volk und Zeit‘ unter der 1. Mai-Parole: ‚Aufmarsch gegen den internationalen Faschismus‘ einen allerdings unpolitischen, über Schullandheime informierenden Artikel veröffentlich hatte.“30

Dass die NS-Ideologie auf Heinrich Sahrhage eingewirkt hatte, wird an manchen seiner Aussagen und Formulierungen deutlich, die er in HLZ-Aufsätzen und Berichten verwendete: „Seit langen Jahren kämpft die deutsche Schullandheimbewegung für die Rückkehr zu heimatlichem Blut und Boden, für die Umstellung der Pädagogik auf Gemeinschaft, Gesundheit, Natur und Volkstum. Sie war eine Art Selbstbefreiung vom Intellektualismus und Individualismus der Schule. Auch heute noch muß sie von der Schule aus gesehen werden. Die deutsche Lehrerschaft ist für ihre weitere Entwicklung verantwortlich. Das, was in der neuen deutschen Jugendbewegung, in der Hitlerjugend, so tatenfroh und begeisternd begonnen ist, eine wahrhaftig jugendgemäße Einstellung zum Leben, das muß auch in der Schule seine Parallele finden. Es ist zu verstehen, wenn in der soeben heranwachsenden Generation so manche Abneigung gegen den von ihnen erlebten Betrieb der ‚absolvierten Lehranstalten‘ sich auswirkt. Aber sie haben dann wohl keine Schullandheime gehabt. Unsere Bewegung erfaßt immer erst einen Bruchteil des deutschen Schulwesens. Aber sie wächst mächtig heran. Der Reichsbund ist dem NS-Lehrerbund eingegliedert und der NS-Volkswohlfahrt angeschlossen. Sie hat also starke Helfer.“31

Heinrich Sahrhage propagierte die „Nationalpolitischen Lehrgänge“ für Schüler und Schülerinnen höherer Lehranstalten: „Entscheidend ist die willige, tatbereite Einordnung aller Lehrer in die über den Rahmen der Klasse hinaus gehende große Lebensgemeinschaft und ihre begeisterte Mitarbeit an der großen Aufgabe der nationalpolitischen Erziehung. Die Hamburger Lehrerschaft aller Schularten kann bereits auf so manche erfolgreiche Arbeit in dieser Richtung verweisen. So blieb eine Anerkennung in der großen Rede unseres Reichsstatthalters nicht aus. Verdienen wir sie uns nunmehr auch in den nationalpolitischen Lehrgängen der höheren Schulen.“32

Und manchmal waren es auch die kleinen Dinge, die Sahrhage unterstützte. Als „Mitglied des Vollkornbrotausschusses des Gau Hamburg“ formulierte er „nationalsozialistische Forderungen an das Brot“. Sein Resümee: „So erhebt sich aus nationalsozialistischem Denken die Forderung, daß unsere Nahrung, und ganz besonders unser tägliches Brot, die Nährstoffe so bieten muß, wie die Natur sie in ihrer Zusammensetzung bringt. Also zurück zum alten, echten Vollkornbrot!“33

Heinrich Sahrhage war längst integraler Funktionär im nationalsozialistischen Hamburger Schulwesen. Am 7.12.1942 teilte er der Schulbehörde mit, dass ihm für seine zweijährige Tätigkeit als Gausachbearbeiter des NSLB für die erweiterte Kinderlandverschickung das Kriegsverdienstkreuz verliehen worden war.34

Das hatte er sich durch seine praktische Arbeit in der Kinderlandverschickung verdient, aber auch durch sein ideologisches Einschwenken.35

Als in Kriegszeiten 1943 nach der Bombardierung Hamburgs der NSLB „stillgelegt“ worden war, wurde Sahrhage vom Reichserziehungsministerium, das nun die KLV organisierte, zum staatlichen Schulbeauftragten der KLV des Gaues Hamburg bestimmt. Als der Reichsamtsleiter der KLV-Reichsdienststelle für Schulerziehung, Wolf, Heinrich Sahrhage im August 1943 als Dienststellenleiter der KLV in Prag einsetzen wollte, lehnte Sahrhage ab. Erwin Zindler, dem das Erbe des NSLB übertragen worden war und der als Sachbearbeiter und Inspekteur der Hamburger KLV fungierte, erklärte Sahrhage für unentbehrlich.36

Am 30.1.1944 wurde Heinrich Sahrhage vom Reichsstatthalter Karl Kaufmann zum Oberstudienrat befördert.37

Am 18.7.1944 teilte Sahrhage der Schulverwaltung mit, „daß mir vom Herrn Reichsstatthalter am 11.7.1944 für meinen Einsatz in der KLV-Arbeit das Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse überreicht wurde“.38

Interessant am Rande, dass Heinrich Sahrhage auch seinen Bruder Otto in die Schullandheimarbeit integriert hatte. Otto Sahrhage war Geschäftsführer der AG Hamburger Schullandheime und auch im Schullandheim Hoisdorf tätig. „Otto Sahrhage war ein ausgeglichener, eher ruhiger Gegenpart zu seinem leicht erregbaren und aufbrausenden Bruder Heinrich.“39

Eine enorme Leistung vollbrachte Heinrich Sahrhage am Ende des Krieges mit der geordneten Rückholaktion aller Hamburger KLV-Gruppen unter schwierigsten Bedingungen. Da dies sowohl für die Kinder und Jugendlichen, die in zum Teil über ein Jahr von Hamburg entfernt untergebrachten Gruppen waren, und für ihre Lehrerinnen und Lehrer und letztlich dann auch für Heinrich Sahrhage von existenzieller Bedeutung war, soll auf die Rückholaktion etwas ausführlicher eingegangen werden. Alles war sehr gut dokumentiert, insbesondere durch Heinrich Sahrhage selbst.40

Heinrich Sahrhage legte nach Abschluss des Rückholens aller KLV-Verschickten einen Bericht vor, der nach Ende der NS-Herrschaft abgeschlossen wurde, aus dem im Weiteren einige zentrale Informationen zusammengestellt werden sollen.41

Als sich 1940 die Luftangriffe auf Hamburg mehrten, „zunächst harmlos gegenüber den späteren katastrophalen Luftbombardements“42, notierte Sahrhage: „Man rechnete damals nach dem beendeten Frankreich-Feldzug allgemein mit einem kurzen aber heftigen Kampf mit England und glaubte dem Aufruf zu entnehmen, dass dabei eine besondere Gefährdung der Heimat mit eintreten würde. Es meldeten sich in Hamburg in wenigen Wochen etwa 80.000 Kinder zur Landverschickung, zu deren Betreuung 1250 Lehrkräfte abgestellt wurden.“43

Die ersten Aufnahmegebiete waren Bayreuth, Bayern und Sachsen. „In Bayern wurden vielfach Klöster und kirchliche Einrichtungen herangezogen, welche besser geeignet waren als die in Sachsen behelfsmäßig als KLV-Lager eingerichteten Schulgebäude. Wenn auch die großen Schwierigkeiten in der Bereitstellung der Lager bei der Schnelligkeit der damaligen Verschickung nicht verkannt werden sollen, so war doch zu verlangen, dass man allmählich allen Erfordernissen der Praxis Rechnung trug. In Bayern gelang das besser als in Sachsen, weil dort die Kreisleiter und Bürgermeister unmittelbar mitwirkten, während in Sachsen die Hitler-Jugend allein zuständig sein wollte und sich die sachverständigen Ratschläge unseres Hamburger Rektors Kuhlmann in ungehöriger Form verbat. Es kam hier zu zunehmenden Differenzen, welche schließlich zu einem Wechsel des Lehrervertreters (Wilhelm Wessel) führten, ohne dass wir von Hamburg aus unsere Ansprüche auf die bestmögliche Betreuung unserer Kinder aufgaben.“44

In den nächsten Monaten kamen als weitere Aufnahmegebiete München- Oberbayern und Wien dazu, wobei ersteres nur Lager einrichtete und letzteres ausschließlich Grundschüler in Familienquartieren unterbrachte.

Sahrhage resümierte die erste KLV-Aktion folgendermaßen: „Die im Herbst 1940 verschickten Hamburger Kinder blieben wesentlich länger weg als die Eltern bei der Anmeldung gewollt und wir alle geglaubt hatten. Es ging nicht nur der ganze Winter sondern auch ein großer Teil des folgenden Sommers darüber hin, und da inzwischen die Luftangriffe nachließen, so verlangte die Bevölkerung die Kinder in zunehmendem Maße zurück. Aus den Familienpflegestellen wurden viele Kinder einfach von ihren Eltern abgeholt, und die NSV bewilligte schließlich alle Anträge auf Einzelrückführungen. Die Lagerbelegschaften kehrten während der Sommerferien 1941 mit Sonderzügen zurück.“45

In der nächsten Phase, 1941, wurden 25000 Kinder mit 650 Lehrkräften verschickt. Sahrhage begründete dies etwas merkwürdig: „Da soeben der Krieg mit Russland begonnen hatte und im Gegensatz zur bisherigen Meinung eine lange Kriegsdauer in Aussicht stand, fand die Neuwerbung zur Kinderlandverschickung einen günstigen Boden.“46

Die dritte Phase begann im Februar 1943 mit Sonderzügen nach Böhmen, Bayreuth und Ungarn, im Sommer 1943 auch nach Thüringen, in das polnische Grenzgebiet der Karpaten und nach Nord-Schleswig (Dänemark). Zahlenmäßig waren es 35000 Hamburger Kinder mit 750 Lehrkräften.

1945 verschärfte sich durch den Kriegsverlauf die Lage für die KLV-Lager. Heinrich Sahrhage beschrieb diese Entwicklung so: „Durch das Freiwerden mancher Lager im Gau Bayreuth konnte jetzt auch unser Wunsch verwirklicht werden, die Hamburger Kinder aus Böhmen und Mähren dorthin umzulegen. Zwar waren Unterbringung und Verpflegung im Protektorat immer ganz besonders gut gewesen, und auch die Zusammenarbeit mit den böhmischen Dienststellen war schließlich erträglich geworden. Doch war den Eltern mit Recht das Gefühl der weiten Entfernung ihrer Kinder inmitten einer fremdrassigen Bevölkerung zunehmend unangenehm geworden. Zwar war und wurde Böhmen kein Kriegsschauplatz, doch stand zu befürchten, dass bei einem ungünstigen Kriegsende unsere Lager ins feindliche Ausland gerieten. Wir haben daher in vorsichtiger Weise, und zwar stimmte die HJ mit mir durchaus überein, in wiederholten Ferngesprächen mit Berlin und Prag geltend gemacht, dass wir die böhmischen Lager räumen möchten, um unser Schulwesen im Gau Bayreuth zu konzentrieren, und dass wir dadurch den allgemeinen Vorteil anboten, in Böhmen Platz zu schaffen für die aus den bedrohten Ostgauen herüber zu holenden Lager Berliner und anderer Entsendestädte.“47

Danach begann die Rückführung der Hamburger Kinder aus der Kinderlandverschickung: „Der Durchbruch der Russen an der Ostfront im Januar 1945 bewirkte einen großen Flüchtlingsstrom, der sich über Berlin nach Westen ergoss und sehr bald auch unsere Aufnahmegebiete in der Prignitz berührte. Die Dörfer mussten durchweg zahlreiche Menschen aufnehmen, sodass die Hamburger Kinder in die Enge gerieten, keine eigenen Schlafräume und zum Teil nicht einmal mehr eigene Betten behielten. Zwar waren sie den Pflegeeltern durchweg sehr lieb geworden, doch konnten sich die Bürgermeister den Anforderungen der Flüchtlingsfürsorge nicht entziehen. Manche Lehrkräfte berichteten nach Hamburg über zunehmende Schwierigkeiten der Unterbringung und Verpflegung. Wir waren in allen Jahren sehr vorsichtig gewesen und haben überall bei den geringsten Anzeichen irgendwelcher Gefahren die Kinder aus dem betreffenden Aufnahmegebiet entfernt.“48

Zweifelhaft waren die Rückholaktionen aus noch nicht als sehr gefährdet angesehenen Gebieten, weil die Luftangriffe auf Hamburg im April 1945 wieder zugenommen hatten. Sahrhage und andere KLV-Inspektoren waren emsig unterwegs, es mussten Lastkraftwagen und Autobusse organisiert und die Aktivitäten vieler Beteiligter und Behörden koordiniert werden. Dass Heinrich Sahrhage nach Ende des Krieges auch politisch unter Druck geriet, wurde am Schluss seines Berichtes deutlich: „Die zurückkehrenden Lehrkräfte wurden in ähnlicher Weise, wie es auch früher nach dem Abschluss der einzelnen Verschickungsperioden geschehen war, zu Versammlungen im Sitzungssaal der Schulverwaltung zusammengefasst, um in offener Aussprache die Ergebnisse der Verschickung festzustellen und aus den Erfahrungsberichten gegenseitig zu lernen. Während wir diese früher den neu ausreisenden Lehrkräften wieder mitgaben, kam es uns jetzt beim Abschluss der KLV darauf an, die Meinung der Lehrerschaft über ihren Gesamtwert, die Fehler ihrer parteigebundenen Organisation und die Haltung der zuständigen Dienststellen zu erfahren. Für mich und meine Mitarbeiter, besonders auch für Herrn Früchtenicht und die übrigen auswärtigen Hamburger Schulbeauftragten, war diese Meinung wichtig, weil jetzt nach dem Zusammenbruch von übelwollenden Seiten Gerüchte kursierten, dass die Kinderlandverschickung nur eine höchst überflüssige Sache der NSDAP gewesen wäre und dass die daran beteiligten Lehrkräfte und Dienststellen gewissermaßen mit zu den ‚Kriegsverbrechern‘ gehörten. Da war es nun recht erfreulich, die eindeutige Meinung in den genannten Versammlungen zu hören, dass der Verschickungserfolg in gesundheitlicher, sozialer, erziehlicher und unterrichtlicher Hinsicht außerordentlich gut sei, dass die Kinder sich draußen vorzüglich entwickelt und die Lehrkräfte ihr ganzes Wollen und Können darein gesetzt haben, an ihnen so gut wie möglich Elternstelle zu vertreten.“49

Es liegt auch noch ein letztes Schriftstück von Heinrich Sahrhage vor: „Beendigung der Rückholaktionen aus den KLV-Lagern an der Ostsee“. Darin beschrieb er das allerletzte Kapitel der Aktivitäten. Wegen der besonderen Bedeutung dieses Dokumentes, soll es im Ganzen zitiert werden:

„Nachdem Berlin am 1. Mai gefallen und Hamburg am 3. Mai vom Feind besetzt war, stockten natürlich alle Rückführungen. Durch den Widerstand der KLV-Dienststellen in Hamburg, Malente und Timmendorf hatten wir zwei Tage verloren, sodaß nicht mehr alle Kinder haben kommen können. Es riß sofort jeglicher Post- und Telefonverkehr ab. In Hamburg gab es zunächst dreieinhalb Tage Ausgehverbot, doch bin ich gleich am Montag 7. Mai wieder bei der Fahrbereitschaft vorstellig geworden, die aber eine Woche lang lahmgelegt wurde. Vom 10. bis 14. Mai ruhte der Bahnverkehr. Ich bin am Montag, 14. Mai mit dem Fahrrad wiederum bei der Fahrbereitschaft gewesen und habe dann tägliche Besprechungen gehabt. Zahlreiche Versuche wurden bei der Militärregierung und im Rathaus unternommen bis schließlich 2 Autobusse vom 19. bis 24. Mai zugelassen wurden, um die letzten 300 Hamburger Kinder aus den Ostseebädern zu holen.

In diesen 3 Wochen hatten sich die Lebensverhältnisse in den Lagern so entwickelt, wie ich es vorausgesagt hatte. Mit der Feindbesetzung der Ostseebäder waren die Dienststellen der HJ sofort verschwunden und hatten keinerlei Vorsorge für die weitere Betreuung der Lager getroffen. Diese waren weder mit Geld- noch mit Lebensmittelvorräten versehen. Die Hausbesitzer und Lieferanten, welche zum Teil schon seit längerer Zeit keine Zahlungen bekommen hatten, betrachteten die Kinder als unerwünschte Gäste. Die Feindbesetzung nahm im allgemeinen Rücksicht auf die KLV-Lager, doch wurden manche Häuser für Quartiere, Lazarett usw. gebraucht. Wiederholte Umlegungen und Zusammenlegungen der Hamburger Kinder waren die Folge. Da es keine Verbindung mit Hamburg gab, waren die Lehrkräfte sehr bedrückt von ihrer großen Verantwortung. Einige Lagerbelegschaften in Niendorf und Timmendorfer Strand wurden glatt auf die Straße gesetzt, doch gelang es ihnen mithilfe der Ortsbehörden Wagen nach Hamburg zu organisieren. Das Lager Pönitz marschierte zu Fuß nach Hamburg. Aus Kellenhusen kam Studienrat Troll zu Fuß hier an, um Verbindung herzustellen. Am 19. Mai endlich konnten die beiden Wagen der Fahrbereitschaft Hamburg starten und holten in drei Fahrten alle noch übrigen Kinder aus Niendorf, Timmendorf, Pönitz und Kellenhusen. Am Pfingstmontag fuhr ich selbst mit und brachte unsere Vertreterin in Timmendorf, Fräulein Ehlers, zurück. Der nach dort verlegte Teil der Hamburger KLV-Dienststelle hatte kaum irgendwelche Arbeit für uns leisten können. Der als Kurier nach Hamburg entsandte Karl Otto Soltau hat sich hier überhaupt nicht gemeldet. Die drei Mädel kamen ohne ihre Schreibmaschinen und Büromaterial zurück. Dieses Besitztum wurde von dem Hausbesitzer einbehalten, weil er von der Dienststelle in Timmendorfer Strand kein Geld erhalten konnte. Die HJ-Vertreter haben alle sachlichen Unterlagen vernichtet, zum Beispiel auch die Gesamtkartei aller durch die KLV verschickten Hamburger Kinder, die dort eigentlich vor den Luftangriffen hatte sichergestellt werden sollen.“50

Die Rückholaktion, die erst deutlich nach Ende der Naziherrschaft abgeschlossen war, in der Sahrhage auch mit dem neuen Bürgermeister Rudolf Petersen und Schulsenator Heinrich Landahl zusammenarbeitete, mit dem er bis 1933 in derselben Partei gewesen war (DDP/Deutsche Staatspartei) und die für die Hamburger Kinder und deren Eltern erfolgreich beendet wurde, trug dazu bei, dass Heinrich Sahrhage trotz seiner tiefen Verstrickung, seiner Verwobenheit mit dem NSLB und der NS-Schulverwaltung nach 1945 im Schuldienst verblieb. Sogar der für das Erziehungswesen in der britischen Militärregierung zuständige Major Shelton bescheinigte Heinrich Sahrhage 1945 wertvolle Arbeit: „Has done valuable work in returning evacuated children.“51

Sahrhage blieb im Hamburger Schuldienst, weiterhin am Albrecht-Thaer-Gymnasium, weiter auch in der Schullandheimbewegung. Die Schullandheime mussten jetzt wieder aufgebaut werden. Das bestehende Netzwerk funktionierte nach wie vor. Adolf Winter, der stellvertretende Schulleiter der Albrecht-Thaer-Schule in der NS-Zeit, in Abwesenheit des bisherigen Schulleiters, Bruno Peyn, mit der Wahrnehmung der Leitung beauftragt und nach 1945 trotz seiner Verstrickung in das NS-System weiterhin Schulleiter, lieferte Sahrhage den „Persilschein“: „Herr Dr. Sahrhage ist mir als einer der regsamsten, fähigsten und erfolgreichsten Mitarbeiter an der Albrecht-Thaer-Schule seit über 30 Jahren bekannt. Ich weiß, daß seine von fortschrittlichem Geist getragene Unterrichts- und Erziehungsarbeit nach der wissenschaftlichen wie nach der didaktischen Seite hin auch von seinen engeren Fachkollegen einmütig anerkennend beurteilt wird, und ich verstehe es, daß seine muntere und fesselnde Lehrweise seine Schüler zu lebendiger Mitarbeit hinreißt. Beruf und Berufung sind in ihm eine überaus glückliche Verbindung eingegangen; Dr. S. hat wesentlich dazu beigetragen, daß der Leistungsstand der Schule nach rückläufigem Gang in schwerer Zeit sich nun wieder in aufsteigender Linie bewegt. Wäre S.’s Tätigkeit mit seiner eben nur angedeuteten Unterrichtsarbeit erschöpft, so hätte sie schon die Arbeitskraft eines Mannes ganz in Anspruch nehmen können. Tatsächlich ist sie seit seinem Eintritt in den Schuldienst mit der Gründung und dem Ausbau unseres Schulheims, mit seiner unermüdlichen und selbstlosen Arbeit in der Landheimbewegung überhaupt, und später mit dem außergewöhnlich vielseitigen und schwierigen Arbeiten zur KLV weit darüber hinausgegangen. Dem organisatorischen Geschick, das Herr Dr. S. dabei entfaltet hat, verdanken es unsere Jungen, daß sie Jahr für Jahr die Wohltat eines mit regelmäßigem Unterricht verbundenen Landheimaufenthaltes genießen konnten und daß die jüngeren Jahrgänge während des Krieges aus der luftbedrohten Heimat in weniger gefährdetem Gebiet untergebracht und durch Lehrkräfte der Schule verantwortlich betreut werden konnten. Ohne seinen praktischen Sinn, ohne seinen festen Willen und ohne seine schier unerschöpfliche Arbeitskraft wäre die Durchführung dieser lebensnotwendigen Aufgaben nicht möglich gewesen. Herr Dr. S. hat dabei, soweit es vertretbar war, im Einvernehmen mit staatlichen Stellen, sobald es nötig wurde, aber auch in offenem Gegensatz zu ihren machtlüsternen Vertretern arbeiten müssen. Niemals hat er sich von der herrschenden Partei ins Schlepptau nehmen lassen, immer hat er im Bewußtsein seiner Verantwortlichkeit so gehandelt, wie es ihm die Pflicht als Schulbeauftragter der KLV und sein Gewissen vorschrieben. – Zusammenfassend glaube ich sagen zu können, daß S.’s sozialpädagogische Leistungen auf dem Gebiet der Landheimbewegung sowohl wie die über 4 Jahre sich erstreckenden kriegsbedingten Arbeiten in der KLV, die erst mit der Rückführung aller Kinder ihren Abschluß gefunden haben, jeder Kritik standhalten können und höchste Anerkennung verdienen.“52

Die Entnazifizierungsausschüsse teilten die ungetrübte Sicht auf Heinrich Sahrhage nicht. So stellte der Beratende Ausschuss für das höhere Schulwesen am 11.11.1946 fest: „Er ist schon vor 1933 in der Schullandheimbewegung tätig gewesen. Seine Kenntnisse hat er den nationalsozialistischen Machthabern zur Verfügung gestellt. Besonders in der KLV hat er so eng mit der führenden HJ-Clique zusammengearbeitet, daß ein Verbleib in der Stellung als Oberstudienrat unmöglich erscheint. Andererseits halten wir ihn für fähig, an seine Arbeit vor 33 wieder anzuknüpfen. Der Beratende Ausschuss empfiehlt, ihn zum Studienrat zurückzustufen.“53

Der Fachausschuss 6b, der auch Bedenken gegen Sahrhage hatte, erklärte sich einverstanden mit der Weiterarbeit Sahrhages in der Schule unter der Bedingung seiner Rückstufung zum Studienrat.54

Heinrich Schröder, die unbestechliche Instanz bei der Entnazifizierung im Bereich der höheren Schulen, missfiel, dass Sahrhage seine Arbeit nach Ende der Naziherrschaft uneingeschränkt fortsetzte und fortsetzen konnte. Er schrieb am 17.6.1947:

„Der frühere Oberstudienrat Dr. Sahrhage ist wegen seiner nationalsozialistischen Haltung als Leiter der KLV während des Krieges in die Stelle eines Studienrates zurückgestuft worden. Es war Sinn dieser Maßnahme, dass Dr. Sahrhage nach der Abwicklung der Geschäfte der KLV aus allen Funktionen der Schulfürsorge ausscheiden und ausschließlich im Unterricht seiner Schule eingesetzt werden sollte. Es ist daher nicht länger tragbar, dass Dr. Sahrhage für die Schulbehörde oder für die Schulfürsorge oder für die Geschäftsführung der Schullandheime irgendwelche Anordnungen oder Vereinbarungen trifft. Es liegt ebenfalls kein Anlaß vor, Dr. Sahrhage den Gebrauch eines Dienstwagens zu gestatten.“55

Außerhalb Hamburgs gab es diese Kontinuität nicht. Rudolf Nicolai, der ehemalige Führer des Reichsbundes der deutschen Schullandheime, mit dem Sahrhage die Vorstandsarbeit leitete, der im sächsischen Schuldienst gearbeitet hatte und bis zu seinem Tod 1970 in Sachsen blieb, „wurde dort im November 1945 aus dem Schuldienst entlassen und lebte nach seiner Entnazifizierung unter schwierigen Existenzbedingungen als arbeitsloser, ungelernter Arbeiter, Weber, Katechet und Rentner“, wie Tobias Mittag feststellte.56

Sahrhage war in seiner Funktion wieder unermüdlich unterwegs. Ab 1951 wurde von verschiedenen Seiten beantragt, ihn für seine ehrenamtliche Tätigkeit vom Schulunterricht teilweise oder völlig zu befreien. Auch seine Schule hatte ein Interesse daran, da Sahrhage häufig abwesend sein musste und den vorgesehenen Unterricht gar nicht immer wahrnehmen konnte.57

Zu Sahrhages 60. Geburtstag gratulierte Landesschulrat Ernst Matthewes: „Sie haben ein Leben geopfert für unsere Jugend. Ihnen ist es zu verdanken, wenn unsere Jungen und Mädchen Jahr für Jahr zu Tausenden mit ihren Lehrern in die Natur ziehen können, um dort an Leib und Seele sich zu finden. Daß die Schule dieser Bewegung nicht feindlich oder fremd gegenübersteht, sondern sie sich aufgefangen hat, ja ihr Inhalt und Gestalt gegeben hat, ist das Schöne und Beglückende und dürfte zur Hauptsache auf Ihr Wirken zurückzuführen sein. Sie haben damit der inneren Erneuerung der Schule bis in den Unterricht hinein einen großen Dienst erwiesen.“58

Das „Hamburger Echo“ bezeichnete Sahrhage als „Freund der Jugend“.59 Und die „Hamburger Freie Presse“ zitierte Heinrich Sahrhage, der über sich sagte, „bekannt geworden wie ein bunter Hund“, was er schon wieder geschafft hätte: „Am schlimmsten war es nach dem letzten Krieg. Von 204 Heimen im Reichsgebiet: 98 völlig zerstört. Über 70 konnten bereits wieder gegründet werden. Finanzierung fast nur durch Privat-Hilfe, genauer, durch die Eltern. Allein in Hamburg gaben sie im letzten Jahr zwei bis drei Millionen Mark. 210.000 Mark beträgt der staatliche Fonds dafür. 2600 Klassen oder 850.000 Kinder oder 40% aller Schüler fuhren 1951 in Heime. Ohne die Mütter, die sich als ‚Kochmütter‘ zur Verfügung gestellt hatten, hätten wir das nicht geschafft.“60

Lediglich ein Relikt der Entnazifizierung betrübte Sahrhage, wie er in einem Schreiben an die Schulbehörde am 9.12.1952 feststellte: „In meiner Rückstufung vom Oberstudienrat zum Studienrat sehe ich nach wie vor eine kränkende Ungerechtigkeit in meiner fast 40jährigen makellosen Dienstzeit. Ich bitte also um Wiedereinsetzung in meine alte Rechtsstellung.“61

Auch hier wurde korrigiert, was die Entnazifizierung festgelegt hatte.

Heinrich Sahrhage erhielt 1958 noch die Medaille für treue Dienste des Volkes und 1961 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.62

Und, als wäre in der Zeit von 1933 bis 1945 nichts die Leistung Sahrhages Trübendes geschehen, enthält auch die Biografie Sahrhages in dem verdienstvollen sechsbändigen Werk „Hamburgische Biografien, Personenlexikon“ kein einziges Wort über die NS-Verstrickung Heinrich Sahrhages.63

Anders bei Tobias Mittag, der bei intensiver Durchsicht aller wichtigen Dokumente zur Schullandheimbewegung und der Rolle von Heinrich Sahrhage zu dem Ergebnis kommt: „Die Beschäftigung mit der Biografie Sahrhages ergab, daß er seine Arbeit in der Schullandheimbewegung zu allen Zeiten, auch während der NS-Herrschaft, relativ konfliktfrei fortsetzte. Die Dokumente zeigen, daß Sahrhage im Nationalsozialismus mit Orden für seine Arbeit bedacht wurde und nach Beendigung seiner KLV-Tätigkeiten schon bald wieder erfolgreich mit dem Aufbau der bundesrepublikanischen Schullandheime begann. Dabei wurde er nicht nur auf ehrenamtlicher Ebene, sondern auch in seinem Lehrerberuf immer wieder von Behördenvertretern unterstützt, so daß er im Beruf verbleiben, befördert und später hoch geehrt werden konnte. Rückblickend kam es weder von Sahrhage noch durch andere Schullandheimmitarbeiter zu einer kritischen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Schullandheimen. Ein Bewußtsein der Mitverantwortung für das nationalsozialistische Erziehungswesen, dessen Teil die Schullandheime seit 1933 geworden waren, ist nicht auszumachen.

Schwerpunkt der bisherigen Betrachtungen der Schullandheime in der NS-Zeit – soweit sie überhaupt erfolgten – waren die Auseinandersetzungen mit der HJ, bei denen die Heime in ihrer ursprünglichen Trägerschaft erhalten bleiben konnten. Wenige Monate nach der Machtübernahme stellte sich der Reichsbund widerstandslos in den Dienst der nationalsozialistischen Ideologie, und die Schullandheime gingen auch nach der Eingliederung in den NSLB mit dem nationalsozialistischen Schulverständnis konform. Vorauseilenden Gehorsam zeigten Schullandheimvertreter zusätzlich in der Frage der jüdischen Schüler in Schullandheimen. Die Instrumentalisierung der Schullandheime im Nationalsozialismus erfuhr z.B. nicht nur in der Gründung eines Schullandheimschiffes durch den NSLB ihren Ausdruck, sondern wurde später noch in der Zusammenarbeit mit der KLV deutlich.“64

Das Profil ist nachzulesen in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile, Band 2. Hamburg 2017. Das Buch ist erhältlich in der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg.

Anmerkungen
1 Alle Angaben nach der Personalakte Sahrhage, StA HH, 361-3_A 2626.
2 Ebd.
3 Hildegard Milberg: Oberlehrer und höhere Schulen, in: Reiner Lehberger/Hans-Peter de Lorent (Hg.): „Die Fahne hoch“. Schulpolitik und Schulalltag in Hamburg unterm Hakenkreuz, Hamburg 1986, S. 197f.
4 Tobias Mittag: Zur Geschichte der deutschen Schullandheimbewegung von den Anfängen in der Weimarer Republik bis zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, unter besonderer Berücksichtigung Heinrich Sahrhages. Hausarbeit zur ersten Staatsprüfung, Hamburg 1994, S. 16.
5 Zitiert nach Mittag, ebd.
6 Mittag a.a.O., S. 20.
7 Zitiert nach Mittag, a.a.O., S. 21.
8 Heinrich Sahrhage: Schullandheim Hoisdorf der Thaer-Oberrealschule vor dem Holstentor in Hamburg, ein Film von neuzeitlicher Erziehungsarbeit, Hamburg 1928; zitiert nach Mittag, a.a.O., S. 19.
9 „Freie Presse“ vom 21.4.1952.
10 Siehe Personalakte Sahrhage, a.a.O.
11 Heinrich Sahrhage: Das Schullandheim – eine pädagogische Tat, ursprünglich Rundfunkvortrag, NORAG vom 27.8.1925, zitiert nach Mittag, a.a.O.; S. 27.
12 Mittag, a.a.O., S. 27f.
13 Siehe die Biografie Bruno Peyn, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile, Bd. 1, Hamburg 2016, S. 480ff.
14 Zitiert nach Mittag a.a.O., S. 22.
15 Mittag a.a.O., S. 23.
16 Ebd.
17 Mittag a.a.O., S. 37.
18 Mittag a.a.O., S. 38.
19 Siehe Mittag a.a.O., S. 40.
20 Zitiert nach Mittag a.a.O., S. 45.
21 Zitiert nach Mittag a.a.O., S. 46.
22 Siehe Reiner Lehberger: Kinderlandverschickung, in: Lehberger/de Lorent 1986, S. 370ff.
23 Sahrhage, zitiert in: 75 Jahre Schullandheim Hoisdorf, Festschrift zum Jubiläum 1922–1997, herausgegeben vom Verein der Freunde des Albrecht-Thaer Gymnasiums (Schullandheim Hoisdorf) e.V., Hamburg 1997, S. 40.
24 Mitteilungsblatt des NSLB, Gauwaltung Hamburg, Nr. 2/1941 S. 9.
25 Ebd.
26 Ebd.
27 Ebd., S. 10.
28 Ebd.
29 Alles BArch, NSDAP-Kartei Sahrhage, zitiert nach Mittag a.a.O., S. 8. Alle weiteren Dokumente ebd.
30 Heinrich Sahrhage: Die Schule im Grünen, in: Volk und Zeit, Nr. 17, Berlin 1931; siehe: Mittag a.a.O., S. 8f.
31 Heinrich Sahrhage: Jeder Schule ihr Schullandheim? In: HLZ 16/1934, S. 225.
32 HLZ 46/1935, S. 445.
33 Mitteilungsblatt des NSLB, November 1940, S. 87.
34 Personalakte a.a.O.
35 HLZ 16/1934, S. 225.
36 Schreiben Erwin Zindlers an Wolf vom 10.9.1943, StA HH 361-10 KLV_15. Siehe auch Biografie Zindler in: de Lorent 2016, S. 538ff.
37 Personalakte, a.a.O.
38 Ebd.
39 Schulleiter Karl Heinz Wilgalis: Erinnerungen an Dr. Sahrhage, in: Holstentorwarte (HTW) 47/1972,
S. 13ff.; zitiert nach Mittag, a.a.O., S. 12f.
40 Tobias Mittag bezifferte das von Heinrich Sahrhage produzierte und hinterlassene Archiv, das 1994 noch weitestgehend ungeordnet war und für das Mittag eine erste Ordnung vorlegte, auf einen Umfang von 10,7 laufende Meter. Ein Teil der Unterlagen ist auch aufbereitet im Hamburger Staatsarchiv. Siehe Mittag, a.a.O., S. 62ff.
41 Heinrich Sahrhage: Die erweiterte Kinderlandverschickung in Hamburg. Geschichte ihrer Entwicklung und Durchführung während des Krieges 1939/45, StA HH, 361-2 VI, OSB VI_1547.
42 Heinrich Sahrhage: Die erweiterte Kinderlandverschickung in Hamburg, a.a.O., S. 2.
43 Ebd.
44 Heinrich Sahrhage: Die erweiterte Kinderlandverschickung in Hamburg, a.a.O., S. 3.
45 Heinrich Sahrhage: Die erweiterte Kinderlandverschickung in Hamburg, a.a.O., S. 4.
46 Ebd.
47 Heinrich Sahrhage: Die erweiterte Kinderlandverschickung in Hamburg, a.a.O., S. 12.
48 Heinrich Sahrhage: Die erweiterte Kinderlandverschickung in Hamburg, a.a.O., S. 13.
49 Heinrich Sahrhage: Die erweiterte Kinderlandverschickung in Hamburg, a.a.O., S. 22.
50 StA HH, 361-10_53 Bd. 4.
51 Entnazifizierungsakte Sahrhage, StA HH, 221-11_Ed 1154
52 StA HH, 362-2/22_P 7
53 Entnazifizierungsakte Sahrhage, a.a.O.
54 Stellungnahme vom 13.2.1947 und 29.4.1947, ebd.
55 Ebd.
56 Mittag a.a.O., S. 51.
57 Landesschulrat Matthewes hatte mit Einverständnis von Senator Landahl 12 Stunden Entlastung vorgeschlagen. Am Ende wurde er für einen Schultag vom Unterricht befreit. Siehe Personalakte, a.a.O.
58 Ebd.
59 „Hamburger Echo“ vom 19.4.1952.
60 „Hamburger Freie Presse“ vom 21.4.1950.
61 Personalakte, a.a.O.
62 Siehe: Hamburgische Biografie, Personenlexikon Bd. 1, Hamburg 2001, S. 262.
63 Ebd.
64 Mittag a.a.O., S. 58f.
 

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NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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