Begriffserklärungen

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Theodor Mühe

(15.12.1875 Altona - 22.4.1962)
Oberschulrat ab 1933
Schlüterstraße 3 (Privatadresse)

Karrierebewusster wendiger Strippenzieher: „An oberster Stelle rangierte allerdings die reine Deutschblütigkeit."

Theodor Mühe wechselte im Laufe seines politischen Lebens mehrfach seine Positionen, immer das Ziel im Auge, Macht und Einfluss zu bekommen und Karriere zu machen. Das gelang ihm kurz in der Schule, länger im Philologenverein und endgültig, als er 1933 Oberschulrat in der NS-Schulverwaltung wurde. 1945 ließ er sich, fast 70-jährig pensionieren, nachdem er im Auftrag der Britischen Militärregierung vorher entlassen worden war. Am Ende erstritt er die Oberschulratspension, als wäre nie etwas Belastendes gewesen.

Theodor Mühe wurde am 15.12.1875 als Sohn eines Altonaer Kaufmanns geboren. Er besuchte das von Ernst Schlee gegründete Realgymnasium in Altona, wo er am 20.2.1895 das Abitur bestand. Die Vermögensverhältnisse im Hause Mühe erlaubten ihm ein Studium der neueren Sprachen und Philosophie in München, Göttingen, London und Paris, was er mit einer Promotion am 4.10.1901 und dem 1. Staatsexamen am 7. und 8.11.1901 in Göttingen abschloss. Die schulpraktische Ausbildung Mühes erfolgte dann in Hamburg am Realgymnasium des Johanneums, das Probejahr ebendort und an der Realschule vor dem Holstentor. (1)

Am 3.4.1904 wurde Mühe in den Staatsdienst übernommen, ab dem 1.10.1904 war er Oberlehrer an der Oberrealschule Eimsbüttel ( Kaiser-Friedrich-Ufer ).

Theodor Mühe gehörte politisch zu den Personen im Hamburger Schulwesen, die am stärksten in ihren inhaltlichen und politischen Positionen schwankten und die Lager wechselten. 1903 war Theodor Mühe Mitglied der „Gesellschaft der Freunde" geworden. Aus dem Verein der Oberlehrer, in dem er 1908 Schriftführer gewesen war, trat er 1911 wieder aus. „Er war wie zahlreiche andere jüngere Oberlehrer unzufrieden wegen der Misserfolge der Organisation, die weder eine den Oberlehrern angemessene Besoldung, noch die jahrzehntelang intensiv verfochtene Gleichstellung mit den Richtern erreicht hatte. Außerdem kritisierte Mühe die Bevormundung jüngerer Oberlehrer durch die autoritären Direktoren, die im Verein der Oberlehrer in der Vorkriegszeit eine maßgebliche Rolle spielten." (2)

Uwe Schmidt berichtete, dass Mühe 1907 zum Vorsitzenden der Hamburger Ortsgruppe des Bundes für Schulreform gewählt wurde und unter anderem eine Veranstaltung zum Thema „Einheitsschule und Übergangsklassen" leitete. (3) Festzustellen ist, dass sich durch Mühes Biografie auch Auseinandersetzungen ziehen, Kontroversen, die auch persönlicher Art waren. So beschrieb Schmidt diese Phase von Mühes Karriere: „Eine Mehrheit ihm nicht wohlgesonnener Volksschullehrer sorgte jedoch 1912 für seinen Rücktritt von diesem Amte." (4)

Theodor Mühe, ehrgeizig und in Opposition zu Schulstrukturen, die durch Bevormundung durch die Direktoren an höheren Schulen gekennzeichnet waren, stimmte einer zentralen Forderung der Novemberrevolution im Schulbereich zu, nämlich der Selbstverwaltung der Schule mit der zeitlich begrenzten Wahl der Schulleiter durch Kollegium und Elternvertreter.

Es waren wechselvolle Zeiten. Mühe hatte zuvor als Freiwilliger den Kriegsdienst absolviert, war zum Leutnant befördert worden, mit dem EK I dekoriert, und wurde erst am 20. 12.1918 aus dem Heer entlassen. (5)

Theodor Mühe schloss sich der Deutschen Volkspartei (DVP) an, kandidierte an der Oberrealschule Eimsbüttel als Schulleiter und wurde am 3.3.1920 nach Stichwahl gegen Karl Franz gewählt.

Ein Kollegiumsbild aus dem Jahr 1920 lädt zur Interpretation ein. Überzeugend sah Theodor Mühe in der ersten Reihe im Rahmen seines Kollegiums nicht aus. Und offenbar überzeugte er auch nicht. Schon bei der nächsten Wahl 1921 setzte sich sein Kontrahent, Karl Franz, durch; 1925 erhielt Franz 31 Stimmen, Mühe lediglich zwei Stimmen und 1928 war das Stimmenverhältnis: Franz zu Mühe 30 zu 1. (6)

Mühe änderte seine inhaltlichen Positionen, wobei er an den Grundsätzen der Selbstverwaltung zunächst festhielt, er forderte aber, die Position des Schulleiters zu stärken.

Uwe Schmidt beschäftigte sich intensiv mit der Entwicklung des Philologenvereins in Hamburg während der Weimarer Republik. Theodor Mühe wurde ab 1924 2. Vorsitzender im Philologenverein, formulierte scharf, wenn er sich in persönliche Auseinandersetzungen begab, fungierte als gewiefter „Strippenzieher" im Philologenverein. Schmidt konstatierte, dass jetzt bei Mühe „auch sozialdarwinistische und rechtspopulistische Denkmuster zum Vorschein kommen, die wir heute als gegensätzlich zur Tradition der Aufklärung und zu den ihr verpflichteten Prinzipien von ‚Chancengleichheit‘ und ‚Chancengerechtigkeit‘ interpretieren würden und die bis in unsere Zeit zum Gedankenvorrat der politischen ‚Rechten‘ gehören: ‚Die deutsche Kulturzukunft erschien ihm im Lichte der Erblichkeitsforschung` gefährdet in ‚unserer erziehungsfreudigen Gegenwart, in der… jeder jeden zu erziehen trachtet". In Ablehnung der ‚Fiktion des Einheitskindes‘ berief sich Mühe auf die durch Charles Darwin ‚entdeckten‘ Erbfaktoren als ‚Willen der Natur‘. Eine Kultur, die sie mißachte, sei dem Untergang verfallen: ‚Begabte Familien pflegen die sozialen Oberschichten, unbegabte den Bodensatz der Bevölkerung zu bilden‘. Von hier war es nicht weit zu – sonst im Philologenverein äußerst selten – antisemitischen Äußerungen, die aber nur völkisch verkleidet vorgebracht wurden: ‚Heinrich Heine dürfe im Deutschunterricht nicht bevorzugt werden, weil ihm sein Deutschtum nicht wichtig gewesen sei‘." (7)

Theodor Mühe war ambitioniert, karriereorientiert und sah die Möglichkeit, „über die politische Rechte in der schulpolitischen Hierarchie aufzusteigen". (8) Schmidt gab einige Beispiele aus Mühes Veröffentlichungen, mit denen er sich auf dem rechten Flügel profilierte: „Am 9.9.1931 kritisierte Mühle an der hamburgischen Schulpolitik, daß sie tatsächlich auf die Lähmung und Unterdrückung der wahren geistigen Energien auslief und lediglich auf die gutgemaßten Bedürfnisse der angeblich mit unentdeckten Intelligenzen übervollen ‚Massen‘ zugeschnitten war. Obwohl die Erblichkeitsforschung und Rassehygiene der ganzen Welt diesen parteipolitisch ausgeheckten Schwindel von dem ungenutzten Begabungsreichtum, der in den Massen stecken soll, seit langem aufgedeckt hat, fanden sich wiederum gerade in Hamburg, auch im Lager der Marxistengegner, weite Kreise, die hier den Sozialdemokraten ‚auf den Leim gingen‘." (9)

Theodor Mühe vertrat den Philologenverein „auch im Bund Deutscher Akademiker, einer rechtsextremen Organisationen, die eng mit dem Deutschnationalen Lehrerbund und dem Alldeutschen Verband zusammenarbeitete und z. B.  die Universitätsausbildung für Volksschullehrer bekämpfte“. (10) Und Schmidt ergänzte: „In die gleiche Richtung zielte Mühes 1931 geäußerte Kritik an der zwölf Jahre zuvor gegründeten Hamburger Universität: Großuniversitäten würden ‚in erster Linie der Masse und ihren geistigen Führern, den sozialdemokratischen Lehrern‘ zuliebe gegründet." (11)

Verwunderlich mutet in diesem Zusammenhang an, dass Mühe bei dieser Haltung am 2.12.1932 damit belohnt wurde, Dozent am gemeinsamen Seminar für die Ausbildung der Kandidaten des höheren Lehramtes zu werden, berufen vom sozialdemokratischen Schulsenator Emil Krause. Am 7.12.1932 wurde Mühe dafür die Amtsbezeichnung Professor" verliehen. (12)

1932 wurde Theodor Mühe dann 1. Vorsitzender des Hamburger Philologenvereins und holte seinen Vertrauten, den Schulleiter der Oberrealschule in der Bogenstraße , Karl Züge, an seine Seite, der dann ein Jahr später sein Nachfolger werden sollte, als er den nächsten Sprung in die Schulverwaltung vollzog. Mühe wurde am 30.3.1933 zum kommissarischen Schulrat für die höheren Schulen ernannt. Er war damit auf der Ziel. Am 25.11.1933 wurde er endgültig zum Oberschulrat bestellt. (13)

Die Überleitung des Philologenvereins in den NSLB hatte er vorbereitet, und trat ihm sofort bei. Ein letztes Schreiben von Theodor Mühe an die Schulverwaltung war nicht ganz uneigennützig. Im Namen des Philologenvereins teilte er dem Präses der Landesschulbehörde mit: „Im Hinblick auf die bevorstehenden Personalveränderungen in der Landesschulbehörde wurde einstimmig beschlossen, dem Wunsche Ausdruck zu geben, dass zu der Verwaltung und Schulaufsicht im Bereich des höheren Schulwesens künftig nur Männer berufen werden." (14)

Interessant ist, dass Theodor Mühe schon als 1. Vorsitzender des Vereins hinter den Kulissen als Strippenzieher agiert hatte, einen Einigung zwischen Philologenverein, der Rechtsfraktion der Lehrerkammer und der NSDAP herzustellen. Mühe, der inzwischen selbst Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei geworden war und für die er 1931 und 1932 erfolglos zur Bürgerschaft kandidiert hatte, führte im August 1932 auf dem Briefpapier des Philologenvereins einen Briefwechsel mit dem Sprecher der Rechtsfraktion Carl Bertheau und den Nationalsozialisten Walter Behne und Albert Mansfeld. Ziel: ein gemeinsames schulpolitisches Papier zu erstellen. Mühe wurde im Februar 1933 aktiv, um zu verhindern, dass der Reichstagsabgeordnete der Deutschen Staatspartei, Heinrich Landahl, noch Schulleiter der Lichtwarkschule, im April 1933 Schulsenator in Hamburg wurde. Aus dem Schriftwechsel ging hervor, dass die Rechtsfraktion Vorschläge zur Besetzung von Schulleiter- und Schulratsstellen gemacht hatte und Theodor Mühe dabei zu den wichtigsten Drahtziehern gehörte. (15) Theodor Mühe war dort angekommen, wohin er immer gewollt hatte. Er war dem NSLB am 1.4.1933 beigetreten, über seinen Beitritt zur NSDAP existieren unterschiedliche Angaben. Er selbst nannte später den 1.7.1937, der Vorsitzende des Fachausschusses 6 b, Friedrich Wilhelm Licht, vermerkte im Entnazifizierungsverfahren, Mühe „hatte schon 1933 um Aufnahme nachgesucht", was Mühe selbst im Verfahren bestätigte. (16)

Theodor Mühe war ein wichtiger Propagandist im nationalsozialistischen Bildungsprozess. Als die Hamburger Pädagogen zur ersten größeren Lehrerversammlung im Veranstaltungssaal bei Sagebiel zusammengerufen wurden, schwor man die Hamburger Lehrerschaft auf die nationalsozialistische Schulpolitik ein. „SA-Männer besorgten die Saalordnung, eine SA-Kapelle spielte Märsche, Hitler-Jugend marschierte auf und nahm in den Gängen Aufstellung." (17)

Nach Schulsenator Witt und Oberschulrat Walter Behne sprach Oberschulrat Theodor Mühe. Er „begrüßte den Eintritt der hamburgischen Lehrerschaft in den NSLB. Der nationale Geist, der Kampf gegen das Novembersystem sei auch in der Deutschnationalen Volkspartei unter ihrem Führer Hugenberg lebendig. Wir wollen den Aufbau des berufsständischen Staates, in dem politische Parteien und Richtungen nur noch eine historische Erinnerung sind. So kommen wir auch, wenn wir uns alle die Hände reichen, zu der großen Gemeinschaft aller deutschen Erzieher." (18)

Und als Mühe von seinem Nachfolger Karl Züge am 27.6.1933 im Philologenverein verabschiedet wurde, dankte Züge seinem Vorgänger „für seinen zähen Kampf um die Belange der höheren Schule, den er seit Jahren – lange vor dem Durchbruch der ‚nationalen Revolution‘ – mit scharfer Klinge gegen die zersetzenden Einflüsse eines volksfremden Novembersystems und seine Exponenten in Wort und Schrift geführt habe." (19)

Uwe Schmidt stellte fest, es könne kein Zweifel daran bestehen, „dass sich Theodor Mühe mit den ‚Lehren‘ des neuen Regimes persönlich identifiziert hat“. (20)

Mühe habe ganz wesentlich die „Hamburger Richtlinien für politische Erziehung" erarbeitet, in denen es hieß: „Die nationalsozialistische Revolution gestaltet das deutsche Volk zur politischen Nation. Diesem revolutionären Geschehen haben auch die Schule und vor allem der deutsche Unterricht zu dienen. Wegen der langdauernden Schwächung der völkischen Kraft der gefährdeten Lage des Vaterlandes ist diese Erziehung zum politischen Deutschen mit besonderem Nachdruck durchzuführen. Die Unterrichtsbehörde verlangt in diesem Sinne die Umstellung des deutschen Unterrichts an den höheren Schulen. Als erste und vorläufige Maßnahme fordertet sie die Auswahl und Darbietung des Literaturgutes unter dem Gesichtspunkt der revolutionären Erfordernisse". (21)

Und in einer Denkschrift für die zukünftige nationalpolitische Erziehung hatte Mühe am 30.11.1930 den Ausbildungsleitern der Studienseminare mitgeteilt: „Der Sieg des Nationalsozialismus habe den Weg freigemacht, für die aus dem Bewußtsein in Blut und Boden wurzelnder Verbundenheit erwachsende Einheit der deutschen Volksgemeinschaft‘. Der künftige Lehrer müsse sich daher ernsthaft mit den Grundlagen des Nationalsozialismus beschäftigen, mit dem Gedanken der Verbindung von Blut und Boden, von Rasse und Volkstum". (22)

Neben völkischen waren auch antisemitische Tendenzen bei Theodor Mühe unübersehbar. Als nach der Reichspogromnacht im November 1938 vom Reichserziehungsministerium (REM) Erlasse herausgegeben wurden zur „Säuberung der allgemeinbildenden Schulen von Juden" und die „vorläufige Zusammenfassung der Juden in besonderen Judenschulen", durften die jüdischen Sammelklassen in öffentlichen Gebäuden nicht mehr unterrichtet werden. Theodor Mühe fragte daraufhin beim REM an, „ob und in welchem Umfange die Juden in Deutschland überhaupt einer Schulpflicht unterliegen sollen“. (23)

Mühe war es auch, der im August 1938 die Pflichten von Schulleitern formulierte und betonte, „dass sich Leiter und Lehrer über ihre unmittelbare amtliche Pflichtübung hinaus an geeigneter Stelle in der NSDAP und ihren Gliederungen wie NSLB und der HJ dauernd in politischer Schulung und Betätigung halten müssten." (24) Und bei potentiellen Kandidaten für Schulleitungsstellen wurde explizit darauf hingewiesen, dass die von der Schulverwaltung vorgeschlagenen Schulleiter „Parteigenossen und entweder Amtsträger im NSLB oder sonstwie in Gliederungen oder Verbänden der nationalsozialistischen Bewegung tätig“ seien. „Die Nachrangigkeit der professionellen Eignung gegenüber der politischen wurde auch hier deutlich markiert: ‚Neben der politischen Zuverlässigkeit ist auch die pädagogische Leistungsfähigkeit bei ihrer Auswahl berücksichtigt.‘ An oberster Stelle rangierte allerdings die reine Deutschblütigkeit." (25)

So wundert es nicht, dass im Befähigungsbericht über Theodor Mühe, den Karl Witt am 4.1.1936 verfasste bzw. unterzeichnete, zu lesen war, Mühe wäre ein „kluger, energischer Mann von starker wissenschaftlicher Begabung und Durchbildung, guter Aufsichtsbeamter und Organisator, bisweilen etwas stur“. (26)

Theodor Mühe, 1875 geboren, war für die NS-Schulverwaltung unverzichtbar. Nach dem Ausscheiden von Hermann Saß, Wilhelm Oberdörffer und Albert Henze, nachdem Walter Behne zwischenzeitlich als Reserveoffizier zum Kriegsdienst eingezogen worden war, erschien das fortgeschrittene Alter Mühes eher als Vorteil. Und Theodor Mühe hielt durch, bis er am 25.6.1945, fast 70-jährig, auf Anordnung der Britischen Militärregierung mit sofortiger Wirkung entlassen wurde. (27)

Theodor Mühe gab im Entnazifizierungsfragebogen an, Mitglied der NSDAP seit 1937 zu sein, im NSLB seit dem 1.4.1933, in der NSV, dem NSKK seit 1933 und dort auch als Scharführer tätig und im NS-Altherrenbund gewesen zu sein. Seine Aktivitäten wurden von ihm völlig entpolitisiert. So erklärte er zur Frage nach von ihm gehaltenen Reden und Schriftenwerken: „Seit 1921 bis zum Eingehen der ‚Hamburger Nachrichten‘ im Jahre 1938 war ich dort ständiger Mitarbeiter am Feuilleton und Referent für philosophische, allgemeinwissenschaftliche und kulturpolitische Literatur und Vortragsveranstaltungen. Vorlesungen habe ich im gleichen Zeitraum über nicht politische Themen an der Volkshochschule gehalten. Im April 1944 habe ich im Rahmen der von der Schulverwaltung veranstalteten ‚Pädagogischen Woche‘ vor Hamburger Lehrern über ‚Charakter als Idee und Wirklichkeit‘ gesprochen. Am 24. Juli 1944 ist im ‚Hamburger Fremdenblatt‘ eine Abhandlung von mir über ‚Verstandesbildung und Gefühlsbildung‘ erschienen,“ (28)

Wenn man sich vergegenwärtigt, wie Mühe propagandistisch für den Nationalsozialismus wirkte, mutet es schon erstaunlich an, was er zu seiner Entlastung anführte:

„Da ich im März 1933 – seit damals bereits 25 Jahren in der pädagogischen und in der Tagespresse an der Erörterung von Schul-und Erziehungsfragen beteiligt, Vertreter der Interessen der Lehrer an höheren Schulen, Begründer und Schriftleiter einer Wochenschrift für Erziehung und schließlich Vorsitzender und Ehrenmitglied des Hamburger Philologenvereins – zur Dienstleistung als kommissarischer Schulrat in die Schulverwaltung (damals Oberschulbehörde) berufen wurde – obwohl im Herbst des gleichen Jahres endgültig zum andern – abweichend von der pfleglichen Behandlung unfähiger Parteibonzen erst 6 ¼  Jahre später, seit dem 1. Januar 1940, das meinem Amte entsprechende Gehalt der Oberschulratsstufe, A 1 b, bezog, darf ich wohl für mich in Anspruch nehmen, dass mir aus der Machtergreifung des Nationalsozialismus ein persönlicher Vorteil nicht erwachsen ist. Auf diesem Gebiet liegt also wohl kaum ein Anlaß für meine Amtsenthebung.“ (29)

Im Weiteren versuchte Theodor Mühe, ähnlich wie nach 1945 auch Karl Witt oder Schulrat Dietrich Ossenbrügge, darauf hinzuweisen, dass sie als vormalige DNVP-Mitglieder nie so richtig von den Nationalsozialisten akzeptiert worden seien, was bei Mühe und Witt definitiv nicht zutraf, sieht man davon ab, dass radikale Nationalsozialisten wie etwa Hans Rösch nie ihren Frieden mit ehemaligen Deutschnationalen, die so häufig ihre Positionen wechselten, fanden. (30)

Bei Mühe las es sich so:
„Auch mein am 1. Mai 1937 vollzogener Beitritt zur NSDAP kommt schwerlich dafür in Betracht, weil ja seit diesem Zeitpunkt nur noch Parteimitglieder als Beamte in gehobenen Stellungen geduldet wurden. Ich vermute daher, daß die Veranlassung für die Anordnung der Militärregierung in meiner Zugehörigkeit zum NSKK zu suchen ist, dem ich vom 10. Juli 1933 bis zum 18. November 1939 angehört habe. Zur Erklärung meines Eintritts in die damalige ‚Motor-SA‘ bitte ich zu berücksichtigen, daß er eine Abwehrmaßnahme während der wilden Anfangszeit der NS. Revolution darstellte, als kein Nichtparteiangehöriger in der Oberschulbehörde sich seines Amtslebens sicher fühlte und die so dringend erforderliche ruhige, planvolle Aufbauarbeit immer wieder durch die Besuche, um nicht zu sagen: Einbrüche stürmisch fordernder und unbekümmert denunzierender Parteigewaltiger und  für den Neueingeweihten ihrer Kompetenz nach schwer abzuschätzender Uniformträger beeinträchtigt wurde. Als besonders erschwerende  Belastung kam für mich noch hinzu, daß ich mir durch Beitritt zum NSLB vor der ersten allgemeinen Lehrerversammlung bei Sagebiel, um die März-April-Wende 1933, den Anspruch gesichert hatte, gleich nach der Rede des damals vorläufigen Gauamtsleiter des NSLB, unter SA-Umrahmung zu der gesamten Hamburger Lehrerschaft zu sprechen, und daß ich diese Angelegenheit benutzte, um gegen den von meinem Vorredner erhobenen Totalitätsanspruch der NSDAP und des NSLB zu betonen, daß außer der NSDAP auch noch eine Deutschnationale Volkspartei und außer dem NSLB noch ein Deutschnationaler Lehrerbund da sei, als dessen Vorsitzender ich mich – nicht ohne sehr vernehmbares Zustimmungsecho aus der Riesenversammlung – bekennen konnte.

Um meiner Amtsführung eine gegen Parteigenossenüberhebung besser gesicherte Grundlage zu geben, versuchte ich im Juli 1933, als alle früheren sonstigen Parteien den Weg der Auflösung gingen, auf Anraten von Senator Witt trotz inzwischen eingetretener Mitgliedersperre zunächst, Parteimitglied der NSDAP zu werden. Ich begründete mein schriftliches Aufnahmegesuch mit dem Hinweis auf das Übereinstimmende in den Zielen der DNVP und der NSDAP und mit der Hoffnung, das deutschnationale Gedankengut innerhalb der NSDAP befruchtend nutzbar machen zu können. Mein Aufnahmeantrag wurde jedoch trotz ausdrücklicher Befürwortung durch Senator Witt unter Berufung auf die Aufnahmesperre abgelehnt. Daraufhin ergriff ich eine sich mir bietende Gelegenheit, gleichzeitig mit zwei aus ähnlicher Veranlassung dazu bewogenen Schulleitern einem der Motorstürme der in Wandsbek stehenden und später nach Altona verlagerten Standarte XI als SA-Anwärter beizutreten, bei der ich dann im Laufe der Jahre bis zum Scharführer aufrückte und stehenblieb. Was uns, abgesehen von unserem Hauptanliegen eines politischen Alibi die Mitgliedschaft überdies anziehend machte, war vor allem die Möglichkeit, ohne großen Kostenaufwand kraftfahren zu lernen und zu üben, sowie den Führerschein zu erwerben."

Eine für die geistige Kapazität Mühes ziemlich erbärmliche Erklärung.

Eitelkeit und Unverfrorenheit charakterisierten Mühes nächste Argumentation:

„Wie wertvoll es damals sein konnte, auf solche Weise in der Partei verankert zu sein, ohne doch Parteimitglied zu werden, hatte ich nicht lange danach Gelegenheit, nachdrücklich zu erproben. Als nämlich  im Jahre 1935 durch das Hamburgische Staatsamt unter dem Namen ‚Hamburg im Dritten Reich’ Arbeiten der Hamburgischen Verwaltung in Darstellungen herausgegeben wurden, deren Heft 1, ‚Die Neugestaltung der Schule’, unter der Verantwortung des Landesschulrats Schulz durch einen 120-prozentig nationalsozialistischen Hilfsreferenten bearbeitet, im Entwurf vorlag, nahm ich Veranlassung, in einer eingehenden kritischen Analyse die sachliche Unzulänglichkeit und die stilistische Kitschigkeit dieses Entwurfes darzutun und dem Präses sowie allen Referenten der Landesunterrichtsbehörde je ein Exemplar meiner Kritik vorzulegen. In der unter dem Vorsitz von Senator Witt daraufhin einberufenen Referentensitzung, an der unter anderem Landesschulrat Schulz und die Oberschulräte Dr. Oberdörffer, Dr. Behne und Mansfeld teilnahmen, wurden mir von dem letzteren ebenso wie von dem Verfasser des Entwurfs wegen der Schärfe meiner Kritik leidenschaftliche Vorwürfe gemacht, wobei mir Herr Mansfeld mit einer Anklage vor dem Parteigericht winkte, während der jugendliche Entwurfsverfasser mich in dieser amtlichen Sitzungen mit ‚Parteigenosse’ und ‚Du’ anredete. Ich verbat mir das ‚Du’ und erklärte, ich sei kein ‚Parteigenosse’ und für ihn immer nur der Oberschulrat Professor Dr. Mühe - eine sehr überraschende Aufklärung für meine Widersacher, denen es bis dahin unbekannt geblieben war, daß man der SA beziehungsweise dem NSKK angehören konnte, ohne Parteigenosse zu sein. Daß bei dieser Gelegenheit einerseits meine Kritik an dem Entwurf sehr ernst genommen wurde und nach der Besprechung die Ausmerzung  oder die Milderung wenigstens der handgreiflichsten Unmöglichkeiten für die Drucklegung nach sich zog, hatte ich jedenfalls wesentlich der Autorität meiner NSKK-Uniform – die Rettung vor dem Parteigericht andererseits nebst wahrscheinlicher Verurteilung zum Ausschluss aus der Partei und damit zwangsläufig aus dem Staatsdienst dagegen lediglich meiner Nichtzugehörigkeit zur Partei zu verdanken, womit die gelegentliche Zweckmäßigkeit einer solchen Kombination von Mitglied- und Nichtmitgliedschaft sich praktisch erwiesen hatte."

Im Weiteren erklärte natürlich auch Theodor Mühe, er habe jüdische Skatfreunde und einen jüdischen Hausarzt sowie einen jüdischen Apotheker gehabt. Dann schloss er:

„Wenn ich heute in meinem siebenzigsten Lebensjahre, als meines Wissens ältester bisher im aktiven Dienst stehender Beamter der Schulverwaltung, die fast 44 Jahre meines Amtslebens und daneben den gleichen Abschnitt meines Privatlebens rückblickend überschaue, finde ich nichts, was die Vermutung rechtfertigen könnte, ich sei vom Nationalsozialismus so durchdrungen, daß es mir unmöglich wäre, aus der Katastrophe, in die mein über alles geliebtes, unglückliches deutsches Vaterland durch den Nationalsozialismus und die diktatorischen Methoden seiner Führung gestürzt wurde, zu lernen und für die Zukunft die entsprechenden Folgerungen zu ziehen, so daß auch nur eine kurze Fortsetzung meiner Amtswaltung zu einem Hemmnis für die Beseitigung nationalsozialistischen Einflusses werden könnte. Und es würde mir schwer fallen zu verstehen, wenn die englische Militärregierung bei eingehender Kenntnis der Zusammenhänge auf der Durchführung einer Anordnung bestehen bliebe, die mir ein ehrenvolles Ausscheiden aus dem Dienst versagte und mich ein halbes Jahr vor dem naturgegebenen Abschluß einer 44-jährigen Beamtenlaufbahn mit sofortiger Wirkung entläßt."

Er bat also um Pensionierung zum 1.1.1946.

Juristisch war das kompliziert, weil die Pensionierung die Entlassung aufgehoben hätte. Außerdem stellte Senator Landahl fest, dessen Eintritt in den Senat 1933 Theodor Mühe mit den Rechten konspirativ verhindert hatte, „daß die erneute Überprüfung der Sachlage ergeben hat, daß der Betreffende nicht so stark politisch belastet ist, daß er unter Verlust seiner Bezüge aus dem Dienst scheiden muss, sondern daß er die gesetzliche Versorgung beanspruchen kann. Damit wird zum Ausdruck gebracht, daß die Entlassungsverfügung auf unrichtigen Informationen beruhte und sachlich nicht gerechtfertigt war. Hätte die Militärregierung bereits damals die richtigen Informationen gehabt, so wäre bereits damals keine Entlassung ausgesprochen worden, sondern eine Versetzung in den Ruhestand." (31)

Theodor Mühe wurde am 4.10.1945 in den Ruhestand versetzt und erhielt sein Oberschulratsgehalt nachgezahlt.

Der Beratende Ausschuss plädierte am 23.10.1947 dafür, Mühe in Zukunft nur die Pension eines Studienrates zuzubilligen. Begründung: „Er wurde 1933 in die Behörde berufen in dem Augenblick, als man die demokratischen Formen im Schulwesen durch autoritäre ersetzte, als zum Beispiel Frau Beckmann und die Herren Schult und Zeidler aus der Behörde auszuscheiden hatten. Er hat, obgleich er damals schon 58 Jahre alt war, braune Uniform angelegt. Reichstagsbrand, Röhmaffäre und Judenhetze haben ihn offenbar nicht beeindruckt, wenn er im Juni 1945 schreibt, bei seinem Eintritt in die Partei im Jahre 1937 (er hatte schon 1933 um Aufnahme nachgesucht) sei er ein gläubiger Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung und  des Führers gewesen, dem er bis zum bitteren Ende treu und redlich seinen Beamteneid gehalten habe. Somit ist seine Mitgliedschaft keineswegs nur nomineller Natur gewesen." (32)

Der Berufungsausschuss mit Dr. Kiesselbach als Vorsitzendem gab dem Berufungsantrag Theodor Mühes statt. Er verwies am 6.7.1949 auf die Leumundszeugnisse, „die sämtlich von Nicht-Parteimitgliedern entstammen", aus denen sich überzeugend ergebe, „dass Prof. Mühe politisch nicht hervorgetreten ist“. (33)

Insbesondere zwei Personen trugen letztlich zu dieser Entscheidung bei. Einmal der ehemalige Studienrat des Johanneums, Ernst Fritz, über den von seinen ehemaligen Schülern Walter Jens und Ralph Giordano viel Empathisches geschrieben wurde. Ernst Fritz war durch Denunziation, Verhaftung, Gestapoverhöre und Gefängnisaufenthalt am Ende eine kranke und tragische Person, die nach 1945, wie auch Uwe Reimer darstellte, in einer gewissen Verwirrung agierte. Ernst Fritz verfasste einige Leumundszeugnisse, die nicht ganz frei von einer gewissen Trübung waren, aber aufgrund seines Schicksals eine „hochmoralische“ Glaubwürdigkeit für einen Entnazifizierungsausschuss hatten. Ernst Fritz schrieb am 20.5.1948: „Obgleich mir als Paßträger (Nummer 5997 vom 18.7.46) für ehemalige politische Gefangene vom V. V. N.- Komitee zu Hamburg größte Zurückhaltung in Gutachten zur Pflicht gemacht wurde und Erfahrungen im besetzten Gebiet, wo ich bis April 1946 einer Deutschen Gemeinde aushielt, aber auch beim Versuch, meine durch Hitlerknechte mir geraubte Tätigkeit wieder aufzunehmen, meine stete Kampfstellung gegen jede Schattierung des nicht ausgerotteten Nationalsozialismus zunehmend stärken und vertiefen, darf ich nicht schweigen, wo Übereifer in der Verfolgung Unrecht wäre. Herr Dr. Mühe ist mir nie als fanatischer selbstsüchtiger Nationalsozialist erschienen, obgleich ich ihn als Vorgesetzten (etwa seit der Machtübernahme), viel persönlicher aber als Mitarbeiter im Philologen-Verein (ich war lange Jahre Vertrauensmann des Kollegiums, der Gelehrtenschule d. Joh.) mit aufrichtiger Anerkennung als Rezensenten der ‚Hamburger Nachrichten‘ recht genau kenne. Schulpolitisch fragte er nach Tüchtigkeit und anständiger Haltung, nicht nach Mitgliedsnummer und dem verlogenen Affentheater, das die Mehrzahl der Kollegen mitspielte. Überwacht wurde er offensichtlich; ich schätze, u. a. von einer auch mir damals schädlichen Person. In die Behörde trug ihn das große, schöne Vertrauen unserer Berufs-Organisation aus den Jahrzehnten vor dem unseligen ‚Umbruch‘! Wer so klar denkt und spricht, wie dieser feine Kopf, war stets in Gefahr, von brutaler Faschisten-Gemeinheit abgeharkt zu werden. Ehrlich bewundert habe ich den Mut, mit dem ein tief schärfender Aufsatz (in d. HN) über die Gebildeten im 3. Reich aus ernster Besorgnis zu jener Besinnung mahnte, in der sich heute die Guten die Hände reichen. Denn ‚Aktivist‘ ist er in keiner Hinsicht.“ (34)

Ärgerlich auch der Persilschein, den ein anderer ehemaliger Lehrer des Johanneums ausstellte. Heinrich Michaelsen, der sich in so vielen Fällen als Gutachter aufspielte, der dabei selbst von Senator Witt 1933 als stellvertretender Schulleiter ernannt worden war, wegen seines schwierigen Charakters und als zynischer Kommentator in der NS-Zeit aneckte und wegen seiner ehemaligen Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge nicht NSDAP-Mitglied werden durfte. Michaelsen renommierte mit seiner Nicht-Parteimitgliedschaft und gab Persilscheine für die übelsten Nationalsozialisten ab, unter anderem für den Giordano-Schinder Werner Fuss. Auch in diesem Fall mit der genannten Wirkung. Michaelsen trumpfte mit seinen Kenntnissen auch zu Gunsten von Theodor Mühe auf:  „Herr Oberschulrat i. R. Prof. Dr. Theodor Mühe ist mir seit meiner Schulzeit als Schüler bekannt. Als Schüler schätzten wir in ihm nicht nur den tüchtigen Pädagogen, sondern vor allem sahen wir in ihm einen vorbildlichen Menschen, der uns das vorlebte, was unserm deutschen Volke in so verhängnisvoller Weise fehlt: die Persönlichkeit, die ihr Leben aus einer in sich ruhenden Haltung, nicht einer schwankenden Meinung gestaltete. Als Lehrer begegneten wir uns schon gleich nach dem ersten Weltkriege wieder und dann immer häufiger: wir erkannten unsere gleiche schulpolitische und pädagogische Einstellung, sodaß ein Zusammenarbeiten sich von selbst ergab. Ich fand meinen Eindruck aus der Schülerzeit nicht nur bestätigt, sondern konnte bei den verschiedensten Gelegenheiten erkennen, daß hier ein Mensch sich auslebte, der aus wertvoller menschlicher und pädagogischer Substanz schöpfte. So war es nur natürlich, daß Herr Prof. Mühe früh schon in der Hamburger Philologenschaft zur Führung berufen wurde: als Vorsitzer des Hamburger Philologenvereins hat er diese Berufsvertretung jahrelang durch das bewegte Wasser des öffentlichen Lebens jener Jahre mit sicherer und zielstrebiger Hand geleitet. Diese Tätigkeit wurde von seinen Mitgliedern dadurch anerkannt, daß Herr Prof. Mühe als einziger Fall während des Bestehens des Vereins schon zu Amtszeiten zum Ehrenmitglied ernannt wurde. Aus solcher Tätigkeit und solcher Anerkennung erklärt sich die Berufung des Herrn Prof. Mühe in die Behörde: nicht aus Gunst, sondern aus Kunst - nicht aus irgendwelcher Parteizugehörigkeit, sondern aus Tüchtigkeit im Berufe! Während der Nazizeit, in der ich mehrfach von einem anderen Schulrat zum Beitritt in die Partei aufgefordert wurde, hat Herr Prof. Mühe niemals versucht, mich in die Partei hineinzuziehen. In Unterhaltungen mit ihm konnte ich mich überzeugen, daß er kein Aktivist geworden sei, sondern aus einer bekannten weltanschaulichen Einstellung auch weiter sein Leben und seine Berufsarbeit gestaltete" (35)

Heinrich Michaelsen war eigentlich der Letzte, der als seriöser Gutachter in Frage kam. Aber es nützte. Die Schreiben waren erfolgreich. Mühe erhielt die Pension eines Oberschulrats noch etliche Jahre. Am 12.12.1955, zu seinem 80. Geburtstag, lobt ihn die „Welt“ als „hoch verdienten Pädagogen, als philosophischen Kritiker und Journalisten“. (36)

Senator Landahl gratulierte zum 85. Geburtstag am 13.12.1960: „Ihr 85. Geburtstag ist mir Veranlassung, Ihnen noch einmal herzlich zu danken für alle Arbeit, die sie in einem langen und von mancherlei Erfolg begleiteten Leben geleistet haben. Als Lehrer und Schulleiter, in der Arbeit des Philologenverbandes und der Volkshochschule und schließlich als Oberschulrat in der Schulbehörde haben Sie einen so weiten Wirkungskreis gehabt, daß die Zahl derer, die heute Ihrer in Dankbarkeit gedenken, sicherlich nicht gering ist.“ (37)

Theodor Mühe blieb ein Mann der überraschenden Wendungen, wenn auch im persönlichen Bereich. Am 29.10.1948 ließ Mühe sich nach 51 Jahren Ehe scheiden, um zwei Tage später erneut zu heiraten.

Am 22.4.1962 starb Theodor Mühe. Landesschulrat Matthewes würdigte ihn „als einen Mann, der durch seine lautere und vornehme Gesinnung das Vertrauen seiner Mitarbeiter genoß." (38)

Interessant ist, zu welchem Urteil Uwe Schmidt gelangte, der wahrlich nicht leichtfertig negativ über ehemalige Funktionäre des Philologenvereins urteilte. Uwe Schmidt schrieb: „Mit seinen ohne äußeren Zwang abgegebenen pädagogischen, bildungspolitischen und anthropologischen Äußerungen hat sich Theodor Mühe selbst zu einem der geistigen Weggefährten und Wegbereiter der Mörder gemacht. Der Historiker, der Theodor Mühes Position und Funktion in der Geschichte der Berufsvertretung der Gymnasiallehrer nachzeichnet, kann sich dem abschließenden Urteil des Entnazifizierungsfachausschusses - ‚unbelastet‘ - nicht anschließen. Mit Theodor Mühe hat zum ersten Mal in der Geschichte des Hamburger Philologenvereins ein Vorsitzender die unverzichtbare Grenze zwischen Berufspolitik und Parteipolitik missachtet und überschritten.“ (39)

Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen
1. Alle Angaben nach Mühes Personalakte, StA HH, 361-3_A 1159
2. Uwe Schmidt: Aktiv für das Gymnasium, Hamburg 1999, S. 284.
3. Ebd.
4. Ebd.
5. Personalakte Mühe, a.a.O.
6. Uwe Schmidt 1999, a.a.O., S. 285. Zur Geschichte der Selbstverwaltung der Schulen in Hamburg siehe auch: Hans-Peter de Lorent: Schule ohne Vorgesetzte, Hamburg 1992.
7. Uwe Schmidt 1999, a.a.O., S. 286
8. Ebd., S. 287.
9. Ebd., S. 286, zitiert nach Reinhard Behrens: Die Deutschnationalen, Hamburg 1973, S. 169.
10. Schmidt, 1999, S. 287.
11. Ebd.
12. StA HH, 362-2/8 Oberrealschule Eimsbüttel_95
13. Personalakte Mühe, a.a.O.
14. StA HH, OSB VI 2 F XIV d 17; siehe auch Biografie Karl Züge.
15. Schriftwechsel der Rechtsfraktion, StA HH, 361-4_C a 18
16. Entnazifizierungsakte Mühe, StA HH, 221-11_Ed 1155
17. HLZ 18/1933, S. 259.
18. Ebd.
19. Schmidt, 1999, S. 288.
20. Ebd.
21. Ebd., S. 288 f.
22. StA HH, OSB VI_1722
23. Uwe Schmidt: Hamburger Schulen im „Dritten Reich“, Hamburg 2010, S. 209 f.
24. StA HH, 361- 7 Staatsverwaltung- Schul- und Hochschulabteilung_4011-10
25. StA HH, 361- 7 Staatsverwaltung- Schul- und Hochschulabteilung_4011-00, zitiert nach Schmidt, 2010, a.a.O., S. 57f.
26. Personalakte Mühe, a.a.O.
27. Entnazifizierungsakte Mühe, a.a.O.
28. Ebd.
29. Das auch im Weiteren zitierte 4-seitige Schreiben Mühes vom 28.6.1945, ebd.
30. Siehe Biografie Hans Rösch.
31. Schreiben vom 20.10.1945, Entnazifizierungsakte Mühe a.a.O.
32. Ebd.
33. Ebd.
34. Ebd. Zu Fritz Ernst siehe: Walter Jens: Ernst Fritz: „Schließt die Augen, Jungs“, in: Ursel Hochmuth/Hans-Peter de Lorent (Hg): Hamburg. Schule unterm Hakenkreuz, Hamburg 1985, S. 214 ff.; Ralph Giordano: Rassismus und Militarismus im NS-Schulalltag. In : Johanneum 1 (1988), S.21 ff.; Uwe Reimer: Johanneum 1945 – Ende und Anfang, Hamburg 2012, S. 52 ff.
35. Entnazifizierungsakte Mühe a.a.O. Zu Heinrich Michaelsen siehe: Uwe Reimer ,a.a.O., S. 36.
36. Welt vom 12.12.1955, Kopie auch in der Personalakte Mühes, a.a.O.
37. Ebd.
38. Ebd. und „Welt“ vom 27.4.1962.
39. Schmidt, 1999, S. 292.
 

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Von Hamburger NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Zuschauer/innen ... Eine Hamburg Topografie.

NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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