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Ferdinand Dannmeyer

26.8.1880 Kiel – 13.11.1959
Lehrer an der Oberrealschule in der Bogenstraße , Professor für Physik, Leiter des Instituts für physikalisch biologische Lichtforschung
Moorweg 50 (Wohnadresse)
Nach ihm wurde 1961 im Stadtteil Groß-Borstel die Dannmeyerstraße benannt.

Dr. Hans-Peter de Lorent hat über Ferdinand Dannmeyer ein Portrait verfasst, das in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz. Band. 3. Hamburg 2019 erschienen und im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg erhältlich ist. Hier der Text: 

„Er hat stets einen übertriebenen Tätigkeitsdrang besessen. So meldete er sich auch 1933 zur NSDAP und zur SA, trotzdem er wissen musste, dass Freimaurer allgemein abgelehnt wurden.“
Die Verbindung von Oberlehrern an Hamburgs höheren Schulen, die naturwissenschaftliche Fächer unterrichteten, mit Forschungsarbeiten außerhalb der Schule, die wissenschaftliche Relevanz hatten, repräsentiert der Physiker und Mathematiker Ferdinand Dannmeyer. Seine Schaffenskraft außerhalb des Unterrichts war enorm. So leitete er nebenberuflich seit 1922 das „Institut für physikalisch-biologische Lichtforschung“, das insbesondere für die Seefahrt, aber auch für die Medizin und Krebsforschung von Bedeutung war. 1933 trat Dannmeyer in die NSDAP und die SA ein, vorher war er seit 1920 DNVP-Mitglied gewesen. Als langjähriges Mitglied der Loge „Vom Fels zum Meer“ geriet Dannmeyer in Konflikte und Parteigerichtsverfahren, da er über diese Mitgliedschaft und den Zeitpunkt des Austritts aus der Loge nach Ansicht der NSDAP falsche Angaben gemacht hatte. Diese Parteigerichtsverfahren legten viele Interna offen, die sonst niemals bekannt geworden wären. Eine schillernde Persönlichkeit.
Ferdinand Dannmeyer wurde am 26.8.1880 in Kiel-Gaarden als Sohn eines Volksschulrektors geboren. Er ging in Hamburg zur Schule und bestand an der Oberrealschule vor dem Holstentor 1900 die Reifeprüfung. Das Studium der Physik und Mathematik absolvierte er an den Universitäten in Gießen und Kiel. 1904 war er in Mathematik promoviert worden und hatte 1905 das Staatsexamen abgelegt.[1]
Zur Ausbildung wurde er an die Oberrealschule auf der Uhlenhorst überwiesen. Dort „wurde er begeisterter Gefolgsmann und Mitarbeiter des bekannten Schul-Physikers Prof. Dr. Grimsehl: sein besonderes Interesse galt der Verwirklichung des damals aufkommenden physikalischen Werk-Unterrichts in der Schule, mit dem Ziel, die Selbständigkeit der Jugend anzuregen und im Unterricht nutzbar zu machen.“[2]
Das zweite Ausbildungsjahr absolvierte Dannmeyer an der höheren Stadtschule in Cuxhaven, „wo er für sein ganzes Leben entscheidende Anregungen empfing“.[3] Hier lernte er die Tochter des Marinedirektors Julius Marxen kennen, Wilhelmine Marxen, die er 1909 heiratete.[4] Durch Vermittlung seines Schwiegervaters „kam er in nahe Verbindung mit dem Leuchtfeuerwesen, wobei er die Bedeutung und Probleme des Lichtes praktisch kennenlernte. 1910 wurde er zum Studium des Werkunterrichts in mehrere Städte bis nach Wien entsandt. In Hamburg richtete er gemeinsam mit seinem Freund, dem späteren Oberstudiendirektor Dr. O. Hartleb, Kurse ein für den Selbstbau physikalischer Unterrichts-Apparate. In einem Aufsatz in der von seinem Kollegen, dem späteren Oberschulrat Carl Götze gegründeten und geleiteten Zeitschrift ‚Der Saemann‘ finden wir D.’s lebenslängliche pädagogische Leitlinie, die Arbeitsfreude der Schüler sei das Maß für den Wert einer neuen Unterrichtsmethode.“[5]
Dannmeyer arbeitete erst einmal ein Jahr an der Privatschule Wichmann in der Johnsallee , ab 1912 an der Staatlichen höheren Mädchenschule Hansastraße , der späteren Studienanstalt Hansastraße , aus der 1927 die Helene-Lange-Schule hervorging. Dort war auch Ottomar Hartleb als Oberlehrer tätig.
1922 wechselte Dannmeyer an die Anton-Rée-Realschule und ab dem 1.4.1925 war er als Physik- und Mathematiklehrer an der Oberrealschule an der Bogenstraße tätig.[6]
Zwischenzeitlich wurde Ferdinand Dannmeyer am 20.3.1915 „zu den Fahnen einberufen“, wie er es in seiner Personalakte formulierte. Dort erhielt er bis zu seiner Entlassung aus dem Heeresdienst am 29.11.1918 die Beförderung zum Leutnant.[7]
Ferdinand Dannmeyer lebte in Groß-Borstel. Das sollte noch eine Bedeutung bekommen. Dort war er mit dem Reformpädagogen, Schulleiter und späteren Oberschulrat für den Volksschulbereich, Carl Götze, bekannt und auch mit dem Meteorologen und Polarforscher Johannes Georgi (1888–1972), mit dem er zusammen auf Island geforscht hatte und in der „Gesellschaft der Freunde Islands“ in Hamburg tätig war. Georgi verfasste 1959 einen ausführlichen Nachruf, der die wissenschaftliche Tätigkeit von Ferdinand Dannmeyer beleuchtete und der als Sonderdruck des „Groß-Borsteler Boten“ veröffentlicht und Schulsenator Heinrich Landahl überreicht wurde.[8]
Johannes Georgi schrieb, dass Dannmeyer seinem Schwiegervater Julius Marxen „wohl die entscheidende Hinwendung des Interesses zum Seewesen verdankt, die ihn als Physiker sich zunächst 1912 mit der möglichen Verbesserung der Reichweite des Leuchtfeuers von ‚Elbe I‘ befassen ließ. Im Ersten Weltkrieg gehörte er als Mathematiker der Artillerie-Prüfungskommission an und wurde als Kommandant einer neuartigen, auf Kähnen montierten Langrohr-Batterie auf den flandrischen Kanälen eingesetzt.“[9]
Dannmeyers Spezialgebiet war allerdings die Erforschung von Lichtquellen und deren Anwendung in der Medizin:
„Das Studium der elektrischen Lichtquellen hatte ihn auf die große Bedeutung der ‚ultravioletten‘ Strahlen (oder UV genannt) für die menschliche Gesundheit gestoßen, deren Erforschung er sich von 1920–30 neben seiner vielseitigen Unterrichtstätigkeit widmete. Damals bildete die ‚englische Krankheit‘ oder Rachitis eine wahre Volksseuche; in Zusammenarbeit mit dem Industriephysiker Dr. F. Skaupy, entwickelte D. die erste Wärme- und UV-Strahlung aussendende Glühlampe ‚Vitalux‘, die in der Folge bei Osram weiterentwickelt wurde zu der bekannten ‚Ultra-Vitalux‘-Bestrahlungslampe. Mit dem Physiker Dr. Rüttenauer zusammen entwickelte er besondere ‚Räume künstlichen Sonnenscheins‘ für Tbc-Behandlung und -Vorbeugung bei Kindern. Dannmeyer warb aktive Angehörige verschiedener Fachrichtungen, selbst im Ausland, zu ehrenamtlicher Mitarbeit innerhalb einer gemeinsamen wissenschaftlichen Arbeitsgruppe, die als ‚Institut für physikalisch-biologische Lichtforschung‘ von 1919 bis zum Beginn des 2. Weltkrieges 1939 mit Unterstützung durch den Hamburger Staat und die hiesige Wirtschaft, aber auch dank großer finanzieller Opfer von Dannmeyer selbst eine außerordentlich produktive Tätigkeit entfaltete.“[10]
Hier arbeitete er zusammen mit dem in diesem Band ebenfalls porträtierten Ottomar Hartleb. Dabei widmeten sie sich insbesondere der Krebsforschung.
Ferdinand Dannmeyer unternahm unzählige Forschungsreisen, interessant, wie das mit der Unterrichtsarbeit in Einklang zu bringen war. In seiner Personalakte gibt es eine Reihe von Anträgen, wie etwa den des ärztlichen Direktors des Allgemeinen Krankenhauses Eppendorf, Prof. Ludolph Brauer, der am 15.8.1925 an die Oberschulbehörde schrieb: „Ich bitte höflichst, Herrn Dr. Dannmeyer einen Urlaub von fünf Tagen bewilligen zu wollen zwecks Besuches einer klimatologischen Tagung in Davos. Herr Dr. Dannmeyer hat in wertvoller Weise durch seine über viele Monate hinaus sich erstreckende physikalische Untersuchungen die entsprechenden wissenschaftlichen Arbeiten am Fachkrankenhaus gefördert. Jetzt werden in Davos von ersten Autoritäten diese Fragen abgehandelt. Es wäre daher sehr wertvoll, wenn Herr Dr. Dannmeyer dieser Tagung anwohnen könnte, um dann später auch unsere eigenen wissenschaftlichen Arbeiten entsprechend zu kontrollieren.“[11] Schulleiter Karl Züge hatte dies befürwortet und geschrieben: „Vertretungen werden geregelt“.[12]
Ein Forschungsziel war Island, wo Dannmeyer während einer zweimonatigen Forschungsreise mit dem Meteorologen Johannes Georgi zusammenarbeitete und sich mit den Besonderheiten der hohen UV-Strahlung beschäftigte.[13] Dies führte zu einer lebenslangen Verbundenheit mit Island und der schon erwähnten Gründung einer Freundschaftsgesellschaft.[14]
Ferdinand Dannmeyer war also eine viel beschäftigte und angesehene Persönlichkeit, die mit ihren Forschungsergebnissen und den daraus erwachsenen Gerätschaften nach heutigen Maßstäben vermutlich ein wohlhabender Mann geworden wäre. Da er neben der Unterrichtsarbeit und seiner Forschungstätigkeit noch „Kandidaten des höheren Lehramtes als Dozent in einem gemeinsamen Seminar ausbildete“, wurde ihm am 7.12.1932 vom sozialdemokratischen Schulsenator Emil Krause die Amtsbezeichnung „Professor“ verliehen.[15]
Ferdinand Dannmeyer trat am 1.5.1933 in die NSDAP ein, am 15.10.1933 wurde er SA-Mitglied, dort zum Scharführer befördert. Außerdem war er Mitglied in der NSV seit 1934, im NSLB seit 1934, im NS Reichskriegerbund seit 1937 und im Reichskolonialbund seit 1942.[16]
Dannmeyer bekam Schwierigkeiten mit seiner Partei, weil er Freimaurer gewesen war und es als unvereinbar galt, Mitglied einer Loge zu sein und in die NSDAP einzutreten. Daraus ergaben sich langwierige Parteigerichtsverfahren, die dazu führten, dass Dannmeyer sowohl aus der NSDAP ausgeschlossen wurde, als auch aus der SA und 1938 sogar seines Dienstes als Professor an der Oberrealschule an der Bogenstraße enthoben wurde. Ein Jahr später setzte er beim Reichsparteigericht einen Freispruch durch, sodass er am 12.10.1939 wieder in die Partei aufgenommen wurde.[17] Ein Hin und Her zur „Wiederherstellung seiner Ehre“, nervenaufreibend und mit persönlichen Auseinandersetzungen an seinem Wohnort in Groß-Borstel verbunden.
Der ganze Prozess, der in zwei Akten im Staatsarchiv dokumentiert ist, soll nicht im Detail nachgezeichnet werden. Aber im „Kampf um den Verbleib in der NSDAP“ wurden von Ferdinand Dannmeyer, seinem Freund Ottomar Hartleb und den beteiligten Rechtsanwälten viele Details ins Feld geführt, die die deutschnationale und nationalsozialistische Gesinnung Dannmeyers und Hartlebs schon in den Weimarer Zeiten dokumentieren sollten, die sonst nie ans Tageslicht gekommen wären. Insofern können einige Streiflichter auch hier veröffentlicht werden.
Im Übrigen zeigte sich die Schulverwaltung in diesen Jahren weiterhin bereit, Dannmeyer beispielsweise für Krebskonferenzen in Kopenhagen 1935 und 1936 mehrtägig vom Unterricht zu befreien. Von dem Schulleiter Karl Züge[18] und dem Oberschulrat für die höheren Schulen, Walter Behne[19], der vor 1933 langjähriger Lehrerkollege von ihm an der Oberrealschule in der Bogenstraße gewesen war, hatte Ferdinand Dannmeyer massive Unterstützung erfahren.
Interessant waren die dokumentierten Dienstrechtsverfahren, mit dem Ziel, Ferdinand Dannmeyer nachzuweisen, dass er seine Beamtenpflichten verletzt hatte. Dazu gab es viele persönliche Aussagen von Freunden, Kollegen und Dannmeyer selbst, die belegen sollten, dass Dannmeyer ein überzeugter Nationalsozialist gewesen sei.
In der Anschuldigungsschrift von Oberregierungsrat Henry Edens aus der Kultur- und Schulbehörde hieß es am 25.3.1938:
„Ich beschuldige den Studienrat Professor Dr. Ferdinand Dannmeyer, seine Beamtenpflichten dadurch schwer verletzt zu haben, dass er am 20. August 1935 und am 19. September 1937 seiner vorgesetzten Behörde gegenüber hinsichtlich des Zeitpunktes seines Austritts aus der Loge ‚Vom Fels zum Meer‘ eine falsche Erklärung abgegeben hat, und zwar unter seinem Diensteid und der ausdrücklichen Versicherung der Wahrheit. Der Herr Reichsstatthalter hat gemäß der schriftlich anliegenden Verfügung die Einleitung des förmlichen Dienststrafverfahrens verfügt und von einer Untersuchung abgesehen, da der Sachverhalt durch die angestellten Vorermittlungen als hinreichend geklärt anzusehen ist. Der Beschuldigte war zum 1. April 1933 als Mitglied in die NSDAP aufgenommen worden. Durch Urteil des Obersten Parteigerichts vom 20. November 1936 ist er wegen Verstoßes gegen § 4 Absatz 2 a der Satzung rechtskräftig aus der NSDAP ausgeschlossen worden. Der Beschuldigte hat den ihm von der Gauleitung Hamburg der NSDAP vorgelegten Fragebogen am 23. Januar 1936 vorsätzlich falsch ausgefüllt. Er hat in diesem Fragebogen als Tag des Austritts aus der Loge ‚Vom Fels zum Meer‘ (Altpreußische christliche Loge), der er seit 1925 angehörte, den 24. Juni 1932 angegeben, obwohl er nach diesem Zeitpunkt noch des Öfteren, zuletzt am 29. März 1933, die Loge besucht hat. Der Beschuldigte will seinen Austritt aus der Loge am 24. Juni 1932 mündlich erklärt haben. In dem Urteil des Obersten Parteigerichts ist aber mit Rücksicht auf seine weitere Betätigung in der Loge dieser Zeitpunkt nicht als zutreffend anerkannt worden. Dannmeyer hat am 20. August 1935 der Behörde gegenüber unter seinem Diensteid ebenfalls erklärt, dass er der Loge ‚vom Fels zum Meer‘ bis zum 24. Juni 1932 angehört habe. Irgendwelche Hinweise auf seine weitere Betätigung in der Loge nach dem ‚Austritt‘ hat er dagegen nicht gemacht. Für die Behörde bestand daher kein Anlass, die Richtigkeit dieser Angabe zu bezweifeln. Dannmeyer hat sich damit einer falschen Aussage unter Verletzung seines Diensteides schuldig gemacht.“[20]
Sein Rechtsanwalt Günther Lang gab dazu mehrere Schriftsätze an die Dienst-Strafkammer beim Oberverwaltungsgericht ab, in denen er bei der Aussage von Dannmeyer blieb, wahrheitsgemäß den mündlichen Austritt aus der Freimaurerloge am 24.6.1932 erklärt zu haben.[21]
Ferdinand Dannmeyer habe nie beabsichtigt, irgendwelche falschen Aussagen zu machen, zumal Schulleiter Karl Züge über die Parteigerichtsverfahren informiert worden sei und im Übrigen alle Unterlagen bei der Schulverwaltung vorgelegen hätten. Lang benannte dann einige Zeugen, die für Dannmeyer aussagen könnten.
Gleichzeitig beantragte Dannmeyer die Wiederaufnahme des Verfahrens beim Obersten Parteigericht und verwies darauf, dass seine letzte Beitragszahlung an die Loge für die Zeit bis zum 24.6.1932 erfolgte.[22]
Ferdinand Dannmeyer konnte wichtige Zeugen benennen, so den früheren Leiter „der Ordensgruppe ‚Vom Fels zum Meer‘“ , den Konsul W. Hoenicke, der in einem Schreiben vom 30.3.1936 bekundet hatte:
„Im März oder April 1932 besuchte mich Herr D. in meinem Kontor und erklärte, dass er aus der Loge ausscheiden wolle, um seine ganze Kraft der NSDAP, der er schon seit vielen Jahren nahestehe, widmen zu können. Ich bestätigte ihm seinen Austritt mit Wirkung zum 24.6.1932, dem ersten, satzungsgemäß zulässigen Termin, und sagte ihm, dass, wenn er mit seinem nationalsozialistischen Denken die Prinzipien der Loge nicht mehr bejahen könne und dürfe, er doch die menschlichen Beziehungen zu den Mitgliedern darum nicht sofort abzubrechen brauche. Nach Bezahlung des restlichen Beitrages von Reichsmark 18.– Anfang Juni 1932 und nach seinem Austritt aus der Loge am 24.6.1932 ist Herr D. im Mitgliederverzeichnis gestrichen worden.“[23]
Nun gab es einige Unterstützungsschreiben für Ferdinand Dannmeyer, aus denen hervorging, dass der Ursprung für das Parteigerichtsverfahren offenbar eine Intrige oder Fehde im Wohnumfeld in Groß-Borstel war.
Dannmeyers Berliner Freund, der Diplom-Ingenieur Friedrich Meyer, erklärte am 18.5.1936:
„Es ist mir unerklärlich, weshalb die Herren Senatoren a. D. Dr. Ofterdinger und Oberregierungsdirektor Timcke, die doch den Borsteler Klatschwinkel mindestens so gut kennen als ich, diesem beschämenden Treiben nicht längst Einhalt geboten haben. Beide Herren müssen mit mir bestätigen, dass Herr Dr. Dannmeyer, so lange wie ich ihn und die beiden selbst kenne, sich nicht nur als nationalsozialistischer Kämpfer und Kamerad gezeigt hat, sondern dass er durch die offene Opfertat während der Kampfzeit bewies, dass er auch tatsächlich Nationalsozialist ist. Fest steht, dass Herr Dr. Dannmeyer, wie überhaupt seine ganze Familie, ferner die Familie Marxen, zu den eifrigsten Spendern der NSDAP in der damaligen Zeit gehörten. Fest steht ferner, dass er jedem Nationalsozialisten, der sich ihm als solcher legitimierte, Hilfe und Zuflucht gewährte, obgleich das damals für ihn als Beamter nicht ungefährlich war, und obwohl ihm seine lieben Nachbarn wiederholt Vorhaltungen deshalb machten und ganz besonders wegen seines Umgangs mit mir. Kein Nationalsozialist hat jemals vergeblich Hilfe oder Arbeit bei meinem Freunde gesucht.“[24]
Am 20.8.1938 legte Rechtsanwalt Dr. Johanny aus Berlin Berufung bei der Dienst-Strafkammer in Hamburg ein. Er begründete das erst einmal mit der Persönlichkeit des angeschuldigten Ferdinand Dannmeyer und zählte alle seine Verdienste als Wissenschaftler und Strahlenforscher auf, aber auch die Beurteilung seiner Arbeit als Anleiter von Lehramtskandidaten und als Lehrer. Über Dannmeyers persönliche Familiensituation stellte Rechtsanwalt Johanny fest:
„Seine drei Kinder gehörten schon seit 1924 der nationalen Jugendbewegung unter der Führung Vizeadmiral von Trotha an. Sein 21-jähriger Sohn, der jetzt Matrosen Artillerist ist (derselbe wird dann Medizin studieren) war Fähnleinführer in der HJ, sein Schwiegersohn, der Chemiker Dr. Nielsen, ist SA-Obertruppführer.“[25]
Interessant auch, was Rechtsanwalt Johanny mit Hinweis auf eine Erklärung von Oberstudiendirektor Dr. Ottomar Hartleb als Hinweis „auf die politische Betätigung Dannmeyers vor und nach der Machtergreifung“ anführte:
„Von der Front nach Kriegsende zurückgekehrt, trat er sofort in die Hamburger Einwohnerwehr ein (Scharführer). 1920 wurde er Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei.“ Johanny verwies dann auf die Anlage 4 des Dr. Hartleb vom 26.5.1938, in der es hieß:
„Wir fanden uns beide in der Deutschnationalen Partei wieder. Wo immer es galt, nationale und vaterländische Interessen zu vertreten, waren wir dabei. Am 2. Oktober 1919 wurde der ,Deutsche Herold, Bund der Vorkämpfer für deutschvölkisches Zeitungswesen und völkische Politik‘ begründet. Es galt, einen Verband zu schaffen, der sich die Aufgabe stellte, durch planmäßige Tätigkeit den Einfluss der jüdischen Presse niederzuringen und eine deutsche Pressemacht aufzurichten. Während des Winters 1919/20 wurde auch in Hamburg der ‚Deutsche Herold‘ gegründet. Die Sitzung fand im Patriotischen Gebäude statt. Es nahmen damals Männer und Frauen der verschiedenen völkischen Richtungen daran teil. Ich saß zusammen mit Dr. Dannmeyer und Frl. Lellmann. Nach den Ausführungen des Redners waren wir entschlossen, uns dieser Aufgabe zu widmen. Herr Dannmeyer ermunterte mich, die Leitung der Hamburgischen Arbeitsgruppe des ‚Deutschen Herold‘ zu übernehmen. Ich wurde dann von der Berliner Hauptstelle (Leitung Reinhold Wulle) bestätigt und haben bis zur Gründung der deutschvölkischen Freiheitsbewegung den ‚Deutschen Herold‘ geleitet. Wir arbeiteten eng zusammen mit Herrn v. Danckelmann, dem damaligen Vertreter der ‚Deutschen Zeitung‘, und Holtz, dem Leiter der ‚Hamburger Warte‘. Herr Dannmeyer hat an diesen Arbeiten stets rege teilgenommen. Nach dem Görlitzer Parteitag 1922 traten viele Mitglieder des ‚Deutschen Herold‘ aus der Deutschnationalen Partei aus und bildeten die erste Gefolgschaft der unter der Führung von Herrn v. Graefe stehenden deutschvölkischen Freiheitspartei. In Hamburg wurde ich im Dezember 1922 als Landesverbandsvorsitzender mit der Leitung beauftragt.
Das Jahr 1923 diente nun dem Aufbau der Partei nach jeder Richtung. Es wurden in den einzelnen Stadtteilen Ortsgruppen gegründet. Im Groß-Borstel war Herr Dannmeyer mit der Aufgabe der Werbung und Durchführung betraut. Als sich die Lage im Herbst 1923 zuspitzte und es in München am 9. November zum Marsch auf die Feldherrnhalle kam, glaubten auch wir in Hamburg, dass die Stunde der Befreiung gekommen sei, nachdem der 20. März 1920 (Kapp-Putsch) die erste Enttäuschung gebracht hatte. An der Organisation eines eventuellen Aufmarsches in Verbindung mit den vaterländischen Verbänden, war ich stark beteiligt. Auch Herr Dannmeyer hat sich damals zur Verfügung gestellt.“[26]
Ein bemerkenswertes Dokument, insbesondere auch bezogen auf die Person des Oberstudiendirektors Ottomar Hartleb, der ebenfalls in diesem Band porträtiert wird.
Rechtsanwalt Johanny konnte noch ein weiteres Dokument beibringen, die Erklärung von Ernst Jens vom 16.5.1936, die bestätigte, „dass der Angeschuldigte im Jahre 1923, zu der Zeit, als der Führer den Marsch auf die Feldherrnhalle in München unternahm, mit seinen politischen Freunden in Hamburg bereitstand, um im Falle des Gelingens auch in Hamburg die Machtergreifung zu unterstützen, dass er im Oktober 1924 die Ortsgruppe Groß-Borstel der nationalsozialistischen Freiheitsbewegung gegründet und die ersten Mitglieder auf Adolf Hitler verpflichtet hat.“[27]
Auch der Parteigenosse Friedrich Meyer aus Berlin, „Inhaber des goldenen Ehrenzeichens der Partei“ hatte Dannmeyer noch einmal bestätigt:
„Als alter treuer Kämpfer Adolf Hitlers erfülle ich hiermit nur eine ehrenhafte Pflicht, wenn ich Ihnen dankbar und an Eides statt bezeuge, dass, solange ich Sie kenne, seit Herbst 1930, Sie stets im Sinne des Führers mitgekämpft, und vor allem wirklich praktisch als Nationalsozialist gehandelt haben. Wenn Sie sich damals als Beamter nicht offen als Parteimann zu uns bekennen durften, so haben Sie sich doch nicht durch systemtreue Beamte einschüchtern und in Ihrem nationalen Handeln behindern lassen. Sie haben trotz Verwarnungen mir, meinem Kameraden Remmert, Dr. Ofterdingers Vertrauten, Max Müller, u. a. Arbeiten, und dadurch Verdienstmöglichkeiten gegeben. Sie haben Arbeiten damals großzügig ausführen lassen, die im Augenblick nicht nötig gewesen wären, nur um uns Nazis kameradschaftlich beizustehen und dadurch die Schlagkraft der Bewegung zu stärken. Auch für Parteizwecke direkt haben Sie gespendet, die Wahlkämpfe unterstützt und auch so im Sinne Adolf Hitlers für das dritte Reich geopfert.“[28]
Rechtsanwalt Johanny legte in seinem Einspruch noch einmal die Vorgeschichte dieses Verfahrens aus seiner Sicht offen. Es handele sich um eine private Auseinandersetzung mit einer anderen in Groß-Borstel wohnenden Familie des Professor Berg, deren Mitglieder seit Jahren mit Dannmeyer in Auseinandersetzungen unterschiedlichster Art standen und die durch „verschiedene Denunziationen in den 1920er Jahren“ versucht hatten, Dannmeyer zu diskreditieren. Nachdem diese Versuche fehlgeschlagen waren, habe die „Klique Berg und Verwandtschaft, die der Ortsgruppe Groß-Borstel der NSDAP angehöre, es jetzt auf diesem Wege über die Partei versucht, „private Zwistigkeiten auf dem letztgenannten Wege auszutragen“.[29]
Auch der Propagandaleiter der Ortsgruppe Stadtpark der NSDAP, Pommerenke, der als Führer des Marine-Sturmbanns III/1 der SA-Vorgesetzte des SA-Mannes Dannmeyer gewesen war, erklärte, dass Dannmeyer ihm korrekterweise die letzte Quittung der Beitragszahlung für die Loge 1932 gezeigt habe:
„Ich hatte damals persönlich die Feststellung gemacht, dass diese keine gemachten Angaben waren, sondern dass der SA-Mann Dannmeyer sich restlos von der Loge losgesagt hatte. Er hatte zwar nach dem Austritt aus der Loge vor dem Eintreten in die Partei noch Vorträge in der Loge gehalten. Dieses hatte ich zur Kenntnis genommen und nicht beanstandet, weil sie nationalsozialistischen Inhalts und der letzte über unseren Führer war. Ich habe ihm daraufhin gesagt, dass er in Zukunft niemals wieder vor diesem Zuhörerkreis sprechen dürfe. Er gab mir sein Versprechen und hat es auch gehalten. Ich kann nur bestätigen, dass der damalige SA-Mann Dannmeyer sich restlos (…) für unsere Bewegung eingesetzt hat.“[30]
Von erheblicher Bedeutung war dann die Stellungnahme eines ehemaligen Schülers von Ferdinand Dannmeyer, der mittlerweile, zehn Jahre nach der absolvierten Reifeprüfung, Gau-Hauptstellenleiter in Hamburg war, Senatsrat Lindemann. Dieser hatte am 14.11.1938 ein Schreiben an den Gaurichter Hans-Joachim Sievers geschickt und ein vehementes Plädoyer für seinen ehemaligen Klassenlehrer Prof. Dr. Ferdinand Dannmeyer abgegeben:
„Ich besuchte die Bismarck-Oberrealschule von Ostern 1927 bis zur Reifeprüfung Ostern 1929. Meine Mitschüler waren zum größten Teil Söhne marxistisch eingestellter Eltern, auch das Lehrerkollegium vertrat mit wenigen Ausnahmen die damals herrschende Weltanschauung. Unser Klassenlehrer ließ keine Gelegenheit verstreichen, uns auf die schädlichen Einflüsse des Marxismus aufmerksam zu machen. Ich erinnere mich genau, dass in der Oberprima von ihm die Frage gestellt wurde, wer von uns Naturwissenschaften studieren wolle. Da diese Frage von allen Schülern verneint wurde, benutzte Dr. Dannmeyer in sehr großem Umfange auch Mathematik- und Physikstunden, um uns die nationalsozialistische Weltanschauung zu erklären. Veranlasst durch diese Studien, besuchte ich gleich anderen Mitschülern regelmäßig die großen Kundgebungen der NSDAP und trat bereits vor der Reifeprüfung im Februar 1929 der NSDAP bei. Ähnlich war die Wirkung bei meinen Mitschülern, die zwar als Söhne marxistisch eingestellter Eltern nicht die volle Konsequenz zogen, jedenfalls aber in schwere innere Konflikte kamen, mit Ausnahme eines jüdischen Mitschülers. Ganz besonders deutlich wurde die nationalsozialistische Einstellung unseres Lehrers während einer Auslandsreise nach Dänemark und Schweden.“[31]
Die Einschätzung des Lehrerkollegiums der Oberrealschule in der Bogenstraße durch den ehemaligen Schüler Lindemann war sicherlich sehr subjektiv und nicht zutreffend. Ein Großteil der Lehrerschaft war 1933 Mitglied der NSDAP gewesen, darunter einige Personen, die in der NS-Zeit wichtige Funktionen im Hamburger Schulwesen übernahmen, wie die Oberschulräte Züge und Behne, sowie die Oberstudiendirektoren Erwin Zindler und Bruno Peyn.[32]
Der ehemalige Schüler Lindemann führte dann weiter aus:
„Herr Dr. Dannmeyer war uns Schülern stets das Vorbild eines wehrhaften Mannes. Wir konnten sicher auf seine Unterstützung in schwierigen Lagen rechnen, sofern wir den Mut zur Wahrheit fanden. Unerbittlich war er aber dann, wenn ein Schüler die Unwahrheit sagte. Es steht für mich felsenfest, dass er die Partei niemals belügen wollte, dass sein ideeller und materieller Einsatz für die NSDAP aus ehrlichem Herzen erfolgte, ohne Rücksicht, ob hierdurch für ihn Vor- oder Nachteile entstanden. Es gibt keinen Kenner der Freimaurerei, der bestreiten würde, dass unter den Mitgliedern, gerade bei den preußischen Logen, ehrenhafte deutsche Männer waren, die auf diesem Wege ihrem deutschen Vaterland dienen wollten. Gerade diese Männer zeichneten sich dadurch aus, dass sie keinen Wert auf Äußerlichkeiten und Formalitäten legten. So ist mir auch verständlich, warum Herr Dr. Dannmeyer in dem Fragebogen sein Erscheinen in der Loge auch nach der Machtübernahme nicht ausdrücklich erwähnte.“[33]
Senatsrat Lindemann bat den Gaurichter beim Parteigericht in Hamburg, die Angelegenheit noch einmal aufzugreifen, sodass Dannmeyer die Möglichkeit der Rückkehr in die NSDAP habe, zumindest dafür zu sorgen, dass es zu einer Revision des Urteils der Dienststrafkammer komme.[34]
Die Intervention des ehemaligen Schülers von Ferdinand Dannmeyer, inzwischen Politischer Leiter mit Goldenem Parteiabzeichen, zeigte Wirkung. Am 25.4.1939 hob das Oberste Parteigericht die einstweilige Verfügung von Gauleiter Karl Kaufmann in Hamburg auf und ebenfalls das Urteil des Obersten Parteigerichts vom 30.11.1936: „Der Parteigenosse Ferdinand Dannmeyer wird von der Anschuldigung, ehrenrührig und den Bestrebungen der Partei zuwider gehandelt zu haben, freigesprochen.“[35]
Die Ermittlungen des Sicherheitsdienstes, die sich auf die Loge richteten, der Dannmeyer angehört hatte, waren zu anderen Ergebnissen gekommen. Dort wurde akribisch aufgelistet, welche regelmäßigen Vorträge Dannmeyer dort geleistet hatte, dass es bei dem beschlagnahmten Aktenmaterial „des ehemaligen Meisters vom Stuhl, Hoenicke“, keine Aufzeichnungen gegeben habe, die dessen Version bestätigen würden. Der Leiter der Zentralabteilung II beim Chef des Sicherheitshauptamtes hatte noch am 14.3.1939 geschrieben, „dass Prof. Dannmeyer zumindest bis zum 29.2.1933 aktives Logenmitglied war und somit tatsächlich eine unrichtige Erklärung über den Zeitpunkt des Ausscheidens abgegeben hat“.[36]
Nach dem Urteil der Dienststrafkammer Hamburg in der Sitzung vom 28.5.1938 war Ferdinand Dannmeyer eines Dienstvergehens für schuldig erklärt und „zur Strafe der Entfernung aus dem Dienst verurteilt“ worden. Ihm wurde ein Unterhaltsbeitrag auf Lebenszeit bewilligt, „der für die ersten fünf Jahre 75 %, für die spätere Zeit 50 % des Ruhegehalts beträgt“.[37]
Dies war nun alles hinfällig, nachdem das Oberste Parteigericht Ferdinand Dannmeyer am 25.4.1939 freigesprochen hatte und er in der Hauptverhandlung beim Reichsdienststrafhof in Berlin wieder in sein Amt eingesetzt wurde bei Zahlung einer Strafe von 1000 Reichsmark.[38]
Anstrengende Zeiten für Ferdinand Dannmeyer und seine Familie, insbesondere auch deswegen, weil sich die nationalsozialistische Nachbarschaft in Groß-Borstel weiter als intrigant erwies, sodass Dannmeyer 1945 nach Ende der NS-Herrschaft, im Bemühen, sich zumindest als Opfer einiger Nationalsozialisten hinzustellen, vermerkte: „Trotz Freispruchs des Reichsparteigerichts Ablehnung desselben durch die Ortsgruppe Groß-Borstel. Verbot jeglicher Teilnahme an Veranstaltungen der Partei. Keine Auslieferung der Parteikarte. Ein Parteibuch wurde überhaupt nicht erteilt.“[39]
Am 18.12.1942 hatte Ferdinand Dannmeyer von Senatssyndikus Schultz ein Schreiben bekommen, sicherlich im üblichen Wortlaut, aber in diesem Fall deswegen bemerkenswert, weil die vorherige Dienstentlassung vom Reichsstatthalter Karl Kaufmann ausgesprochen worden war. Jetzt hieß es:
„Der Führer hat Ihnen aus Anlass Ihres 40-jährigen Dienstjubiläums das Treuedienst-Ehrenzeichen I. Stufe verlieren. Indem ich Ihnen diese Auszeichnung hiermit überreiche, spreche ich Ihnen zugleich den Dank des Herrn Reichstatthalters sowie meinen Dank und Anerkennung aus für die von Ihnen während 40-jähriger Dienstzeit in treuer Pflichterfüllung geleistete Arbeit.“[40]
Es gibt Dokumente in Dannmeyers Personalakte, die bestätigen, dass er wieder völlig integriert war in die Arbeit mit Parteidienststellen und der Wehrmacht, die Dannmeyers wissenschaftliche Expertise für Kriegszwecke nutzte. So erhielt er von Oberschulrat Walter Behne, seinem ehemaligen Lehrerkollegen an der Schule in der Bogenstraße , am 30.3.1943 folgende Freistellung:
„Laut fernmündlicher Vereinbarung zwischen dem Generalkommando und den Unterzeichneten wurde Ihnen ausnahmsweise vom 8. bis 13.3.1942 ein Sonderurlaub zur Durchführung dienstlicher Besprechungen im Auftrage der Wehrmacht im besetzten Gebiet von dem Unterzeichneten gewährt. Weiter war mit dem Generalskommando abgesprochen, dass der schriftliche Antrag auf Gewährung des Ihnen zugebilligten Urlaubs der Schulverwaltung unverzüglich zugehen soll.“[41]
Am 22.10.1945 wurde Ferdinand Dannmeyer aus dem Beamtenverhältnis entlassen. Nun begann die Zeit der Umdeutung und Dannmeyer, der über Jahre versucht hatte, sich als eifriger Nationalsozialist darzustellen und gegen den Parteiausschluss und die Suspendierung von seiner Lehrtätigkeit zu kämpfen, betonte nun, wie sehr er unter den Machenschaften der NSDAP zu leiden gehabt hatte. Dem Entnazifizierungsfragebogen vom 29.5.1945 legte er mehrere Anlagen bei. Dazu bemerkte er:
„Die umstehenden Daten zeigen, dass schon im Eintrittsjahre 1933 der erste Ausschluss aus der Partei erfolgte. Eine jahrelange Kette von Anwürfen gegen mich als Freimaurer erfolgte. Diese hatten das Ziel, mich als solchen meiner Ehre und bürgerlichen Existenz zu berauben. Um diese wiederzugewinnen, habe ich den jahrelangen Kampf mit seinen zahllosen entwürdigenden Verhören und Erniedrigungen auf mich genommen. Die Gesundheit meiner Frau wurde dadurch ruiniert.“[42]
1945 hatte sich nicht nur für Ferdinand Dannmeyer manches verändert. In einer Liste, von Dannmeyer „Schädigungen durch Partei und Krieg“ überschrieben, benannte er einerseits die Auseinandersetzungen um seine Logenzugehörigkeit und notierte andererseits, dass seit dem 4.5.1942 sein Haus in Groß-Borstel durch Dachstuhlbrand und Bombenabwürfe völlig zerstört war und 1944 auch seine wissenschaftlichen Instrumente und seine Bücherei vernichtet wurden. Am 18.4.1945 starb sein einziger Sohn bei der Wehrmacht im Krieg auf Texel.[43]
Interessant, wie Dannmeyer seine Parteimitgliedschaft nunmehr in seinem Einspruch gegen die Entlassung begründete:
„Am 1. Mai 1933 trat ich in die Gruppe ‚Seefahrt‘ als Anwärter der Partei ein. Es war die furchtbare Not, in welche mein Land nach dem großen Kriege geraten war, welche mich veranlasste, Mitglied der NSDAP zu werden. Ein zweiter Impuls bestand in der Tatsache, dass ich es für notwendig hielt, dass besonnene und erfahrene Männer das Unglück ausgleichen müssten, welches Aufrührer in Bezug auf die weitere Entwicklung der Dinge anrichten könnten. Als Freimaurer und Wissenschaftler von einigem Ruf hatte ich mir sowohl in Deutschland wie außerhalb reichliche und unvoreingenommene Kenntnisse internationaler kultureller und politischer Beziehungen erworben, so dass ich wohl erwarten konnte, einen heilsamen Einfluss meinerseits auf den unheilvollen Fanatismus ausüben zu können, der als Begleiter aller großen Revolutionen auftritt, die von der Masse getragen werden.“[44]
Dannmeyers Ziel war es, nunmehr 65 Jahre alt, pensioniert zu werden und seine erdienten Pensionsbezüge zu erhalten:
„Meine Überzeugung ist nach wie vor, dass die furchtbaren Verfolgungen, die ich seit dem Jahre 1933 unschuldig durch die Partei erdulden musste, weil ich Freimaurer war (zahllose Verhöre und Gerichtsverhandlungen, zeitweilige Amtsentlassung, Strafandrohungen schwerster Art) wohl einen anderen Ausgang meines bereits eingereichten Antrages auf Pensionierung nach mehr als 40-jähriger anerkannt getreuer Amtstätigkeit, d. h. statt neuer Bestrafung eine Wiedergutmachung rechtfertigen müssten.“[45]
Ferdinand Dannmeyer legte auch noch einmal eine Liste seiner 107 Veröffentlichungen vor und bekam eine Reihe von Leumundszeugnissen.
Am 13.8.1946 gab es eine kurze und, wie ich finde, treffende Erklärung des Beratenden Ausschusses für die höheren Schulen Hamburgs, dem Heinrich Schröder, Johann Helbig und Willi Thede angehörten, die schrieben:
„Dannmeyer hat stets einen übertriebenen Tätigkeitsdrang besessen. So meldete er sich auch 1933 zur NSDAP und zur SA, trotzdem er wissen musste, dass Freimaurer allgemein abgelehnt wurden. Die Schwierigkeiten, die ihm später erwachsen sind, sind aus diesem seinem ersten Schritt zu erklären, der in seinem Alter von 53 Jahren unnötig war. Allerdings hat er zweifellos unter den Nationalsozialisten gelitten. Auch seine wissenschaftlichen Verdienste sind nicht gering. Infolgedessen hält der Beratende Ausschuss, da Dannmeyer bereits 66 Jahre alt ist, die Bewilligung der Pension eines Studienrates für gerechtfertigt.“[46]
Der Berufungsausschuss unter Leitung von Clara Klabunde entschied am 28.2.1947 in diesem Sinne:
„Er hat viele Schwierigkeiten mit der Partei gehabt, da er Freimaurer war. Sein früher Eintritt in die Partei erscheint keineswegs erforderlich. Er bringt aber eine Reihe von günstigen Beurteilungen bei. Er hat während des Krieges erhebliche persönliche Opfer bringen müssen. Seine Pensionierung erscheint gerechtfertigt. Da er in der Krebsforschung offenbar erhebliche Leistungen vollbracht hat und die Gesundheitsverwaltung die Fortsetzung seiner Forschungen für wünschenswert hält, ist ihm freie wissenschaftliche Tätigkeit gestattet worden.“[47]
Dannmeyer hatte geschrieben, dass die Gesundheit seiner Frau durch die langwierigen Verfahren mit der NSDAP „ruiniert worden sei“. Sie starb am 10.12.1950.[48]
Als Ferdinand Dannmeyer 70 Jahre alt wurde, würdigte ihn das „Hamburger Abendblatt“:
„Als vielseitiger Mathematiker, Physiker und hervorragender Pädagoge genießt er internationalen Ruf. Er hat mitgeholfen, dass in den Hamburger Schulen die ‚Schwamm-und-Kreide-Physik’ durch praktischen Unterricht abgelöst wurde. Schon 1912 hatte er die wissenschaftlichen Grundlagen für das damals durch seine Stärke aufsehenerregende Leuchtfeuer von Elbe I gegeben. Seine Arbeiten über ultraviolette Strahlen haben der Forschung neue Wege gewiesen. 1925 wurde nach seinen Angaben Fensterglas entwickelt, das ultraviolette Strahlen durchlässt und für Kinderheime und Gewächshäuser große Bedeutung erhielt. 1926 und 1927 hat der Professor Expeditionen nach Island ausgerüstet und dort durch Strahlenmessungen für die Meteorologie und Medizin wichtige Erkenntnisse gesammelt. Immer hat er den Kontakt mit Island behalten. Als besondere Auszeichnung wurde ihm bei einem Besuch 1936 in Reykjavík der Falkenorden ‚um den Hals gehängt’, wie er selber humorvoll sagte. Prof. Dr. Dannmeyer gehört zu den Gründern des ‚Instituts für physikalisch-biologische Lichtforschung’. Er hat jahrelang intensiv an Methoden gearbeitet, um durch Blutuntersuchungen Krebs festzustellen. Immer ist er die ‚Unruhe in der Uhr’ gewesen, immer hat er neue Ideen und Anregungen gegeben. In seinem Haus in Groß-Borstel gingen ausländische Wissenschaftler ein und aus.“[49]
Auch die Hamburger Schulbehörde bedankte sich bei Dannmeyer für seine wissenschaftliche Arbeit, insbesondere aber auch für sein schulisches Wirken. Schulsenator Landahl schrieb am 22.8.1950:
„In diesen Jahren haben Sie maßgebend an der Erziehung der Jugend mitgearbeitet, und unter Ihren früheren Schülern und Schülerinnen danken Ihnen eine große Zahl für die Anregung und Förderung, die sie in Ihrem Unterricht erfahren haben, darüber hinaus aber für die verstehende Fürsorge, die Sie stets für Ihre Schüler gezeigt haben. Auch den jüngeren Lehrkräften und den in der Ausbildung stehenden Lehrern waren Sie ein wahrer Freund und Förderer auf dem Wege zu dem echten physikalischen Arbeitsunterricht. Die Kurse, die Sie für die Ausbildung dieser Lehrkräfte geleitet haben, haben in vielen Schulen ihre Früchte getragen.“[50]
Das soll nicht geschmälert werden, aber ich denke dabei auch an die Rückmeldung, die der ehemalige Schüler Lindemann 1938 gegeben hatte, der dem eindringlichen Wirken des Studienrats Dannmeyer in den Jahren 1927–1929 die Hinwendung zu Adolf Hitler verdankte. Das konnte Schulsenator Landahl ebenso wenig wissen wie der Schulaufsichtsbeamte, der das Glückwunschschreiben vorgelegt hatte.
Ferdinand Dannmeyer starb am 13.11.1959.[51]
Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen
1 Personalakte Dannmeyer StA  HH, 361-3_A671 Bd.2
2 Karl-Edmund Doermer laut Bericht über die Gedenkfeier für Prof. Dr. Dannmeyer am 13.11.1959, ebd.
3 Doermer 1959, S. 2.
4 Personalakte a. a. O.
5 Doermer 1959, S. 2. Siehe auch die Biografie Ottomar Hartleb in diesem Band.
6 Personalakte a. a. O.
7 Personalakte a. a. O.
8 Sonderdruck aus „Groß-Borsteler Bote“, 41. Jahrgang Nr. 12.
9 Ebd.
10 Ebd.
11 Schreiben vom 15.8.1925, Personalakte a. a. O.
12 Ebd.
13 Sonderdruck aus „Groß-Borsteler Bote“, 41. Jahrgang Nr. 12.
14 Ebd. Siehe „Hamburger Nachrichten“ vom 30.7.1926.
15 Personalakte a. a. O.
16 Entnazifizierungsakte Dannmeyer, StA HH, 221-11_Ed 6627
17 Anlage 1 zum Entnazifizierungsfragebogen, Entnazifizierungsakte a. a. O.
18 Siehe die Biografie Karl Züge, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 1, Hamburg 2016, S. 385 ff.
19 Siehe die Biografie Walter Behne, in: de Lorent 2016, S. 457 ff.
20 Anschuldigungsschrift vom 25.3.1938, StA HH, 221-10_517 (Bd. 2)
21 Schreiben von Rechtsanwalt Lang vom 19.4.1938, StA HH, 221-10_517 (Bd. 1)
22 Schreiben vom 4.4.1938 an das Oberste Parteigericht der NSDAP, ebd.
23 Schreiben vom 30.3.1936, ebd.
24 Schreiben vom 18.5.1936, ebd.
25 Schreiben von Rechtsanwalt Johanny vom 20.8.1938, StA HH, 221-10_517 (Bd. 2)
26 Ebd.
27 Ebd., S. 7.
28 Ebd.
29 Ebd., S. 9.
30 Schreiben vom 19.7.1938, ebd.
31 Schreiben vom 14.11.1938, ebd.
32 Siehe die Biografien Erwin Zinder, in: de Lorent 2016, S. 538 ff. und Bruno Peyn, ebd., S. 480 ff.
33 Schreiben vom 14.11.1938, StA HH, 221-10_517 (Bd.2)
34 Ebd.
35 Wiedergegeben in einem Schreiben der Rechtsanwälte Wilhelm Neumann und Dr. Bodo Beneke, die sich am 22.6.1939 im Namen von Ferdinand Dannmeyer an den Reichsdienststrafhof mit Hinweis auf dieses Urteil wandten, ebd.
36 Schreiben vom 14.3.1939, ebd.
37 Urteil der Dienststrafkammer Hamburg vom 28.5.1938, ebd.
38 Anlage 1 zum Entnazifizierungsfragebogen, Entnazifizierungsakte a. a. O.
39 Ebd.
40 Personalakte a. a. O.
41 Schreiben vom 30.3.1943, Personalakte a. a. O.
42 Erklärung zur Anlage 1, Entnazifizierungsakte a. a. O.
43 Aufstellung „Schädigungen durch Partei und Krieg“, Entnazifizierungsakte a. a. O.
44 Einspruch vom 15.4.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
45 Schreiben vom 1.12.1945, Entnazifizierungsakte a. a. O.
46 Beratender Ausschuss vom 13.8.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
47 Berufungsausschuss vom 28.2.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
48 Personalakte a. a. O.
49 „Hamburger Abendblatt“ vom 26.8.1950.
50 Schreiben von Senator Landahl vom 22.8.1950, Personalakte a. a. O.
51 Personalakte a. a. O.
 

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Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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