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Jürgen Früchtenicht

(22.5.1888 Warstadt bei Basbeck - 11.5.1977)
Schulleiter Schule Burgstraße 35
Burgstraße 35 (Wohnadresse 1955)

Dr. Hans-Peter de Lorent hat über Jürgen Früchtenicht ein Portrait verfasst, das in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz. Band. 3. Hamburg 2019 erschienen und im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg erhältlich ist. Hier der Text:

„Er hat nach dem Urteil vieler Kollegen dem Druck der Partei aber in so starkem Maße nachgegeben, dass oft der Eindruck entstand, in ihm nicht einen Anwalt der Lehrerschaft, sondern einen Beauftragten der Partei oder der HJ sehen zu müssen.“
Zu den Personen, die in der NS-Zeit sowohl in der Schule als auch in der Kinderlandverschickung eine wichtige Funktion einnahmen, gehörte Jürgen Früchtenicht. Er ist ein Beispiel dafür, dass auch nichtüberzeugte Nationalsozialisten in der NS-Zeit Karriere machen konnten, die dafür in die NSDAP eintraten, eng mit der NS-Schulverwaltung zusammenarbeiteten und nach Ende der NS-Herrschaft von Personen Leumundszeugnisse erhielten, die auch Rädchen im Getriebe waren.
Jürgen Früchtenicht wurde am 22.5.1888 in Warstadt bei Basbeck als Sohn eines Schlachtermeisters geboren. Er besuchte seit dem 1.10.1902 die Präparandenanstalt in Stade, ab 1905 das dortige Lehrerseminar. Die Abgangsprüfung absolvierte er am 29.8.1908. Dann wechselte er nach Hamburg, wo er am 13.5.1912 die zweite Lehrerprüfung bestand.
Am 1.10.1912 wurde er fest angestellt und arbeitete an der Schule Slomanstraße 58.[1]
Die weitere Tätigkeit von Jürgen Früchtenicht war unspektakulär. Er arbeitete 20 Jahre als Volksschullehrer. Am 1.4.1932 wurde er zum Schulleiter bestellt an der Schule Burgstraße 35, dessen Kollegium fast 100-prozentig in der „Gesellschaft der Freunde“ organisiert war. Schon am 31.7.1933 endete diese Tätigkeit, da ihn der neue Schulsenator Karl Witt nicht als Schulleiter bestätigte. Nach halbjähriger Tätigkeit wieder als Lehrer war es Schulrat Fritz Köhne, der in der Schulverwaltung als Schulrat übernommen worden war, da die Nationalsozialisten auf seine Personalkenntnis nicht verzichten konnten, der dem Schulsenator vorschlug, Früchtenicht wieder als Schulleiter der Schule Burgstraße einzusetzen. Dies wurde von Senator Witt am 26.10.1934 genehmigt und auch vom NSLB-Vize und Oberschulrat Albert Mansfeld gegengezeichnet.[2]
Mit Wirkung vom 1.10.1934 war Früchtenicht dann endgültig bestellt.
Jürgen Früchtenicht heiratete am 9.10.1913 seine Frau Louise, die keinen leiblichen Vater nachweisen konnte, „da dieser als Seeoffizier vor ihrer Geburt auf See geblieben war“.[3]
Dies könnte ein Hinweis sein, warum Früchtenicht in der NS-Zeit sehr vorsichtig und angepasst gegenüber den Nationalsozialisten war, möglicherweise, weil er den „Ariernachweis“ in Bezug auf seine Frau nicht erbringen konnte. Jürgen Früchtenicht und seine Frau hatten zwei Kinder[4], wobei ihr Sohn Wilhelm, „als Schulamtsanwärter, der Wachtmeister bei der Wehrmacht war“, im Mitteilungsblatt des NSLB, Gauwaltung Hamburg, am 10.6.1940 als „im Westen für Führer und Volk gefallen“ vermerkt wurde.[5]
Jürgen Früchtenicht engagierte sich in der Bewegung der Schullandheime und war ein enger Mitarbeiter des dafür Verantwortlichen, Heinrich Sahrhage.[6]
Vom 2. bis zum 7.5.1939 nahm er am Reichslehrgang der Gau-Sachbearbeiter für Schullandheime teil[7], gemeinsam mit Heinrich Sahrhage und Theodor Breckling, die im Weiteren auf diesem Gebiet mit ihm in Hamburg eine besondere Rolle spielen sollten. Diese Tagung fand am Haus des Deutschen Lehrers des NSLB in Bayreuth statt.[8]
Am 15.2.1939 erhielt Jürgen Früchtenicht die Amtsbezeichnung Rektor.[9]
Er war am 1.5.1937 in die NSDAP eingetreten, schon seit dem 1.5.1933 war er Mitglied im NSLB und der NSV.[10]
Jürgen Früchtenicht, der schon von 1909 bis 1910 seinen Militärdienst abgeleistet hatte, wurde am 2.1.1941 als Verbindungsmann in der bayerischen Ostmark für die erweiterte KLV eingesetzt, stets mit dem Hinweis, dass er „jederzeit zum Kriegsdienst eingezogen werden kann“.[11]
Dies war denn auch am 13.2.1941 der Fall, als der u.k.-Antrag abgelehnt worden war.[12]
Früchtenicht wurde zum Leutnant befördert. Am 6.2.1942 stellte die Hamburger Schulverwaltung einen erneuten u.k.-Antrag, der am 28.5.1942 bis auf Weiteres genehmigt wurde. Daraufhin war Jürgen Früchtenicht mit der Inspektion von KLV-Lagern betraut.
Gewissermaßen als Belohnung für seine Arbeit in der KLV erhielt Früchtenicht in Schul-Abwesenheit die Beförderung zum Hauptschulrektor.[13]
In der Zeit von 1940 bis 1945 „werden es um die 150.000 Kinder im Alter zwischen 6 und 14 Jahren gewesen sein, die betreut von ca. 3000 Lehrkräften, meist mehrere KLV-Lager durchlaufen haben. Die Zeitdauer der Verschickungen blieb zunächst meist auf 6–10 Monate begrenzt, in den letzten Kriegsjahren betrug sie nicht selten weit mehr als ein ganzes Jahr.“[14] Schon an diesen Zahlen kann man sehen, welche Bedeutung die Organisation und Inspektion der Kinderlandverschickung auch für Hamburg hatte.
In dem Mitteilungsblatt des NSLB wurde regelmäßig von der Hamburger Kinderlandverschickung berichtet. Im März 1941 schrieb Jürgen Früchtenicht:
„Wenn ich mich anschicke, dem Teil der Hamburger Lehrerschaft, der noch daheim ist, einen Gruß zu schreiben von uns allen, die wir hier in der Bayerischen Ostmark eingesetzt sind, dann muss ich bekennen, dass ich meiner Aufgabe, die rund 650 Berufskameraden in den rund 300 Heimen zu besuchen, bisher noch längst nicht gerecht werden konnte. Mit dem Auto bedeutet das Aufsuchen eines Heimes meistens eine Tagesreise, während man mit der Eisenbahn dazu vielfach mehrere Tage benötigt. An manchen Wintertagen waren einzelne Heime für mich überhaupt nicht zu erreichen.“[15]
Jürgen Früchtenicht machte deutlich, welche zentrale Stelle er bei der Kinderlandverschickung innehatte:
„Dennoch ist bei mir wohl die Stelle, von der aus die beste Übersicht möglich ist: Teils aus eigener Anschauung heraus, teils aus Berichten, und zwar aus solchen, die mir direkt zugeleitet wurden von den Lagerlehrkräften und den hiesigen Kreiswaltern des NSLB, und solchen, die durch unseren Einsatzstab in Hamburg von den Kreiswaltungen, den Schulen und Privaten in der Heimat gesammelt und mir zugestellt wurden.“[16]
Jürgen Früchtenicht verfügte über einen guten Überblick der Situation in den KLV-Lagern:
„Leicht war die Aufgabe – besonders am Anfang – für unsere Berufskameraden bisher gewiss nicht, sind sie es doch ganz allein, denen vom Führer die volle Verantwortung für die Gesundung und Gesunderhaltung der ihnen anvertrauten Kinder übertragen wurde. Als Lagerleiter sind sie damit verantwortlich für die Heimeinrichtung und die Gestaltung des Heimlebens, für die unterrichtliche Betreuung, die Verpflegung, Kleidung und Sauberkeit der Kinder.
Nicht eine Minute des 24-stündigen Tages lässt den Lehrer die Verantwortung los. Das, was sonst 20–40 Elternpaare und der Lehrer gemeinsam zu tragen hatten, das liegt nun auf einmal neben der besonderen Aufgabe der Heimerziehung auf den Schultern der einen Lehrkraft mit ihrem HJ-Führer.
Für die ersten zwei bis drei Wochen bedeutete das für die mit Schullandheimaufenthalt vertraute Lehrerschaft nichts Neues. Doch kam hier noch manch erschwerendes Moment hinzu. Mancher hatte plötzlich eine ganz fremde Schar von Kindern überwiesen bekommen, deren Eigenarten ihm völlig unbekannt waren. Ungewohnt war das Nebeneinander der verschiedenen Jahrgänge, das Werden der Gemeinschaft zwischen Führern und Kindern und den Kindern untereinander ging nicht ohne Wehen ab. Das Heimweh trat naturgemäß weit stärker in Erscheinung als in Friedenszeiten. Die junge männliche Lehrkraft, die für diese Aufgabe am leistungsfähigsten gewesen wäre, stand nicht zur Verfügung, und manche 50- bis 65-jährige Lehrkraft fühlte sich verpflichtet, sich dieser schweren Aufgabe zur Verfügung zu stellen. Dabei waren viele von ihnen im Grunde genommen genauso erholungsbedürftig wie die von ihnen geführten Kinder. Mancher trug schwer unter den ganz veränderten Lebensbedingungen: das Leben im Lager, die andersartige Ernährungsweise, das Fehlen der Vielseitigkeit und der Anregung, die die Großstadt bietet.“[17]
Jürgen Früchtenicht zeigte in seinem Bericht, dass er Teil des Systems gewesen war, mit guten, vertrauensvollen Beziehungen zum Parteiapparat und zum NSLB:
„Es ist erstaunlich, wie genau der Gauleiter der Bayerischen Ostmark, der zugleich der Reichswalter des NS-Lehrerbundes ist, und sein Vertreter über ihre Lager unterrichtet sind, wie sie sorgen für die Betreuung der Kinder, wie sie sich mühen um ihre Gesundheit und wie liebevoll sie mit ihnen umgehen! Der Gauwalter des NSLB sieht seine Hauptaufgabe nicht in der Bevormundung und Beaufsichtigung unserer Lehrerschaft, sondern er umsorgt und beschützt sie. Kreisleiter und die von ihnen mit der Fürsorge für die Heime Betrauten sind stets bemüht, die Wünsche der Lagerleiter zu erfüllen, soweit es nur irgend möglich ist. Es ist, als habe der Bayer den Hamburger ganz besonders ins Herz geschlossen.
Zu großem Dank verpflichten uns unsere bayerischen Berufskameraden. Keine Arbeit wird den Kreiswaltern zu viel, kein Weg zu weit, wenn es darum geht, den Hamburger Kameraden zu helfen. Sie erkennen den großen Einsatz, der hier nötig ist. Die örtlichen Einheiten der Hitler-Jugend sorgen für ihre Kameraden in den Lagern. Sie stellen ihnen ihre Rodelschlitten und Skis zur Verfügung, sind ihnen Lehrmeister im Wintersport, ringen mit ihnen im Wettspiel und laden sie ein zu ihren Veranstaltungen. Lehrer, HJ-Führer und Kinder sind eine Einheit geworden, Das Heimleben vollzieht sich natürlich wie ein Familienleben.“[18]
Es mutet merkwürdig an, wenn Jürgen Früchtenicht, als langjährig für die Schullandheimbewegung tätiger Funktionär die Kinderlandverschickung als Impuls für seine bisherige Arbeit ansieht: „Sollte nicht mancher hier in der erweiterten Kinderlandverschickung für unsere Schulheimarbeit ganz innerlich gepackt werden?“[19]
Die Arbeit in der KLV wurde im Laufe des Krieges nicht einfacher. Zunehmend machten sich Eltern Sorgen, da manche Kinderlandverschickungsheime in der Nähe von Kriegshandlungen lagen. „So teilte der Gebietslagerleiter der NSDAP, Jürgen Früchtenicht, am 20. September 1944 einem Lagerleiter mit, es mehrten sich die Fälle, in denen Eltern wegen der verschärften Kriegslage ihre Kinder auf eigene Faust aus der KLV zurückholten, aus Sorge, infolge der politischen Entwicklung, von ihren Kindern getrennt zu werden.“[20]
Wie schwer die Arbeit für die Verantwortlichen der Kinderlandverschickung war, insbesondere für die KLV-Inspekteure vor Ort, zeigte auch eine Veranstaltung, die am 17.10.1944 im Curio-Haus stattfand und an der von 5800 eingeladenen Eltern etwa 1000 teilnahmen. „Seitdem die Feinde sich den Grenzen des Vaterlandes genähert haben, ist in der Haltung der Elternschaft in Bezug auf die KLV eine Krise ausgebrochen“, nahmen die Veranstalter wahr. Nur den Lehrern vertrauten die Eltern noch. Sie sollten daher nach dem Willen der Schulverwaltung beruhigend auf die Eltern einwirken.
Angesichts näher rückender Fronten verlegten die Hamburger Organisatoren in den letzten Kriegsmonaten die KLV-Lager nach Schleswig- Holstein und in die Lüneburger Heide. Unter dem Vorwand, man wolle das Hamburger Schulwesen im Gau Bayreuth konzentrieren, wurden rund 1700 Kinder und Jugendliche und ihre etwa 80 pädagogischen Betreuer im Februar und März 1945 aus Böhmen und Mähren in das Reichsgebiet zurückgeführt.“[21] An dieser organisatorischen Arbeit war Jürgen Früchtenicht an vorderer Stelle beteiligt.
Erst am 3.9.1945 konnte Jürgen Früchtenicht von der Arbeit der KLV entlassen werden.[22] Über das Kriegsende hinaus war es notwendig gewesen, alle Kinder nach Hamburg zurückzuholen und die Kinderlandverschickung abzuschließen. Dafür war es sogar erforderlich gewesen, dass der Leiter der Hamburger Schulverwaltung für Jürgen Früchtenicht noch einmal am 14.1.1944 eine u.k.-Stellung beantragen musste, da zu diesem Zeitpunkt bereits 1400 Hamburger Lehrer zum Kriegsdienst eingezogen worden waren.[23]
Auf Anordnung der Britischen Militärregierung wurde Früchtenicht danach aus dem Hamburger Schuldienst entlassen. In dem anschließenden Entnazifizierungsverfahren zeigte sich, dass er gewichtige Unterstützung erhielt. So schrieben die für ihre Gegnerschaft zum Nationalsozialismus anerkannten Schulräte Johannes Schult, Gustav Schmidt und Heinrich Schröder am 5.3.1946: „Es würde sehr bedauert werden, wenn Hamburgs Schulen ohne Herrn Früchtenicht auskommen müssten, der ein effizienter Lehrer und ein aufrechter Charakter ist.“[24]
Wie schwierig es für Jürgen Früchtenicht war, wieder in den Schuldienst zu gelangen, zeigt die Stellungnahme des Beratenden Ausschusses vom 13.1.1947, in der deutlich wurde, dass die Hamburger Lehrerschaft Früchtenicht durchaus als Teil des NS-Apparates wahrgenommen hatte.
„Herr Jürgen Früchtenicht ist mir (Grünig) von meiner Tätigkeit an der Schule Burgstraße (1921–1930) bekannt als fortschrittlich gesonnener Kollege, der damals nationalsozialistischen Gedankengängen völlig fern stand. Ich glaube auch nicht, dass er später überzeugter Parteigenosse gewesen ist.
In seiner Eigenschaft als Inspekteur der KLV in Bayreuth hat er nach dem Urteil vieler Kollegen dem Druck der Partei aber in so starkem Maße nachgegeben, dass oft der Eindruck entstand, in ihm nicht einen Anwalt der Lehrerschaft, sondern einen Beauftragten der Partei oder der HJ sehen zu müssen. Wenn diese Haltung auch zurückzuführen ist auf ein vielleicht übertriebenes Pflichtbewusstsein dem einmal übernommenen Auftrag gegenüber, so lässt sich doch die Linie des inneren Widerstandes gegen die Partei vermissen, die von einem Schulleiter, wie er heute gebraucht wird, niemals verlassen werden dürfte. Der Ausschuss hält Früchtenicht, der ein sehr wertvoller Lehrer ist, daher nicht geeignet zum Leiter eines Kollegiums.“[25]
So geschah es dann auch, Früchtenicht wurde als Lehrer wieder eingestellt, aber nicht als Schulleiter und auf Anordnung der Militärregierung vom Hauptschulrektor zum Hauptschullehrer zurückgestuft.[26]
Jürgen Früchtenicht wurde am 9.4.1947 dann sogar wieder an seine ehemalige Schule Burgstraße 35 versetzt. Er nahm auch seine Arbeit als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Hamburger Schullandheime wieder auf und war in dieser Funktion für Hamburg zu zahlreichen Treffen unterwegs.[27]
Zwischenzeitlich wurde er noch zum Mittelschullehrer befördert und trat am 24.9.1953 in den Ruhestand.[28]
Im Schreiben zu seinem 70. und 80. Geburtstag dankte die Hamburger Schulbehörde für seine langjährige Arbeit in der Arbeitsgemeinschaft Hamburger Schullandheime. „Die Schulbehörde möchte Ihnen für ein so erfülltes Leben und Wirken im Bereich der Schule und der Pädagogik ihren Dank und ihre besondere Anerkennung aussprechen“, schrieb ihm Landesschulrat Ernst Matthewes am 25.5.1958.[29]
Jürgen Früchtenicht starb am 11.5.1977.[30]
Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen
1 Personalakte Früchtenicht, StA HH, 361-3_A1349
2 Ebd.
3 Ebd.
4 Ebd.
5 Mitteilungsblatt des NSLB, Gauwaltung Hamburg, Heft 1/1942, S. 1.
6 Siehe die Biografie Sahrhage, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 2, Hamburg 2017, S. 284 ff.
7 Personalakte a. a. O.
8 Ebd.
9 Ebd.
10 Entnazifizierungsakte Früchtenicht, StA HH, 221-11_Ed 6977
11 Personalakte a. a. O.
12 Ebd.
13 Ebd.
14 Reiner Lehberger: Kinderlandverschickung: „Fürsorgliche Aktion“ oder „Formation Erziehung“, in: Reiner Lehberger und Hans-Peter de Lorent (Hg.): „Die Fahne hoch“. Schulpolitik und Schulalltag in Hamburg unterm Hakenkreuz, Hamburg 1986, S. 370.
15 Jürgen Früchtenicht, in: Hamburger Kinderlandverschickung. Unsere Inspekteure berichten, Mitteilungsblatt des NSLB, Gauwaltung Hamburg, Heft 3/1941, S. 18.
16 Ebd.
17 Ebd.
18 Ebd, S. 18 f.
19 Ebd., S. 19.
20 Uwe Schmidt: Hamburger Schulen im „Dritten Reich“, Hamburg 2010, S. 599.
21 Ebd.
22 Personalakte a. a. O.
23 Schreiben von Ernst Schrewe vom 14.1.1944, Personalakte a. a. O. Siehe auch die Biografie Schrewe, in: de Lorent 2017, S. 82 ff.
24 Entnazifizierungsakte a. a. O.
25 Stellungnahme vom 13.1.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
26 Schreiben vom 13.5.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
27 Personalakte a. a. O.
28 Personalakte a. a. O.
29 Personalakte a. a. O.
30 Personalakte a. a. O.
 

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Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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