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Christian Trumpf

(21.4.1994 – 17.11.1977)
Biologielehrer am Realgymnasium des Johanneums
Lottbeker Platz 3 (Wohnadresse 1955)

Hans-Peter de Lorent hat über Christian Trumpf ein Portrait verfasst, das in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz. Band. 3. Hamburg 2019 erschienen und im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg erhältlich ist. Hier der Text:
„Für das Vaterland zu fallen, ist die höchste Ehre, die einem deutschen Mann widerfahren kann.“
Möglicherweise unterschied sich der Studienrat Christian Trumpf, in der NS-Zeit Biologielehrer am Realgymnasium des Johanneums in der Armgartstraße , nicht wesentlich von anderen Biologielehrern in dieser Zeit, die ebenfalls der NS-Ideologie anhingen. Über Trumpf gab es allerdings eine Schilderung seines Unterrichts von seinem ehemaligen Schüler, dem späteren Publizisten, Verleger und Freimaurer, Rolf Appel. Diese soll konfrontiert werden mit dem, was Trumpf selbst in seinem Entnazifizierungsverfahren über seine Haltung aussagte. Den Dünkel des Herrenmenschen hatte er allerdings offenbar auch nach seiner Wiedereinstellung nicht abgelegt.
Christian Trumpf wurde am 21.4.1894 geboren. Da seine Personalakte nicht erhalten ist, sind nur spärliche personenbezogene Stationen seiner Biografie rekonstruierbar. So war er am Ende seines Studiums für das höhere Lehramt promoviert worden und unterrichtete Biologie am Realgymnasium des Johanneums in der Armgartstraße . Er war offenbar seit 1922 im Schuldienst und wurde am 22.2.1946 auf Anordnung der Britischen Militärregierung aus dem Beamtenverhältnis entlassen und bemühte sich in der Folgezeit um seine Wiedereinstellung in den Hamburger Schuldienst. Vermutlich hatte er sein Studium unterbrochen, um in den Ersten Weltkrieg zu ziehen, den er bei einem der ersten Feldzüge in Flandern infolge einer schweren Kriegsverletzung und des Verlustes eines Armes schon bald beendete.[1]
Diese Kriegsverletzung führte allerdings keineswegs zu einer pazifistischen Grundeinstellung, wie aus den Erinnerungen von Rolf Appel deutlich wurde. Appel, Jahrgang 1920, besuchte als Schüler das Realgymnasium des Johanneums und schrieb seine Lebenserinnerungen, die mit der Schulzeit beginnen und weitestgehend die Kriegszeit als Soldat thematisieren.[2]
Eine wichtige Sozialisationsfunktion für die Jungenklasse, der Rolf Appel angehörte, hatte Biologielehrer Christian Trumpf. Dies soll in mehreren kurzen Erinnerungsabschnitten von Appel dokumentiert werden. Es beginnt mit dem Abschnitt „Biologieunterricht“: „Und dann erinnere ich mich an den Biologieunterricht des einarmigen Studienrates Trumpf. Ja, Trumpf hieß er. Ich besuchte die Tertia des Realgymnasiums. Wir trieben viel Sport, sahen den Mädchen nach, aber vor allem begeisterte uns die Jazzmusik, obwohl sie als fremdländisch und minderwertig abgetan wurde.“[3]
Rolf Appel war 15 Jahre alt, es war 1935, im dritten Jahr nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten:
„Als wir einmal eine Veranstaltung der Jazzkapelle Heinz Wehner besuchten und begeistert waren, kamen plötzlich Uniformierte herein. Wir Schüler mussten auf bereitstehende Lastwagen klettern, und ab ging es in ein Lager, wo wir zur Umerziehung drei Tage für die deutsche Wehrmacht Kartoffeln schälen mussten. Mit unseren Lehrern waren wir leidlich zufrieden, aber das Beste des Schultages war, wenn die letzte Stunde abgeleistet wurde und wir hinausstürmten. Die letzte Unterrichtsstunde war entweder Religion, Turnen oder Biologie. Der tägliche Ablauf des Unterrichts war seit Hitlers Machtübernahme nicht anders als vorher. Nur die Flaggenparade auf dem Schulhof jeden Montagmorgen war hinzugekommen. Das verkürzte die erste Unterrichtsstunde. Entscheidendes hatte sich im Biologieunterricht geändert.“[4]
Hier kam Christian Trumpf ins Spiel: „Studienrat Trumpf, der im Ersten Weltkrieg seinen linken Arm verloren hatte, war kein Lehrer, dessen Unterricht wir Schüler mit Aufmerksamkeit folgten. Das lag an der Art seines Vortrags, der lustlos wirkte. Entdeckte aber der Trumpf, dass ein Schüler abgelenkt war, gab es harte Strafen, denn Zucht und Ordnung hieß sein Unterrichtsprinzip.“[5]
Rolf Appel schrieb, dass sich seit dem 30.1.1933, als Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war, sowohl der Unterricht als auch der Unterrichtende verändert hatte. Seitdem „erschien unser Biologielehrer, Studienrat Trumpf, in brauner SA-Uniform und legte zu Beginn jeder Unterrichtsstunde seine braune Schirmmütze auf das Lehrerpult.“[6]
Christian Trumpf gab in seinem späteren Entnazifizierungsverfahren an, Mitglied der NSDAP, der NSV, des NSLB und als Kriegsversehrter Mitglied der NSKOV, also der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung, aber nicht in der SA organisiert gewesen zu sein. Möglicherweise war das eine bewusste Fälschung des Entnazifizierungsfragebogens, es kann natürlich auch sein, dass der Schüler Appel die Uniform verwechselt hatte. Denn auch die NSKOV hatte eine braune Uniform mit Schirmmütze. Hier gilt das, was der Sporthistoriker Frank Becker über Erinnerungen von Einzelpersonen im Kontext der Biografie von Carl Diem schrieb: „Gedächtnis- und Erinnerungsforscher aus Kognitionspsychologie und Geschichtswissenschaft werden jederzeit bestreiten, dass nach mehreren Jahrzehnten noch eine trennscharfe Erinnerung möglich ist. Es entspricht auch nicht den Gepflogenheiten der Geschichtswissenschaft, historische Sachverhalte als bewiesen zu erachten, wenn sich nur ein einziger Augenzeuge aus beträchtlicher zeitlicher Distanz entsprechend geäußert hat.“[7]
Dies relativiert möglicherweise die Frage, welche Uniform Christian Trumpf im Unterricht getragen hatte, aber nicht, dass er von einem auf den anderen Tag nicht mehr in Zivilkleidung in der Schule erschien. Und auch weitere Begebenheiten erscheinen mir glaubwürdig, wenn auch die erinnerten Sätze nicht in dem beschriebenen Wortlaut gefallen sein müssen.
Rolf Appel berichtet im Unterricht in der Zeit nach 1933, das, was Schüler, mich eingeschlossen, sogar noch über den Unterricht vieler Lehrer in den 1950er und 1960er Jahren erleben mussten, freilich nach einem anderen Weltkrieg, der nicht besser von den einzelnen Lehrpersonen verarbeitet worden war.
„Nun gab es keinen Unterricht mehr in der Botanik, die Zoologie war ohnehin nie das Fach dieses Lehrers gewesen. Wir mussten den Erzählungen über seine Kriegserlebnisse lauschen. Wir hörten sogar begeistert zu, zumal dadurch der übliche Unterricht ausfiel. Immer wieder führte uns Studienrat Trumpf auf die Schlachtfelder in Flandern. Er hatte sich als Student freiwillig zu den Waffen gemeldet und war bei Ypern zum Einsatz gekommen. Er berichtete, dass die jungen Kriegsfreiwilligen mit dem Deutschlandlied auf den Lippen gegen den Feind angestürmt seien. ‚Für das Vaterland zu fallen, ist die höchste Ehre, die einem deutschen Mann widerfahren kann‘, hatte er uns gesagt.“[8]
Christian Trumpf war damit sicherlich kein Einzelfall und es wird deutlich, welche Sozialisationsfunktion dieser Lehrer und diese Lehrer für die Heranwachsenden an den Schulen hatten und wie die Schülerschaft damit auf spätere Ereignisse vorbereitet wurde:
„Trumpf hatte auch geschildert, wie seine Kameraden gefallen waren, doch das hatte uns nicht gestört. Und Unterrichtsstunde auf Unterrichtsstunde wusste er immer Neues und uns Jungen Aufregendes zu berichten, als ob die Flandernschlacht Monate gedauert hätte. Dabei war der Trumpf doch schon beim ersten Angriff verwundet worden! Aber sein Lied von der Tapferkeit der deutschen Soldaten bei Langemarck sang er eine um die andere Unterrichtsstunde.“[9]
Dass Biologielehrer Trumpf nicht nur eine Kriegsbegeisterung verbreitete, sondern auch in anderer Weise ideologisch wirkte, zeigen andere Schilderungen:
„Eines Tages mussten sich diejenigen Schüler melden, deren Väter einen kaufmännischen Beruf ausübten. Die meisten Jungen meldeten sich. Da kam das Überraschende, dass Studienrat Trumpf zu einer längeren Belehrung ansetzte. Der Beruf eines Kaufmanns sei kein germanischer Beruf, sondern ein jüdischer. ‚Die Germanen, unsere Vorfahren, waren Bauern und Krieger, Fischer und Jäger!‘ rief er aus und fuhr fort, dass das Handeln und Schachern dem deutschen Wesen fremd sei.
„‚Ihr müsst Offiziere werden, und vielleicht ist es euch vergönnt, euch im Krieg zu bewähren!‘ So Studienrat Trumpf während des Unterrichts.“[10]
Rolf Appel sprach darauf zu Hause seinen Vater an und fragte ihn, „ob er wisse, dass er einen jüdischen Beruf habe“. „Wer hat dir denn solchen Unsinn beigebracht?“ „Der Trumpf, in der Biologiestunde. Er hat gesagt, dass wir Offiziere zu werden haben. Kaufleute trieben Handel, und das Handeln sei etwas Jüdisches.“
„Schweigen. Dann hatte mein Vater gefragt: ‚Ich habe also einen jüdischen Beruf?‘ Ich schwieg. ‚Kannst du mir sagen, was das überhaupt ist, ein jüdischer Beruf? Es gibt doch auch jüdische Ärzte, Richter, Künstler, natürlich auch Kaufleute.‘ Vater hatte recht, das fühlte ich, und der Trumpf hatte sich in seinem Germanenwahn wieder einmal verstiegen.“[11]
Studienrat Christian Trumpf repräsentierte offenbar das gesamte Spektrum nationalsozialistischen Lehrerverhaltens, eines Mannes, der ideologisch durch die neue Bewegung in Deutschland infiziert worden war, wie Appel weiter berichtete:
„In der letzten Stunde des nächsten Tages stand wieder Biologie auf dem Unterrichtsplan. Studienrat Trumpf kam herein, wie üblich erhoben wir uns von den Plätzen und sagten: ‚Guten Morgen, Herr Studienrat.‘ Er schlug die Hacken seiner Langschäfter aneinander, hob die rechte Hand und rief: ‚Heil Hitler!‘ Das war neu, und nachdem wir uns gesetzt hatten, kam die Anordnung, dass die Begrüßung künftig nur noch ‚Heil Hitler!‘ zu lauten habe. Dann hatte er hinzugefügt, dass es der heilige Wunsch eines jeden deutschen Schülers zu sein habe, dass dem Führer und Reichskanzler Adolf Hitler alles gelingen möge, was er sich zum Wohl und zum Wiedererlangen der uns zustehenden nationalen Größe vorgenommen habe. Anschließend hatten wir uns dann wieder die Erzählungen aus der Schlacht bei Langemarck anzuhören. Zum Schluss rief er dann fanatisch: ‚Ein deutscher Mann fürchtet sich vor keinem Feind. Er ist bereit, für den Führer und das deutsche Volk sein Leben zu geben! Heil Hitler!‘ ‚Heil Hitler, Herr Studienrat‘ antworteten wir. ‚Es heißt nur ‚Heil Hitler‘, denn ihr grüßt ja nicht mich, sondern den uns von Gott gesandte Führer.‘ Wir schwiegen. Dann ‚Heil Hitler!‘ ‚Heil Hitler!‘“[12]
Und natürlich war das Anliegen des Biologielehrers Christian Trumpf, der Klasse die nationalsozialistische Rassenideologie beizubringen:
„Eines Tages brachte Studienrat Trumpf ein eigenartiges halbrundes, hölzernes Messinstrument mit in den Unterricht. Wortreich setzte er auseinander, dass das Schicksal es so gefügt habe, dass die germanische Rasse zur Führung bestimmt sei. Er übte mit uns das Lied ‚Die Welt gehört den Führenden, sie gehn der Sonne Lauf‘. Und er fuhr fort, wer von uns nach Wuchs und Aussehen zur nordischen Rasse gehörte, der müsse sich dessen auch künftig immer bewusst sein. Und dann war es losgegangen. Jeder von uns musste seinen Kopf hinhalten, und Studienrat Trumpf stellte anhand seiner Messungen fest, wer von uns einen nordischen Langschädel besaß und wer nicht. Dabei wendete er eine besondere Formel an, die jeder von uns in sein Heft eintragen musste. Dazu wurden Haar- und Augenfarbe sowie die Körperlänge eingetragen, denn – so dieser germanische Prototyp – der nordische Herrenmensch ist von großem Wuchs, kräftig, blauäugig, hat blonde Haare und einen Langschädel.
‚Und wer diese Kennzeichen nicht hat?‘, fragte einer unserer Klassenbesten, braunäugig, schwarzhaarig und von einer italienischen Mutter stammend.
‚Ordnung! Disziplin!‘ hatte der Trumpf gebrüllt, und dieses Benehmen sollte dann typisch werden. Wer gewagt hatte, eigenständig zu denken, der wurde niedergeschrieen. Einer von uns hatte sich sogar seines dinarischen Querschädels geschämt. Der arme Kerl wollte auch so gern ein Germane sein! Während der nächsten Biologiestunde gingen die Messungen und Eintragungen weiter. Wir kamen uns damals recht blöd vor. Tatsächlich wurden wir Schüler nach der Maßgabe der Messungen und unseres Aussehens gesetzt. Die nordischen in die ersten Reihen, die weniger nordischen in die mittleren, und ganz hinten mussten die kleinen braunäugigen und schwarzhaarigen sitzen. Unser einarmiger Germanenfanatiker wandte sich dann an den Klassensprecher. Er war zwar groß und kräftig, hatte aber schwarze Haare und, was das Schlimmste war, er trug den Namen Hadamczik.
‚Du kannst nichts dafür, aber Ordnung muß nun einmal sein. Unser nationaler Aufbau verlangt Ordnung, auch Ordnung in unserer Klasse. Dein Name setzt sich zusammen aus Hadam, das ist der jüdische Adam, und czik, das kommt aus dem Polnischen, und polnische Juden sind das Minderwertigste, was es rassisch überhaupt gibt.‘ ‚Ich bin kein Jude!‘, empörte sich unser Klassensprecher. In seinem Aufruhr war er ganz rot im Gesicht gewesen. ‚Das habe ich auch nicht gesagt. Künftig sitzt du hinten auf dem letzten Platz. Ordnung muss sein. Ordnung verlangt der Führer von uns.‘“[13] Rolf Appel beschrieb, dass danach die Klasse im Widerstand war und sich vor ihren Klassensprecher stellte. Auch Eltern beschwerten sich daraufhin beim Schulleiter, der darauf sagte: „Was soll ich denn machen? Sagen Sie mir, was ich machen soll?“[14]
Über den Klassensprecher berichtete Rolf Appel: „Kurt Hadamczik, unser Adam, toller Kerl, war später Oberleutnant bei den Pionieren gewesen. War das eine Freude, als wir uns zufällig beim Übergang über den Dnjepr trafen. Er ist dann wegen Tapferkeit vor dem Feind zum Hauptmann befördert worden. Gegen Ende des Jahres war er gefallen.“[15]
Welche Geschichte, die man, wäre sie nicht so ernst und realistisch, fast als Karikatur eines Lehrers in der NS-Zeit sehen könnte. Wir konfrontieren sie mit den Einlassungen von Biologielehrer Christian Trumpf in seinem Entnazifizierungsverfahren. Aber vorweg der kurze Hinweis darauf, dass Trumpf Schülern gegenüber noch einmal auffällig wurde, als er nach 1948 wieder als Lehrer eingestellt worden war. Diesmal an der Gelehrtenschule des Johanneums. Uwe Reimer, der die Geschichte des Johanneums in der Nachkriegszeit nach vielen Interviews mit ehemaligen Schülern geschrieben hat, berichtete über die Arroganz und den Zynismus von Lehrern, die Schülern zu Beginn der elften Klasse sagten: „Ihr seid jetzt 30, ich verspreche Euch, nächste Ostern seid Ihr noch 20.“ Das war nicht Christian Trumpf. Von ihm erinnerten Schüler den Ausspruch: „Es sind ja einige Herren hier, die nicht hierher gehören.“ Und er fügte überheblich hinzu: „Als ich Abitur machte, da waren nur noch drei in der Klasse, und einer dieser drei hieß Christian Trumpf.“[16]
„Herrenmenschen“ waren auch nach einem mühsamen Entnazifizierungsverfahren bald wieder „Herrenmenschen“.
Nach Ausfüllen seines Entnazifizierungsfragebogens wurde Christian Trumpf vom 13.11.1945 bis zum 20.2.1946 erst einmal weiter beschäftigt. Die formale Belastung war nicht übermäßig groß: Mitglied der NSDAP, laut Mitgliedskarte seit dem 1.5.1933, außerdem organisiert in der NSV seit 1934, in der NSKOV (NS-Kriegsopferversorgung) und im NSLB, in dem Trumpf angab, als Schulwalter tätig gewesen zu sein.[17]
Am 22.2.1946 wurde Christian Trumpf dann dennoch auf Anordnung der Britischen Militärregierung aus dem Beamtenverhältnis entlassen. Dagegen legte er am 24.6.1946 Widerspruch ein und erklärte:
„Meine politische Einstellung war derart, daß ich 1933 nicht in die NSDAP eintreten konnte. Auch hoffte ich, daß ich mich ohne Schwierigkeit der Parteimitgliedschaft fernhalten konnte. Dies gelang mir bis 1935. Dann wurde ich aufgefordert, Pg zu werden, um in einem Parteigerichtsverfahren als Zeuge gegen ein altes Parteimitglied auftreten zu können. Es handelte sich um den berüchtigten ehemaligen Geschäftsführer der Hamburger Kriegerheimstätten GmbH, Rudolf Wiesener. Es war bekannt geworden, dass ich den Pg belastendes Material besaß. So wurde ich, obgleich die Partei geschlossen war, aufgenommen und erhielt das vordatierte Eintrittsdatum 1. Mai 1933. Ein Amt habe ich nicht übernommen. Auch habe ich von der Partei keine Vorteile gehabt.“[18]
Eine merkwürdige Begründung. Sicherlich wollte Christian Trumpf erklären, dass seine Absicht war, einer „berüchtigten Person mit belastendem Material das Handwerk zu legen“. Dafür hätte er sicherlich nicht in die NSDAP eintreten müssen.
Und auch seine Begründungen, warum er im NSLB Funktionen übernommen hatte, erscheinen mehr als fadenscheinig:
„Im Jahre 1938, als die Schulverwaltung den Nachweis eines Amtes von mir forderte, habe ich mich entschlossen, das Amt eines Schulwalters im NSLB zu übernehmen, indem ich der Bitte meines damaligen Schulleiters Dr. Dieckow nachkam. Ich betrachtete es als meine Aufgabe, die Beiträge einzusammeln und sorgte dafür, daß meine Kollegen möglichst wenig mit Angelegenheiten des NSLB behelligt wurden. Der damalige Oberschulrat Dr. Oberdörffer[19], der mit Dr. Dieckow befreundet war, fand diese Lösung gut. In der Zeit von 1933–1945 habe ich kein einziges Mal anläßlich einer nationalsozialistischen Feier geredet.“[20]
Die Argumente von Christian Trumpf waren schwach. So gab er noch an, in seiner Zeit am Johanneum von Schulleiter Werner Puttfarken 1943 zur Beförderung vorgeschlagen worden zu sein. Dies hätte er abgelehnt, weil es von der „Partei keine günstige Auskunft über mich geben würde“. Es hätte stets „ein gespanntes Verhältnis zwischen mir und dem Ortsgruppenleiter von Volksdorf- Wensenbalken gegeben“.[21] Christian Trumpf befürchtete offenbar, dass ein Vater der Britischen Militärregierung oder der Schulverwaltung nach 1945 etwas Negatives über ihn berichtet hätte, was zumindest in der Entnazifizierungsakte nicht zu finden ist. Von sich aus gab er dazu eine Erklärung ab, die wiederum merkwürdig klang:
„Vor 8 Jahren erlebte ich einen Zwischenfall in einer Klasse in der einige schwer erziehbare Jungen waren. Ich hatte Lichtbilder besprochen, die das Leben der Eingeborenen in Afrika zeigten. Bei der Gelegenheit stellte ich primitive religiöse Auffassungen denjenigen Auffassungen höherer Kulturen gegenüber. Das metaphysische Bedürfnis des Menschen, sagte ich, sei auf allen Kulturstufen festzustellen. Nur die Art und Weise, sich mit dem Übersinnlichen auseinanderzusetzen, sei verschieden je nach Höhe der Kulturstufe.“ Ich vermute, der Rassenbiologe Trumpf wird über die Eingeborenen in Afrika und anderswo noch ganz andere Dinge gesagt haben. Weiter hieß es zu diesem Vorfall aus Sicht von Christian Trumpf:
„Leider entstanden Missverständnisse bei den Jungen, und der Vater eines meiner Schüler, der chilenische Konsul Herr Schomburgk, beschwerte sich bei der Schulverwaltung. Der damalige Oberschulrat Dr. Oberdörffer untersuchte den Fall mit dem Ergebnis, daß ich nicht das gesagt haben konnte, was man mir zur Last gelegt hatte. Anschließend hatte ich eine Unterredung mit dem Herrn Konsul. In dieser Unterredung sprach ich Herrn Schomburgk mein tiefstes Bedauern über das Mißverständnis aus, durch das er sich verletzt gefühlt hatte. Durch die Untersuchung des Herrn Dr. Oberdörffer und durch meine Unterredung war die Sache bereinigt worden. Ich verwahre mich entschieden gegen Behauptungen über von mir gemachte Äußerungen, die mißverstanden worden sind.“[22]
Für den Entnazifizierungsausschuss, der aus den profilierten Nicht-Nationalsozialisten Heinrich Schröder, Johann Helbig und Willi Thede bestand, reichte Trumpfs Rechtfertigung und Argumentation nicht aus:
„Das von Dr. Trumpf zu seiner Entlastung beigebrachte Beweismaterial hat den Beratenden Ausschuss nicht überzeugen können. Es gibt Kollegen die sich weigern für Dr. Trumpf ein entlastendes Zeugnis auszustellen. Er galt an der Oberschule Armgartstraße als aktives Mitglied der NSDAP und Antichrist, der die Ideen Mathilde Ludendorffs nachdrücklich vertrat. Der Beratende Ausschuss kann den Einspruch nicht unterstützen.“[23]
Die Argumentation seines Rechtsanwalts Dr. Kurt Lange bewegte sich dann am 22.10.1948 auf einer anderen Schiene:
„Herr Dr. Trumpf ist Schwerbeschädigter aus dem Ersten Weltkrieg (Verlust eines Armes – Versehrtenstufe III). Seit seiner Entlassung hat er versucht, für seinen und den Unterhalt seiner fünf Kinder durch anderweitigen Erwerb zu sorgen. Als Krüppel ist ihm das besonders erschwert worden. Seit dem 1. August 1948 ist er völlig erwerbslos.“[24]
Das Verfahren war wieder aufgenommen worden. Johann Helbig schrieb für den Beratenden Ausschuss für das höhere Schulwesen am 22.11.1948:
„Er ist sicher in den Jahren nach 1933 vor allem durch seine Propagierung der Rassenlehre schwer in die Irre gegangen. Immerhin wird seine menschliche Anständigkeit von verschiedenen glaubwürdigen Zeugen wie etwa Oberstudiendirektor Dr. Kunrede und Oberstudienrat H. Claussen, betont. Wir glauben, daß er nun durch die letzten für ihn schweren Jahre genügend gesühnt hat, umso mehr da er schwer kriegsbeschädigt und Vater von fünf Kindern ist. Wir empfehlen eine Milderung des Urteils.“[25] Die sozialen Gesichtspunkte der Argumentation des Rechtsanwaltes hatten offenbar Widerhall gefunden.
Der Berufungsausschuss für die Ausschaltung von Nationalsozialisten ging dann in seiner Entscheidung deutlich weiter und stufte Christian Trumpf in Kategorie V, Entlasteter, ein mit der überraschenden Begründung:
„Lediglich im Lehrerbund bekleidete er das unpolitische Amt eines Schulwalters. Der Vorwurf, dass er im Unterricht rassenideologisch im NS-Sinne auf die Schüler eingewirkt hat, ist nach den beigebrachten Leumundszeugnissen nicht haltbar. Mit Rücksicht auf seine schwere Kriegsbeschädigung aus dem Ersten Weltkrieg und der Tatsache, dass Dr. Trumpf längere Zeit aus seinem Amt entfernt war, erscheint seine nunmehrige Einstufung in Kategorie V und der Stattgabe der Berufung geboten.“[26]
Christian Trumpf wurde danach wieder eingestellt und arbeitete, wie schon beschrieben, am Johanneum. Von Uwe Schmidt gibt es nach Gesprächen mit Harald Schütz, der nach 1945 Christian Trumpf als älteren Kollegen am Johanneum erlebte, noch folgende Aussage: „Ich habe nie eine Äußerung von ihm gehört, nie eine Handlungsweise gesehen und nie ein Politikum erfahren, in dem ich den ‚Biologielehrer Trumpf‘ von 1934 wiedererkennen könnte“.[27]
Uwe Schmidt hatte am 8.5.2003 auch ein Gespräch mit dem Autor und ehemaligen Trumpf-Schüler, Rolf Appel geführt. Dabei hatte dieser ihm berichtet, dass es an der Schule Armgartstraße auch einen Lehrer gegeben hatte, der so ganz anders in der Klasse agierte:
„Als ‚entgegengesetzte Ergänzung‘ zu seinem von der nationalsozialistischen Rassenideologie geradezu besessenen Biologielehrer Christian Trumpf hat Rolf Appel seinen damals etwa 55 Jahre alten Klassenlehrer Prof. Otto Schliack in seiner Erinnerung bewahrt. In einer seiner Lateinstunden wollten die Schüler von ihm erfahren, warum vier ihrer jüdischen Kameraden, ohne sich von der Klasse verabschiedet zu haben, nicht mehr die Schule besuchten.“ Diese Schüler waren offenbar mit ihren Familien gerade emigriert. „Schliacks Antwort lautete: ‚Eure Kameraden werden nicht mehr am Unterricht teilnehmen. Sie sind wohl da, wo sie noch besser lernen können. Aber jetzt schlagt wieder den Ludus Latinus auf.‘“[28]
Uwe Schmidt bemerkte dazu: „Aus heutiger Sicht mag ein solcher Satz kryptisch klingen, die damaligen Schüler empfanden ihn als mutig. Schliack, Vorstandsmitglied des Hamburger Turnerbundes, war für die Schüler, die so dachten und empfanden wie der Freimaurersohn Rolf Appel, ein menschliches Vorbild, ein Lehrer, der ihnen nicht nur Wissen vermittelte, ein Mensch, den seine Schüler wegen seiner Haltung ‚die Stütze der Gesellschaft‘ nannten.“[29]
Christian Trumpf wurde am 1.5.1959 pensioniert.[30]
Er starb am 17.11.1977.[31]
Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen
1 Alle Angaben laut der Entnazifizierungsakte von Christian Trumpf, StA HH 221-11_Ed 102080
2 Rolf Appel: Jonas. Im Bauch des Ungeheuers. Erinnerungen aus den Jahren 1933–1945, Berlin 1995.
3 Appel 1995, S. 16.
4 Ebd.
5 Ebd.
6 Appel 1995, S. 17.
7 Frank Becker: Den Sport gestalten. Carl Diems Leben (1882–1962), Bd. III: NS-Zeit, Duisburg 2009, S. 336.
8 Appel 1995, S. 17.
9 Ebd.
10 Ebd.
11 Appel 1995, S. 18.
12 Appel 1995, S. 18 f.
13 Appel 1995, S. 20 f.
14 Appel 1995, S. 21.
15 Ebd.
16 Uwe Reimer: Das Johanneum in der Nachkriegszeit. Innenansichten einer Hamburger Traditionsschule, Hamburg 2014, S. 121.
17 Entnazifizierungsakte, a. a. O.
18 Schreiben vom 24.6.1946, Entnazifizierungsakte, a. a. O.
19 Siehe die Biografie Wilhelm Oberdörffer, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 1, Hamburg 2016, S. 528 ff.
20 Schreiben vom 24.6.1946, Entnazifizierungsakte, a. a. O.
21 Ebd. Siehe auch die Biografie Werner Puttfarken, in: de Lorent 2016 S. 691 ff.
22 Schreiben vom 24.6.1946, Entnazifizierungsakte, a. a. O.
23 Stellungnahme vom 11.7.1946, Entnazifizierungsakte, a. a. O.
24 Schreiben vom 22.10.1948, Entnazifizierungsakte, a. a. O.
25 Beratender Ausschuss vom 22.11.1948, Entnazifizierungsakte, a. a. O.
26 Entscheidung vom 22.12.1948, Entnazifizierungsakte, a. a. O.
27 Uwe Schmidt: Hamburger Schulen im „Dritten Reich“, Hamburg 2010, S. 70.
28 Schmidt 2010, S. 78.
29 Ebd.
30 Laut Hamburgisches Lehrer-Verzeichnis, Jahrgang 1962/63, herausgegeben vom Verlag der Gesellschaft der Freunde, S. 127.
31 Nach Auskunft von Christina Ahrens, Staatsarchiv Hamburg, vom 3.9. 2018.
 

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Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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