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Emmy Püttjer

(10.2.1905 Hamburg - 22.2.1964)
Geschäftsfrau, leitete von 1940-1947 als 1. Vorsitzende den Farmsener Turnverein von 1926 e.V.
August-Krogmann-Straße 18 (Heißmangelbetrieb)
August-Krogmann-Straße 13 (Wohnadresse)
Namensgeberin für: Emmy-Püttjer-Straße , Farmsen-Berne (seit 2017). Die Straße wurde 2022 umbenannt in Dorothea-Buck-Straße .

Im Amtlichen Anzeiger vom 3.6.2022 gibt dazu folgende Begründung: „Die Wegefläche der derzeitigen Emmy-Püttjer-Straße befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen sogenannten Pflege- und Versorgungsheims Farmsen und führt direkt zum sogenannten Arbeitshaus. Hier wurden in der NS Zeit Menschen zwangsinterniert, zwangssterilisiert und in weitere Anstalten zur Euthanasie deportiert.

Es liegt bei Emmy Püttjer zwar keine formale NSDAP-Mitgliedschaft vor – bisher ist die NSDAP-Parteimitgliedschaft alleiniges Ausschlusskriterium bei der Benennung nach möglicherweise NS-belasteten Personen - , so dass das damalige Prüfungsergebnis durch Bezirk und Staatsarchiv bei der Benennung im Jahre 2017 als richtig anzusehen ist. Dennoch kann Emmy Püttjer als belastet angesehen werden, weil sie in leitender Funktion zwischen 1940-1947 im Turnverein Farmsen tätig war.

Die räumliche Nähe der nach Püttjer benannten Straße zu einem NS-Gedenkort erfordert eine Umbenennung.
Anwohner sind nach Angaben des Bezirks von der Umbenennung nicht betroffen. (…).“
Emmy Püttjer war Geschäftsfrau. Sie hatte einen Heißmangelbetrieb in August-Krogmann-Straße 18 in der Nähe des Farmsener Bahnhofes.

Bevor sie sich im Februar 1938 mit ihrem kleinen Heißmangelbetrieb selbstständig gemacht hatte, war sie zwischen 1930 und 1932 teils mittellos gewesen, teils hatte sie als Wanderdekorateurin versucht, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Von 1932 bis 1938 war sie dann als Arbeiterin in der Firma Langnese beschäftigt gewesen. [1]
Emmy Püttjer, die ledig und kinderlos blieb, widmete sich in ihrer Freizeit dem Farmsener Turnverein von 1926. Als sie 1940 als 1. Vorsitzende die Vereinsführung übernahm [2] – sie selbst gibt in ihrem Entnazifizierungsfragebogen an, dass sie bereits 1939 Vereinsführerin gewesen sei [3] -, „konnte sie schon nicht mehr wirksam die Schrumpfung der Mitgliederzahlen verhindern. Als maßgebliche Gründe werden die staatspolitisch bedingte Bevormundungen durch die Nationalsozialisten benannt. Diese sollen die sportlichen Aktivitäten im Verein stark behindert haben. Durch zwangsweise Mitgliedschaften der jungen Männer in den NS-Organisationen kamen die Aktivitäten in politisch unabhängigen Sportvereinen wie dem FTV zu kurz.“ [4]

Über die Verflechtung des Sports in der Zeit des NS-Regimes mit der Ideologie des Nationalsozialismus schreibt Wolf-Dieter Mattausch: „Der Prozeß der ‚Neuordnung des deutschen Sports‘ im Dritten Reich begann (…) mit der Zerschlagung der sozialistischen Arbeiter-Turn- und Sportbewegung (…) und der mehr oder weniger erzwungenen Selbstauflösung der Dachverbände des bürgerlichen Sports in Deutschland. Gleichzeitig wurden die Sportverbände im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie indoktriniert und der Ausschluß der jüdischen Sportler aus den meisten Sportverbänden vollzogen, ohne daß die politische Führung dies hätte nachdrücklich fordern müssen. (…)
Der in sich widersprüchliche Prozeß der ‚Neuordnung‘ des deutschen Sports durch die Nationalsozialisten dauerte bis 1936 an. Sportverbände, die nicht in Einklang mit der nationalsozialistischen Ideologie zu bringen waren, wurden verboten. (…).

Die Hitler-Jugend (HJ betrieb im Rahmen der nationalsozialistischen Erziehung intensive körperliche Ausbildung (…). Das Gesetz über die HJ aus dem Jahre 1936 erklärte sie zur ‚Staatsjugend‘ und übertrug ihr die körperliche, geistige und charakterliche Erziehung der gesamten deutschen Jugend. Das bedeutete, daß die Vereine des NSRL [Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen, siehe dazu weiter unten] keine Jugendlichen unter 14 Jahren betreuen durften. (…) Nur die freiwillige Sportbetätigung von HJ-Mitgliedern oberhalb dieses Alters verblieb bei den Vereinen (…). Gleiche Regelungen galten für den Bund Deutscher Mädel (BDM) (…).“ [5]

Folgt man den wissenschaftlichen Ausführungen des Historikers Mattausch, dann fungierte Emmy Püttjer  in einem "gleichgeschalteten" Sportverein als 1. Vorsitzende. Diese Funktion bekam sie, nachdem sie 1938 Mitglied des nationalsozialistischen Reichsbunds für Leibesübungen geworden war.

Emmy Püttjer trat in der NS-Zeit nicht der NSDAP bei. Sie war von 1934 bis 1938 Mitglied der DAF ( Deutsche Arbeitsfront), von 1941 bis 1945 Mitglied der NSV (nationalsozialistische Volkswohlfahrt), bis 1942 Mitglied im Deutschen Frauenwerk und von 1938 bis 1945 Mitglied im nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen. [6]
Der Nationalsozialistische Reichsbund für Leibesübungen wurde 1938 „zur totalen Gleichschaltung des Dachverbandes des dt. Sports (…) als Nachfolgeorganisation des Dt. Reichsbundes für Leibesübungen“ [7] geschaffen. Er stand „unter politischer Verantwortung der NSDAP (…). So wurde der NSRL von einer durch die NSDAP ‚betreuten‘ zu einer von ihr kontrollierten Organisation. Gleichzeitig entfiel damit auch die juristische Selbständigkeit der Vereine, deren Vermögen in das Eigentum der NSDAP überging. Die Gründung des NSRL beseitigte außerdem das ohnehin nur noch formale Recht, die Vereinsführer zu wählen.“ [8]

Aus diesem Zitat wird deutlich, dass es keine demokratische Wahl der VereinsführerInnen mehr gab. Demnach muss E. Püttjer von den Verantwortlichen des NS-Sport-Systems als unverfänglich und systemkonform angesehen worden sein, ansonsten hätte sie diesen Vorsitz wohl nicht bekommen. Diese Annahme ergibt sich m. E. auch aus dem folgenden Zitat des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, der sich mit der Entwicklung der Deutschen Turnerschaft beschäftigt hat, dem Dachverband der bürgerlichen Turnvereine in Deutschland. Aus dem Zitat geht nicht nur hervor, dass es keine demokratischen Wahlen der Vereinsvorsitzenden mehr gab, sondern es wird auch verdeutlicht, dass die Vorsitzenden mit dem NS-Regime konform gehen mussten. Nach 1933 wählten die Vereine "ihre Vorsitzer, die jedoch der Bestätigung durch die Gauvertreter bedürfen. Die von dem Gauvertreter bestätigten Vereinsvorsitzer bilden selbständig ihre Vereinsvorstände. Alle diejenigen, die Führer berufen oder bestätigen, tragen die Verantwortung dafür, dass sie nur solche Turner berufen und bestätigen, die vollkommene Gewähr dafür bieten, dass sie sich dem neuen nationalen Einheitswillen freudig und aus innerem Drange einzuordnen vermögen."
"Marxisten", nach dem Verständnis der Deutschen Turnerschaft in der NS-Zeit waren das Kommunisten und Sozialdemokraten: "durften nur noch eingeschränkt Mitglieder der Deutschen Turnerschaft  bleiben Ferner wurden alle Männer und Frauen, 'die nach ihrem bisherigen öffentlichen Auftreten für diese neue nationale Regierung nicht tragbar sind' von der Ämterübernahme in der Deutschen Turnerschaft ausgeschlossen" (Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages zum Thema: Die Entwicklung der Deutschen Turnerschaft von 1933 bis 1936. 2005, S. 19.). Außerdem mussten die Turnvereine ihre jüdischen Mitglieder ausschließen. Selbst wenn der Farmsener Turnverein keine jüdischen Mitglieder hatte, galt die Vorgabe, sie auszuschließen bzw. keine aufzunehmen.  

In der Festschrift des Farmsener Turnverein heißt es, dass der Verein während der NS-Zeit beim Turnfest in Breslau teilgenommen hat. Daran zeigt sich u. a. die Verflechtung mit der NS-Ideologie. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages schreibt zum Turnfest in Breslau: "Die in Breslau stattfindende Veranstaltung, deren Träger die DRL und Reichssportführer von Tschammer und Osten waren, stand unter der Losung 'Ein Volk in Leibesübungen'. Mit den bisherigen Traditionen der Turnerfeste der Deutschen Turnerschaft wurde bewusst gebrochen. Die ganze Veranstaltung war von nationalistischen Inhalten und Insignien durchdrungen, bei der auch SA, SS, Reichswehr und Hitlerjugend ihren Programmbeitrag beisteuerten." (S. 19) In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach den anderen Auftritten des Farmsener Turnvereins während der NS-Zeit - so bei den Farmsener Heimatwochen. Wer war hier Veranstalter? Zu welchem Zweck wurden in der NS-Zeit solche Heimatwochen durchgeführt?

Die Festschrift des Farmsener Turnvereins geht auch auf das Frauenturnens ab 1935 ein, welches – wie es in der Festschrift heißt: "wieder einen Aufschwung [erhielt], Zwar geriet das Geräteturnen sehr ins Hintertreffen. Frau M... machte nämlich bühnenreife Gymnastik, die beim Gauturnfest in Coventgarten und bei den Farmsener Heimatwochen vorgeführt wurden." In der NS-Zeit wurde Gymnastik für Frauen favorisiert. Damit sollten Frauen die freie und natürliche Beherrschung des Körpers und graziöse Bewegungen erlernen Auch wurde in der NS-Zeit der Gymnastik ein metaphysischer Rassebegriff eingeschrieben. "Nur der rassisch Einwandfreie kann Gymnastik einwandfrei ausführen." Vor diesem Hintergrund avancierte die Gymnastik in der NS-Zeit zu einer bevorzugten Betätigung.  

In all dieses war E. Püttjer in ihrer Funktion als erste Vorsitzende involviert und hatte es mitzutragen. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages kommt zum Aspekt des "Mitmachens im Sinne der NS- Ideologie" zum folgenden Ergebnis: "In der Deutschen Turnerschaft hat es in der Zeit bis zur ihrer Auflösung 1936 keine Formen des aktiven oder passiven Widerstandes gegen die neuen Machthaber gegeben. Die einst größte Organisation der bürgerlichen Sport- und Turnbewegung in Deutschland äußerte keinen Einspruch oder Widerspruch zur Politik der Nationalsozialisten. Das betraf sowohl den Umgang der Nationalsozialisten mit anderen Verbänden, wie zum Beispiel die Ausschaltung der Sport- und Turnverbände der Arbeiterbewegung, als auch das Verhalten der eigenen Organisation in Bezug auf die Nationalsozialisten. Wie andere Verbände der deutschen Sport- und Turnwesens hat die Deutsche Turnerschaft ihre frühe und aus Eigeninitiative gestartete Angleichung an die nationalsozialistischen Machthaber, wie zum Beispiel die schnelle Einführung des 'Arierparagraphen' und des 'Führerprinzips', mit der eigenen Auflösung 'quittiert' bekommen, auch wenn die Spitze der Deutschen Turnerschaft sich von der politischen Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Jahr 1933 grundlegend andere Perspektiven für die eigene Organisation erhofft hatte. Die Verbände und Vereine der Sport- und Turnbewegung insgesamt haben keinen erkennbaren Widerstand gegen die aktive Annäherung ihrer Verbandsspitze an die Nationalsozialisten geleistet. Zum Teil hat es Fälle gegeben, in denen die von der Verbandsspitze geforderte Austrittsaufforderung an jüdische Mitglieder bedauert wurde. (...) Mit ihrem Verhalten gegenüber den Nationalsozialisten und ihrer eigenen Mitgliedschaft hat die Deutsche Turnerschaft nicht nur Menschen geschadet, sondern sich auch eine schwere Hypothek für den Wiederaufbau des Sports nach 1945 auferlegt. (Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages aus dem Jahre 2005. Thema: Die Entwicklung der Deutschen Turnerschaft von 1933 bis 1936. unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/413386/5ad88ced90fc07192ae73a142bec492f/WD-1-212-05-pdf-data.pdf  

E. Püttjer konnte als Funktionsträgerin nur im Sinne des NS-Regimes wirken. Denn wie im obigen Zitat des Sporthistorikers Mattausch deutlich wird, gab es keine politisch unabhängigen Sportvereine mehr. Das NS-System funktionierte auch in diesem Bereich flächenübergreifend "perfekt". Dass E. Püttjer noch bis 1947, also auch nach der Befreiung vom Nationalsozialismus, als 1. Vorsitzende fungierte, ist angesichts der angewandten Verfahren bei der Entnazifizierung kein Indiz dafür, in Opposition zum NS-Regime gestanden zu haben.    

Emmy Püttjer war auch Mitglied der Deutschen Arbeitsfront. Die Deutsche Arbeitsfront wurde im Mai 1935 gegründet und war ein rechtlich der NSDAP angeschlossener Verband „mit ca. 23 Mio. Mitgliedern (1938) die größte NS-Massenorganisation. Als Einheitsgebilde ‚aller schaffenden Deutschen‘ konzipiert, schuf ihr Reichsleiter Robert Ley ein vielgliedriges, bürokratisch aufgeblähtes Organisationsimperium, mit dem er nahezu alle Felder der nat.soz. Wirtschafts- und Sozialpolitik einzudringen trachtete. Entscheidender Einfluß auf materielle Belange in diesem Bereich blieb der DAF jedoch verwehrt, vielmehr musste sie sich auf die allgemeine Betreuung und weltanschauliche Schulung ihrer Mitglieder beschränken.“ [9].

Das Deutsche Frauenwerk: „Zusätzlich zu der streng nat.soz. ausgerichteten NS-Frauenschaft wurde im Oktober 1933 das Dt. Frauenwerk (DFW) geschaffen, das als Sammelbecken für gleichgeschaltete bürgerliche Frauenbewegungen und einzelne Mitglieder diente. Obwohl das DFW als eingetragener Verein mit eigenem Vermögen über einen anderen Status als die NS-Frauenschaft verfügte, waren beide Organisationen v. a. personell eng miteinander verflochten. An der Spitze des hierarchischen Aufbaus beider stand seit 1934 die Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink. (…).“ [10]
Die NS-Volkswohlfahrt (NSV) war mit „17 Mio. Mitgliedern (1943) nach der Dt. Arbeitsfront die größte (…) NS-Massenorganisation.(…) Ihren Anspruch auf Monopolisierung der gesamten freien und öffentlichen Wohlfahrt konnte die N. zwar nicht realisieren, doch gelang es ihr, die in der freien Wohlfahrtspflege tätigen Verbände zurückzudrängen bzw. gleichzuschalten (…). Angesichts der ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel (Mitgliedsbeiträge, Spenden, staatliche Zuwendungen) war es ihr n möglich, in alle Bereiche der Wohlfahrt zu expandieren (…). Aufgrund ihrer scheinbaren Ideologieferne war die Arbeit der N. populär und die Mitgliedschaft erschien auch für diejenigen, die dem Regime eher zögernd oder kritisch gegenüberstanden, aber aus Opportunitätsgründen in eine Parteiorganisation eintreten wollten, akzeptabel. Tatsächlich war die Arbeit der N. von rasse- und erbbiologischen Selektionskriterien bestimmt (…).“ [11]

Emmy Püttjer konnte nach der Befreiung vom Nationalsozialismus die Mitgliederzahl wieder steigern. Noch bis 1947 fungierte sie als dessen 1. Vorsitzende.

Quelle.
1 Staatsarchiv Hamburg, 221-11 C 13423
2 Schriftverkehr zwischen Bezirksmat Wandsbek und präsidium des Farmsener Turnvereins.
3 Staatsarchiv Hamburg 221-11C 13423
4 Schriftverkehr zwischen Bezirksamt Wandsbek und Präsidium des Farmsener Turnvereins
5 Wolf-Dieter Mattausch: Sport, in: Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 2. Aufl. , München 1998, S.253f. Siehe auch die neuesten Forschungen zu den deutschen Sportvereinen: Lorenz Pfeiffer: Sport im Nationalsozialismus. Zum aktuellen Stand der sporthistorischen Forschung. Eine kommentierte Bibliographie. 3. Ergänzte u. bearbeitete Aufl., Göttingen 2015.
6 Staatsarchiv Hamburg, 221-11 C 13423
7 Kurt Schilde: Nationalsozialischer Reichsbund für Leibesübungen, in: Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 2. Aufl. , München 1998, S.609.
8 Wolf-Dieter Mattausch: Sport, a.a.O.,S. 254f.
9 Marie- Luise Recker: Deutsche Arbeitsfront, in: Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 2. Aufl. , München 1998, S.418f..
10 Anja von Cysewski: NS-Frauenschaft, in: Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 2. Aufl. , München 1998, S.617.
11 Marie- Luise Recker: NS-Volkswohlfahrt, in: Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 2. Aufl. , München 1998, S. 619.
 

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Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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