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Alfred Mahlau

(21.6.1894 Berlin – 22.1.1967 Hamburg)
Maler, Grafiker, Zeichner
Falkensteiner Ufer 12 (1960)
Alfred-Mahlau-Weg , Steilshoop, seit 1972.

Alfred Mahlau war der Sohn von Emilie, geb. Duisberg (1867-1954), in deren Familie es bereits einen Kunstmaler gab und Hugo Mahlau (1856-1935), Faktor einer Buchdruckerei.

Nach seinem Kunststudium arbeitete Mahlau ab 1919 als erfolgreicher Gebrauchsgrafiker in Lübeck.

Zu seiner Verstrickung im NS-System heißt es in verschiedenen Publikationen:  „Politisch und sozial war der junge Alfred Mahlau mächtig auf der Suche nach Orientierung gewesen. Er bewegte sich zeitweise zwischen anthroposophischen Lebensreformern, Kommunisten, Ultrakatholiken und zuletzt (1920) noch im Freideutschen Jugendlager Klappholttal. In dem aufgelassenen ehemaligen Militärlager zwischen Kampen und List auf Sylt unternahm Knud Ahlborn, ein Hamburger Arzt und Lebensreformer, ab 1919 einen späten Wiederbelebungsversuch der bürgerlichen Jugendbewegung im Geiste der USPD. Politischen Halt scheint Mahlau erst im Nationalsozialismus gefunden zu haben. Der Grafiker, der bereits ab 1921 die Plakate für die ‚Nordische Woche‘ gestaltete, wurde nach 1933 künstlerischer Beirat des Veranstalters, der völkischen ‚Nordischen Gesellschaft‘, die seit Juni 1934 dem Außenpolitischen Amt der NSDAP unterstellt war, (…).“ 1)

In Ernst Klees Kulturlexikon zum Dritten Reich heißt es über Mahlau: Er wurde: „der wichtigste Gebrauchsgraphiker und Entwurfzeichner des NS-Staates“. 2)

Und im Wikipedia Eintrag zu dem Künstler steht: „Er war einer der Künstler, die vom Regime in die seit 1933 zu einer NS-konformen Institution umgestaltete Preußische Akademie der Künste berufen wurden.[ 1937, als in München in den Hofgartenarkaden die Propagandaausstellung ‚ Entartete Kunst‘“ gezeigt wurde, zeigte die Neue Sammlung München als das staatliche Museum für angewandte Kunst eine große Werkübersicht zu Mahlau mit dessen Großaufträgen für das Reichsluftfahrtministerium.“ 3)

Ein differenziertes Bild über Mahlaus Wirken in der NS-Zeit gibt Kirsten Beuster in ihrer 2017 verfassten Dissertation „Alfred Mahlau (1894-1967) Maler, Grafiker und Dozent“:

Mahlau: „entschied sich nicht - wie viele Künstlerkollegen - für eine Flucht in die Privatsphäre oder eine ‚innere oder äußere Emigration‘, sondern war bestrebt, seine öffentliche Karriere im NS-Staat fortzusetzen. Diese opportunistische Anpassung gelang ihm nicht ohne Widersprüche, er schwankte beständig zwischen einer Art der ‚künstlerischen Mimikry‘ und seinen überaus erfolgreichen Aufträgen für den NS-Staat. Seine ‚Mimikry‘ bestand darin, regimekonform zu arbeiten und dem NS-Regime keinerlei Angriffspunkte zu bieten. Er vermied in der Öffentlichkeit weltschaulich-politische Darstellungen oder regimekritische Äußerungen. Alfred Mahlau flüchtete sich in seine Arbeit um keine Angriffspunkte zu bieten und seinem hohen Qualitätsstandard treu zu bleiben. Auf diese Weise diente er der ‚häßlichen Diktatur‘ und gab ihr die ‚kulturelle Schminke‘ eines schönen, ästhetischen Scheins. Die Frage, ob der Künstler aus Verantwortungsgefühl und Angst um seine Familie, aus politischer Realitätsferne, einer gewissen Naivität oder künstlerischem Ehrgeiz dem NS-Regime diente, bleibt unbeantwortet. Vermutlich war es ein Zusammenspiel aller genannten Faktoren. Sein Verhalten lässt darauf schließen, dass er die Normen des NS-Staates stillschweigend annahm, nicht nur weil er Angst hatte und eine weitestgehende Normalität anstrebte, sondern sich auch beruflichen Vorteile versprach. Unbestritten ist, dass Alfred Mahlaus vordringliche Existenzsorgen seiner Familie galten und seine ‚halbjüdische‘ Frau sowie seine behinderte Tochter den wachsenden Bedrohungen durch die Räson des NS-Staates ausgesetzt waren. Im Laufe des Krieges zeigte der Künstler Kritik am NS-Staat, sie äußerte sich in seinen Arbeiten in versteckten, subtilen Chiffren und Symbolen, die jedoch stets interpretationsoffen bleiben. Dieses ambivalente, spannungsreiche Verhalten Alfred Mahlaus blieb für seine Gesundheit nicht ohne Folgen und führte wiederholt zu schweren Nervenzusammenbrüchen.“ 4)

Und weiter heißt es bei Kirsten Beuster über Mahlaus Kunst in der NS-Zeit: „Alfred Mahlau konnte sich in diesen Jahren vor Aufträgen kaum retten. Zahlreiche öffentliche und private Sammlungen kauften seine Gemälde, Grafiken, Zeichnungen und Aquarelle an, dies sollte während der NS-Herrschaft zunehmen. Seine romantisch-idealisierenden Aquarelle und Zeichnungen galten als ‚unpolitische Bilder‘ und Ausdruck einer nordisch geprägten ‚neoromantischen Strömung‘. In seinen Arbeiten präsentierte der Künstler die Welt aus seinem Blickwinkel ‚(...) durch Meiden alles dessen, was der eigenen Natur unerreichbar, durch beglücktes Anverwandeln des Stillen, Heiter-Schönen, das sie zu bereichern vermochte‘. Diese ‚neoromantische Scheinwelt‘ - fern aller Probleme und Konflikte - entsprach dem zeitgenössischen Kunstbegriff und bot den Häschern der sogenannten ‚Modernen Kunst‘ keinerlei Angriffspunkte. Seine Gebrauchsgrafik führte sein ‚zeichnerisches Können und farbiger Wohlklang zu vollendeter Form‘, lobte der ‚Völkische Beobachter‘ im Jahre 1939.“ 5)

Über Mahlaus künstlerisches Wirken für die Nordische Gesellschaft in der NS-Zeit schreibt Kirsten Beuster: „Der Künstler profitierte von den einflussreichen Geschäftskontakten der ‚Nordischen Gesellschaft‘, die seit 1921 ein weitreichendes Netzwerk kultureller und wirtschaftlicher Beziehungen aufgebaut hatte. Aufgrund des wachsenden Erfolges (…) entwickelte die ‚Nordische Gesellschaft‘ eine zunehmend offensivere Selbstdarstellung, die Alfred Mahlau mit seinen populären Entwürfen bis Ende 1944 entscheidend beeinflusste. (…) Alfred Rosenberg bezeichnete die ‚Nordische Gesellschaft‘ in Lübeck als eine ‚große, gemeinsame Schicksalsgemeinschaft des Nord- und Ostseeraumes.‘ Mit ihrer Hilfe sollte ein ‚arteigene[s] Denken, das heldisch und nordisch betont sein muss‘, gefördert werden. Eine ‚aktive‘ Propaganda lehnte die ‚Nordische Gesellschaft‘ jedoch ab und schränkte im Jahre 1935/36 ihre Aufgaben ein: ‚(...) den nordischen Gedanken zu fördern und zu vertiefen und die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und den nordischen Ländern auf allen Gebieten des volklichen Lebens zu pflegen. Sie will (....) das deutsche Volk über die große Bedeutung aufklären, die von jeher der Norden für die Gestaltung seines Schicksals gehabt hat und auch in Zukunft haben wird (...) Die Nordische Gesellschaft lehnt im Rahmen ihrer Tätigkeit jede aktive deutsche Propaganda in den nordischen Ländern ab.‘ Der ‚Nordische Gedanke‘, beruhend auf kulturellen Gemeinsamkeiten und gemeinsamen ökonomischen Interessen, sollte das Deutsche Reich mit allen skandinavischen Länder des Ostseeraumes - auch untereinander - verbinden. Vermutlich teilte Alfred Mahlau diesen ‚Nordischen Gedanken‘. Diese kulturellen Gemeinsamkeiten und Interessen wurden im Sinne eines völkischen ‚Ahnenerbes‘ von NS-Staat instrumentalisiert. Der Übergang zwischen einem romantisch-idealistischen ‚Norden-Mythos‘ und einem nach Überlegenheit strebenden völkisch-rassischen Nationalismus, der bereits 1921 von Hans F.K. Günther in seiner populären ‚Rassenkunde des deutschen Volkes‘ propagiert worden war, blieb fließend.“ 6)

Wie sehr die Verantwortlichen des NS-Staates Alfred Mahlau, der nicht in die NSDAP eintrat, schätzten, macht Kirsten Beuster folgendermaßen deutlich: „Alfred Mahlaus öffentliche Anerkennung durch den NS-Staat wurde im Jahre 1937 deutlich: Der preußische Ministerpräsident Hermann Göring entließ mittels einer Satzungsänderung alle ursprünglichen Mitglieder der Preußischen Akademie der Künste mit dem Ziel, die Bildende Kunst in die NS-Kulturpolitik zu integrieren. Unter den neuen Mitgliedern - die sich den nationalsozialistischen Grundsätzen verpflichtet sahen - befanden sich unter anderem die Berliner Architekten Albert Speer (1905-1981) und Ernst Sagebiel, der Stadtplaner Fritz Schumacher (1869-1947), der Bildhauer Gerhard Marcks (1889-1981) und der Grafiker Alfred Mahlau.“ 7)

1944 wurde Alfred Mahlau von Hitler in die Gottbegnadeten-Liste der wichtigsten Gebrauchsgraphiker und Entwurfszeichner aufgenommen. Das bedeutete auch, er brauchte nicht in den Krieg zu ziehen. Doch im Januar 1945 wurde er: „doch noch zum Volkssturm eingezogen. Er wurde östlich von Berlin eingesetzt, kam hier am 22. April 1945 in sowjetische Gefangenschaft und wurde in das Kriegsgefangenenlager 173/4 in Posen gebracht. An der Ruhr erkrankt, wurde er schon Ende Juli 1945 entlassen.“ 8)

Gleich nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft und seiner Rückkehr nach Hamburg wurde er 1946 Dozent einer Grafiklasse an der Hochschule für bildende Künste Hamburg am Lerchenfeld . Seine Entnazifizierung überstand er problemlos. In seinen Entnazifizierungsfragebogen trug Mahlau 1946 ein: „Durch die Tatsache, dass meine Frau halbarisch ist, hatte ich dauernde Schwierigkeiten in der persönlichen Freiheit wie in der Ausübung meines Berufes.“ 9)

Alfred Mahlau arbeitete seine Verstrickung mit dem NS-Regime nicht auf, sprach nicht darüber. Kirsten Beuster schreibt: „Sein geringes Interesse an aktueller Politik wurde Alfred Mahlau in späteren Jahren als Opportunismus vorgeworfen. Sein Freund und Mitarbeiter Günther Gatermann bezeichnet ihn als ‚gänzlich unpolitisch‘ und berichtete von heftigen Auseinandersetzung u.a. mit Horst Janssen, der ihm vorwarf von der NS-Zeit profitiert zu haben. Laut Günther Gatermann brach Alfred Mahlau dann in Tränen aus.“ 10).

Neben seiner Arbeit an der Kunsthochschule bekam Alfred Mahlau viele Aufträge von verschiedenster Seiten. So gestaltete er z. B. 1948 das heute noch verwendete Verlagssignet von Hoffmann & Campe und 1955/56 die Totentanz-Fenster für die Lübecker Marienkirche. 1962: wurde er mit dem Edwin-Scharff-Preis ausgezeichnet. 11)

Quelle:
1) Karin Hartewig: Kunst für alle! Hitlers ästhetische Diktatur. O. O. book on demand 2018, S. 128.
2) Ernst Klee: Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt a. M. 2007.
3) Wikipedia: Alfred Mahlau https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Mahlau (Stand: 1.1. 2021)
4) Kirsten Beuster: Alfred Mahlau (1894-1967) Maler, Grafiker und Dozent. Diss. Hamburg 2017, unter: https://ediss.sub.uni-hamburg.de/bitstream/ediss/7686/1/Beuster_Kirsten_Alfred_Mahlau_Band_1_Final.pdf
5) Kirsten Beuster, a. a. O., S. 216.
6) Kirsten Beuster, a. a. O., S. 208ff.
7) Kirsten Beuster, a. a. O., S. 258.
8) Wikipedia, Eintrag: Alfred Mahlau, unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Mahlau abgerufen 1.1.2021
9) Staatsarchiv Hamburg 221-11_Ed 12418
10) Kirsten Beuster, a. a. O., Fußnote 830, Seite 118.
11) Wikipedia: Alfred Mahlau, a. a. O.
 

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Von Hamburger NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Zuschauer/innen ... Eine Hamburg Topografie.

NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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