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Kurt Holm

(10.7.1900 Kellinghusen - 18.11.1984)
Schulrat für das Volksschulwesen, Leiter der Lehrerfortbildung
Wohnadresse: Husumerstraße 7 (1938)

„Er war nicht primitiv und stur, sondern kritisch, wendig, ein guter Diplomat“:  Der „Lächler“ und „schlaue Einflüsterer“.

Kurt Holm gehörte zur jungen Generation in der nationalsozialistischen Bewegung. In der Gruppe um Willi Schulz, der Landesschulrat wurde und Gauamtsleiter, also Führer des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB), war Kurt Holm neben dem Stellvertreter von Schulz, Albert Mansfeld, der dritte Mann im NSLB, Geschäftsführer mit Sitz im Curiohaus und im Laufe der kurzen Zeit des „tausendjährigen Reiches“ verantwortlich für die sozialen Kassen und das Curiohaus. In der Geschichtsschreibung der von den Nazis gleichgeschalteten „Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens“, kurz Genitivverein, später GEW, hatte Kurt Holm somit eine besondere Bedeutung, weil er von vielen persönlich dafür verantwortlich gemacht wurde, dass die „Gesellschaft der Freunde“ liquidiert wurde und Vermögen und Werte, die sozialen Kassen und das Curiohaus in die Hände der Nationalsozialisten, des NSLB übergingen.

Ähnlich wie Willi Schulz und Albert Mansfeld war auch Kurt Holm den Anfeindungen der Gruppe der „alten Kämpfer“ im NSLB im besonderen Maße ausgesetzt. (1) Besonders ihm wurde der Vorwurf gemacht, dass er nicht rigoros die alten Angestellten der „Gesellschaft der Freunde“ entließ und bis 1935 noch das Curiohaus für jüdische Ärzte und jüdische Feiern offen hielt.

Im Parteigerichtsverfahren gegen Willi Schulz 1935 beschrieb der abgesetzte Gaukassenwart des NSLB, Heinrich Hehn, die neue Richtung um Schulz folgendermaßen:

„Pg Schulz hat nicht dem NSLB gedient, sondern dem alten ehemals rot verseuchten Genitivverein. Pg Schulz hat dessen wirtschaftliches und geistiges Erbe verwaltet, wie er in der Wahl seiner Mitarbeiter, in der Haltung der Hamburger Lehrerzeitung und in der Verwaltung des Curiohauses bekundet hat.“ Weiter wies Hehn auf die „Judenanzeigen unter dem Hakenkreuz in der NS-Lehrerzeitung“ hin, bezeichnete das Curiohaus als „Hilfssynagoge der Hamburger Judenschaft“ und beklagte, dass „der damaligen Gauleitung des NSLB 1933 Arbeitsräume im Curiohaus verweigert worden wären“. (2)

Diese Auseinandersetzungen, die die Gruppe um Willi Schulz in den Anfangsjahren vor Parteigerichte zerrte, sollten im späteren Entnazifizierungsverfahren von Kurt Holm noch eine besondere Rolle spielen.

Kurt Holm trat als überzeugter Nationalsozialist auf und machte ab 1933 als Parteigenosse im Hamburger Schulwesen Karriere. Die Funktionen im NSLB waren nebenberufliche Tätigkeiten mit einem hohen Zeitaufwand. Am 1.9.1934 wurde Kurt Holm zum Schulrat für das Volksschulwesen ernannt, am 19.10.1936 zum Leiter der Lehrerfortbildung und, nachdem die Nationalsozialisten den Krieg begonnen hatten, wurde Holm im Dezember 1939 an die Hochschule für Lehrerbildung berufen.

Am 26.1.1940 erhielt Schulrat Kurt Holm „die mit dem Namenszug des Führers“ ausgefertigte Ehrenurkunde“ als Professor für Allgemeine Raumlehre und Methodik des Rechen- und Raumlehreunterrichts. (3)

Zur differenzierten Betrachtung der Persönlichkeit Kurt Holms gehört sicherlich, dass er ein angenehmes Auftreten hatte. In der ehemaligen Geschäftstelle der „Gesellschaft der Freunde“ wurde er von den Beschäftigten als „der Lächler“ bezeichnet. Die langjährige Sekretärin der „Gesellschaft der Freunde“, Annemarie Biedermann, stellte rückblickend fest, dass Holm „sich mit Freundlichkeit überall durchgesetzt und immer mehr Unterlagen in die Hand bekommen hatte.“ (4) Holm war Geschäftsführer im Curiohaus geworden und die Beschäftigten aus Zeiten der „Gesellschaft der Freunde“ stellten über ihn fest: „Persönlich hat er uns, das muss ehrlich gesagt werden, nie das geringste getan. Der Landesschulrat (Schulz) und er stachen angenehm ab von den übrigen NSLB-Leuten: die beiden benahmen sich eben so, wie wir es von unseren bisherigen Vorgesetzten als selbstverständlich gewohnt waren - das war damals sicher ein großes Plus.“ (5)

Bei anderen löste diese Art Holms, angenehm und intelligent im Auftreten, dabei zielgerichtet und karrierebewusst mit guten Kontakten zu den Mächtigen auch Skepsis hervor. So bezeichnete ihn der parteilose Schulrat Gustav Schmidt als „schlauen Einflüsterer“. Er sah ihn als einflussreichen Strategen in der zweiten Reihe der Nationalsozialisten im Hamburger Schulwesen. (6)

Kurt Holm wurde am 10.7.1900 als Sohn eines Kaufmanns in Kellinghusen, Kreis Steinburg, geboren. (7)

Holm besuchte die Realschule in Kellinghusen und Itzehoe. Nachdem er ein Jahr in der Präparandenanstalt in Barmstedt absolviert hatte, wurde er an dem Lehrerseminar in Uetersen ausgebildet und machte dort nach halbjähriger Kriegsdienstunterbrechung  als Landsturmpflichtiger mit zwanzig Jahren die erste Lehrerprüfung.

Nach einer Vertretungstätigkeit am Realgymnasium in Blankenese wurde Kurt Holm Lehrer an der Seminarschule Angerstraße 33. Schulleiter Heinrich Witthöft beschrieb ihn als „fleißig, kenntnisreich, mit guten pädagogischen Fähigkeiten“.

Holm arbeitete dann als außerplanmäßiger Lehrer an der Kirchenschule in Kirchwerder, später an der Volksschule Rellinger Straße . Am 1.4.1927 bekam er eine feste Anstellung in Hamburg.

Nach dem Hamburgischen Lehrerverzeichnis 1924/25 war Kurt Holm Mitglied der „Gesellschaft der Freunde“, dort offenbar auch aktiv. Später schrieb er: „Am Vereinsleben der Gesellschaft der Freunde habe ich gern und regelmäßig teilgenommen.“ (8)

1927 wurde er dann auch in den Vorstand der Krankenkasse der „Gesellschaft der Freunde“ gewählt. Er habe Vorschläge zur „wirtschaftlichen Gesundung“ gemacht, sei „später auch wiedergewählt“ worden und konnte „so an der Organisationsarbeit der Hamburger Lehrerschaft teilnehmen“ (9), so Holm, mit dieser Akzentuierung in einem Schreiben vom 29.9.1945, mit dem er seine vorher erfolgte Beurlaubung aufheben zu lassen versuchte.

Über die Mitarbeit bei den sozialen Kassen der „Gesellschaft der Freunde“ hinaus ergaben sich in dieser Zeit laut Personalakte keine sonderlichen Aktivitäten.

Dieses änderte sich 1933. Kurt Holm trat Ende April1933 der NSDAP bei. Später, zu Beginn seines Entnazifizierungsverfahrens begründete er das damit, „um der Gleichschaltung zu genügen und die Arbeit in der Krankenkasse fortführen zu können, aber auch weil ich glaubte, dass die Einheit sozialen und nationalen Handelns für Deutschland eine bessere Zukunft heraufführen könnte.“ (10)

Schwer zu sagen, was den von manchem als „zu klug und undurchsichtig“ (11) Bezeichneten bewog, als Nationalsozialist Karriere zu machen. Überzeugung oder das Gespür, im Bunde mit den gestandenen NSDAP-Mitgliedern Willi Schulz und Albert Mansfeld eine führende Rolle im Schulwesen der neuen Bewegung einzunehmen - Kurt Holm machte Karriere. Schon mit 34 Jahren wurde er Schulrat und Geschäftführer im Curiohaus, Herr der sozialen Kassen der alten „Gesellschaft der Freunde“. Im Umgang zeigte er sich, wie beschrieben, freundlich aber beharrlich, agierte mit Geschick. Im Wort, in Artikeln in der Hamburger Lehrerzeitung (HLZ) gab er den überzeugten Nationalsozialisten.

So schrieb er in seinem ersten Artikel in der HLZ unter der Überschrift: „Auf dem Weg zum Ziel“: „Der gewaltige Umbruch der deutschen Nation hat mit Notwendigkeit alle Gebiete  geistigen und kulturellen Lebens erfasst und sie in den großen Wandlungsprozeß einbezogen. Organisations- und Lebensformen, die der Ausdruck einer vergangenen Zeit und eines alten Geistes sind, werden durch Formen ersetzt, die dem Ideengut des Nationalsozialismus ihr Gepräge verdanken. Alles Geschehen aber ist ausgerichtet auf die große, vom Schicksal der deutschen Nation gestellte Aufgabe, ein Volk zu werden. Die geschichtliche Sendung unseres Führers Adolf Hitler ist es, dies Werk, das er so klar erkannte und so genial begann, mit der heutigen Generation erfolgreich zu vollenden. Die nationalsozialistische Bewegung stellt die Aktivierung und den disziplinierten Einsatz aller Volksgenossen dar, die für dieses Werk kämpfen. Der Nationalsozialistische Lehrerbund will diese Arbeit auf dem Gebiete der Erziehung und allen damit zusammenhängenden Kulturgebieten leisten. Aufgebaut auf der Weltanschauung des Nationalsozialismus und insbesondere dem Prinzip des verantwortlichen Führers, steht der NSLB den alten demokratisch-liberalistischen Lehrerorganisationen wesensfremd gegenüber. Unmöglich ist es, beide miteinander zu verbinden.“ (12)

Er machte deutlich, wie er sich als zukünftiger Funktionär die neue Organisation der Lehrerschaft vorstellte:

„Erste und vordringliche Aufgabe dieser Organisation ist die weltanschauliche Schulung der Lehrerschaft und ihre innere Gewinnung für die nationalsozialistische Bewegung und den nationalsozialistischen Staat; denn nur durch eine nationalsozialistische Lehrerschaft können wir die nationalsozialistische Schule schaffen.“ (13)

Schon zu diesem Zeitpunkt forderte Kurt Holm, was ihm bei den alten Mitgliedern der „Gesellschaft der Freunde“ den Ruf des Liquidators ihrer Gesellschaft einbrachte, der er später tatsächlich werden sollte:

„Nur der NSLB als Einheitsorganisation aller deutschen Lehrer kann die großen Erziehungsaufgaben der Gegenwart lösen. Er ist die nationalsozialistische Bewegung auf dem Gebiete der Erziehung und wird, wie die NSDAP, die alten Verbände auflösen. Das moralische Recht dazu gibt ihm die Größe seiner Ziele und Aufgaben, die juristische Möglichkeit der Umstand, dass die Mitglieder der alten Verbände fast restlos Einzelmitglieder im NSLB geworden sind.“ (14)

 

Offenbar hatte Kurt Holm auch am Parteitag 1933 in Nürnberg teilgenommen. So berichtete er davon:

„Im Anschluß an die Bayreuther Tagung fuhren die Leiter des NSLB im Autobus durch das fränkische Land zum Reichsparteitage nach Nürnberg. Hier hielt Minister Schemm am Donnerstag im Kulturvereinshause eine von seiner hinreißenden Persönlichkeit getragene Rede programmatischen Inhalts, in der er u.a. ausführte: ‚Wir stehen mitten im größten Erleben der ganzen deutschen Geschichte. Der Parteitag dieses Jahres ist das Ergebnis einer vierzehnjährigen Erziehungsarbeit, ist die Ernte von eineinhalb Jahrzehnten. Jeder Erzieher ist ein Säemann. Der größte Säemann der letzten 14 Jahre ist Hitler. Sein Name ist die nationalsozialistische Idee. Sein Acker ist Deutschland. Erziehen heißt ja nichts anderes als säen und wachsen lassen. Hitler unterschied sich von allen Säemännern seiner Zeit. Die anderen Männer hatten vielerlei Samen, und der Teufel mischte auch Unkraut hinein. Aber Hitler hatte nur einen Samen. Die anderen Männer säten ins Gehirn, nicht ins Herz. Sie säten in die Wirtschaft. Das sind aber keine stoff- und kraftreichen Felder. Hitler säte guten Samen, und er säte ihn auf den besten Boden, auf den Boden lebenswahrer Religiosität. Wie der Same der Pflanze nicht erst nach oben, sondern erst einmal nach unten wächst und dort seine Wurzeln in die Kraft- und Nährquellen entsendet, so wendet sich jede lebensvolle organische Erziehung zunächst nach innen in die Tiefe des Herzens und des Gemütes, des Charakters und der Seele. Hat aber die Erziehung den Menschen im Innersten erfasst, so treten auch die wundervollen Erscheinungen der Hingabe, Einsatzbereitschaft und des Opferwillens zutage, ohne die unsere Bewegung in der Hitze der Verfolgung zugrunde gegangen wäre. Jetzt stehen wir mitten in der gewonnenen Revolution der deutschen Erziehung. Unserer organischen Erziehung liegt unsere Weltanschauung als Wurzel zugrunde. Eine Weltanschauung, die auf jede Frage eine Antwort gibt, manchmal allerdings eine für einen Liberalisten schmerzliche Antwort. Unsere Aufgabe als deutsche Lehrer ist es, uns immer tiefer von dieser Weltanschauung erfassen zu lassen, damit wir die Fragen unserer Kinder so beantworten können, dass der Urgrund ihrer Seele unserer Antwort zustimmt und sie als heilige Verpflichtung empfindet.“ (15)

Wie auch in späteren Artikeln arbeitete Holm intensiv mit Zitaten von Führern der nationalsozialistischen Bewegung, anders als Mansfeld trat er nicht mit eigenständigen ideologischen Aussagen auf. Daraus kann man aus heutiger Sicht vielleicht auf angepasstes, opportunistisches und karrierebewusstes Verhalten schließen ohne wirkliche innere Überzeugung und Verblendung, die bei anderen Protagonisten des NSLB deutlich wurden. Wie dem auch sei. Holm agierte als Transporteur dieses Gedankengutes. Und er schloss seinen Bericht mit den Worten: „Begeistert stimmte die Versammlung in das von Schemm auf den Führer Adolf Hitler ausgebrachte ‚Sieg-Heil!’ ein. Das spontane Treuegelöbnis aber, das die Obleute des NSLB ihrem verehrten Führer Hans Schemm darbrachten, wird in allen Herzen nachklingen und immer wieder Ansporn sein, nach besten Kräften in stets erneuerten Anspannung dem Führer und seinem Werke zu dienen.“

Nach diesem Muster erwies sich Kurt Holm auch in späteren HLZ- Beiträgen als Propagandist der nationalsozialistischen Weltanschauung, indem er ausgiebig die Größen von Staat und Partei zitierte, vorzugsweise die NSLB-Führer Hans Schemm und, nach dessen tödlichem Unfall, dessen Nachfolger Fritz Wächtler.

So gab Holm wieder, was ihm für die Hamburger NSLB-Mitglieder bei der Führertagung des NSLB in Bayreuth wichtig war:

„Die Revolution musste geschehen aus der Notwendigkeit, die Zukunft des deutschen Volkes auf Jahrhunderte hinaus zu sichern. Immer wieder müssen wir uns dies Ziel vor Augen halten, damit das Ideengut der Bewegung nie verloren gehen kann. Erst wenn der Nationalsozialismus als Weltanschauung und Haltung Gemeingut des ganzen Volkes geworden ist, hat die Bewegung das Ziel der Revolution gesichert. Hier hat die Erzieherschaft dem Führer gegenüber eine besondere Pflicht, durch Haltung und Tat mitzuhelfen, den Nationalsozialismus zu verankern. Wie alle Gliederungen der Bewegung an der großen Aufgabe mitarbeiten, das Ideengut des Nationalsozialismus voranzutragen, so muß auch der NS-Lehrerbund sich stets der Verantwortung und Ehre bewusst sein, zur Gefolgschaft Adolf Hitlers zu gehören.“ (17)

Schnell wurde Kurt Holm ein mächtiger Mann im Hamburger NSLB. Schulz und Mansfeld waren stärker eingebunden durch ihre Ämter in der Landesunterrichtsbehörde, als Landesschulrat und Oberschulrat für das Volksschulwesen. Hinter dem Gauamtsleiter Schulz und seinem Stellvertreter Mansfeld regelte Holm, zugleich Schulrat im Hauptamt, das operative Geschäft des NSLB. Er hielt Verbindung zur NSLB- Zentrale in Bayreuth. Holms Ziel, alle Hamburger Pädagogen im NSLB zu organisieren, war schon im Sommer 1933 erreicht. In der HLZ verkündet Holm unter der Überschrift: „Der NSLB, die Einheitsorganisation aller Erzieher“ mit 7000 Mitgliedern „die Mitgliedschaft der alten Verbände wohl nahezu hundertprozentig erfasst.“ (18)

Holm kletterte weiter auf der Karriereleiter. 1936 wurde er neben seiner Schulratsfunktion und parallel zur Geschäftsführertätigkeit im Curiohaus Dozent an der Hochschule für Lehrerbildung und später, 1940, zum Professor an der Hansischen Hochschule ernannt.

Auf die Rolle Kurt Holms bei der Liquidierung der „Gesellschaft der Freunde“ ist schon hingewiesen worden. Bernhard Nette hat dies auch damit verbunden, den Ankauf des Gebäudes Rothenbaumchaussee 19 darzustellen. (19)

Die „Gesellschaft der Freunde“ hieß ab dem 1.2.1934 „ Abteilung Wirtschaft und Recht des NSLB“. NSLB-Führer Hans Schemm hatte auf Vorschlag von Willi Schulz zum geschäftsführenden Leiter Kurt Holm ernannt. Damit hörten die Veranstaltungen der „Gesellschaft der Freunde“ im Curiohaus auf. (20)

Am 25.6.1937 wurde der Schlussstrich unter die Auflösung der „Gesellschaft der Freunde“ gezogen. Mit Wirkung vom 30.6.1937 wurde sie aufgelöst. Das Gesamtvermögen, inklusive aller sozialen Kassen, des Verlages und des Curiohauses, wurde dem NSLB überschrieben. Als Liquidator wurde Kurt Holm bestellt.

Verbrieft ist in den vorliegenden Dokumenten, dass Kurt Holm gemeinsam mit Richard Schlorf, der für die Kasse des NSLB zuständig war, durchaus für Hamburger Interessen gegen die Bayreuther Zentrale des NSLB eintrat und die Mitgliedergelder des Hamburger NSLB in das Curiohaus investierte. So unglaublich es klingt: Kurt Holm und dem neueingesetzten Geschäftsführer des Curiohauses, Wilhelm Bernhardt,  ist es zu verdanken, dass das Curiohaus durch die Mitgliedsbeiträge der quasi Zwangsmitgliedschaft aller Hamburger PädagogInnen im NSLB 1943 schuldenfrei war.

Getrübt war Holms Karriere durch die Auseinandersetzungen mit der „alten Garde“ des NSLB. Diese bezeichneten ihren erbitterten Kampf gegen Willi Schulz, Albert Mansfeld und Kurt Holm als Auseinandersetzung zwischen den „alten Kämpfern“ versus den „Emporkömmlingen“ oder den „gescheiten Spätlingen“. (21)

An anderer Stelle wird dies noch genauer beleuchtet werden. Die „alte Garde“ überzog Schulz und seine Gruppe mit Vorwürfen und Parteigerichtsverfahren. Am Ende obsiegte die Gruppe Schulz. Gegen Kurt Holm gab es ein gesondertes Parteigaugerichtsverfahren. Holm hatte in der Auseinandersetzung mit den „alten Kämpfern“ ein Schriftstück unterschlagen, was ihm nachgewiesen werden konnte. Er wurde dafür mit einer parteiamtlichen Verwarnung bestraft, zugleich der Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung eines Parteiamtes für die Dauer eines Jahres. Dies tat seiner Karriere keinen Abbruch getan. Die Gruppe um Willi Schulz, zu der Holm gehörte, stand in engem Kontakt zum Hamburger NSDAP-Gauleiter Kurt Kaufmann.

Nach 1945 diente das Parteiverfahren Holm als Argument, in der NSDAP umstritten, wenn nicht gar missliebig gewesen zu sein. Das war jedoch nicht der Fall. Holm war schlau und machtbewusst, und karrieremäßig in den Auseinandersetzungen des NSLB der Anfangszeit auf der richtigen Seite.

Als Willi Schulz 1942 aus Krankheitsgründen nicht mehr das Hamburger Schulwesen und den NSLB leiten konnte und Albert Mansfeld im Kriegsdienst war, wurde der machtbewusste Erwin Zindler zum Verantwortlichen des  NSLB. Es kam zu einem Machtkampf zwischen Zindler und Holm. Kurt Holm wehrte sich erfolgreich. Mein gleichfalls in diesen Fragen forschender und leider verstorbener Kollege Uwe Schmidt, mit dem ich mich darüber freundschaftlich verständigte, vermutete, dass Holm sich mit dem kommenden starken Mann in der Hamburger Schulverwaltung verbündet hatte, dem skrupellosen Albert Henze. (22)

Gustav Schmidt, der ausgebootete parteilose Schulrat, hatte nach dem Weggang von Willi Schulz in seinem Kriegstagebuch gefragt: „Welche Rolle wird der „schlaue Einflüsterer“ an der Seite des skrupellosen Albert Henze, der Prof. Holm spielen?“ (23)

Am 8.6.1945 wurde Kurt Holm, der bis auf 5 Wochen bei der Kriegsmarine im Februar 1945 während des Krieges u.k. gestellt war, auf Anweisung der britischen Militärregierung beurlaubt und am 10.11.1945 aus dem Schuldienst und dem Beamtenverhältnis entlassen.

Der Pakt mit den Mächtigen, seit 1933 erfolgreich, funktionierte nicht mehr.

Ex-Schulrat Gustav Schmidt teilte dem Wohnungsamt Eppendorf auf Anfrage mit, dass Prof. Holm als aktiver Nationalsozialist anzusehen sei.

Kurt Holm protestierte gegen seine Beurlaubung und die Entlassung und führt einen langen Kampf um seine Wiedereinstellung. Er hatte es nicht leicht. Zu sehr war er als Liquidator personifiziert für die „Gesellschaft der Freunde“ und deren ehemals führende Mitglieder spielten in den Entnazifizierungsverfahren eine wesentliche Rolle. Von daher musste Kurt Holm sehr viel länger auf die Wiedereinstellung warten als vergleichsweise ungleich höher belastete Personen. Wie sah die Strategie Kurt Holms aus? (24)

In den Vordergrund stellte er sein Eintreten für die Sache, für die Kollegen. Schon in seiner Seminarzeit in Uetersen sei er „Leiter der Selbstverwaltung des Internats gewesen sowie 1. Vorsitzender der schleswig- holst. Seminaristenverbandes und des Vereins für Psychologie und Pädagogik in Uetersen“.

In seiner Geschäftsführertätigkeit für den NSLB stellte er heraus, „die alten Mitarbeiter und Angestellten der Gesellschaft der Freunde ausnahmslos übernommen“ zu haben, „obwohl sie damals der NSDAP nicht angehörten. Aus diesem Grunde war ich vielen Anfeindungen der sog ‚alten Garde’ ausgesetzt, die sich zu regelrechten Terrorakten wie Drohbriefen und nächtlichen Anrufen steigerten“. Erwartungsgemäß rückte er das Parteigerichtsverfahren in den Mittelpunkt seiner Argumentation: „Mir wurden Verstöße gegen die Parteidisziplin und demokratisches Verhalten zum Vorwurf gemacht, besonders als ich es ablehnte, die alten Angestellten der Gesellschaft zu entlassen, die der SPD angehört hatten. Das Kreisgericht Hoheluft verurteilte mich zum Ausschluß aus der NSDAP; das Gaugericht wandelte dies Urteil nach mehrfachen Berufungsverhandlungen in eine Verwarnung mit 1-jährigem Amtsverbot um, die schwerste Strafe vor dem Ausschluß.“ (25)

Da das Schreiben an Oberschulrat Fritz Köhne adressiert war, konnte es keinen durchschlagenden Erfolg haben, da Köhne als Schulratskollege von Holm miterlebt hatte, dass das Parteigerichtsverfahren Holms sicherlich beschwerlich gewesen war, seiner Karriere im Hamburger Bildungswesen aber keineswegs geschadet hatte.

Kurt Holm erwähnte auch seinen Einsatz für den Lehrer Dr. Paul Baden.

Tatsächlich hatte Holm sich für Paul Baden eingesetzt. Baden war Lehrer an der Schule Binderstraße 34 gewesen, Holm der für die Schule zuständige Schulrat. Beide kannten sich aus dem NSLB, in dem Baden mitarbeitete und auch durch Veröffentlichungen in der HLZ unterm Hakenkreuz nach 1933 in Erscheinung trat und, wie Holm, stundenweise in der Lehrerfortbildung tätig war.

Probleme ergaben sich für Paul Baden, als er wie alle Staatsbeamte 1937 aufgefordert wurde, seine Abstammung zu dokumentieren, den sog. Ariernachweis einzureichen. Am 7.3.1938 reichte Baden die Abstammungsurkunden ein. Dabei ergab sich, dass Badens Mutter, Rieke Baden, die Tochter des jüdischen Kaufmannes Hesekiel Seligmann und seiner Frau Sara war. (26)

Kurt Holm hat sich offenbar für Paul Baden verwendet. Die Personalakte weist aus, dass auch Albert Mansfeld mit Badens Weiterbeschäftigung als Lehrer bis 1943 einverstanden war. Später waren sogar der berüchtigte Oberschulrat Albert Henze und Kultursenator Ofterdinger mit dem Fall Baden beschäftigt. Baden war als Ehemann einer „Halbjüdin“ objektiv bedroht, fand in Holm einen Fürsprecher und letztlich den Schutz des nationalsozialistischen Regimes. Eine widersprüchliche Lebensgeschichte.

Baden schilderte sein Schicksal und die Abläufe seit 1943 folgendermaßen:

„Mit Wirkung vom 1. Februar 1943 nicht mehr als Lehrer und Erzieher beschäftigt, da „nicht rein deutschen Blutes". Der Termin wurde auf den 15. Juli 1943 verschoben, um die geführte Klasse (Ausleseklasse) auslaufen zu lassen. Ab September 1943 Beschäftigung als Schreiber in der Schülerkontrolle, einer Dienststelle der Schulverwaltung. Hier versuchte man, mir mein schweres Los erträglich zu gestalten. Als bei strengster Auslegung des Arierparagraphen im Februar 45 die Verfolgung der Juden und Mischlinge sich verstärkte, wurde ich für den 24. Februar als Arbeiter bei der Bauverwaltung vom Arbeitsamt verpflichtet. Nachdem die Schulverwaltung auf meine schwere Beschädigung hingewiesen und die daraus resultierende Unfähigkeit zu körperlicher Arbeit besonders unterstützt hatte, wurde der bis dahin aufgeschobene Verpflichtungsbescheid mit Ablauf des 14. März 1945 zurückgenommen." (27) Paul Baden hatte als aktives NSLB-Mitglied Unterstützung bis in höchste Stellen des NSLB und der Schulverwaltung und nicht nur seines Schulrates Kurt Holm. Nach dem Krieg wurde Baden mit Wirkung vom 1.8.1945 als Schulleiter der Schule Binderstraße 34 eingesetzt.

Seine Dankbarkeit gegenüber Holm zeigte Baden von nun an durch einen jährlichen anonymen Präsentkorb zu Weihnachten, wie in Holms Familie kolportiert wurde. Dies diente einer in der Familie nie wirklich aufgeklärten Legendenbildung. (28)

Kurt Holm wusste natürlich, dass ihm seine Rolle beim Ende der „Gesellschaft der Freunde“ zur Last gelegt wurde, wobei er im September 1945 nicht ahnen konnte, dass in den Entnazifizierungsverfahren im besonderen Maße die ehemaligen Funktionäre der „Gesellschaft der Freunde“ eine entscheidende Rolle spielen würden.

Holm schrieb, er habe bei der „Auflösung der Gesellschaft der Freunde und der Überführung ihrer Vermögenswerte nachdrücklich den Rechtsstandpunkt vertreten“. Er wies darauf hin, dass die Witwen- und Waisenrenten erhalten blieben, ebenso wie die Leistungen der Krankenkasse.

Wenig glaubhaft dann die Aussage, „dass ich die Entwicklung der Erziehung und Schule seit 1933 mit großer Sorge betrachte, habe ich mehrfach auch öffentlich zum Ausdruck gebracht“.“(29)

Es war nur mit Hilfe der Personalakte Holms und einiger Schriftstücke der „Gesellschaft der Freunde“, die sich im Archiv der GEW-Hamburg befanden, rekonstruierbar, wie Holms Entnazifizierung ablief. Auch die Entnazifizierungsakte ist jüngst wieder aufgefunden worden.

Holm wurde vorerst weder im Schuldienst noch im Hochschuldienst wieder eingestellt. Das Arbeitsamt wies ihm 1947 eine Teilbeschäftigung als Nachtwächter beim Bewachungsdienst Nordwacht zu. (30)

Die Entscheidung des Fachausschusses am 19.1.1948, der Holm als belastet erklärte und ihm die Wiedereinstellung verwehrte, wurde am 17.9.1949 von der Zentralstelle für Berufungsausschüsse aufgehoben, allerdings mit der Maßgabe, dass eine Tätigkeit als Schulrat oder als Schulleiter ausgeschlossen sei. Ihm wurden aber Pensionsansprüche zuerkannt und Holm wurde in Kategorie V (Entlasteter) eingestuft. Dabei wurde zwar festgestellt, dass Holm nationalsozialistisches Gedankengut in das Schul- und Erziehungswesen hineingetragen hatte. („Prof. Holm bestreitet nicht, nationalsozialistisch ausgerichtet gewesen zu sein“); als entlastend wertete man aber die Schwierigkeiten, die Holm insbesondere mit der „alten Garde“ des NSLB gehabt hatte.

Der Berufungsausschuss „hat jedoch keine Bedenken, dass Prof. Holm im übrigen als Lehrer oder Erzieher wieder im Schulwesen beschäftigt wird.“  (31) Das hatte Friedrich Wilhelm Licht für den Fachausschuss am 1.9.1949 noch ganz anders gesehen: „Holm ist in den Jahren von 1933 ab an exponierter Stelle als Vertreter des Nationalsozialismus in Erscheinung getreten. Seine Wiederzulassung für den Schuldienst würde in der Hamburger Lehrerschaft in allerhöchstem Maße Aufsehen erregen und politisch sehr unerwünschte Rückwirkungen auslösen.“ (32) Licht, zweiter Vorsitzender der Gesellschaft der Freunde zu diesem Zeitpunkt, machte deutlich, wie tief die Skepsis in Kreisen der Lehrergewerkschaft war. Auch Fritz Köhne hatte im Berufungsausschuss am 19.1.1948 über Kurt Holm geäußert: „Er war nur zu bereit, den neuen Strömungen entgegenzukommen. (33)

Landesschulrat Ernst Matthewes regte ein Gespräch im Schulratskollegium über die weitere Verwendung Holms an. Die Schulräte sprachen sich einstimmig gegen die Wiedereinstellung Holms aus und beschlossen, ihn in den Ruhestand zu versetzen.

Holm, mit seiner Familie in materieller Not, blieb in seinen Schriftsätzen verbindlich und höflich, hatte aber gehofft, am Pädagogischen Institut wieder eingestellt zu werden. Aber auch daraus wurde nichts. Dem 49-Jährigen wurde „das erdiente Ruhegehalt“ zuerkannt, wobei Holm anfänglich 75 Prozent der bis zum 1.1.1933 erworbenen Bezüge zugebilligt wurden.

Die Schulbehörde hielt 1949 eine Wiedereinstellung auch in der Lehrerausbildung für ausgeschlossen, würde Holm aber Pensionsansprüche auch für die Zeit von 1933 bis 1945 gewähren. Es begann ein langanhaltender, komplizierter juristischer Austausch von Schriftsätzen, die in verwaltungsrechtliche Auseinandersetzungen mündeten.

Da die Behörde Holm nicht wieder einstellen wollte, ging der Streit erst einmal um die Frage, an welchem Gehalt sich die Versorgungsbezüge orientierten.

1951 wurde der gerade in den Ruhestand getretene Fritz Köhne zum Fall Holm befragt.

Am 31.5. 1951 schrieb der Jurist der Schulbehörde, von Zerssen an Köhne: „Holm ist am 1.9.1934 Schulrat und am 1.10.1936 Professor geworden. Der Gedanke liegt nahe, dass diese Beförderungen vorgenommen sind, weil er nicht nur Pg von 1933 war, sondern im NSLB das Amt eines Leiters als Gauhauptstellenleiter bekleidet hat. Das Personalamt ist aber - sicherlich mit Recht - der Auffassung, dass überzeugend nachgewiesen werden müsste, dass eine Ernennung wegen der Verbindung zum Nationalsozialismus vorgenommen sei, wenn die Betreffenden im Entnazifizierungsverfahren gut weggekommen sind. Es wird kaum genügen, dass in dem oben angegebenen Entnazifizierungsbescheid eine Tätigkeit Holms als Schulrat oder Schulleiter ausgeschlossen wird. Können Sie etwas darüber sagen, ob Holm wegen seiner engen Verbindung zum Nationalsozialismus Schulrat und Professor geworden ist? Wer könnte nach Ihrer Meinung sonst etwas darüber aussagen? In der Schulbehörde ist offenbar niemand, der es kann.“

Köhne antwortete aus einem Kurort im Spessart, wo er sich gerade erholte. Im Gegensatz zu vielen anderen Schreiben stellte er keinen reinen Persilschein aus. Aber eindeutig positionieren mochte er sich auch nicht. Seine Charakterisierung Holms las sich folgendermaßen:

„Der Fall Holm ist sicher nach den beiden vorliegenden Beurteilungen schwer zu entscheiden. In der ersten Sitzung wurde ich als Zeuge hinzugerufen, am Schluß meinte der Vorsitzende, Herr Dr. Kiesselbach: ‚Ich glaube, Herr Schulrat Köhne ist mit dem Urteil nicht zufrieden’. Das war ich auch nicht. Herr Holm ist in den Nazijahren nicht mein Freund gewesen, wir standen oft sachlich gegeneinander. Er war der Vertreter der Schulpolitik des NS- Lehrerbundes und versuchte mit Klugheit und Geschick, das Beste für die Schule und Lehrerschaft aus dieser Entwicklung herauszuholen. Er war nicht primitiv und stur, sondern kritisch, wendig, ein guter Diplomat; es lohnte sich schon, mit ihm über die Sache zu sprechen. Er war manchem Funktionär zu klug und undurchsichtig, auch trug er keine Uniform und hatte keine soldatische Haltung.

Man kann nicht sagen, dass Holm Schulrat und Professor in der Lehrerbildungsanstalt nur wegen seiner Zugehörigkeit zur NSDAP geworden ist, er besaß auch die praktischen und theoretischen Fähigkeiten für diese Aufgaben.“ (34)

Interessant erscheint, dass Fritz Köhne mit etwas Abstand von der Schulbehörde anders urteilt als noch zwei Jahre vorher. Holm brachte in einem Schreiben an die Deputation ein fachliches Gutachten von Fritz Köhne aus dem Jahr 1949 ein, in dem dieser schrieb:

„Herr Kurt Holm galt nach dem Urteil seiner Schulrätin Frau D. Chrsitiansen - 1933 in den Ruhestand versetzt -  als ein außergewöhnlich tüchtiger Lehrer. Sowohl in der eigentlichen Unterrichtspraxis als auch in der Methodik und Wissenschaft der grundlegenden Schulfächer hat Herr Holm Vorzügliches geleistet.“ (35)

Interessant ist, dass der Befähigungsbericht über Schulrat Kurt Holm vom 4.1.1936, unterschrieben von Kurt Witt, dem Präsidenten der Landesunterrichtsbehörde nur begrenzt euphorisch ausfiel: „Geschickter Verhandler, guter Organisator und Aufsichtsbeamter, fleißig in seiner Arbeit. Im Detail wird bewertet: Gesundheitszustand: befriedigend; Veranlagung im allgemeinen: gut; Auftreten, Umgangsformen: gut; Eignung zum Vorgesetzten: ja; Befähigung zum freien Vortrag: ja; Schriftliche Ausdrucksweise: ausreichend.“ (36)

Von den von Köhne an von Zerssen genannten Personen antwortete als erster Peter Jacobsgaard, der selbst Schulleiter in der NS-Zeit war, Mitglied der NSDAP und Mitarbeiter von Holm im NSLB. Jacobsgaard betonte, dass „Holms Beförderung nicht auf seine Verbindung mit dem Nationalsozialismus, sondern auf seine beruflichen und mehrheitlichen Qualitäten zurückgeht.“ (37)

Ein echter Persilschein von jemandem, der selbst belastet war und der auch nach 1945 noch familiäre Beziehungen zu Holm pflegte. (38) 

Von Zerssen selbst zitierte Gustav Schmidt, der darauf hinwies, dass Holm als Schulrat Jacobsgaard gefördert und zum Schulleiter gemacht hatte.

Gustav Schmidt äußerte sich auch auf die Anfrage zu Holm:

„Nach meiner Erinnerung war Holm an den Verhandlungen beteiligt, die 1933 geführt wurden, um die Gesellschaft der Freunde und andere Einrichtungen gleichzuschalten und schließlich in den NS. Lehrerbund überzuführen. Dabei kam er mit den neuen Machthabern in Berührung. Sie beförderten ihn bald zum Schulrat. Für dieses Amt brachte er einige Vorbedingungen mit: Er konnte mit Menschen umgehen, konnte Verhandlungen geschickt führen und seinen Schulkreis gut organisieren. Pädagogisch war er bis 1933 meines Wissens nicht hervorgetreten. Das Amt des Schulrates ist von ihm nur als Durchgang angesehen worden; als sich ihm eine Möglichkeit bot, ist er Dozent und Professor an der Hochschule für Lehrerbildung geworden.“ (39)

Max Traeger hatte sich mündlich gegenüber von Zerssen geäußert. Holm wäre „vielleicht aufgrund seiner wendigen und gewandten Art ohnehin Schulrat jedoch nie Professor an der Hochschule für Lehrerbildung geworden“. (40)

1950 wurde Holm nach einem Vergleichsvorschlag des Personalamtes die Zahlung der Schulratspension zugebilligt.

In einem Schreiben an Senator Landahl vom 21.6.1951 behauptete Holm zum ersten Mal „nachdrücklich für die 1933 politisch gemaßregelten Lehrkräfte und Schulräte eingetreten“ zu sein. Er gerierte sich dabei als unangepasster Kämpfer in der damals nationalsozialistischen Behörde. (41)

Landesschulrat Ernst Matthewes schrieb am 28.6.1951 in einem Vermerk an Senator Heinrich Landahl: „Nachdem der ehemalige Oberschulrat Mansfeld nicht eingestellt wurde, kann Prof. Holm noch weniger eingestellt werden. Er ist nach dem Urteil derjenigen, die ihn kennen, politisch ungünstiger zu beurteilen als Mansfeld.“ (42)

Landahl teilte Holm am 28.6.1951 mit, dass er sich nicht in der Lage sieht, ihn wieder zu beschäftigen.

Die regelmäßigen Schriftsätze Kurt Holms wurden verzweifelter, etwa wenn er feststellte: „Die Folgen meines politischen Irrtums waren ein mehrjähriger zwangsweiser  Nachtwächterdienst mit 60 Pf. Stundenlohn, der Ausschluß aus der Berufsarbeit und  -gemeinschaft und schwerer wirtschaftlicher und seelischer Druck für die ganze Familie.“ (43)

Eine Klage Kurt Holms vor dem Verwaltungsgericht wurde am 28.2.1952 abgewiesen. (44)

Als 1953 nach den Bürgerschaftswahlen der konservative Hamburg- Block die Regierung in Hamburg übernahm, veränderten sich die Bedingungen.

Für die Hochschulen zuständig wurde Senator Biermann-Ratjen, den Holm noch aus den Zeiten kannte, als er für den NSLB Liquidator der alten Gesellschaft der Freunde war. Biermann-Ratjen hatte als Notar alle Umwandlungsverträge angefertigt.

In einem Vermerk wurde am 12.2.1954 festgestellt, dass nach veränderter Rechtslage durch den Artikel 131 des Grundgesetzes, der die Wiederverwendung ehemaliger Nazis im Öffentlichen Dienst einleitete, sich ein Rechtsanspruch auf Wiedereinstellung für Kurt Holm ergeben würde.

Biermann-Ratjen schlug vor, bei der Schulbehörde überprüfen zu lassen, Holm als Studienrat wieder zu verwenden, da am Pädagogischen Institut alle Planstellen besetzt seien. Holm erhält mittlerweile ein Übergangsgehalt von 590 DM monatlich als Professor zur Wiederverwendung.

Ein Einstellungsantrag der Schulbehörde wurde von der Schul-Deputation am 2.6.1954 abgelehnt (45).

Schulsenator in Hamburg ist im neuen Senat der Erziehungswissenschaftler Prof. Hans Wenke, von dem später bekannt werden sollte, dass er nationalsozialistisch belastet war. Wenke gab in einem Vermerk wieder, warum die Deputation und der Lehrerbetriebsrat sich gegen Holms Wiedereinstellung ausgesprochen hatten. „Seitens  des Lehrerbetriebsrates und innerhalb der Deputation war dabei maßgeblich die Auffassung, dass Herr Professor Holm seine politische Überzeugung zur persönlichen Bereicherung benutzt habe. Er habe sich nämlich bei der Überleitung des Lehrerverbandes in den NSLB in das Verlagswesen der Gesellschaft der Freunde ‚hineingedrängt’ und in seiner Stellung als Verlagsleiter erheblichen persönlichen Gewinn erzielt; auch habe er sich aus eigennützigen Überlegungen an die Spitze der Lehrerkrankenkasse gesetzt. Die Lehrerschaft, die das miterlebt habe, sei deswegen auch heute noch erbittert gegen ihn eingestellt.“ (46)

Wenke schlug als taktische Maßnahme vor:

„In der Deputation der Schulbehörde wurde daher die Auffassung vertreten, dass sich die Schulbehörde bei der Wiedereinstellung des Herrn Holm, wenn er nicht anderweitig beschäftigt werden könne - was aus den vorstehenden Gründen das Richtige sei -, nur dem äußeren Zwang beugen dürfe, d.h. durch ein Gerichtsverfahren. Wenn es jetzt durch einen Beschluss der Senatskommission für den Verwaltungsdienst geschieht, so glaube ich, dass damit der Widerstand in der Deputation und hoffentlich auch innerhalb der Lehrerschaft überwunden werden wird.“ (47)

Und so geschah es. Die Senatskommission für den Verwaltungsdienst beschloss in ihrer 144. Sitzung am 1.2.1955, dass Kurt Holm innerhalb der Schulbehörde im Schuldienst wieder zu verwenden sei.

Oberschulrat Reimers stellte im Auftrag von Senator Wenke eine freie Planstelle im Bereich der wissenschaftlichen Oberschule, wie die Gymnasien zu der Zeit hießen, bereit.

Jetzt ergab sich eine weitere Verzögerung, weil Holm nicht die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz im Bereich der höheren Schulen hatte.

Am 15.4.1955 wurde Kurt Holm wieder eingestellt, um in der Albrecht- Thaer-Oberschule für Jungen zu arbeiten.

Der Lehrerbetriebsrat hatte dieser Einstellung und auch der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit nicht zugestimmt. Anders dagegen die Schuldeputation, die positiv votierte. Sie war nach den Wahlen 1953 gemäß den politischen Mehrheitsverhältnissen in der Bürgerschaft neu zusammengesetzt. Als CDU-Vertreter war jetzt auch der ehemalige NS-Oberschulrat Karl Züge in der Deputation.

Am 18.10.1955 wurde Kurt Holm Beamter auf Lebenszeit. Bürgermeister Kurt Sieveking unterzeichnete die Ernennungsurkunde.

Kurt Holm blieb weiterhin mit Eingaben aktiv, was die Anrechnung seiner Dienstzeiten von 1933 bis 1945 betraf, war allerdings nicht erfolgreich. Sein Antrag, zum Oberstudienrat befördert zu werden, wurde 1963 abgelehnt.

Am 22.7.1965 teilte man Holm mit, er trete Ende September 1965 in den Ruhestand. „Für die treuen Dienste spricht der Senat seinen Dank und seine Anerkennung aus.“ (48)

Kurt Holm, der ausweislich seiner Personalakte lange Zeit gesundheitliche Probleme zu bewältigen hatte, führte seine letzte Klasse über den Eintritt in den Ruhestand hinaus noch ein Jahr weiter mit 14 Wochenstunden als Angestellter und schied dann 1966 aus dem Hamburger Schuldienst aus.

Am 18.11.1984 starb Kurt Holm.

Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen
1. Vgl. dazu auch die Biografien von Willi Schulz und Albert Mansfeld.
2. Berlin Document Center (BDC) OPG I 83. Freundlicherweise von Uwe Schmidt zur Verfügung gestellt.
3. Personalakte Holm, StA HH, 361-6 Hochschulwesen PA, IV 1870
4. Annemarie Biedermann: Als Sekretärin beim NSLB, in: Reiner Lehberger/Hans-Peter de Lorent (Hg.): „Die Fahne hoch“. Schulpolitik und Schulalltag unterm Hakenkreuz, Hamburg1986, S. 26.
5. Ebd.
6. Gustav Schmidt: Kriegstagebuch 1939- 1945, Hamburg 2004, S. 69.
7. Sofern nicht anders angegeben, alle Daten aus der Personalakte Kurt Holm, a.a.O.
8. Ebd.
9. Schreiben vom 2.9.1949 in seiner Personalakte. Zu berücksichtigen ist sicherlich, dass er sich mit diesem Schreiben in ein günstiges Licht zu setzen versuchte.
10. Schreiben vom 29.9.1945, Personalakte Holm, a.a.O.
11. Fritz Köhne über Kurt Holm in einem Schreiben am 10.6.1951, Personalakte Holm, a.a.O.
12. Kurt Holm: Auf dem Weg zum Ziel, in: HLZ 34/ 35-1933, S. 475.
13. Ebd.
14. Kurt Holm, a.a.O., S. 476.
15. Ebd.
16. Kurt Holm, a.a.O., S. 477
17. Kurt Holm: Die Führertagung des NSLB in Bayreuth, in: HLZ 5/1936, S. 50.
18. HLZ 29/1933, S. 406 f.
19. Bernhard Nette: Rothenbaumchaussee 19. Das jüdische Erbe der GEW, in: 200 Jahre Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens, Jubiläumsausgabe, HLZ 10-11/2005, S. 75 ff. Siehe dazu auch: Bernhard Nette/Stefan Romey: Die Lehrergewerkschaft und ihr „Arisierungserbe“, Hamburg 2010
20. Siehe dazu und zu den folgenden Ausführungen auch die Festschrift 150 Jahre Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens, Hamburg 1955, S.70ff. und Hans-Peter de Lorent: Der Nationalsozialistische Lehrerbund, in: Lehberger/ de Lorent,1986, S. 119 ff.
21. Siehe Berlin Document Center (BDC) OPG I 83
22. Uwe Schmidt in Auszügen über die persönlichen Daten Kurt Holms, in: Unveröffentlichte Datensammlung, die er mir überlassen hat, während ich ihm meine Kopien aus der Personalakte Kurt Holms zur Verfügung gestellt hatte.
23. Gustav Schmidt: Kriegstagebuch 1939-45, Hamburg 2004, S. 69.
24. Entnazifizierungsakte von Kurt Holm, StA HH, 221-11_Ed 8014.
25. Alle Zitate aus Kurt Holms Schreiben vom 29.9.1945, Personalakte Holm, a.a.O.
26. Entnazifizierungsakte Dr. Paul Baden, StA HH, 221- 11_Ed 11486. 27. Ebd. Siehe auch Personalakte Baden, StA HH, 361- 3_ M 1 042 A.
28. Wie ich aus meiner Korrespondenz mit Sohn und Enkel von Kurt Holm erfahren habe.
29. Laut Personalakte Holm im Juni 1947, a.a.O.
30. Alle Angaben beziehen sich auf Dokumente in der Personalakte Holm, a.a.O.
31. Ebd.
32. Entnazifizierungsakte Holm, StA HH, 221-11_Ed 8014
33. Ebd.
34. Schreiben von Köhne vom 10.6.1951 aus Bad Orb, Personalakte Holm, a.a.O.
35. Schreiben vom 26.4.1949, ebd.
36. Ebd.
37. Original in meinem Besitz. Peter Jacobsgaard war von 1933 bis 1945 enger Mitarbeiter von Kurt Holm im NSLB gewesen. Siehe auch Biografie Jacobsgaard.
38. So war Holm beispielsweise in ärztlicher Behandlung von Peter Jacobsgaards Sohn, des Arztes Dr. Johannes Jacobsgaard.
39. Schreiben vom 23.6.1951, Personalakte Holm, a.a.O.
40. Ebd.
41. Ebd.
42. Ebd.
43. Holm am 8.7. 1951 an die Deputation der Schulbehörde, ebd.
44. Ebd.
45. Ebd.
46. Schreiben vom 3.1.1955, ebd.
47. Ebd.
48. Alle Angaben ebd.
 

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Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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