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Georg Anschütz

(25. November 1886 Braunschweig - 25. Dezember 1953 Hamburg)
Psychologe
Adresse: Raade 8, Reinbek b. Hamburg
Wirkungsstätte: Psychologisches Institut, Bornplatz 1-3 (heute Joseph-Carlebach-Platz )

Dr. Hans-Peter de Lorent hat über Georg Anschütz ein Portrait verfasst, das in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz. Band. 3. Hamburg 2019 erschienen und im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg erhältlich ist. Hier der Text:  

 „Ich halte ihn für einen jener etwas erdenfernen deutschen Idealisten, die im Glauben an eine große geistige Mission Deutschlands immer im Kielwasser der Nationalsozialisten zu finden sind. Sie tragen hinterher ihren guten Glauben zu Grabe …“
Ein Hochschullehrer, Wissenschaftler und Psychologe, der während der NS-Zeit an der Universität Hamburgs die mächtige Position des NS-Gaudozentenbundführers innehatte. Bei näherer Betrachtung handelt es sich um eine facettenreiche Person, die „seit eh und je über die akademisch festgestellten Grenzen hinaus geforscht“ hatte, der von den einen als „weltfremder Wissenschaftler“ angesehen wurde, von anderer Seite als ein umtriebiger Stratege, der sich politisch zielgerichtet über den Gaudozentenbund und den ihm gewogenen Führungspersonen der Universität Hamburg während der NS-Zeit einen Lehrstuhl sicherte. An allem ist etwas dran, wie die Geschichte eines Mannes zeigt, der fachlich in manchem seiner Zeit voraus war und politisch die nationalsozialistische Karte spielte, nicht zuletzt, um endlich persönlich abgesichert zu sein.
Georg Anschütz wurde am 15.11.1886 in Braunschweig als Sohn des Taubstummen-Lehrers Christian Anschütz und seiner Frau Elwine geboren. Er besuchte in Braunschweig dreieinhalb Jahre die Bürgerschule und anschließend das humanistische Wilhelm-Gymnasium. Nach dem Abitur 1905 studierte er in Leipzig und München Psychologie und Philosophie, sowie Kunstgeschichte und Archäologie als Nebenfächer. Schon 1908 wurde er in München bei Prof. Theodor Lipps mit einer Dissertation „Über Gestaltqualitäten“ promoviert.[1]
Anschütz war vielseitig interessiert und suchte sich an verschiedenen Universitäten in seinen Studien weiter zu qualifizieren. Nach eigenen Angaben arbeitete er anschließend in Würzburg bei Prof. Oswald Külpe psychologisch und physiologisch, dann 1909/10 zum weiteren Studium in Paris bei dem Psychologen Alfred Binet, danach wieder in München, hauptsächlich bei dem Psychiater Kraepelin, 1912 in Leipzig im Psychologischen Institut unter Wilhelm Wundt.[2]
Georg Anschütz wollte damit seine breite psychologische Aufstellung demonstrieren, ohne konkrete Angaben zu machen, welcher Art die jeweiligen Studienaufenthalte waren. Anschütz schrieb:
„Aufgrund meiner inzwischen erfolgten Veröffentlichungen im Archiv für die gesamte Psychologie holte mich der damals nach Hamburg berufene Prof. Ernst Meumann zum 1. April 1913 nach Hamburg, da hier damals schon die Gründung der Universität bevorstand. Ich gab dadurch meine positiven Verbindungen zu Wundt und vor allem auch zu Spranger auf, der meine Habilitation in Leipzig gewünscht hatte. Seit Frühjahr 1913 hielt ich in Hamburg Vorlesungen und Kurse im neu gegründeten psychologischen Laboratorium und am allgemeinen Vorlesungswesen. Ich hatte im Auftrag Meumanns die Aufgabe, die ersten Anfänge des Laboratoriums zu einem Institut auszubauen. Die wesentlichen Anfänge des heutigen Psychologischen Instituts und die meisten Anschaffungen gehen auf mich zurück.“[3]
Ernst Meumann, der aus der Leipziger Schule des Instituts für experimentelle Psychologie von Prof. Wilhelm Wundt stammte und seit 1911 dem Vorstand im Bund für Schulreform angehörte, der sich für radikale Reformen wie die Einheitsschule und die akademische Ausbildung der Volksschullehrer einsetzte, war der Wunschkandidat der reformpädagogisch orientierten Hamburger Volksschullehrerschaft, der „Gesellschaft der Freunde“.[4]
Da war es sicherlich eine Auszeichnung, dass Meumann Anschütz als Assistent nach Hamburg holte.
Georg Anschütz wurde im ersten Kriegsjahr Soldat. Als Ernst Meumann am 26.4.1915 in Hamburg im Alter von 52 Jahren starb, wurde nach einem Ersatz gesucht. Erst einmal sprang Meumanns Assistent Georg Anschütz für drei Monate ein, bis Anschütz „auf Veranlassung des preußischen Kultusministeriums im August 1915 „als Professor für Psychologie und zugleich in kulturpolitischer Mission an die mit deutschen Kräften zu besetzende Universität in Konstantinopel (Istanbul) berufen wurde“.[5]
Über seine Arbeit in Konstantinopel hatte Anschütz notiert:
„Die Berufung erfolgte unter Vermittlung des Auswärtigen Amtes und des Preußischen Kultusministeriums. In der Türkei habe ich dann unter den schwierigsten Umständen in der dortigen Universität ein vollständiges Psychologisches Institut aufgebaut. Meine Vorlesungen und Übungen hielt ich vom zweiten Jahre an in türkischer Sprache. Im November 1918 wurde Konstantinopel von den Feindmächten besetzt. Da ich im Gegensatz zu fast allen übrigen Kollegen bis zuletzt auf meinem Posten blieb, wurde ich von den Besatzungstruppen der Engländer auf dem kleinen asiatischen Ufer in einem Keller interniert, bis unsere zwangsweise Abtransportierung über Italien nach Deutschland erfolgte. Kurz zuvor hatte ich in Kleinasien auf einer Informationsreise schwer krank an Dysenterie gelegen. Durch die Feindmächte wurde mein gesamtes Eigentum einschließlich Apparate, Bücher, Manuskripte und Eigentum beschlagnahmt und, wie ich später erfuhr, vernichtet. Ich kehrte zusammen mit einigen hundert Soldaten und Flüchtlingen Anfang 1919 völlig mittellos und mit einer Handtasche nach Deutschland zurück.“[6]
Was als Karriereschritt begonnen zu haben schien, mündete für Anschütz in einem Fiasko. In Hamburg hatte Prof. William Stern den Lehrstuhl von Ernst Meumann übernommen. Stern, renommierter Psychologe, Begründer der Differenziellen Psychologie und einer der Mitgründer der Universität Hamburg 1919, hatte das Psychologische Laboratorium weiter aufgebaut und personell ausgestattet. Die Situation für Georg Anschütz war somit prekär.
Am 28.6.1919 wandte sich William Stern an die geisteswissenschaftliche Fakultät und schrieb:
„Herr Prof. Anschütz ist ohne seine Schuld durch die Entlassung der deutschen Professoren aus Konstantinopel in eine missliche Lage geraten, da die türkische Regierung auch jede Gehaltszahlung eingestellt hat. Nun hat die hamburgische Behörde zwar seinerzeit erklärt, dass aus der früheren Zugehörigkeit von A. zur hiesigen Hochschule keinerlei Anspruch auf Wiedereinstellung abzuleiten sei. Dennoch scheint mir eine moralische Verpflichtung vorzuliegen, etwas für A. zu tun – wie auch die übrigen aus Konstantinopel entlassenen Professoren an ihren früheren Hochschulen in irgend einer Form eine Heimstätte gefunden haben.“[7]
Stern empfahl, Anschütz einen besoldeten Lehrauftrag zu geben und schlug dabei zwei Vorlesungen und daran anschließende Übungen vor. Am 1.7.1919 beauftragte die geisteswissenschaftliche Fakultät Anschütz mit diesen Aufgaben. Damit war das Problem aber dauerhaft nicht gelöst. Am Psychologischen Laboratorium waren seit 1915 andere Personen tätig, die von William Stern eingestellt worden waren. Für Georg Anschütz gab es auch wegen seines inhaltlichen Profils da offenbar keinen Platz. Anschütz fragte an, ob ihm die Universität Hamburg die venia legendi erteilen könnte, dafür hatte er bei William Stern einen Lebenslauf und eine Liste mit seinen Veröffentlichungen eingereicht. Eine Kommission aus vier Hochschullehrern beschäftigte sich mit dem Habilitationsgesuch von Georg Anschütz und erklärte: „Da Prof. Anschütz bereits mehrere Jahre lang auf Veranlassung der deutschen Regierung ein ordentliches Lehramt für Psychologie und Pädagogik an der Universität Konstantinopel bekleidet hat, schlagen die unterzeichneten Mitglieder der Kommission vor, ihn als Privatdozenten für Psychologie an die Philosophische Fakultät der Hamburgischen Universität zu übernehmen.“ Zu dieser Kommission gehörten auch die beiden jüdischen Professoren William Stern und Ernst Cassirer, die dabei sicherlich einen maßgeblichen Einfluss hatten.[8]
Georg Anschütz wurde habilitiert, was in Zeiten begrenzter Mittel an den Hochschulen noch nicht das Problem für ihn löste, der ständig um die Wahrung seiner materiellen Existenz kämpfen musste und dafür unter anderem Beiträge in Zeitungen schrieb. In dem Artikel „Der Glaube an den Erfolg“, abgedruckt in der Morgenausgabe der „Hamburger Nachrichten“ am 17.6.1919, machte Georg Anschütz den mangelnden Glauben an den Erfolg mitverantwortlich dafür, das Deutschland den Krieg nicht gewonnen hatte. „Im Kriege vollends trat jener Mangel in einer rein moralischen Flaumacherei zu Tage, die auf theoretische Einsichten oder politische Überzeugungen keinerlei Bezug hatte. Während sich 1916 und 1917 selbst in der Schweiz immer Stimmen geltend machten, die an Deutschlands Sache glaubten, während unsere Bundesgenossen von der Zuversicht auf deutsche Kraft getragen wurden, häuften sich in Deutschland die Stimmen, die den Erfolg als unmöglich hinstellten. In Gesellschaften, in der Eisenbahn, in den Gastwirtschaften, in Kaufläden konnte man es hören, dass Deutschlands Sache verloren sei. Ja selbst bei unseren Verbündeten scheuten sich deutsche Landsleute nicht, offen von der Aussichtslosigkeit der Lage zu sprechen und den Mangel an jeglicher Zuversicht erkennen zu lassen. Es ist völlig belanglos, auf welche politische Überzeugung sich heute der einzelne Deutsche einstellt: Ein solcher Mangel an Zuversicht hat das Seinige dazu beigetragen, dass wir uns heute infolge des fehlenden geistigen Zusammenschlusses im Inneren den Feinden gegenüber noch nicht als uneinnehmbare geistige Festung fühlen können.“[9]
Und Anschütz forderte: „Der Blick darf nicht länger an die Vergangenheit gefesselt sein und sich ermüden im endlosen Nachgrübeln über Kriegsursachen und Kriegsschuld, über begangene Fehler und erlittenes Missgeschick. Er darf auch nicht allein nach innen gerichtet sein und in einer gewissen notwendigen, aber nicht allein seligmachenden Kleinarbeit die ganze Kraft und Lebensfrische des deutschen Geistes erschöpfen. Wir müssen vor allem unser Auge auf die großen Ziele richten. Wir müssen es lernen, jede Kleinigkeit und alles Niederdrückende restlos zu überwinden. Im festen Bewusstsein der inneren Kraft und des hohen Wertes deutscher Geisteskultur, die bisher in der Welt unerreicht dastand und die auch in dem großen Zusammenbruch der einzige Punkt ist, an dem wir restlos unbesiegt blieben, müssen wir den Glauben an den Erfolg unserer Sache neu beleben, an den Erfolg nicht nur in der inneren Wiedergeburt, sondern auch in unserer äußeren Stellung als erste Kulturmacht der Welt.“[10]
Das hatte Georg Anschütz 1919 geschrieben, einer von vielen Artikeln ähnlicher Art, ein anderer war „Völkische Würde“ überschrieben. Damit machte er sich in demokratischen Hochschulkreisen nicht unbedingt einen positiven Namen.
Anschütz war nun seit Januar 1920 habilitierter Privatdozent für Psychologie in Hamburg, wechselte danach zwei Jahre nach München, kam dann aber nach Hamburg zurück, wo er sich, ohne die materielle Absicherung einer Hochschullehrerstelle mit neuen psychologischen Forschungen ebenso beschäftigte wie mit außerwissenschaftlichen Tätigkeiten zur Bestreitung seines Lebensunterhalts. „Zugleich trat Anschütz als Pionier der Synästhesie hervor. Synästhesie bezeichnet hauptsächlich die Kopplung zweier oder mehrerer physisch getrennter Bereiche der Wahrnehmung.
Anschütz veranstaltete in Hamburg in den Jahren 1927, 1930, 1933 und 1936 vier Kongresse zu Phänomenen des Farben-Hörens und Töne-Sehens, die sich ebenso an Wissenschaftler wie an Laien wandten.“[11] Man kann sagen, dass er mit dieser Forschung seiner Zeit offenbar voraus war, sich in der traditionellen Psychologie allerdings damit als Außenseiter darstellte.
Georg Anschütz selbst machte später William Stern dafür verantwortlich, dass er in den Jahren bis 1933 nicht erfolgreicher sein konnte. In der NS-Zeit, zu einem Zeitpunkt, als er sich auch noch gegen seinen nationalsozialistischen Konkurrenten Prof. Gustaf Deuchler durchsetzen musste, schrieb er:
„Der Empfang, den ich in der Heimat und insbesondere in Hamburg erlebte (1919) gehört zu den traurigsten Erlebnissen, über die ich verfüge. Der Jude Stern erklärte mir, an seinem Institut sei keine Möglichkeit für mich gegeben. Er zeigte für die durch höhere Gewalt und das Unglück Deutschlands für mich entstandene Sachlage nicht das geringste Verständnis und machte Schwierigkeiten, wo er konnte. Insbesondere unterband er mir jede Möglichkeit, wissenschaftlich zu arbeiten oder gar mein eigenes Fachgebiet an der im Frühjahr 1919 neu gegründeten Universität zu lehren.“[12]
Das machte sich gut, als Anschütz 1942 eine ordentliche Professur anstrebte, entsprach aber, wie oben erwähnt, nicht der Wahrheit.
Anschütz schrieb weiter: „Mit großer Mühe und mit Unterstützung einiger wohlwollender Herren aus dem Lehrkörper gelang es mir endlich, wenigstens im Rahmen des allgemeinen Vorlesungswesens einige Vorlesungen halten zu dürfen. Auch diese indessen nicht über mein eigentliches engeres Fachgebiet, sondern über kulturpolitische Fragen und über Psychologie der Nationen. Obwohl mich gerade aufgrund meiner Auslandstätigkeit diese Probleme brennend angingen, so bedeutete diese Tätigkeit doch nur einen Teil meines eigentlichen Fachgebietes. Die Vergütung, die ich bekam, war eine minimale, sodass ich davon nicht leben konnte. Ich war gezwungen, durch Zeitungsaufsätze usw. zu verdienen. In diesen Aufsätzen vor der breiteren Öffentlichkeit habe ich dann meine politischen Überzeugungen niedergelegt. Sie standen dem damaligen Staat diametral entgegen, der ja von einem ‚Zusammenschluss aller Deutschen‘ und von ‚völkischer Würde‘ nichts wissen wollte. Ich wurde bald in den marxistischen und jüdischen Kreisen, zumal durch die Machenschaften Sterns, bekannt, was zu weiteren Widerständen führte.“[13]
Auch hier verdrehte Anschütz die Tatsachen. Es war William Stern gewesen, der den Vorschlag gemacht hatte, dass Anschütz Vorlesungen zu diesem Thema halten sollte. Die politischen Aussagen von Georg Anschütz in seinen Zeitungsartikeln stießen sicherlich in der universitären und schulpolitischen Öffentlichkeit 1919 auf erheblichen Widerspruch, ohne dass William Stern dazu auch nur einen Satz sagen musste.
Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten in Hamburg war eine neue Situation entstanden. Georg Anschütz trat am 1.5.1933 in die NSDAP ein, ebenso in den NSLB, dessen Vertrauensmann er wurde, sowie in den Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbund.[14]
Am 7.4.1933 wurde William Stern, der die Universität Hamburg mitgegründet hatte, als „Nichtarier“ entlassen, mit ihm 56 andere Wissenschaftler der Universität Hamburg, so etwa Ernst Cassirer und Sterns Kollege Heinz Werner.[15]
Dies hatte natürlich auch erhebliche Folgen für das von William Stern aufgebaute Psychologische Laboratorium. Einer derjenigen, der massiv gegen William Stern und seine Assistentin Martha Muchow hetzte und intrigierte, war der langjährige Mitarbeiter Dr. Paul Roloff, den Stern 1930 nicht zum wissenschaftlichen Rat beförderte, da Roloff über längere Zeit dienstunfähig war.[16] Roloff wurde wieder zurück in den Schuldienst geschickt, wo ähnliche gesundheitliche Schwierigkeiten auftraten, die ihn arbeitsunfähig machten. Aber auch Roloff war 1932 in die NSDAP eingetreten und versuchte nun, seinen ehemaligen Lehrer William Stern und dessen Assistentin Martha Muchow zu denunzieren. So schickte er am 10.7.1933 ein auch von anderen unterzeichnetes Schreiben an die Hochschulbehörde, in dem es hieß:
„Mit dem Amtsantritt von Prof. Stern setzte erst langsam, dann immer stärker eine völlige Verjudung des Instituts ein. Deutschgesinnte Mitarbeiter wurden durch rassereine Juden oder durch Judengenossen ersetzt, die ganz im jüdisch-marxistischen Sinn arbeiteten. An Stelle von Prof. Anschütz wurde ein ungarischer Jude aus Wien, der sich den Namen Heinz Werner beilegte, gesetzt. Dr. Roloff, der zwölf Jahre lang die Abteilung Psychotechnik bearbeitete, wurde durch den Judengenossen Dr. Wunderlich und seine jüdische Assistentin Katzenstein ersetzt. (…) Dr. Wunderlich hat seine Stellung einzig dem Umstand zu verdanken, dass er sich von Anfang an bedingungslos an die Judenclique anschloss und gegen alle deutschgesinnten Mitarbeiter Stellung nahm. Fräulein Dr. Muchow, die engste Vertraute von Prof. Stern, die ihn auch heute täglich besucht und mit ihm alle Pläne ausarbeitet, ist die gefährlichste von allen dreien. Sie war aktives Mitglied des marxistischen ‚Weltbundes für Erneuerung der Erziehung‘, hat auf internationalen Tagungen, zum Beispiel Genf, in seinem Sinne gewirkt, und war von Oberschulrat Götze in dessen letztem Amtsjahr beauftragt, das Hamburgische Schulwesen ‚psychologisch‘ im marxistischen Sinne zu durchdringen. Ihr pädagogisch-psychologischer Einfluss ist unheilvoll und einer deutschen Staatsauffassung direkt zuwiderlaufend.“[17]
Paul Roloff hatte vorher noch ein anderes Schreiben an den neuen Direktor der Volkshochschule, Heinrich Haselmayer, gerichtet, mit ähnlicher Stoßrichtung gegen die „Judenclique“ und auch den Erziehungswissenschaftler Gustaf Deuchler dabei mit einbezogen, der selbst Ambitionen auf die Leitung des Psychologischen Institutes hatte und nach der Entlassung von William Stern am 19.9.1933 tatsächlich kommissarischer Direktor des Psychologischen Institutes wurde. Martha Muchow beging am 9.10.1933 Selbsttötung und William Stern emigrierte 1934 zunächst nach Holland, später in die USA.[18] Roloffs Rache war somit übel, durchschlagend und blutig gewesen.
Tatsächlich bekam also Gustaf Deuchler die Leitung des Instituts, Deuchler der seit Jahren Direktor des Erziehungswissenschaftlichen Seminars war, gemeinsam mit Wilhelm Flitner. Deuchler galt als schwieriger, streitbarer und konfliktträchtiger Charakter, wie ich in der erwähnten Biografie Deuchlers dargestellt habe. Er hatte auch sehr massiv dazu beigetragen, Sterns Assistentin Martha Muchow unter Druck zu setzen, durchaus mit dem Ziel, das Psychologische Institut zu übernehmen.
Welches Konstrukt aus Konkurrenz, Neid und Intriganz nach Sterns Entlassung bestand, beschrieb Anschütz in der Darstellung seines Werdegangs. Eine Rolle in dem gesamten Geflecht spielte auch der neue starke Mann der Universität Hamburg in der NS-Zeit, Adolf Rein. Rein (1885–1979) war ein deutscher Historiker und nationalsozialistischer Hochschulpolitiker. Als Staatskommissar (ab 1933) sowie als Rektor der Universität Hamburg (1934–1938) hatte er maßgeblichen Anteil an der Gleichschaltung der Hochschule sowie an der Entlassung zahlreicher jüdischer und politisch unliebsamer Professoren gehabt.[19]
Anschütz berichtete 1941:
„Zum November 1933 wurde ich Wissenschaftlicher Rat am Psychologischen Institut. Gleichzeitig wurde Prof. Deuchler mit der kommissarischen Leitung des Instituts beauftragt. – (Im März 33 hatte mich Rein nach längerer Aussprache veranlasst, an maßgeblicher Stelle in Hamburg dagegen vorzugehen, dass Deuchler Kultursenator würde. Er hatte mir erklärt, das würde sonst eine Katastrophe geben. Als ich im November wegen dieser sonderbaren Entwicklung der Dinge vorstellig wurde und eine Zusammenarbeit mit Deuchler unter Berufung auf meine eigene Beurteilung dieses Mannes ablehnte, erklärte er, dieser Zustand sei nur ganz vorübergehend. Ich würde in ganz kurzer Zeit selbständig werden und mindestens ein planmäßiges Extraordinariat erhalten. Aus allem ist nichts geworden.)“[20]
Hier zeigte sich, dass Anschütz durchaus über Kontakte und schon 1933 über ein Netzwerk verfügte, das Einfluss nehmen konnte. Gustaf Deuchler hatte tatsächlich Ambitionen gehabt, Schulsenator oder zumindest Landesschulrat zu werden, was von verschiedenen Seiten verhindert wurde.[21]
Auch nach der Entlassung von William Stern hatte sich die Situation für Georg Anschütz nicht grundsätzlich geändert, was seine Ambitionen betraf. Zwar war er stellenmäßig abgesichert durch seine Beförderung zum Wissenschaftlichen Rat am Psychologischen Institut, aber nunmehr war es Gustaf Deuchler, von dem er sich behindert fühlte:
„Ende November versuchte ich dann, mit Deuchler in ein gutes Verhältnis der Zusammenarbeit zu kommen. In einer Besprechung erwies er sich als jedem vernünftigen Gedanken unzugänglich und erklärte mir, er würde überhaupt den ganzen Kram hinwerfen. Ich habe darauf meine Vorschläge schriftlich wiederholt, ohne jemals Antwort zu erhalten. Ebenso blieben die über drei Jahre lang an Rein gerichteten Vorschläge unbeantwortet. Auf diese Weise war ich nun zwar in eine planmäßige gehobene Assistentenstelle aufgerückt, die wissenschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten aber veränderten sich in keiner Weise. Bis heute habe ich an den Mitteln des Instituts so gut wie keinen Anteil. Ich halte es auch bei der bekannten Veranlagung von Deuchler für ausgeschlossen, dass dies jemals anders werden könnte. Wenn mich sonst nichts davon überzeugte, so die Tatsache, dass er auch mit seinen sämtlichen ehemaligen Schülern und Mitarbeitern überworfen ist.“[22]
Georg Anschütz versuchte dann eigene Akzente zu setzen, organisierte 1936 einen weiteren Kongress zu Phänomenen des Farben-Hörens und Töne-Sehens und knüpfte Beziehungen zu einflussreichen Personen an der Universität und unter den nationalsozialistischen deutschen Psychologen. Wie falsch in diesem ganzen Geflecht gespielt wurde, zeigt ein kleiner Schriftwechsel in Anschütz’ Personalakte. Die Reichsleitung der NSDAP bat am 18.2.1936 bei dem Rektor der Universität Hamburg, Adolf Rein, um eine Stellungnahme über Georg Anschütz für das kulturpolitische Archiv der NSDAP und schrieb: „Prof. Anschütz hat sich der Partei als Vortragsredner zur Verfügung gestellt. Es werden aber vom rein sachlichen Gesichtspunkt aus starke Bedenken gegen die von ihm vertretenen Theorien geäußert. Ist es möglich, dem Archiv eine Auskunft zu geben, ob diese psychologischen Theorien sich der nationalsozialistischen Weltanschauung organisch einfügen? Oder können Sie uns, falls ein eindeutiges Urteil hierüber nicht möglich ist, einen Hamburger Parteigenossen namhaft machen, an den wir uns mit der Bitte um Auskunft wenden können?“[23]
Rektor Adolf Rein antwortete darauf, und er wusste was er tat:
„Über die wissenschaftliche Richtung des Herrn Prof. Dr. Anschütz vermag ich das erbetene Urteil nicht abzugeben, da es mir an Sachkunde fehlt. Prof. Anschütz ist Wissenschaftlicher Rat am Psychologischen Institut hier; mit der Vertretung des Direktors ist der ordentliche Professor Dr. Gustaf Deuchler beauftragt. Da Herr Deuchler bereits vor der Machtübernahme Parteigenosse war, wird die gestellte Frage von ihm am ehesten beantwortet werden können. Da Ihr Schreiben als vertraulich bezeichnet war, sah ich mich nicht ohne weiteres imstande, die Anfrage an ihn weiterzuleiten. Ich stelle anheim, sich unmittelbar mit ihm in Verbindung zu setzen.“[24]
Man muss kein Prophet sein, wenn man vermutet, dass es zu keiner Vortragstätigkeit für Georg Anschütz beim Kulturpolitischen Archiv der NSDAP kam.
Zwischendurch verfolgte Georg Anschütz eine andere Spur. Er war in Hamburg vor 1933 einige Jahre Vertreter im Deutschen Nichtordinarienverband an der Universität Hamburg gewesen. Dieser Verband wurde im Sommer 1933 aufgelöst. Als 1935 der Nationalsozialistische Deutsche Dozentenbund aus dem NSLB hervorging, warb dieser um die Mitglieder des ehemaligen Verbandes. Nach 1945 erklärte ein anderer ehemaliger Vertreter der damaligen Nichtordinarien an der Universität Hamburg, Prof. Rudolf Lütgens, dass sich Georg Anschütz 1935 gesträubt habe, „das Amt des Dozentenführers zu übernehmen“.[25]
Wie dann die tatsächliche Übernahme der Funktion der Leitung des Dozentenbundes der Universität Hamburg ablief, beschrieb der kurzzeitige Vorgänger von Georg Anschütz, Prof. Johann Frers, der die Leitung von 1938 bis April 1939 kommissarisch übernahm, nachdem Prof. Edgar Irmscher diese abgegeben hatte.[26]
Frers erklärte, er habe monatelang versucht, Georg Anschütz zur Übernahme des Amtes zu bewegen, der mit der Begründung abgelehnt habe, ein solches Amt würde ihm nicht liegen und er müsse sich der Wissenschaft widmen. Als dann als Alternative offen angedeutet wurde, Prof. Gustaf Deuchler dafür zu gewinnen, „über dessen charakterliche Eigenarten wir uns jedoch klar waren“, änderte sich diese Situation. Jetzt erklärte sich Anschütz bereit.[27] Man musste nur mit dem größten Konkurrenten drohen.
Georg Anschütz sah aber auch durchaus Vorteile. Schon 1936 war er bereit gewesen, das Amt für Nachwuchsförderung im NS-Dozentenbund zu übernehmen. Jetzt wurde er vom Reichserziehungsminister zum „Leiter der Dozentenschaft der Hansischen Universität“ und gleichzeitig auch zum „Gaudozentenbundführer und NS-Dozentenbundführer der Universität“ ernannt.[28]
Schon vier Monate später war er auch außerplanmäßiger Professor.[29]
Für diese Beförderung hatte Georg Anschütz einen gewichtigen Unterstützer, den Dekan der philosophischen Fakultät der Universität, den Sinologen Fritz Jäger, seit 1933 Mitglied der NSDAP und Anschütz’ Vorgänger 1935 und 1936 als Dozentenbundführer an der Universität Hamburg.[30]
Zur Begründung hatte Fritz Jäger geschrieben:
„Nach seiner Rückkehr habilitierte sich Anschütz 1920 an der Hamburgischen Universität für das Fach der Psychologie. Da er sich aber gegen die damals in Hamburg herrschende jüdisch-marxistische Richtung in Wort und Schrift wandte, musste er aus finanziellen Nöten drei Jahre seine Tätigkeit unterbrechen und ging vorübergehend ins Ausland. Auch nach 1925 hatte er schwer zu kämpfen, da die Hamburger Lehrstühle für Philosophie und Psychologie bis 1933 mit Juden besetzt waren. Nach dem Umbruch wurde Anschütz im November 1933 zum Wissenschaftlichen Rat am Psychologischen Institut ernannt und erhielt erst damit die Möglichkeit einer freieren wissenschaftlichen Betätigung.“[31]
Und über die Persönlichkeit von Georg Anschütz stellte Jäger fest:
„Die geistige Aufgeschlossenheit, das umfassende Wissen, der anständige, sympathische Charakter, nicht zum wenigsten aber auch das harte Lebensschicksal, das A. als Folge seiner geraden politischen Haltung ertragen musste, würden es nach Ansicht der Fakultät rechtfertigen, wenn er endlich auf den ihm gebührenden Platz gestellt würde.“[32]
In der Zeit der NS-Herrschaft an der Universität Hamburg und aus der Position des Gaudozentenbundführers war es Anschütz vermutlich gelungen, Einblick in seine Personalakte zu nehmen, in der auch eine handschriftliche Beurteilung von William Stern aus dem Jahre 1920 vorliegt, die dieser zu dem Habilitationswunsch von Anschütz geschrieben hatte. Am Ende hatte die Kommission von vier Personen unter Einschluss von William Stern und Ernst Cassirer sich dafür ausgesprochen den Rückkehrer aus Konstantinopel zu habilitierten. Die fachliche Beurteilung durch William Stern war allerdings ziemlich vernichtend. Er hatte geschrieben:
„Die eingereichten Druckschriften reichen nur bis 1913. Aus den letzten sechs Jahren liegt nichts vor. Seine Arbeiten haben alle etwas Schwammiges, Unklares; sie sind teils nur kompilatorischer und referierender Natur wie die Arbeit über die Urteilslehre von Lipps, teils bleiben sie stecken in weitschweifigen Erörterungen über Methodenfragen. Sein Hauptwerk über die Intelligenz ist auch im Wesentlichen nur Zusammenstellung von bekannten Methoden und Forschungsgesichtspunkten, die von anderen bearbeitet worden sind. Es fehlt ebenso an großen, das Ganze der Arbeit zur Einheit zusammenfassenden Gesichtspunkten, wie an Leistungen eigener wirklicher Spezialforschung.
Wo er philosophische Fragen berührt, zeigt er geringes Verständnis für die tiefere Bedeutung philosophischer Gedanken – umso merkwürdiger wirkt das gönnerhafte Wohlwollen, das er der Philosophie entgegenbringt. Von einer Habilitation für das gesamte Gebiet Philosophie kann keinesfalls die Rede sein. Über diejenigen Gebiete, die A. vornehmlich pflegen will (Psychologie der großen Nationen, Pädagogik) liegen irgendwelche wissenschaftlichen Ausweise seines Könnens überhaupt nicht vor. Eine starke Selbsteinschätzung macht sich mehrfach unliebsam bemerkbar, besonders in dem Ton der Polemik gegen einen so bedeutender Forscher wie Külpe.[33]
Die Stärken A’s scheinen vielmehr im Popularisieren und Zusammenstellen wissenschaftlicher Ergebnisse als im wissenschaftlichen Forschen zu liegen. Er scheint auch organisatorische Fähigkeiten zu haben, wenigstens hat er es verstanden, das hiesige Psychologische Institut während der Erkrankungen Meumanns und das erste Halbjahr nach seinem Tode zu verwalten. Ebenso ist es ihm geglückt, in Konstantinopel unter recht schwierigen Umständen ein psychologisch-pädagogisches Institut zu organisieren.“[34]
Insgesamt kam man dem Habilitationsgesuch von Georg Anschütz nach, William Stern machte allerdings klar, „dass es ganz ausgeschlossen erscheint, dass die Fakultät mehr für ihn täte, etwa für irgendeine finanzielle Sicherstellung seiner Existenz einträte“.[35]
Sterns Begutachtung der fachlichen Kompetenz von Georg Anschütz wurde später als „marxistisch-jüdische Machenschaft“ bezeichnet.
Anschütz festigte seine Position durch seine gute Vernetzung an der Universität und seine Funktion als Gaudozentenbundführer. Ihm gelang es letztlich, die Auseinandersetzung mit Gustaf Deuchler für sich zu entscheiden. „Im November 1943 wurde er zum außerordentlichen Professor und zum Direktor des Psychologischen Instituts der Universität Hamburg ernannt.“[36]
Gustaf Deuchler hatte sich immer stärker den SA-Aktivitäten zugewandt und beharrte darauf, zugleich für die Psychologie als auch für die Erziehungswissenschaften zuständig zu sein. Helmut Moser schrieb dazu:
„Der wichtige, sowohl politische als auch universitäts-administrative Funktionen erfüllende Gaudozentenführer Georg Anschütz jedoch stellte, zusammen mit dem neuen Dekan Fritz Krüger und unter Assistenz des 1941 neu im Amt befindlichen Rektors Eduard Keeser die Weichen anders. Die jetzt immer offener ausbrechenden Konflikte zwischen Deuchler und Anschütz hier darstellen zu wollen, wäre zwar ebenso farbenprächtig möglich wie die Nachzeichnung der Vorgänge und die persönlichen Einflussnahmen des Zweitgenannten, im Ergebnis aber so eindeutig, dass man den Raum hierfür einsparen kann: Der Sieger hieß Georg Anschütz, dem sogar die bis dahin außerordentlich seltene Ehre zuteil wurde, dass seine Ernennung von Hitler persönlich, am 6. November 1942 im Führer-Hauptquartier, unterschrieben wurde. Mit Begleiterlass des Reichserziehungsministeriums vom 18.11.1942 erhält er das neu errichtete Extraordinariat für Psychologie.“[37]
Als die Vorgänge 1951 im Kontext mit dem Entnazifizierungsverfahren von Georg Anschütz akribisch recherchiert wurden, kam ein Gutachter zu dem Ergebnis:
„Die Frage, ob es sachlich berechtigt war, dass Deuchler ausgeschaltet wurde, braucht hier nicht erörtert zu werden. Entscheidend ist, dass überhaupt jeder mögliche Kandidat außer Anschütz ausgeschaltet wurde, und zwar auf sein eigenes Betreiben. Entscheidend ist, dass Anschütz seine Berufung – mithilfe von Gutachten, die er einholen ließ und abschriftlich an den Dekan lieferte: unter Missbrauch seiner Stellung als Gaudozentenführer für persönliche Zwecke – selber ‚gemacht’ hat. Dieser Tatbestand ist nunmehr nachweisbar.“[38]
So hatte etwa der führende nationalsozialistische Psychologe Prof. Oswald Kroh, der von 1940 bis zur Auflösung 1945 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychologie war, sich gutachterlich mit Schreiben an Anschütz vom 11.10.1941 über Gustaf Deuchler geäußert. Kroh bezeichnete Deuchler „als einen der begabtesten aus der letzten Generation der Wundt-Schüler“, dessen Aktivität aber immer mehr „verströmte“, der seit 1926 „sich mit größeren wissenschaftlichen Publikationen nicht mehr vorgestellt“ habe. Über Deuchlers Lehrtätigkeit, „die nur von wenigen gerühmt wird“, notierte Oswald Kroh: „Mindestens früher litt sie unter einer Neigung zur Improvisation, die Aufbau und Gedankenführung beeinträchtigte und das Formniveau herabdrückte.“[39]
Dies war eines der Gutachten, die Georg Anschütz anforderte und dann in eigener Sache verwendete.
Der Psychologe Georg Anschütz, der sich der Musikwissenschaft verbunden fühlte, und versucht hatte, wissenschaftliche Erkenntnisse verschiedener Disziplinen miteinander zu verbinden, zeigte sich auch in diesem Bereich in der Zeit nach 1933 als propagandistischer Nationalsozialist.
Peter Petersen, der eine Untersuchung über die Musikwissenschaft in Hamburg 1933–1945 veröffentlichte, schrieb: „In Anschütz ‚Musikästhetik‘ von 1930 trifft man noch auf einen Autor, der aufgeschlossen über das gesamte Gebiet der Musik berichtet und von seiner Auffassung kein Hehl macht‚ ,dass alle großen Musiker auch tief religiös erlebende Menschen waren‘. Auch die Entwicklung der atonalen und außereuropäischen zeitgenössischen Musik wurde von Anschütz vor 1933 mit lebhaftem Interesse und Wohlwollen betrachtet und beschrieben. 1934 jedoch polemisierte Anschütz plötzlich gegen die atonale Musik: ‚Man hat das alles mit einer ‚Atonalität‘ bezeichnet, einem Sammelbegriff, aus dem wir schon im Wort selbst die Negation erkennen und das positiv aufbauende vermissen. Trotzdem darf man nicht alles aus dieser Richtung kurzerhand als Schutt ansehen. Streichen wir einmal alles das ab, was jüdischer Geschäftsgeist und ostischer Nihilismus gezeitigt haben!‘ Er stimmt einen Hymnus auf ‚unsere marschierende Jugend‘ an und schließt mit den Worten: ‚Und wir wissen, dass die neue Musik nur eine solche sein kann, die in jedem Ton, in jeder Note, in jeder Betonung, in jeder Pause Symbol des neuen deutschen Menschen ist.‘“[40]
Als Adolf Hitler im Sommer 1935 in Hamburg zu einer Reichs-Theater-Festwoche erwartet wurde, schrieb Georg Anschütz in einem Artikel des Programmheftes:
„Der neue Mensch unserer Tage steht bereits vor uns. Wie dieser Mensch aussehen wird, das können wir nur vermuten, wir können es in der schöpferischen Fantasie nach dem Vorbild unseres großen Führers ahnen. Der Einzelne wird immer mehr zum Gliede der völkischen Gemeinschaft.“[41]
Das nationalsozialistische Engagement hatte sich also für Georg Anschütz gelohnt. Er war außerordentlicher Professor geworden und Direktor des Psychologischen Instituts, in dem er neben Prof. William Stern und später Gustaf Deuchler immer nur eine Nebenrolle gespielt hatte. „1944 beantragte die philosophische Fakultät noch ein Ordinariat für Psychologie, das mit Anschütz zu besetzen sei – dieser Antrag blieb allerdings ohne Erfolg.“[42]
In Kriegszeiten, in denen ein „ordentlicher Studienbetrieb“ nicht mehr stattfinden konnte, weitete Anschütz seine Aktivitäten aus und gehörte zum „Reichsmitarbeiterkreis des Auslandsamtes der deutschen Dozentenschaft“ und nahm teil an Reichstagungen der Auslandsämter, führte eine Vortragsreise im Januar 1942 in Ungarn durch, eingeladen vom Zentralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen in Ungarn und war schließlich beteiligt an einer Tagung im März 1942, eingeladen von Reichsleiter Alfred Rosenberg, auf der Dozenten der Auslandsämter referierten. Anschütz erhielt im September 1944 das „Kriegsverdienstkreuz I. Klasse (ohne Schwerter)“[43].
Am Ende hatte sich Georg Anschütz an der Universität Hamburg durchgesetzt. Aber das nächste Ende folgte schnell. Anschütz wurde am 4.12.1945 von Senator Landahl seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis mit sofortiger Wirkung mitgeteilt.[44]
Anschließend wurde er verhaftet und aufgrund seiner Tätigkeit als Gaudozentenbundführer für ein Jahr interniert.[45]
Danach begann ein langer Prozess der Entnazifizierung, den Georg Anschütz intensiv betrieb und für den er zahlreiche Schriftsätze und Leumundszeugnisse einholte. Es war absehbar, dass Anschütz sich in diesem Prozess als notorisches Opfer darstellen würde, als Wissenschaftler, der trotz seiner Qualifikation niemals wirklich anerkannt war, auch in der NS-Zeit nicht. Konflikte mit anderen Nationalsozialisten wurden hochstilisiert und dafür bot sich die Auseinandersetzung mit Prof. Gustaf Deuchler an, der gleichfalls nach 1945 entlassen worden war.[46]
Insofern sollen in diesem Kontext nur schlaglichtartig wesentliche Aspekte vorgestellt werden.
Wichtig ist dabei, dass die Front an der Universität Hamburg in diesem Verfahren eindeutig war. Es gab natürlich noch viele Hochschullehrer, die Georg Anschütz als den Exponenten der Nationalsozialisten in seiner Funktion als Gaudozentenbundführer erlebt hatten und denen präsent war, wie Anschütz diese Tätigkeit mit persönlichen Interessen verbunden hatte. Und es wurden auch Dokumente ins Feld geführt, die belegten, wie Anschütz als NS-Repräsentant an der Universität operiert hatte. Es konnte mit einem Schreiben von Anschütz vom 27.2.1944 gezeigt werden, wie der Nationalsozialistische Deutsche Dozentenbund bei Berufungen und sogar Habilitationen agierte. So hatte Anschütz an den Dekan der Philosophischen Fakultät, Prof. Fritz Krüger, in einem Habilitationsfall geschrieben:
„Seitens der Dozentenführung kann die Zustimmung zur Durchführung des Verfahrens zum Dr. phil. ausschließlich unter der Bedingung erteilt werden, dass der Kandidat eine schriftliche Erklärung darüber abgibt, dass er auf die Dozentur verzichtet. Selbstverständlich wird diese Erklärung später dann gegenstandslos, wenn Herr Dr. H. zu gegebener Zeit den Nachweis seines politischen Einsatzes nachgeliefert hat und auf diese Weise die Zustimmung des Dozentenführers möglich wird. Ich betone bei dieser Gelegenheit ausdrücklich, dass erst vor kurzer Zeit durch die Verfügung der Parteikanzlei darauf hingewiesen wurde, dass ein noch so umfassender Einsatz als Soldat in keinem Falle den Mangel an politischem Einsatz auszugleichen vermag, und umgekehrt.“[47]
In diesem Kontext wurde zum Beispiel auch deutlich, welche Dissertationen bei dem unorthodoxen Psychologen Georg Anschütz geschrieben und anerkannt wurden. So etwa die Arbeit von Dietz Jaeger aus dem Jahre 1939, mit einem Umfang von 62 Seiten zum Thema „Angst und Charakter beim Kampfsport. Eine Untersuchung angstartiger Zustände auf Hinderniskampfbahnen unter dem Gesichtspunkt der soldatischen Charakterhaltung“.[48]
Es war eindeutig, dass Leumundsschreiben durchweg von Professoren anderer Universitäten kamen, aber nicht von denjenigen, die die Hamburger Verhältnisse kannten. So bezeichnete der Hamburger Erziehungswissenschaftler Professor Wilhelm Flitner Anschütz als „Intimus von Kultusminister Rust und Nazi-Aktivisten“. „Und es ist unerhört, dass er sich wieder in der Öffentlichkeit hervorwagt.“[49]
Anschütz hatte als Beleg für seine langjährigen nationalsozialistischen Aktivitäten in der Zeit, als er sich um eine Professur an der Universität Hamburg bemühte, Unterstützer für ihn Partei nehmen lassen. Was 1941 hilfreich war, schadete nach 1945. So etwa das Schreiben des SA-Sturmbannführers Flebbe, der am 3.9.1941 geschrieben hatte, was zu Anschütz’ Personalakte gelegt wurde:
„Im Jahre 1930 hatte ich in Reinbek die Aufgabe, Bezieher für das neu zu gründende Hamburger Tageblatt als Organ der NSDAP zu werben. Im Allgemeinen war es üblich, dass die Bezieher ein Vierteljahr im Voraus bezahlten. Da mir die politische Einstellung des Herrn Prof. Anschütz und seiner Familie seit langem bekannt war, kam ich auch zu ihm. Prof. Anschütz hat bereitwillig seinerzeit das Hamburger Tageblatt bestellt und den Bezugspreis für ein ganzes Jahr im Voraus bezahlt. Er erklärte mir damals, dass diese Aufgabe politisch so wichtig sei, dass er die voranstelle und lieber eine Rechnung über fällige Hypothekenzinsen später begleichen werde. Auch bei anderen Gelegenheiten stellte Pg A. seine Opferbereitschaft unter Beweis.“[50]
Interessant ist, wie die Personen Anschütz charakterisierten, die mit ihm in den „Grenzbereichen“ seiner Wissenschaft zusammenarbeiteten. So schrieb der Geschäftsführer des Waterloo-Theaters aus der Dammtorstraße 14, wo in den Jahren 1933 bis 1936 die Farbe-Ton-Kongresse stattfanden:
„Sie standen bei mir und bei meinem gesamten Mitarbeiterstab stets in dem Ruf, in jeder politischen Beziehung ein weltfremder Wissenschaftler zu sein, der restlos in seiner Arbeit aufging und durch seine wissenschaftliche Tätigkeit viel zu sehr geistig über allen Fragen der Tagespolitik stand und deshalb alles andere als ein Nazi war. Uns Praktiker des Lebens haben Sie oftmals durch ihre idealistische Berufsauffassung in Erstaunen gesetzt. Denn sie haben häufig unter Hintansetzung ihrer eigenen Person und Opferung erheblicher Geldbeträge die Kongresse und ihre Forschungen durchgeführt, selbst wenn darunter der Wohlstand ihrer Familie litt. Über Letzteres bin ich durch ihre Gattin persönlich unterrichtet worden.“[51]
Auch der Film-Produktionsleiter und Autor Alfred Merwick, der maßgeblich an den Farbe-Ton-Kongressen beteiligt war und Anschütz wegen „seiner wahrhaft idealistischen wissenschaftlichen Pionierarbeit“ schätzte, wies darauf hin, dass „auf jedem dieser Kongresse, die Herr Prof. Anschütz in hohem Umfang aus eigenen Mitteln finanzierte, bedeutende Gelehrte und Wissenschaftler vieler europäischer Staaten nach Hamburg kamen“. Er erklärte weiter:
„Ich gestehe, dass ich nie habe verstehen können, was Herr Prof. Anschütz mit der geistfeindlichen Bewegung des Nationalsozialismus verbinden konnte, da sein Wirken in vielerlei Hinsicht im Gegensatz zu den Bestrebungen der Nazi-Zeit stand. Ich halte Herrn Prof. Anschütz für einen jener etwas erdenfernen deutschen Idealisten, die im Glauben an eine große geistige Mission Deutschlands immer im Kielwasser der Nationalsozialisten zu finden sind. Sie tragen hinterher immer ihren guten Glauben zu Grabe und sind insofern jeweils Opfer solcher Fieberperioden übersteigerten Nationalwahns, was die Haltung gewisser geistiger Schichten während der Nazizeit bei Leibe nicht entschuldigen und verzeihen soll.“[52]
Da mag einiges treffend gewesen sein. Zu berücksichtigen ist sicherlich auch, dass diese Kongresse bis 1936 stattfanden und die Aktivitäten Anschütz’ als Gaudozentenbundführer 1939 starteten. Das große idealistische finanzielle Engagement Anschütz für diese Kongresse mag auch der Hintergrund dafür gewesen sein, endlich einmal mit Macht für eine gutdotierte Stelle an der Universität zu sorgen und dafür alle Verbindungen zu nutzen.
Und sicherlich war Georg Anschütz ein unorthodoxer, auch auf dem Gebiet der Psychologie freier Geist, der bereit war, andere und neue Wege zu gehen. So schrieb seine ehemalige Studentin Ruth Stuhlmann:
„Meine Doktorarbeit, die ich auf Anregung von Herrn Prof. Anschütz über das Thema ‚Geburt und Begabung‘ durchführte, behandelte wissenschaftliche Grenzfragen der Astrologie. Es war sehr schwer, einen Korreferenten für diese Arbeit zu bekommen. Die Beschäftigung mit Astrologie war im Dritten Reich verpönt. Die Anregung zu dieser Arbeit hatte Herr Prof. Anschütz einer amerikanischen Zeitschrift entnommen. Niemals habe ich von Herrn Prof. Anschütz eine Anweisung bekommen, diese Arbeit im Sinne einer bestimmten Weltanschauung durchzuführen. Ich besaß völlige Freiheit in der Methode sowohl wie in der Gestaltung der Ergebnisse. Herr Prof. Anschütz verlangte eine eigene freie Meinung, gleichgültig, woher sie kam, wenn sie nur wissenschaftlich begründet war.“[53]
Es ergab sich die Schwierigkeit, dass die Militärregierung am 6.10.1947 angeordnet hatte, das Entnazifizierungsverfahren gegen Georg Anschütz in Schleswig- Holstein durchzuführen, da dieser seinen Wohnsitz in Reinbek hatte. Dies war insofern günstig für Anschütz, weil dort andere Gesichtspunkte eine Rolle spielten und die Expertise und die Eindrücke und Informationen der Hamburger Hochschullandschaft weniger berücksichtigt wurden. Der Entnazifizierungsausschuss des Kreises Stormarn in Ahrensburg hatte Anschütz am 31.3.1948 in die Kategorie IV, „als Mitläufer“ eingestuft. Und da der öffentliche Ankläger am 16.8.1948 ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet hatte, war diese Entscheidung rechtskräftig geworden. Insofern stellte der Berufungsausschuss 17 für die Ausschaltung von Nationalsozialisten in Hamburg am 7.9.1949 alle Hamburger Maßnahmen ein.[54]
Diese Entscheidung war für Georg Anschütz einerseits günstig, auf der anderen Seite führte es nicht dazu, in Hamburg wieder eine Einstellungsmöglichkeit zu bekommen. Georg Anschütz schrieb am 2.2.1950 an den Vorsitzenden des Berufungsausschusses 17, Rechtsanwalt Harry Soll:
„Fast fünf Jahre bin ich jetzt ohne Einkommen. Fast täglich erhalte ich Anmahnungen und Drohungen bezüglich offener Verpflichtungen. Mitte oder Ende des Monats Februar soll ich einer Einladung nach der Schweiz folgen, wozu ich jetzt schon die Vorbereitungen treffen muss, ohne die Fahrkosten zu besitzen.“[55]
Georg Anschütz befand sich also wieder in einer prekären finanziellen Lage.
Er hatte zwischenzeitlich eine „Freie Forschungsstelle für Psychologie und Grenzgebiete des Wissens“ gegründet, „in der er mit Laien sowie anderen entlassenen NS-Wissenschaftlern zusammenarbeitete und die sich unter anderem mit Phänomenen des Okkultismus befasste. Daneben betreute Anschütz auch Promotionen in der sowjetischen Besatzungszone.“[56]
Außerdem hatte Anschütz seine Tätigkeit als Autor für verschiedene Tageszeitungen wieder aufgenommen. So schrieb er beispielsweise am 27.12.1951 einen größeren Beitrag in der Zeitung „Die Welt“ unter der Überschrift „Verstehen heißt nicht verzeihen“, eine Auseinandersetzung mit einem damaligen spektakulären Bombenattentäter.[57]
Die Universität Hamburg verweigerte Anschütz jede Möglichkeit, wieder beschäftigt zu werden. Einhellig waren der Rektor der Universität und die zuständigen Gremien der Auffassung, dass Anschütz seine damalige Berufung im Jahre 1941 nur aufgrund seiner Aktivitäten als Gaudozentenbundführer erreicht hatte, dafür auch die entsprechenden positiven Gutachten selbst in dieser Funktion eingeholt „und dem damaligen Dekan Krüger“ zugespielt habe.[58]
Georg Anschütz klagte dagegen und es kam seit 1951 zu einem Prozess vor den Verwaltungsgerichten durch alle Instanzen. Mit Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts Hamburg vom 15.6.1953 wurde dem Kläger Georg Anschütz Recht gegeben. Es könne letztlich nicht nachgewiesen werden, dass die Ernennung von Georg Anschütz „nur wegen der engen Verbindung des Klägers zum Nationalsozialismus“ erfolgt sei.[59]
In der Fakultätssitzung der Philosophischen Fakultät der Universität Hamburg wurde am 7.11.1953 ein Schreiben der Behörde mit der Abschrift des Urteils eingebracht. „Durch das Urteil ist gerichtlich bescheinigt, dass das Berufungsverfahren auf seinen Lehrstuhl ordnungsgemäß gewesen ist. In dem Schreiben wird die Fakultät gefragt, ob sie Gesichtspunkte vorbringen können, die die Einlegung der Berufung ermöglichen würde, die im Übrigen von der Hochschulabteilung für aussichtslos gehalten wird. Nach einer Besprechung mit den Herren Schubrink und Pyritz, die beide den Fall gut kannten, hat der Dekan die gestellte Frage in einem Schreiben an die Hochschulabteilung vom 11.8.1953 verneint, das verlesen und von der Fakultät nachträglich gebilligt wird.“ [60]
Am 25.12.1953 bekam der Dekan der Philosophischen Fakultät ein Telegramm von Maria Anschütz, in dem es hieß:
„Ich bitte davon Kenntnis nehmen zu wollen, dass mein Mann, der Universitätsprofessor Dr. phil. Georg Anschütz, am 25.12.1953 seiner schweren Krankheit erlegen ist.“[61]
In einem Artikel im „Hamburger Abendblatt“ vom 28.12.1953 wurde Georg Anschütz als „Hamburger Psychologe und Erforscher seelischer Grenzgebiete“ gewürdigt. Besondere Hinweise gab es auf seine „umfangreichen Arbeiten zur Farb-Ton-Forschung“. „Zu diesen Vorstößen in unbekannte oder unerhellte Wissensgebiete war er als Musikästhet und begeisterter Musiker besonders gut ausgerüstet.“ Erwähnt wurde auch die nach dem Kriege von ihm gegründete und geleitete „Forschungsgesellschaft für Psychologie und Grenzgebiete des Wissens“, in der er sich „der Aufgabe angenommen habe, das Erforschliche zu erforschen und das Unerforschliche schweigend zu verehren.“ Kein Wort zu seiner Arbeit während der NS-Zeit.[62]
Am 15.11.1951 hatte die „Hamburger Freie Presse“ geschrieben:
„Heute wird das enfant terrible der Hamburger Wissenschaftler 65 Jahre alt. Psychologieprofessor Georg Anschütz hat seit eh und je über die akademisch festgestellten Grenzen hinaus geforscht. ‚Ich glaube an gar nichts und halte alles für möglich‘, formuliert er gern sein wissenschaftliches Credo.“[63]

Eine hinterlassene Lebensweisheit.
Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen
1 Personalakte Anschütz, StA HH, 361-6_IV 0017
2 Kurzer wissenschaftlicher Lebensgang von Georg Anschütz vom 28.8.1941, ebd.
3 Ebd.
4 Martin Tschechne: William Stern, Hamburg 2010, S. 46.
5 Georg Anschütz, von ihm zusammengestellter Lebenslauf: Entnazifizierungsakte Anschütz, StAHH, 221-11_ 73041 KAT
6 Kurzer wissenschaftlicher Lebensgang 1941, Personalakte a. a. O.
7 Schreiben von William Stern vom 28.6.1919, Personalakte Anschütz, a. a. O.
8 Kommissionsvorschlag abgedruckt in der Personalakte Anschütz, a. a. O.
9 „Hamburger Nachrichten“ vom 17.6.1919.
10 Ebd.
11 Anton F. Guhl: Kurzbiografie Georg Anschütz, in: Franklin Kopitzsch/Dirk Brietzke (Hg.): Hamburgische Biografie, Personenlexikon Bd. 6, Göttingen 2012, S. 16 f.
12 Kurzer wissenschaftlicher Lebensgang 1941, Personalakte a. a. O.
13 Ebd. S. 3 f.
14 Fragebogen zum Zwecke der Vervollständigung der Personalakte vom 1.8.1939, Personalakte a. a. O.
15 Tschechne 2010, S. 130.
16 Siehe die Biografie Paul Roloff, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 2, Hamburg 2017, S. 637 ff.
17 Helmut Moser: Zur Entwicklung der akademischen Psychologie in Hamburg bis 1945. Eine Kontrast-Skizze als Würdigung des vergessenen Erbes von William Stern, in: Eckart Krause, Ludwig Huber, Holger Fischer (Hg.): Hochschulalltag im „Dritten Reich“. Die Hamburger Universität 1933–1945, Band II, Berlin-Hamburg 1991, S. 496 f.
18 Moser 1991, S. 498 f. Siehe auch: Tschechne 2010, S. 149. Zu Gustaf Deuchler und Heinrich Haselmayer siehe: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 1, Hamburg 2016, S. 142 ff. und S. 621 ff.
19 Arnt Goede: Adolf Rein und die „Idee der politischen Universität“, Berlin-Hamburg 2008.
20 Kurzer wissenschaftlicher Lebensgang 1941, Personalakte a. a. O.
21 Siehe Biografie Deuchler in: de Lorent 2016, S. 142 ff.
22 Kurzer wissenschaftlicher Lebensgang 28.8.1941, Personalakte a. a. O.
23 Schreiben vom 18.2.1936, Personalakte a. a. O.
24 Rektor Adolf Rein in einem Schreiben am 22.2.1936, Personalakte a. a. O.
25 Prof. Rudolf Lütgens in einem Schreiben vom 5.11.1946, Entnazifizierungsakte Anschütz, StA HH, 221-11_73041 KAT
26 Siehe dazu die Biografie Irmscher in diesem Band.
27 Schreiben von Prof. Johann Frers vom 5.10.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
28 Schreiben vom 15.7.1939, Personalakte a. a. O.
29 Ernennung vom 1.11.1939, Personalakte a. a. O.
30 Michael Grüttner: Biografisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik, Heidelberg 2004, S. 82.
31 Schreiben des Dekans der philosophischen Fakultät, Prof. Fritz Jaeger vom 1.8.1939, Personalakte a. a. O.
32 Ebd.
33 Oswald Külpe (1862–1915) war ein deutscher Psychologe und Philosoph. Er war Begründer der Würzburger Schule der Denkpsychologie. Er wurde 1887 unter Wilhelm Wundt in Leipzig promoviert. Die folgenden acht Jahre war er Assistent bei Wundt. 1894 wurde er Professor an der Universität Würzburg und gründete im Jahr 1896 das dortige Institut für Psychologie, 1912 an der Universität München. Schüler Külpes waren unter anderem Ernst Bloch und Karl Bühler. Bei Külpe hatte Anschütz ein Jahr studiert.
34 Gutachten von William Stern zum Habilitationsgesuch von Georg Anschütz, Personalakte a. a. O.
35 Ebd.
36 Personalakte a. a. O.
37 Moser 1991, S. 506.
38 Ebd.
39 Schreiben von Oswald Kroh vom 11.10.1941, Personalakte a. a. O.
40 Peter Petersen: Musikwissenschaft in Hamburg 1933–1945, in: Eckart Krause, Ludwig Huber, Holger Fischer (Hg.): Hochschulalltag im „Dritten Reich“. Die Hamburger Universität 1933–1945, Band II, Berlin–Hamburg 1991, S. 630.
41 Ebd.
42 Petersen 1991, S. 629.
43 Alle Angaben laut Personalakte a. a. O.
44 Personalakte a. a. O.
45 Personalakte a. a. O.
46 Siehe die Biografie Deuchler, a. a. O.
47 Auszug aus dem Schreiben vom 27.2.1944, Verwaltungsgerichtsunterlagen, StA HH, 221-5_171
48 StA HH, 361-6_IV 2395
49 Schreiben vom 2.1.1953, ebd.
50 StA HH, 361-6_IV 2395
51 Geschäftsführer Heisig am 10.9.1946, Entnazifizierungsakte Anschütz, StA HH, 221-11_73041 KAT
52 Schreiben vom 7.11.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
53 Schreiben vom 12.9.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
54 Berufungsausschuss 17 vom 7.9.1949, Entnazifizierungsakte a. a. O.
55 Schreiben vom 2.2.1950, Entnazifizierungsakte a. a. O.
56 Guhl 2012, S. 17.
57 „Die Welt“ vom 27.12.2051.
58 So Rektor Prof. Paul Harteck an die Schulbehörde am 11.7.1949, StA HH, 361-6_IV 2395
59 Landesverwaltungsgericht Hamburg Urteil vom 15.6.1953, StA HH, 221-5_171
60 Auszug aus der Niederschrift der Fakultätssitzung vom 7.11.1953, StA HH, 361-6_IV 2395
61 Telegramm vom 25.12.1953, StA HH, 361-6_IV 2395
62 „Hamburger Abendblatt“ vom 28.12.1953.
63 „Hamburger Freie Presse“ vom 15.11.1951.
 

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Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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