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Kurt-Adolf Körber

(7.9.1909 Berlin - 10.8.1992 Hamburg)
Begründer der Hauni-Werke, Mäzen. Ehrenbürger der Stadt Hamburg.
Namensgeber für Kurt-A.-Körber-Chaussee , Bergedorf (benannt 1998)

Über Kurt A. Körbers Herkunft heißt es im Bergedorfer Personen Lexikon: „K. stammte aus einem sozialistisch geprägten Elternhaus. Während des Ersten Weltkrieges eingeschult, erlebte er die politischen Umbrüche von der Kaiserzeit zur Weimarer Republik. Seine Mutter Rosa engagierte sich in der USPD, hegte Sympathien für die Ideen Rosa Luxemburgs (1870-1919) und ließ ihren Sohn auf Parteiveranstaltungen politische Parolen deklarieren. Vom Vater, der als Technik er bei Siemens arbeitete und später in leitender Position in einem sächsischen Unternehmen tätig war, erbte K. das technische Talent. Schon als Schüler meldete er 1924 eine Radiosender-Ableseskala als erstes Patent an. Nach einem Studium der Elektrotechnik (…) fand er 1935 durch ein von ihm patentiertes Farbkontrollgerät den Weg in die Zigarettenbranche Dank dieser Erfindung konnten Zigaretten erstmals maschinell mit dem Label nach oben in die Schachteln gelegt werden.“ (Olaf Matthes und Bardo Metzger (Hrsg.): Bergedorfer Personen Lexikon, Hamburg 2003, S. 112.)

Verheiratet war Kurt-Adolf Körber mit Anna Katharina, geb. Hiller (1904-17.11.1991), seiner Jugendliebe. Er hatte die sechs Jahre Ältere kennengelernt, als er 16 Jahre alt war und ihrem Vater einen selbstgebauten Radioempfänger verkaufte. Hochzeit war im Jahr 1933. „Anny“, wie sie liebevoll genannt wurde, unterstützte ihren Mann in seinem beruflichen wie auch sozialem Engagement. Das Paar blieb kinderlos.

Körber war nach Anstellung in Berlin, seit 1935 Mitarbeiter der Dresdner Firma „Universelle“ Zigarettenmaschinenfabrik J.C. Müller & Co. 1940 trat er der NSDAP bei. 1944 wurde er Technischer Direktor der Universelle und damit Teil der Geschäftsführung.

Körber und NS-Belastung
Körbers Werdegang ist beschrieben unter: www.koerber-stiftung.de/stiftung/kurt-a-koerber.html. Hier wird auch auf einen lesenswerten Aufsatz von Frank Bajohr hingewiesen und verlinkt, der sich mit Körbers Haltung im Nationalsozialismus auseinandersetzt. Frank Bajohr und Josef Schmid: Gewöhnlicher unternehmerischer Opportunismus? In: Zeitgeschichte in Hamburg 2011, hrsg. von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Hamburg 2012.

Der Historiker David Templin schreibt in seiner wissenschaftlichen Untersuchung zur NS-Belastung von Straßennamen über Körber: „Bereits 1935 entstanden in der Universelle – zunächst geheime – Rüstungsabteilungen; in der Folge setzte eine starke Beteiligung an der Rüstungsproduktion ein. 1938 wurde diese erheblich ausgeweitet, indem v. a. Torpedoteile produziert wurden. Körber trieb diese Entwicklung laut eigenen Aussagen aktiv mit voran, indem er ein ‚Scheinwerferleitrichtgerät‘ entwickelte, dessen Produktion als kriegswichtig eingestuft wurde – und damit Körber selbst, aber auch viele seiner Mitarbeiter, vor dem Fronteinsatz bewahrte. Körber war in dieser Zeit an Besprechungen des Unternehmens mit militärischen Dienststellen beteiligt und agierte wohl als ‚direkter Mittelsmann‘ zu den Kommandostellen der Wehrmacht, wie Josef Schmid und Frank Bajohr betonen. Dies habe seinen Einfluss im Unternehmen deutlich erhöht.

Körber selbst betonte Anfang der 1990er Jahre, diese Position habe es ihm, ‚erlaubt, bis kurz vor Kriegsende um den Eintritt in die [...] NSDAP herumzukommen‘. Diese Aussage ist unwahr. Körber stellte am 30. Mai 1940 einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP, die zum 1. Juli 1940 erfolgte. Eine ideologische Nähe Körbers zum Nationalsozialismus konnten Biographen Körbers wie Josef Schmid und Dirk Wegner allerdings nicht feststellen, vielmehr war sein Profitstreben und ein gewisser unternehmerischer Opportunismus prägend für sein Handeln. Er selbst äußerte in der Rückschau von 1989 aber auch: ‚Ich wollte den Krieg gewinnen; dafür habe ich gearbeitet, Tag und Nacht‘. Zudem gab er eine gewisse Faszination für das ‚Hitlerreich‘ offen zu.

Nach den deutschen Eroberungen im Osten expandierte die Universelle 1941 auch in die besetzten Gebiete und beteiligte sich an deren Ausbeutung. 1942 wurde dem Eigentümer der Universelle, Johannes Carl Müller, seine Position als Betriebsführer aberkannt und er wurde von der Gestapo unter Hausarrest gestellt. Neuer Unternehmenschef wurde Hans Schwerin.

Körber wurde im Februar 1944 Technischer Direktor der Universelle und damit auch offiziell Teil der Geschäftsführung. Mit vermehrten Rüstungsaufträgen begann das Unternehmen (seit 1941) Zwangsarbeiter zu beschäftigen – insgesamt wohl rund 3.000 aus elf verschiedenen Nationen 1944 errichtete die Universelle ein eigenes Zwangsarbeiterlager in der Florastraße, an dessen Aufbau Körber beteiligt war. Im selben Jahr kamen rund 700-800 weibliche KZ-Häftlinge in ein in der Florastraße errichtetes Außenlager des KZ Ravensbrück, um für die Universelle zu arbeiten. Auf wessen Initiative dieser Einsatz hin erfolgte, lässt sich nicht rekonstruieren, in der überwiegenden Zahl der Fälle ging ein solcher Einsatz jedoch auf die des Unternehmens zurück. Das Unternehmen war zudem für die Unterbringung der Häftlinge in unbeheizten Räumen verantwortlich. Nach 1945 gab es Aussagen ehemaliger Häftlinge über Misshandlungen durch Aufseherinnen der Firma. Während Bajohr/Schmid betonen, ein ‚direkter Kontakt Körbers mit KZ-Häftlingen‘ sei nicht nachzuweisen, deren Lebensbedingungen dürften ihm aber ‚kaum entgangen sein‘, schreibt Alyn Beßmann ihm als Mitglied der Geschäftsführung (der z. B. im September 1944 persönlich den Betriebsleiter für das Werk in der Florastraße ernannte) eine ‚Mitverantwortung‘ für deren Schicksal zu, auch wenn sein genauer Anteil nicht abschließend zu klären sei. Beßmann hat zudem auf ein Dokument hingewiesen, demzufolge Körber bereits 1943 an Verhandlungen um Räume für ein Zwangsarbeiterlager beteiligt war. Bei einem Luftangriff im Februar 1945 wurden die Anlagen der Universelle zu weiten Teilen zerstört, die meisten eingesetzten Häftlinge starben – Körber war durch einen Zufall nicht da. Im April 1945 wurde er bei einem Luftangriff schwer verschüttet und überlebte nur knapp. In den letzten Kriegsmonaten arbeitete er daran, die zivile Produktion wiederaufzubauen, bemühte sich andererseits aber noch lange um eine Fortführung der Rüstungsproduktion.

Zur Biographie nach 1945
Nach Kriegsende 1945 wurde Körber von der sowjetischen Militäradministration im Amt belassen, während 20 andere Mitarbeiter die Firma verlassen mussten. Er setzte sich für den Wiederaufbau bzw. die Fortführung des Unternehmens ein, u. a. indem er dieses in Form eines genossenschaftlichen Modells ‚neu‘ gründete. Der sächsische ‚Sonderausschuss‘ zur Entnazifizierung bestätigte Körber nach Fürsprache von Widerstandskämpfern aus der Universelle, angeblich ‚antifaschistische Arbeit‘ geleistet zu haben. Der Sozialdemokrat Alfred Krill und der Kommunist Rudolf Thiersch setzten sich für Körber ein. Bescheinigt wurde ihm etwa, sich durch Unabkömmlichkeitserklärungen für die ‚halbjüdische‘ Sachbearbeiterin und Sekretärin Gisela Benfey eingesetzt zu haben. Bajohr und Schmid halten es allerdings für ‚fraglich, ob Körber in diesen Fällen tatsächlich politisches Engagement zeigen wollte‘ und sahen seinen Einsatz vor allem dadurch motiviert, ‚fähige Mitarbeiter zu behalten‘.

Im Juli 1946 übersiedelte er in die Westzone nach Hamburg und gründete im Stadtteil Bergedorf die Hauni-Maschinenfabrik als Zweigstelle der Universelle, mit der er sich 1947 selbstständig machte. Im selben Jahr wurde Körber in Hamburg entnazifiziert. Dabei gab er fälschlicherweise nur eine NSDAP-Anwärterschaft für 1944/45 in seinem Fragebogen an und wurde daraufhin als ‚unbedenklich‘ in Kategorie V eingestuft. In einem weiteren Fragebogen von 1950 leugnete er die NSDAP-Mitgliedschaft sogar ganz.

Die Hauni-Werke expandierten seit den späten 1940er Jahren rasant. Mitte der 1950er Jahre gründete Körber eine Niederlassung in den USA, es folgten Filialen in etlichen weiteren Ländern. In den 1960er Jahren diversifizierte er seinen Konzern und übernahm in der Folge weitere Firmen, u.a. für Papierverarbeitung. 1987 wurde die Körber AG gegründet. Seit Mitte der 1950er Jahre engagierte sich Körber verstärkt für die Ingenieurausbildung, u. a. 1956 durch Gründung des ‚Tabak Technik um Hamburg‘, das 1964 zur staatlich anerkannten Ingenieurschule wurde. (…).

Körber engagierte sich früh als Stifter und Mäzen. 1957 war er an der Gründung der Stiftung für den Wiederaufbau des Thalia-Theaters beteiligt, dessen langjähriges Aufsichtsratsmitglied er wurde, 1960 an der Gründung der Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper. 1959 rief er die Kurt A. Körber-Stiftung ins Leben, mit dem Ziel der Gründung einer privaten Fachhochschule für Produktions- und Verfahrenstechnik. 1969 folgte die Hauni-Stiftung – beide wurden 1981 zur Körber-Stiftung vereinigt. Ende der 1980er Jahre investierte er in die Restaurierung der Deichtorhallen Sein gesellschaftliches Engagement war aber auch diskursiver Art, indem er sich etwa intensiv mit dem Realsozialismus und dem Vergleich der Systeme auseinandersetzte. 1961 initiierte er den ‚ Bergedorfer Gesprächskreis zu Fragen der freien industriellen Gesellschaft‘, der Tagungen zu gesellschaftspolitischen Themen organisierte. 1973 rief er zusammen mit Bundespräsident Gustav Heinemann den ‚Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten‘ ins Leben. Als die Flucht vietnamesischer boat people 1979 das Land bewegte, bot er die Ausbildung und Beschäftigung von 60 Vietnamesen an. 1991 protestierte er mit einer Zeitungsanzeige gegen Gewalt gegen Ausländer/innen, (…). Körber erhielt zahlreiche Ehrungen für sein Lebenswerk, u.a. 1960 die Ehrendoktorwürde, (…), 1980 die Bürgermeister-Stolten-Medaille, 1988 die Ehrensenatorwürde der Universität Hamburg und 1991 die Ehrenbürger würde der Hansestadt. Nach 1968 kam es immer wieder zu Studentenprotesten gegen den ‚Monopolkapitalisten‘ Körber, 1971 fand an der Universität ein vom AStA organisiertes ‚Körber-Tribunal‘ statt. Gegen die Verleihung der Ehrenbürger würde 1991 protestierte die GAL, indem sie auf Körbers Beteiligung an Rüstungsexporten in Länder wie den Irak hinwies. (…). 2006 gab sich das Gymnasium Billstedt den Namen Kurt-Körber-Gymnasium. (…).
In seinen Lebenserinnerungen und gegenüber Biographen äußerte sich Körber 1990/92 auch selbst. Während er fälschlicherweise behauptete, 3.000 Personen vor dem Kriegsdienst bewahrt zu haben, äußerte er sich nicht zum Thema Zwangsarbeit . (…).“
Text: David Templin aus seiner Wissenschaftlichen Untersuchung zur NS-Belastung von Straßennamen. Abschlussbericht erstellt im Auftrag des Staatsarchivs Hamburg., Hamburg 30.11.2017.

Zum Straßennamen: Kurt-A- Körber-Chaussee
Nach Kurt-Adolf Körber wurde 1998 auf Vorschlag der SPD-Fraktion in der Bezirksversammlung Bergedorf die Kampchaussee, wo die Körber AG ihren Sitz hat, umbenannt in Kurt-A.-Körber-Chaussee .
Im Februar 2019 beschloss die Bezirksversammlung Hamburg Bergedorf, dass zwei Infotafeln in der Kurt-A.-Körber-Chausse aufgestellt werden sollen, auf denen das Wirken Kurt A. Körbers während der NS-Zeit kritisch kontextualisiert wird. Eine Umsetzung des Beschlusses erfolgte noch nicht. (Stand: Januar 2023)
Im September 2020 berief die Behörde für Kultur und Medien eine Kommission auch acht Expertinnen und Experten, die Entscheidungskriterien für den Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Hamburg entwickeln und Empfehlungen zu möglichen Umbenennungen aussprechen sollte.

Zur Kurt-A.-Körber-Chaussee gab die Kommission im März 2022 die Empfehlung, den Straßennamen mit weiterführenden Informationen kritisch zu kontextualisieren, z. B. mittels eines Erläuterungsschildes unter dem Straßennamenschild. Folgende Begründung gab die Kommission: „Angesichts der historischen Befunde zur Biografie Körbers ist eine Kommentierung erforderlich. Dabei soll einerseits auf seine Vita eingegangen und andererseits die Diskussion um die Straßenbenennung im Bezirk Bergedorf deutlich gemacht werden. Wegen des Umfangs empfiehlt die Kommission hier einen Text zur ausführlichen Kontextualisierung, der über einen QR-Code am Straßenschild im Internet zugänglich gemacht werden soll.“ www.hamburg.de/contentblob/15965308/8ee2e6d28dbd23e8df84bf75ceabda98/data/empfehlungen-kommission-ns-belastete-strassennamen.pdf

Quellen:
Templin gibt für seinen Text folgende von ihm benutzte Quellen an:
Stellungnahmen Alyn Beßmann und Dr. Josef Schmid zur Diskussion über Kurt-A.-Körber im Nationalsozialismus , Hauptausschusssitzung der Bezirksversammlung Bergedorf, 15.6.2017; Alyn Beßmann: Stellungnahme zu Kurt Adolf Körber, in:
NS-belastete Straßennamen im Bezirk Bergedorf. Stellungnahme der historischen Fachkommission, Hamburg- Bergedorf, 1.3.2017, S. 30-35; o.A: Kurt-Adolf Körber, in: Landeszentrale für politische Bildung Hamburg (Hg.): Die Dabeigewesenen-Datenbank online, www.hamburg.de/ns-dabeigewesene; Josef Schmid: Wissenschaft liche Expertise zur „Vergabe von Ehrenbürgerschaften in der Freien und Hansestadt Hamburg im 19., 20. und 21. Jahrhundert“, 29.10.2014; ders./Frank Bajohr: Gewöhnlicher unternehmerischer Opportunismus? Kurt A Körber und die Dresdner „Universelle“ im Nationalsozialismus , in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hg.): Zeitgeschichte in Hamburg 2011, Hamburg 2012, S. 73-101; Hermann Schreiber: Kapitalist mit Gemeinsinn. Ein Essay über Kurt A. Körber, Hamburg 2009; Josef Schmid/Dirk Wegner: Kurt A. Körber. Annäherungen an einen Stifter, Hamburg 2002; Josef Schmid: Körber, Kurt A[dolf], in: Franklin Kopitzsch/Dirk Brietzke (Hg.): Hamburgische Biografie. Personenlexikon, Band 1, Hamburg 2001, S. 165-166; Ralf Dahrendorf: Liberale und andere. Porträts, Stuttgart 1994; Kurt A. Körber: Das Profit-Programm. Ein Unternehmer geht stiften, Hamburg 1992; Kurt A. Körber: Wie geht es weiter? ..mehr Neugier als Besorgnis, Hamburg 1979; ders.: Die Initiative der Hauni-Werke. Gesellschaftspolitische Wegbereitung im Unternehmen, Hamburg 1969; ders.: Ein Unternehmer reist durch die Sowjetunion. Gesellschaftliche Entwicklung in der UdSSR: Erlebnisse, Eindrücke, Perspektiven, Hamburg 1967; Akademie Kontakte der Kontinente (Hg.): Menschen unserer Zeit. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, der Kirche , Wirtschaft und der Politik . Dr. Kurt A. Körber, Zürich 1967/68; Martin Beheim-Schwarzbach: Bergedorfer Offensive, Hamburg 1966; Kurt A. Körber: Der Unternehmer . Die Situation des Unternehmer s in Staat und Gesellschaft, [Hamburg ca. 1965]; ders.: Östliche und westliche Gesellschaften in These und Antithese, Hamburg 1965; ders: Kann unser Wohlstand gehalten werden?, Hamburg 1963; ders: Autonomie und Automation, Hamburg 1962; ders: Gespräch mit sowjetischen Wirtschaftspraktikern, Hamburg 1962; Hamburger Abendblatt, 1948-2017; Hamburger Nachrichten, 1930-1945; Hamburger Anzeiger, 1930-1945; BArch, R 9361-VII/IX KARTEI; StAHH, 131-1 II, 6654; StAHH, 135-1 VII, 1713; StAHH, 221-11, I (ME) 1931; StAHH, 731-8, A 760 Körber, Kurt A
 

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Von Hamburger NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Zuschauer/innen ... Eine Hamburg Topografie.

NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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