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Emil Nolde

(1867-1956)
Maler, Graphiker
Namensgeber für Noldering , Steilshoop (1962)

Über Noldes Nähe und Einstellung zum Nationalsozialismus wurde und wird immer wieder diskutiert. Ernst Klee schreibt: (…). ‚Als Hitler an die Macht kam, begrüßte Nolde diese Erhebung gegen die Macht der Juden, die in sämtlichen Künsten die Herrschaft an sich gerissen hätten, und erwartete, nun als deutschester aller Künstler gefeiert zu werden.‘ (…) Am 19.8. 1934 Unterzeichner des Aufrufs der Kulturschaffenden zur Vereinigung des Reichskanzler- und Reichspräsidentenamts in der Person Hitlers. (…).“ [1]

Ein Teil der Naziführer schätzten Noldes Kunst (Joseph Goebbels, Albert Speer), Adolf Hitler und Alfred Rosenberg lehnten Noldes Kunst jedoch ab. „In Fritschs Hetzwerk Handbuch der Judenfrage (1936) als expressionischer ‚Künstler aus dem nichtjüdischen Lager‘ aufgeführt, der es verdiene, ‚als Mittäter an dieser Kulturschande mit den Juden zusammen genannt zu werden‘. Juli 1937 in der Schandschau ‚Entartete Kunst‘ in München mit 36 Objekten vorgeführt, mit 1052 beschlagnahmten Werken ein Hauptopfer der NS-Kulturdiktatur. Ein Teil seiner Werke wurde bei der Gemäldeverbrennung (…) am 20.3.1939 im Hof der Berliner Feuerwache vernichtet. (…) 1941 Ausschluß Reichskammer der bildenden Künste, Arbeitsverbot.“ [1]

In den letzten Jahren wurde die Diskussion über Noldes Beziehung zum Nationalsozialismus nochmals heftig geführt. So schreibt Stefan Kaldehoff in seinem Artikel „Noldes Bekenntnis“ vom 10.10.2013 in Zeit-Online: „Dass er es war, belegt jetzt erneut ein bislang unbekanntes Dokument, das sich in Schweizer Privatbesitz befand und hier erstmals zitiert wird. Es ist ein sechsseitiges Typoskript. Der sauber getippte Text, den sein Verfasser an einigen Stellen handschriftlich ergänzt hat, trägt keine Anrede, bloß ein Datum: ‚6 Dez 1938‘. Seine Absicht ist überdeutlich. Schon der erste Satz lässt keinen Zweifel: ‚Wenn ich im Leben, so lange ich Künstler bin, gegen Ueberfremdung der deutschen Kunst, gegen den unsauberen Kunsthandel und gegen die übergrosse jüdische Vorherrschaft in allem Künstlerischen in offenem Kampf gestanden bin und nun seit Jahren von der Seite, für die ich mit und vorgekämpft habe, angegriffen und verfolgt werde – dann müssen Missverständnisse vorliegen, die eine [sic] Klärung bedürfen.‘ Was folgt, sind glühende Bekenntnisse zu ‚Führer‘, Volk und Vaterland.

Fast sechs Jahre nach Beginn der NS-Herrschaft und wenige Monate nachdem die Nazis 1052 seiner Werke aus deutschen Museen entfernt und 48 davon in der Schmähausstellung Entartete Kunst der Lächerlichkeit preisgegeben haben, fühlt sich der eigenem Selbstverständnis nach urdeutsche Maler immer noch missverstanden und ungerecht behandelt. Von keinem seiner Kollegen wurden so viele Werke beschlagnahmt wie von Nolde – und das, obwohl er an seiner Regimetreue nie einen Zweifel ließ. Die Berliner Kunsthistorikerin Aya Soika vermutet als Adressaten von Noldes Bekenntnisschreiben den Pressechef der Reichsregierung, SS-Gruppenführer Otto Dietrich. Nach den Pogromen der ‚Kristallnacht‘ könnte Nolde sich bei Dietrich über Zeitungsartikel beschwert haben, in denen der Maler als ‚Judenfreund‘ dargestellt wurde. ‚Erschütternd – selbst im Kontext seiner Entstehung‘, nennt Christian Ring gegenüber der ZEIT das Schreiben. (…)

Das Konvolut, zu dem der Brief gehört, stammt von Noldes ehemaligem Zeichenschüler Hans Fehr. Der Schweizer mit deutschnationaler Gesinnung blieb bis zu Noldes Tod einer seiner engsten Vertrauten. (…)

Jahrzehntelang sind der Antisemitismus des Malers und sein Glauben an Hitler in der Literatur verschwiegen worden, auch weil die entsprechenden Quellen nicht zugänglich waren. Erst in den vergangenen Jahren konnten Wissenschaftler über Nolde in der NS-Zeit forschen und veröffentlichen (…)

Doch allein schon das Bekannte widerspricht dem in der Öffentlichkeit bislang gepflegten Bild vom reinen NS-Opfer. So schrieb Nolde bereits am 27. April 1933, zwölf Wochen nach Hitlers Machtübernahme, enthusiastisch an den norwegischen Kunsthistoriker Henrik Grevenor in Oslo: ‚In diesem politisch unruhigen Winter sind so vielerlei Geschehnisse, die einen dauernd in Anspruch nehmen, weil wir doch sehr mitleben in der so stark durchgeführten und schönen Erhebung des deutschen Volkes.‘

Wenige Tage später werden aus Worten Taten. Bernhard Fulda und Aya Soika belegen in ihrer 2012 erschienenen Biografie Max Pechstein: The Rise and Fall of Expressionism, dass Nolde im Mai 1933 seinen Konkurrenten Pechstein allein wegen des Namens bei einem Beamten des Propagandaministeriums als vermeintlichen ‚Juden‘ denunzierte. Und obwohl von Pechstein darauf aufmerksam gemacht, dass diese Behauptung nicht zutreffe, ihm und seiner Familie aber sehr gefährlich werden könne, verweigerte Nolde eine Richtigstellung gegenüber der Goebbels-Behörde. (…)

Nolde hatte lange gehofft, dass die Nationalsozialisten den Expressionismus zur ‚nordischen‘ Staatskunst erklären und dass sie ihn, Nolde, aufs Podest heben würden (…). Tatsächlich gab es Vorstöße in die erhoffte Richtung: Ein Kreis um Goebbels, den späteren Kulturminister Bernhard Rust und Reichsjugendführer Baldur von Schirach versuchte, die Kunstpolitik des Regimes in diesem Sinne zu beeinflussen. Er konnte sich nicht gegen Hitlers Blut-und-Boden-Ideologen Alfred Rosenberg durchsetzen, vor allem aber nicht gegen das ‚größte Kunstgenie aller Zeiten‘: Hitler selber beendete nach den Olympischen Spielen 1936 in Berlin, bei denen er sich noch liberal geben wollte, die Debatte. Goebbels ließ daraufhin auch jene Nolde-Werke abhängen, die bis dahin seine Privatwohnung geschmückt hatten. 1937 folgten die Beschlagnahme der fortan verfemten Bilder in den Museen und ihre öffentliche Verspottung. (…) Die Aktion ‚Entartete Kunst‘ setzte Nolde hart zu. Am 2. Juli 1938 wandte er sich direkt an Goebbels und bat um die Rückgabe beschlagnahmter Werke und das Ende der Diffamierungen, ‚besonders weil ich von Beginn der Nationalsozialistischen Bewegung als fast einzigster deutscher Künstler im offenen Kampf gegen die Überfremdung der deutschen Kunst, gegen das unsaubere Kunsthändlertum und gegen die Machenschaften der Liebermann- und Cassirerzeit gekämpft habe‘.

Fünf Monate später, in jenem Schreiben vom 6. Dezember, das nun aufgetaucht ist, bekennt sich Nolde dann uneingeschränkt zum NS-Regime: ‚Den Nationalsozialismus verehre ich als die besondere und jüngste Staatsform, die Arbeit ist zur Ehre erhoben. Und ich habe den Glauben, dass unser großer deutscher Führer Adolf Hitler nur für das Recht und Wohl des deutschen Volkes lebt und wirkt und auch dass er in ernsten Sachen von Grund auf die Wahrheit wissen will, [...] und trotz allem, was in jüngster Zeit gegen mich unternommen worden ist, bin ich stets und immer im In- und Ausland für die große deutsche nationalsozialistische Sache mit vollster Ueberzeugung eingetreten. Ich habe den Eindruck, dass meine um 1910 geführten Kulturkämpfe gegen die herrschende Ueberfremdung in allem Künstlerischen und gegen die alles beherrschende jüdische Macht, jetzt nur noch wenigen bekannt sein möge.‘
In übelster antisemitischer NS-Diktion stellt der 71-Jährige außerdem klar: ‚Es wird gesagt, dass meine Kunst von Juden gefördert und gekauft worden ist. Auch das ist falsch. Einzelne versprengte Bilder sind in den späteren Jahren durch den Kunsthandel zu Juden gekommen, im Allgemeinen jedoch bekämpfen sie mich. Die Reinheit und das ursprüngliche Deutsche in meiner Kunst haben sie bespöttelt und nie gewollt. Meine wesentlichen Bilder sind alle in deutschem Besitz, von Deutschen gekauft, die durchaus nicht fremdländisch angekränkelt, sondern bewusst Deutsche sind.‘ Bis in den Krieg hinein gab Emil Nolde die Hoffnung nicht auf, vom Regime doch noch akzeptiert zu werden. Am 23. August 1941 jedoch erhielt er dann jenes Einschreiben der Reichskammer der Bildenden Künste, das ihn – nachdem er in den beiden Jahren zuvor 54 Arbeiten eingereicht hatte – ‚wegen mangelnder Zuverlässigkeit‘ aus der Kammer ausschloss und ihm ‚jede berufliche [...] Betätigung auf den Gebieten der bildenden Künste‘ untersagte. Dem Berufsverbot vorausgegangen war eine Beschwerde des Chefs des Sicherheitsdienstes, Reinhard Heydrich, an das Propagandaministerium: ‚Der berüchtigte Kunstbolschewist und Führer entarteter Kunst, Emil Nolde, hat in seiner Steuererklärung noch ein Einkommen von 80.000 RM angegeben.‘ (…) [2]

Der Direktor der Nolde Stiftung Seebüll, Dr. Christian Ring, gab 2014 eine Stellungnahme zur Diskussion „Nolde und der Nationalsozialismus“ ab. Sein Artikel „Nolde und der Nationalsozialismus“ erschien am 9. Mai 2014 in den Tageszeitungen des Schleswig- Holsteinischen Zeitungsverlages. Der Artikel ist als PDF herunterladbar unter: www.nolde-stiftung.de/de/352/stellungnahme-dr.-ring-zu-nolde-und-nationalsozialismus.html

Quellen:
1 Ernst Klee: Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Überarbeitete Ausgabe. Frankfurt a. M. 2009, S.395.
2 www.zeit.de/2013/42/emil-nolde-nationalsozialismus/
 

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Von Hamburger NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Zuschauer/innen ... Eine Hamburg Topografie.

NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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