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Friedrich Ostermeyer

(24.8.1884 Danzig – 24.6.1963 Hamburg)
Architekt, Stadtplaner
Holzdamm 26/28 (1939: Architekturbüro mit Paul Suhr)
Ostermeyerstraße (1965 benannt in Groß Flottbek)

Friedrich Richard Ostermeyer wurde im August 1884 als Sohn eines Pastors in Danzig geboren.[1] Nach einer Maurerlehre studierte er an der Bauschule in Königsberg und von 1907 bis 1910 Architektur an den Technischen Hochschulen in Karlsruhe und München. 1911 ließ er sich nach einer längeren Italienreise in Hamburg nieder und übernahm das Architekturbüro Schaar & Hinzpeter. Im Ersten Weltkrieg war er von 1914 bis 1918 Soldat. Ostermeyer baute zunächst vor allem Einfamilien- und Reihenhäuser in den Elbvororten, dabei orientierte er sich mit der Verwendung des Backsteins an der konservativen „Heimatschutzbewegung“. Er prägte mit seinen Bauten in den folgenden Jahren das architektonische Erscheinungsbild Hamburgs, vor allem im Klein- und genossenschaftlichen Wohnungsbau.[2] Er baute für gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften u.a. den Otto-Stolten-Hof in der Jarrestadt, den Friedrich-Ebert-Hof in Altona und den Adolph-von-Elm-Hof in Barmbek. Laut Jan Lubitz zählt er zu den „führenden Architekten des Neuen Bauens“.[3]

Einer politischen Partei gehörte er vor 1933 laut eigenen Angaben nicht an, während Hermann Hipp ohne Angabe von Quellen auf eine Mitgliedschaft in der völkischen und republikfeindlichen DNVP verweist.[4] Seit 1925 war Ostermeyer Mitglied im rechten „Stahlhelm“-Bund, der der DNVP nahestand.[5] Mitglied der NSDAP wurde Ostermeyer nicht. Als Angehöriger des „Stahlhelm“ wurde er jedoch 1934 zur SA übernommen. In der SA nahm er das Amt eines Rottenführers ein. Laut eigenen Angaben beantragte er 1937 seinen Austritt aus der SA, da er als Reserveoffizier der Wehrmacht herangezogen wurde.[6] Nach seiner freiwilligen Meldung zum Kriegsdienst diente er von 1939 bis 1942/43 als Oberstleutnant, wurde jedoch nach einer schweren Verwundung – er verlor ein Auge – aus dem Wehrdienst entlassen.[7]

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten konnte Ostermeyer unbehelligt weiterarbeiten. 1934 nahm er Paul Suhr als Partner in sein Architekturbüro auf, in der Folge baute das Büro vor allem Einfamilienhäuser, aber auch Geschosswohnungen, u.a. für die SAGA.[8] 1934 arbeitete Ostermeyer in einer Kommission des gleichgeschalteten Bundes Deutscher Architekten (BDA) mit, die sich für einen Schutz der Berufsbezeichnung „Architekt“ aussprach.[9] Konstanty Gutschow, „Architekt für die Neugestaltung der Hansestadt Hamburg“ und Leiter des Amtes für kriegswichtigen Einsatz, beauftragte Ostermeyer nach dessen Rückkehr aus dem Krieg 1943 mit Planungen für den Wiederaufbau der Stadt. Dieser beteiligte sich 1944 mit Entwürfen am Wettbewerb „Ortsgruppe als Siedlungszelle“.[10] Im selben Jahr wurde er zum Oberst der Reserve ernannt und wurde Leiter der Ausbildungsstätte der Wehrmacht in Hamburg-Hochkamp.[11]

Im Februar 1946 füllte Ostermeyer einen Entnazifizierungsfragebogen aus. In der Folge kam es zu mehreren Überprüfungen, bei denen ein Beratender Ausschuss einen „guten Eindruck“ von Ostermeyer hatte, der „not a Nazi“ gewesen sei, während ein weiterer Beratender Ausschuss von „einem zweifelhaften Fall“ sprach.[12] Die Militärregierung hatte jedoch keine Bedenken gegen Ostermeyer, und nach einer dritten Überprüfung wurde er in Kategorie V eingestuft.[13]

1945 war Ostermeyer an der Neugründung des BDA beteiligt, er gehörte Ende Mai einem Beirat des Bundes an. Der Historiker Axel Schildt stuft ihn für diese Zeit als „politisch konservative[n] Ex-Stahlhelmer“ ein.[14] 1946 wurde er mit der Leitung des Arbeitsausschusses Stadtplanung betraut, der 1947 einen neuen Generalbebauungsplan für Hamburg vorlegte, und gehörte in der Folgezeit auch dem Landesplanungsausschuss an.[15] Nach Kriegsende profitierte Ostermeyer von zahlreichen Aufträgen im Zuge des Wiederaufbaus. Zwischen den frühen 1950er und frühen 1960er Jahren baute er mehrere Kirchen, u.a. in Borgfelde, Othmarschen und Winterhude. Seine Architektursprache blieb dabei konservativ.[16] Aus der Planung der späteren Grindelhochhäuser zog er sich nach anfänglicher Beteiligung zurück, da er den Bau einer Wohnhochhausanlage ablehnte.[17] 1953 verlieh der Hamburger Senat dem Architekten die Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes in Silber.[18] Seit 1957 gehörte er dem Vorstand des BDA an und wurde anschließend zum Ehrenmitglied ernannt.[19] 1963 starb Friedrich Ostermeyer im Alter von 79 Jahren. Zwei Jahre später wurde eine Straße in Groß Flottbek nach ihm benannt.[20]

Text: David Templin

Quellen:
1 Bei der folgenden biographischen Skizze handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung einer Kurzbiographie, die 2017 im Rahmen eines wissenschaftlichen Gutachtens für das Staatsarchiv Hamburg (StAHH) erstellt wurde. Das vollständige Gutachten ist einsehbar unter: www.hamburg.de/contentblob/13462796/1d4b36cbfb9adc7fca682e5662f5854d/data/abschlussbericht-ns-belastete-strassennamen.pdf (zuletzt aufgerufen am 14.4.2020).
2 Friederike Rathke: Friedrich Ostermeyer, in: Dorothea Roos/Friedmar Voormann (Hg.): Hamburger Backstein- und Klinkerbauten, Rostock 2011, S. 134-138; Jan Lubitz: Ostermeyer, Friedrich Richard, in: Franklin Kopitzsch/Dirk Brietzke (Hg.): Hamburgische Biografie. Personenlexikon, Band 6, Göttingen 2012, S. 238-240; Olaf Bartels: Altonaer Architekten. Eine Stadtbaugeschichte in Biographien, Hamburg 1997, S. 54-57.
3 Lubitz, Ostermeyer, S. 239. Vgl. Rathke, Friedrich Ostermeyer, S. 135.
4 Fragebogen Military Government of Germany, ausgefüllt von Friedrich Richard Ostermeyer, 5.2.1946, in: StAHH, 221-11, M 6682; Hermann Hipp: Wohnstadt Hamburg. Mietshäuser zwischen Inflation und Weltwirtschaftskrise, Hamburg 1985 (2. Auflage), S. 83.
5 Fragebogen Action Sheet betr. Friedrich Richard Ostermeyer, 1./26.3.1946, in: StAHH, 221-11, M 6682.
6 Fragebogen Military Government of Germany, ausgefüllt von Friedrich Richard Ostermeyer, 5.2.1946, in: StAHH, 221-11, M 6682. Vgl. BArch, R 9361-VII / IX KARTEI.
7 Fragebogen Military Government of Germany, ausgefüllt von Friedrich Richard Ostermeyer, 5.2.1946, in: StAHH, 221-11, M 6682; Bartels, Altonaer Architekten, S. 54, S. 56. Vgl. Friedrich R. Ostermeyer, in: Hamburger Anzeiger, 10.3.1942.
8 Lubitz, Ostermeyer, S. 239; Rathke, Friedrich Ostermeyer, S. 136; Bartels, Altonaer Architekten, S. 56.
9 Michael Bose u.a.: „...ein neues Hamburg entsteht...“ Planen und Bauen von 1933-1945 (Beiträge zur städtebaulichen Forschung, 2), Hamburg 1986, S. 189.
10 Ebd., S. 53; vgl. Sylvia Necker: Konstanty Gutschow (1902-1978). Modernes Denken und volksgemeinschaftliche Utopie eines Architekten, Hamburg/München 2012, S. 149.
11 Bartels, Altonaer Architekten, S. 56.
12 Fragebogen Action Sheet betr. Friedrich Richard Ostermeyer, 1./26.3.1946, hier: Report of Advisory Board, 1.3.1946, in: StAHH, 221-11, M 6682; Fragebogen Action Sheet betr. Friedrich Richard Ostermeyer, 27.4./21.8.1946, hier: Report of Advisory Board, 27.4.1946, in: ebd.
13 Vermerk Gryska (Vorsitzender Fachausschuß Nr. 11a, Büro der gewerblichen Fachausschüsse für die Ausschaltung von Nationalsozialisten), Entscheidung vom 26.9.1946, in: StAHH, 221-11, M 6682.
14 Axel Schildt: Aufbaugeist und Grabenkämpfe. Zur Gründung des Bundes Deutscher Architekten (BDA) in Hamburg nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, Band 73 (1987), S. 151-169, hier S. 155f., Zitat: S. 158.
15 Ralf Lange: Hamburg – Wiederaufbau und Neuplanung 1943-1963, Königstein im Taunus 1994, S. 37, S. 49, S. 325; ders.: Vom Kontor zum Großraumbüro. Bürohäuser und Geschäftsviertel in Hamburg 1945-1970, Königstein im Taunus 1999, S. 110.
16 Lubitz, Ostermeyer, S. 240. Vgl. Lange, Vom Kontor zum Großraumbüro, S. 45; Susanne von Bargen: Ein Ort mit Tradition, in: Hamburger Abendblatt, 1.12.1997; Wo Politik und Kultur zu Hause sind, in: Hamburger Abendblatt, 18.10.1993; Hamburger Rundblick , in: Hamburger Abendblatt, 24.10.1960; Neue Kirche für Winterhude, in: Hamburger Abendblatt, 26.1.1960; Richtfest nach zwölf Wochen, in: Hamburger Abendblatt, 23.10.1954; Alte Glocken für neue Kirchen, in: Hamburger Abendblatt, 30.6.1952.
17 Axel Schildt: Die Grindelhochhäuser. Eine Sozialgeschichte der ersten deutschen Wohnhochhausanlage Hamburg- Grindelberg 1945-1956 (Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs), München/Hamburg 2007 (Neuauflage), S. 44.
18 Kampf den Schemenbauten, in: Hamburger Abendblatt, 4.9.1953. Vgl. Auszug aus der Niederschrift über die 34. Senatssitzung, 1.9.1953, in: StAHH, 131-1 II, 5293.
19 F. R. Ostermeyer wird 75, in: Die Welt, 27.8.1959, in: StAHH, 731-8, A 764 Ostermeyer, Friedrich R.
20 Friedrich R. Ostermeyer, in: Hamburger Abendblatt, 27.6.1963, S. 3; Lubitz, Ostermeyer, S. 240.
 

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Von Hamburger NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Zuschauer/innen ... Eine Hamburg Topografie.

NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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