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Verein für Deutsche Schäferhunde

Büro der Fachschaft Ifflandstraße 8

Im Jahr 1899 gründete der Kavallerieoffizier Max von Stephanitz-Grafrath in Karlsruhe den Verein für Deutsche Schäferhunde (S.V.). Von Stephanitz-Grafrath – ab 1902 auch Vorsitzender des Vereins zur Förderung der Zucht und Verwendung von Polizeihunden – hatte aus wölfischen Hütehunden eine neue Rasse gezüchtet, die die gleichen „Tugenden“ aufweisen sollte wie deutsche Soldaten: Treue, Gehorsam, Präzision und Leistungsfähigkeit. Der Prototyp des reinrassigen Schäferhundes mit deutscher Abstammung und ausgeprägtem Kampftrieb trug den Namen Horand von Grafrath und wurde als Nummer 1 in das Zuchtbuch des neu gegründeten Schäferhundvereins eingetragen. Seine Eigenschaften hatte von Stephanitz-Grafrath zuvor detailliert entworfen. Es folgte „systematisch und planvoll die Zuchtselektion nach dem Leitbild, Schäferhundezucht ist Gebrauchshundezucht’“.[1] Vor allem beim Militär und bei der Polizei sollte die neue Hunderasse zum Einsatz kommen.

Auf der Basis seinen Zuchterfahrungen verfasste von Stephanitz-Grafrath zudem das Buch „Der deutsche Schäferhund in Wort und Bild“. Es erschien erstmals 1901 und wurde später deutlich erweitert; die Auflage von 1921 etwa umfasste über 1000 Seiten. In der Publikation bezog sich von Stephanitz-Grafrath unter anderem auf den Arzt und Begründer der deutschen Rassehygiene,Alfred Ploetz(1860–1940). Diesen ernannte Reichskanzler Adolf Hitler später zum Professor. Die Begründung, nämlich dass Ploetz „den Aufbau des Dritten Reiches in hohem Maße beeinflusst“ hätte[2], liefert der Arzt und Ministerialrat im Reichsinnenministerium Arthur Gütt (1891–1949). Dieser war Mitverfasser des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das ab 1934 die Basis der nationalsozialistischen Zwangssterilisationspolitik bildete.[3] So schloss sich schon hier der Kreis aus Schäferhundezüchtern, Eugenikern und NS-Rassehygienikern.

Von Stephanitz-Grafrath hatte bei Ploetz gelesen, „wie man eine arisch-germanische Menschenrasse züchtet“, und das „sozusagen als Modellversuch auf den Hund angewandt“, stellte der Historiker Wolfgang Wippermann fest.[4] „Er wollte ein deutsches Symbol schaffen.“[5] So verband von Stephanitz-Grafrath in seinem Buch die Zucht von Schäferhunden mit der menschlichen Gesellschaft und warnte zugleich vor der „Aufzucht von Schwächlingen“: „Unsere hochgezüchteten Stämme entsprechen etwa den oberen Zehntausend (…), denen des Geistes, des Schwertes, der Arbeit. Im Gegensatz dazu haben wir auch ein ,Schäferhund-Proletariat’ – nicht so, wie das Wort in klassenverhetzendem Sinne gebraucht wird. Dazu rechnet alles Krankhafte, Ungesunde, die, denen der Ansporn fehlt, aus eigener Kraft zu steigen; (…) dann die durch Zucht, Aufzucht und Haltung körperlich und seelisch verkommenen, die ver- und überzüchteten, die Zwingerhunde. Die alle erhalten, heben zu wollen, wäre verlorene Liebesmühe. Es ist Rassenabfall, selbst als Zuchtdünger nicht mehr verwertbar.“[6] Und bei „zur Vernichtung bestimmten Jungen“, so Stephanitz, bringe man diese „am schnellsten und sichersten um, indem man sie von der Höhe des ausgestreckten Armes fest auf einen harten, möglichst mit Stein gepflasterten Boden oder aus entsprechender Entfernung gegen eine Mauer wirft.“[7]

Es verwundert daher nicht, dass der Schäferhund als „deutsches Symbol“ und mit seiner Zuchtgeschichte auch zum Symbol des Nationalsozialismus wurde. Nun stand er im Dienst des Reichs, der NS-Propaganda und des „Führers“. Bei den regionalen Gautreffen mussten auch Schäferhunde mit ihren Hundeführern durch die Straßen marschieren. Und Schäferhündin Blondi sollte Hitler nicht von der Seite weichen, vor allem nicht in Aufnahmen für die „Wochenschau“, eine wöchentliche Zusammenstellung von Filmberichten über politische, gesellschaftliche und kulturelle Ereignisse im NS-Regime, die im Kino lief. „Mit seinem Hund hat er sich menschlich dargestellt“, so Wippermann. „Insofern ist der deutsche Schäferhund ein Teil des Führerkults.“[8]

Bereits 1933 zeigt das Beispiel des weißen Schäferhundes, wie zudem die Auslese innerhalb der Schäferhundezucht im Nationalsozialismus verlief. Der weiße Schäferhund kam ursprünglich bevorzugt als Hütehund zum Einsatz, da er sich vor allem in der Dunkelheit gut von angreifenden Wölfen unterscheiden ließ. Für den Militärdienst dagegen war er bereits im Ersten Weltkrieg untauglich, da er ein weithin sichtbares Ziel darstellte. Auch dem NS-Regime passte der weiße Schäferhund nicht ins Bild, jedoch aus anderen Gründen. Ihm wurden alle Erbdefekte bei der Zucht zugeschrieben, darunter Fehlentwicklungen des Hüftgelenks oder des Ellbogens, Blindheit und Taubheit, Unfruchtbarkeit sowie allgemeine Lebensuntüchtigkeit. So wurde er mit Zustimmung Max von Stephanitz-Grafraths aus dem Rassestandard des Schäferhundevereins entfernt und nicht mehr zur Zucht zugelassen.[9]

Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 bildeten die drei größten Organisationen des deutschen Hundewesens bereits am 1. Oktober desselben Jahres den neuen, „gleichgeschalteten“ Reichsverband für das Deutsche Hundewesen. Dieser unterstand dem Deutschen Reichsbund für Leibesübungen, einer von der NSDAP betreuten Organisation.[10] Die einzelnen Vereine, darunter der Verein für Deutsche Schäferhunde, wurden Fachschaften. Die Hamburger Fachschaft bestimmte 1934 ihr langjähriges Mitglied Louis Bodenstab aus Hamburg- Hohenfelde zum Vorsitzenden. „Außerordentlich rege“ setzte er sich für Zucht und Leistung der deutschen Schäferhunde ein, fungierte als Richter bei Zuchtschauen im In- und Ausland.[11] 1934 und 1935 befand sich zudem das Büro der Fachschaft in seinem Wohnhaus in der Ifflandstraße 8.[12]

1937 löste Hermann Göring, Beauftragter für den Vierjahresplan und zugleich Reichsjägermeister die 19 Jagdhundefachschaften aus dem neuen Reichsverband; noch im selben Jahr wurde dieser als Reichsfachgruppe Deutsches Hundewesen e.V. dem Reichsverband Deutscher Kleintierzüchter e.V.untergeordnet.[13]

Knapp zwei Jahre später wurden die Hundezuchtvereine im Zuge der Kriegsvorbereitungen wieder aufgewertet, in den selbstständigen Reichsverband für Hundewesen überführt und dem Oberkommando des Heeres unterstellt.[14] Dieses veröffentlichte am 8. September 1939, sieben Tage nach Kriegsbeginn, „Bestimmungen und Richtlinien für den Dienstbetrieb der Hundeersatzstaffeln”. Nun sollten nicht nur verstärkt Soldaten, sondern auch Hunde rekrutiert werden: „Die (…) abgelieferten Hunde sind anzukaufen und gehen in das Eigentum des Heeres über. Als durchschnittlicher Richtpreis sind 70 RM anzusetzen. Für besonders gute Gebrauchshunde aus nachgewiesener Leistungszucht kann bis zu 120 RM gezahlt werden.“[15]

1941 folgte der Wechsel unter das Dach der SS.[16] Damit einher ging ab 1942 der Einsatz der Schäferhunde in Konzentrationslagern. Oswald Pohl, Chef des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes der SS, ließ im Juli 1942 in seinem Amt die neue Hauptabteilung Schutz- und Suchhunde einrichten. Zu ihren Aufgaben gehörte die Beschaffung, Zucht und Ausbildung von für das KZ vorgesehen Hunden – die zu einem Großteil aus Ortsgruppen des ehemaligen Vereins für Deutsche Schäferhunde sowie anderen Hundezuchtvereinen kamen.[17]

Die Leitung der Abteilung übernahm nebenamtlich der ebenfalls 1942 eingesetzte Beauftragte für das Diensthundewesen beim Reichsführer-SS, Franz Mueller-Darß (eigentlich nur Mueller; 1890–1976). Er galt als anerkannter Hundezüchter und -ausbilder und hatte nach 1933 in NSDAP und SS Karriere gemacht.[18] Sein Buch „Abrichten und Führen des Jagdhundes“ wurde noch 1994 in einer Neuauflage verlegt.[19] Mueller-Darß’ oberster Vorgesetzter, der Reichsführer-SS Heinrich Himmler, hatte 1943 seine Vorstellungen zum Einsatz von Hunden in Konzentrationslagern deutlich formuliert: „Hunde, die an der Außenseite der Lager revieren, müssen zu derartig reißenden Bestien erzogen werden, so wie es die Hetzhunde in Afrika sind. Sie müssen so abgerichtet sein, daß sie mit Ausnahme ihres Wärters jeden anderen zerreißen. Dementsprechend müssen die Hunde gehalten werden, damit kein Unglück passieren kann. Sie sind eben nur bei Dunkelheit heranzulassen, wenn das Lager geschlossen ist und müssen morgens wieder eingefangen werden.“[20]

Allerdings dienten die Schäferhunde in Konzentrationslagern nicht nur als Wachhunde, sondern auch als Folterwerkzeuge und Tötungsinstrumente: „Die Kinder von Theresienstadt kannten einen einzigen Hund im Lager, einen großen Deutschen Schäferhund, der stets die Zähne fletschte. Er begleitete immer seinen Herrn, der auf seinem Pferd durch Theresienstadt ritt. Denn der Lagerkommandant war ein großer ‚Sportsmann und Jäger‘. So hetzte er zum Beispiel den Lehrer Titelmann zu Tode, als dieser gerade mit den Kindern auf den Schanzen spazieren ging und die vier Windrichtungen erklärte…,Saujud, lauf!’ brüllte der Kommandant und ließ seine Reitpeitsche knallen, bis Titelmann erschöpft zu Boden sank. Der Hund hielt den am Boden liegenden Mann mit den Vorderpfoten nieder…“[21]

Ein Jahr nach Kriegsende, 1946, wurde der Verein für Deutsche Schäferhunde wiedergegründet und die Hauptgeschäftsstellen „mit eigenem Zucht-, Kör- und Leistungsbuch“ wieder eröffnet. In Hamburg betätigte sich wie früher Louis Bodenstab als Richter und Körmeister[22] (in letztgenannter Funktion wählte er anhand der Vereinsvorschriften geeignete Schäferhunde für die Züchtung aus). Vorsitzender der Hamburger Ortsgruppe war zu jener Zeit Josef Berger.[23]

Am 18. Januar 1948 fand die offizielle Wiedergründung des Vereins für Deutsche Schäferhunde statt, am5. Februar 1948wurde sie mit einem großen Fest und vielen Gästen in Hamburg gefeiert.[24] Vermutlich werden die Gäste angesichts des zu schaffenden Wirtschaftswunders nicht über die zurückliegende „schlechte Zeit“ gesprochen haben. Doch was schreibt der Verein heute zu seiner Rolle in der NS-Zeit? Ganze drei Sätze. Und das Wenige folgt dem bekannten Opfermythos: „1933 vollzog sich dann die große Veränderung – auch im deutschen Hundewesen. Zwangsweise wurden bisher unabhängige Vereine in einen ‚Reichsverband‘ überführt. Die Rasse wurde zu Propagandazwecken missbraucht. Viele tausend Schäferhunde wurden in dem grausamen Zweiten Weltkrieg als Melde-, Gasspür- und Munitionsträgerhunde eingesetzt oder auch als lebende Bomben geopfert. Die gesamte Population war bedroht.“[25]

Mehr als 30.000 deutsche Schäferhunde waren für den Zweiten Weltkrieg beschlagnahmt worden.[26] Nur wenige von ihnen überlebten. Das Leid, das den Tieren angetan wurde, steht außer Frage. Dass aber auch in Konzentrationslager Schäferhunde zum Einsatz kamen, die von Ortsgruppen des Vereins für Deutsche Schäferhunde gezüchtet und ausgebildet worden waren, spielt in der aktuellen Geschichtsdarstellung des Vereins keine Rolle – ein bis heute typischer Umgang der meisten deutschen Vereine und Verbände mit ihrer Rolle in der NS-Zeit, so der Historiker Henning Borggräfe: „Während die Würdigung eigener Verdienste im Krieg zumindest aus Publikationen rasch verschwand, blieb die Ausblendung der Beteiligung an der NS-Herrschaft durch die eigene Vereins- und Verbandspraxis über Jahrzehnte konstitutiv.“[27]

Autorin: Frauke Steinhäuser

1 Verein für Deutsche Schäferhunde (SV) e.V., „Geschichte“, www.schaeferhunde.de/navigation/service/der-verein/hauptverein/geschichte (letzter Zugriff 10.2.2016)
2 Bernhard vom Brocke, Bevölkerungswissenschaft – Quo vadis? Möglichkeiten und Probleme einer Geschichte der Bevölkerungswissenschaft in Deutschland; Opladen, 1998, S. 436
3 „Gütt, Arthur“, in: Ernst Klee, Das Personen-Lexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Lizenzausg., Koblenz, 2011, S. 210
4 „Ein deutsches Symbol“. 22. April 2009 – Vor 110 Jahren: „Verein für deutsche Schäferhunde" gegründet, www1.wdr.de/themen/archiv/stichtag/stichtag4172.html (letzer Zugriff 10.2.2016)
5 ebd.
6 Vom Nationalsymbol zum Gefährten. Der Schäferhund als Spiegel deutscher Mentalitätsgeschichte [Radiobeitrag], SWR2 Leben, 10.12.2009, 10.05 Uhr, Autor: Detlef Berentzen, Sendungsmanuskript als PDF-Download von www.swr.de/-/id=5565982/property=download/nid=660174/sutp4s/swr2-leben-20091210.pdf (letzer Zugriff 20.2.2016), S. 3
7 [Max] v[on] Stephanitz-Grafrath, Der Deutsche Schäferhund in Wort und Bild, hrsg. im Auftrag des „Vereins für deutsche Schäferhunde (S.V.), München, 1901, S. 26
8 „Ein deutsches Symbol“
9 Sascha Lang, Dominic Hartmann, Der Deutsche Schäferhund. Ein Produkt des preußisch-deutschen Nationalismus? In: Manfred Hesse, Michael Ewig (Hrsg.): Berichte des Institutes für Didaktik der Biologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, IDB Münster, Supplement 2, Münster, 2002, S. 185-206; Die Geschichte des Weißen Schweizer Schäferhundes, auf: Royal Scout, Informationsportal über Hunde. Zuchtstätte für Weiße Schweizer Schäferhunde, www.royal-scouts.com/weisser_sh_geschichte (letzter Zugriff 18.2.2016)
10 Verband für das Deutsche Hundewesen e.V. (Hrsg.), Chronik des deutschen Hundewesens – Eckdaten zur Geschichte des VDH Sonderveröffentlichung anläßlich des 100jährigen Jubiläums des VDH, Dortmund, 2006, S. 7
11 Staatsarchiv Hamburg (StaH) 221-11 Staatskommissar für die Entnazifizierung und Kategorisierung C.10737
12 alle Adressangaben s. Hamburger Adress- und Fernsprechbücher, agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib/start (letzter Zugriff 18.2.2016)
13 Verband für das Deutsche Hundewesen e.V. (Hrsg.), Chronik, S. 8
14 ebd.
15 Bundesarchiv (BArch) RH 53-17/37 Hundeersatzstaffeln. Richtlinien für den Dienstbetrieb, Sept. 1939 Enthält u.a.: Richtlinien für die Ankaufprüfung von Meldehunden, Schutzhunden und Sanitätshunden für den Heeresdienst
16 Verband für das Deutsche Hundewesen e.V. (Hrsg.), Chronik, S. 8
17 Henning Borggräfe, Zwischen Ausblendung und Aufarbeitung. Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Vereinen und Verbänden kollektiver Freizeitgestaltung, in: Zeitgeschichte-online, Dezember 2012, online: www.zeitgeschichte-online.de/thema/zwischen-ausblendung-und-aufarbeitung-0 (letzter Zugriff 18.2.2016)
18 Bertrand Perz: „…müssen zu reißenden Bestien erzogen werden“. Der Einsatz von Hunden zur Bewachung in Konzentrationslagern, in: Dachauer Hefte, Bd. 12, 1996, S. 139–158, hier: S. 145
19 Borggräfe, Ausblendung
20 Perz, S. 145
21 Vom Nationalsymbol zum Gefährten, S. 6
22 StaH 221-11 C.10737
23 ebd.
24 Vom Nationalsymbol zum Gefährten, S. 7
25 www.schaeferhunde.de/navigation/service/der-verein/hauptverein/geschichte (letzter Zugriff 18.2.2016)
26 Wolfgang Wippermann, Die Deutschen und ihre Hunde. Ein Sonderweg der Mentalitätsgeschichte?, München, 1999, S. 88
27 Borggräfe, Ausblendung
 

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Von Hamburger NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Zuschauer/innen ... Eine Hamburg Topografie.

NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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