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Heidi Kabel

(27.8.1914 Hamburg – 15.6.2010 Hamburg)
Bundesweit beliebte Volksschauspielerin am Ohnsorg-Theater von 1932 bis 1996, erlangte Popularität durch die ab 1954 gesendeten Fernsehübertragungen, bereits zu Lebzeiten eine hochverehrte „Hamburger Legende“.
Nach Heidi Kabel wurde 2011 in St. Georg der Heidi-Kabel-Platz benannt.

Im September 2020 berief die Behörde für Kultur und Medien eine Kommission aus acht Expertinnen und Experten, die Entscheidungskriterien für den Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Hamburg entwickeln und Empfehlungen zu möglichen Umbenennungen aussprechen sollte.

Zum Heidi-Kabel-Platz gab die Kommission im März 2022 die Empfehlung, den Straßennamen mit weiterführenden Informationen kritisch zu kontextualisieren, z. B. mittels eines Erläuterungsschildes unter dem Straßennamenschild. Folgende Begründung gab die Kommission: „Kabel hat sich in ihrer 1979 erschienenen Autobiografie ‚Manchmal war es nicht zum Lachen‘ selbstkritisch mit ihrem Handeln in der NS-Zeit auseinandergesetzt. Dies sollte auf einem Erläuterungsschild deutlich gemacht werden.“ (Abschlussbericht der Kommission zum Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Hamburg, Feb. 2022, www.hamburg.de/contentblob/15965308/8ee2e6d28dbd23e8df84bf75ceabda98/data/empfehlungen-kommission-ns-belastete-strassennamen.pdf)

 

Heidi Bertha Auguste Kabel kam aus „gutem Hause“: Ihre Wiege stand in den Großen Bleichen 30, direkt gegenüber dem ehemaligen Gebäude des Ohnsorg-Theaters. Ihr Vater war der Druckereibesitzer Ernst Kabel (siehe: Ernst-Kabel-Stieg ), zeitweilig Vorsitzender des Vereins geborener Hamburger. Der von ihm begründete Betrieb Kabel Druck sowie sein Kabel-Verlag existieren bis heute. Heidi Kabels Mutter war Hausfrau
Heidi Kabel kam eher durch Zufall zum Theaterspielen. 1932 begleitete sie eine Freundin zum Vorsprechen in die „Niederdeutsche Bühne Hamburg“. Dabei wurde sie von Ohnsorg entdeckt und erhielt 1933 ihr erstes Engagement in dem Stück „Ralves Carstens“. 1937 heiratete sie ihren Kollegen, den Schauspieler und Regisseur Hans Mahler (siehe: Hans-Mahler-Straße ). Der Ehe entstammen drei Kinder (geboren 1938, 1942 und 1944).
Über das Verhalten Heidi Kabels und Hans Mahlers in der Zeit des Nationalsozialismus schreibt der Journalist Jens Meyer-Odewald: „(…) auch die beiden Jungvermählten spürten die widrigen Zeiten. Immer offensichtlicher wurde das grausame Regiment der Nationalsozialisten. Juden wurden deportiert. Menschen aus dem Bekanntenkreis waren urplötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Doch Heidi Kabel schloss die Augen vor dem politischen Horror, wie so viele andere auch. Im privaten wie im Berufsleben bewies die junge Frau Rückgrat. In übergeordneten Dingen nicht unbedingt. Eine Revolutionärin war das spätere SPD-Mitglied nie. Es passt ins Bild, dass Hans Mahler und Heidi Kabel [1936] gemeinsam in die NSDAP [Heidi Kabel war Mitglied der NS-Frauenschaft, nicht der NSDAP, die Verf.] eintraten. Vielleicht nicht unbedingt aus ideologischer Überzeugung, der Karriere wegen schon. Für die ansonsten couragierte Künstlerin spricht wiederum, dass sie die Verantwortung nicht anderen zuschob. ‚Ich habe Hänschen dazu gedrängt‘, erklärte sie“. [1]
Heidi Kabel schreibt dazu in ihren Erinnerungen, sie habe ihren Mann nur deshalb zur Mitgliedschaft in der NSDAP gedrängt, weil sie ihn endlich habe heiraten wollen. Dazu benötigte das Paar aber finanzielle Mittel, z. B. um Möbel kaufen und eine Wohnung mieten zu können. Deshalb erschien ihr die 1936 ausgeschriebene Stelle des Intendanten am Lüneburger Theater als Hoffnungsschimmer und sie drängte ihren Mann, sich zu bewerben. Voraussetzung für die Stelle war allerdings die Mitgliedschaft in der NSDAP. Mahler war damals aber kein NSDAP-Mitglied und wollte dies auch nicht sein. Heidi Kabel empfand solch eine Mitgliedschaft nur als Formsache: „Es war alles eine Formsache. Es wurden nun mal eben Parteimitglieder bei der Vergabe von Anstellungen bevorzugt. (…) ich kam nur immer zu demselben Schluß, Mahler musste der NSDAP beitreten, um Intendant in Lüneburg zu werden. Nur wenn er den Posten bekäme, wäre unsere gemeinsame Zukunft gesichert. (…)
Hans Mahler trat 1936 der NSDAP bei. Um ihm meine Verbundenheit zu zeigen, trat ich in die NS-Frauenschaft ein. Für mich war dieser Beitritt zu einer NS-Organisation nichts weiter, als wenn ich irgendeinem Verein beigetreten wäre. (…).“ [2]
Doch Mahler bekam die Stelle nicht, denn andere Bewerber, die schon seit Längerem in der NSDAP waren, wurden bevorzugt. „Damals keimte in mir ein Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. Nachträglich wollte ich Mahler und mir beweisen, daß ich Recht hatte, ihn zu diesem Schritt gedrängt zu haben. Ich ertappte mich dabei, daß ich immer öfter den politischen Teil in der Zeitung las, mir die vorfabrizierte Meinung zu eigen machte und schönredete. (…) Mahler wich jedem Gespräch mit mir über Politik aus (…). “ [3]
„Am Morgen des 10. November 1938 bemerkte ich auf dem Weg ins Theater Menschenansammlungen vor Geschäften, (…) auf denen zu lesen war ‚Jude‘ oder ‚kauft nicht beim Juden‘. (…) Im Theater erwischte ich eine Morgenzeitung, und da war zu lesen, daß der deutsche Gesandtschaftsrat in Paris von einem jungen Juden ermordet worden war und daraufhin im ganzen Deutschen Reich das Volk Synagogen und jüdisches Eigentum angezündet und zerstört hätte. Leise sagte Rudolf Beiswanger [Beiswanger war Kommunist] zu mir: ‚Das glaubst du doch wohl nicht (…)?‘ Ich wußte nun überhaupt nicht mehr, was ich noch glauben sollte. Für mich war eine Regierung immer das Symbol für Gerechtigkeit und Ordnung gewesen, und ich konnte mir nicht vorstellen, daß derartige gewaltsame Zerstörungen mit staatlicher Duldung vor sich gegangen waren. Sicher war es wieder nur die SA gewesen, diese Truppe junger Raufbolde, die immer übers Ziel hinausschoß (…). Zu  Hause (…) sprach ich mit Mahler darüber (…). Zum erstenmal hörte ich nun, was ich nicht in der Zeitung lesen konnte: Daß es Lager gab, in die man Andersdenkende einsperrte, daß es eine Presse-Zensur gab (…), und hätte mir nicht all‘ das mein Mann erzählt, ich hätte es nicht geglaubt. In mir sperrte sich immer noch etwas. (…) Millionen in unserem Land konnten sich doch nicht so sehr irren. (…)“ [4]
Der im August 1938 geschlossene Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin erschütterte Heidi Kabel: „ (…) über Nacht wurden aus unseren Erzfeinden, den bolschewistischen Untermenschen, unsere Freunde. (…) Ich war erschüttert. Wie konnte ein deutscher Staatsmann, der uns allen immer wieder als höchste Tugenden Ehre, Glaube und Treue gepredigt hatte, über Nacht mit unseren Erzfeinden paktieren. (…) Abends nach der Vorstellung saß ich mit Mahler in unserem Wohnzimmer. Es fiel mir schwer, mit ihm in ein Gespräch zu kommen (…). Dann platzte ich damit heraus, (…) ‚Hans, ich will raus aus dem Verein!‘ Ich sagte wirklich Verein und meinte die Partei. ‚Ich will mit den Leuten nichts mehr zu tun haben, deren Ziele sind nicht meine. Die belügen uns von morgens bis abends (…). Ich will keinen Krieg, ich will in Ruhe und im Frieden leben (…). Ich möchte nicht immer vor vollendete Tatsachen gestellt werden, und ich möchte meine Meinung wenigstens sagen dürfen. Durch meinen Austritt möchte ich erklären, daß ich mit vielem nicht einverstanden bin. Das Recht habe ich doch?‘ Er sprach leise und langsamer als sonst (…): ‚Vielleicht hast du das Recht, deinen Austritt zu erklären, aber was dann kommen wird, hat mit dem Recht, das du zu haben glaubst, nicht mehr viel zu tun. Du wirst vielleicht für einige Zeit verschwinden, verhört werden, aber auf jeden Fall Arbeitsverbot bekommen, man wird uns die Existenzgrundlage nehmen (…). Man kann heute nicht mehr von diesem fahrenden Zug springen (…).‘“ [5]
Der Verlust der Existenzgrundlage hätte man nicht zu fürchten brauchen. Trat jemand in der  Zeit des Nationalsozialismus aus der NSDAP aus, kam es in der Regel zu Nachfragen oder Schikanen durch die Partei, nicht aber zum Verlust der bürgerlichen Existenz. (Siehe dazu Wolfgang Benz (Hrsg.): Wie wurde man Parteigenosse? Frankfurt a. M. 2009)
Nach dem Ende der NS-Herrschaft wurde Heidi Kabel mitgeteilt, ein Komitee habe beschlossen, dass sie wegen ihrer Mitgliedschaft in der NS-Frauenschaft und Hans Mahler wegen seiner Zugehörigkeit zur NSDAP nicht mehr auf der Ohnsorg-Bühne stehen dürften. Dazu Heidi Kabel in ihren Erinnerungen. „Wir wurden zu den Proben eingeteilt, es war Mitte Juli 1945. Wir standen in den Startlöchern.
Als wir dann eines Morgens pünktlich zu den Proben erschienen, trafen wir schon vor der Tür auf Dr. Ohnsorg, der wohl auf uns gewartet hatte. (…) ‚Kinners, es tut mir furchtbar leid, aber ihr könnt nicht proben, die Kollegen haben sich geweigert, sie wollen nicht mehr mit euch auf der Bühne stehen.‘ (…)
Als wir zu unseren Männern ins Wohnzimmer zurückkamen, hatte ich meine Sprache wiedergefunden. Ausgerechnet die Kollegen! Mit denen ich fast dreizehn, mein Mann zwanzig Jahre auf der Bühne gestanden hatte, die wußten, was wir dachten, was wir fühlten, genauso wie wir es von ihnen wußten.
Oder es nur zu wissen glaubten? Denn wie sonst konnte sich die Mehrzahl von ihnen weigern, mit uns auf der Bühne zu stehen. Wir waren ja nicht die beiden einzigen Parteimitglieder des Ensembles gewesen, und wie oft hatten wir mit allen darüber gesprochen. Ich war ja diejenige gewesen, die mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln meinen Mann überredet hatte, 1936 in die NSDAP einzutreten. Gegen seine Überzeugung. Mir zuliebe. (…) Jede Kollegin und jeder Kollege kannte meine damaligen, egoistischen Beweggründe und wie oft hatten wir vor allen offen bekannt, daß wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht hatten! So kam ich darauf, daß noch andere Gründe eine Rolle gespielt haben mußten. Wem standen wir im Weg? Wer wollte unsere Rollen? Wer witterte für sich eine Chance, wenn wir ausgeschaltet waren? Da fielen mir dann etliche ein, auch Parteimitglieder wie wir, Kollegen, die wir für Freunde gehalten hatten, die es vielleicht sogar waren, bis zu diesem Tag, als sie die Gelegenheit nutzten, ihren Vorteil zu unseren Lasten wahrzunehmen.“ [6]
Im Hamburger Staatsarchiv befindet sich eine Kopie eines Schreibens vom Richard-Ohnsorg-Theater an Herrn Stadtamtmann Cousin Hamburg, Rathaus vom 6. September 1945. Aus diesem Schreiben geht hervor, wer die Entscheidung traf, dass Heidi Kabel und Hans Mahler Auftrittsverbot bekamen.
In diesem Schreiben wird mitgeteilt, dass am 25. August 1945 ein Treffen – gemeint ist das Treffen des Entnazifizierungs-Kommitees – stattfand unter dem Vorsitz von Captain Davies und dem Beisitz von Mr. Olden (John Olden war damals der britische Theateroffizier, späterer Ehemann der Schauspielerin Inge Meysel). In Vertretung für die Deutsche Schauspieler Vereinigung waren vertreten Frau Ida Ehre und Herr Cecil Goericke. Die Schauspielerin Ida Ehre hatte in der gesamten Zeit des Nationalsozialismus wegen ihrer jüdischen Herkunft Auftrittsverbot gehabt und im Sommer 1945 das Haus an der Hartungstraße 9 als neues Theater erhalten (Hamburger Kammerspiele). Die Niederdeutsche Bühne war vertreten durch Herrn Beiswanger und Herrn Streblow.
Weiter heißt es in dem Schreiben: In der Versammlung wurden alle Fälle individuell behandelt und Captain Davies fällte folgende Entscheidung: Magda Bäumken-Bullerdiek, Heidi Mahler-Kabel, Otto Lüthje und Hans Mahler werden für 12 Monate suspendiert, danach werde eine neue Diskussion stattfinden. Irmgard Deppisch-Harder und Christina Hansen dürfen spielen. [7]
Nach der Suspendierung vom Ohnsorg-Theater tourte Heidi Kabel, um die Familie finanziell durchzubringen, über Land und sang Seemannslieder.
Da ihnen, wie Heidi Kabel in ihren Lebenserinnerungen schreibt, die Auftrittssperre nicht schriftlich mitgeteilt worden sei, erkundigte sich das Ehepaar Kabel bei dem zuständigen Besatzungsoffizier, der die Rechte der Theaterkammer wahrnahm und erfuhr – so erinnert sich Heidi Kabel -, dass es gar kein Auftrittsverbot gäbe. Heidi Kabel dazu in ihren Erinnerungen: “Der Offizier (…) lächelte freundlich und sagte: ‚Gehen sie sofort in die Großen Bleichen ins Theater Sie können beide sofort wieder arbeiten. (…) Sie können mir glauben, es liegt nichts gegen sie vor.‘ ‚Ja, aber könnten sie mir [sagte Heidi Kabel] nicht vielleicht einen Brief, einen Zettel mitgeben, wo dann …‘, ich kam nicht mehr weiter, denn er sagte: ‚Sie müssen wissen, ich kann kein Berufsverbot aufheben, das gar nicht bestanden hat.‘“ [8]
Dann war der Weg für die beiden Schauspieler, die im Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer ( Hans Mahler) und als Entlastete (Heidi Kabel) eingestuft worden waren, wieder frei für die Bühne.
1949 wurde Hans Mahler Intendant des Ohnsorg-Theaters. Von da an hatte er großen Einfluss auf die Karriere Heidi Kabels. Über 66 Jahre blieb sie auf der Bühne. Mehr als 80 Fernsehübertragungen der vom Niederdeutschen ins „Missingsch“ („Hamburgisch“ mit plattdeutschem Satzbau) adaptierten Theaterstücke aus dem Hamburger Ohnsorg-Theater machten sie überregional bekannt. Die Volksschauspielerin wurde zum Markenzeichen des guten, tapferen Nachkriegsdeutschlands – Trümmerfrau im Wirtschaftswunder. Populäre Bühnenstücke aus dem TV sind etwa: Tratsch im Treppenhaus – Mein Mann, der fährt zur See – Verteufelte Zeiten – Das Hörrohr (alle mit Henry Vahl) – Kein Auskommen mit dem Einkommen – Die Kartenlegerin – Mensch sein muss der Mensch – Wenn der Hahn kräht – Der Bürgermeisterstuhl. Ihre Karriere als Filmschauspielerin lief über ein dreiviertel Jahrhundert. Auch dort verkörperte sie die „einfache Haufrau“ mit Ehrlichkeit, Naivität und einer gehörigen Portion Mutterwitz; eine „gute Seele, die mit hanseatischem Charme als liebenswerte, aber auch pfiffige Dame das Publikum vereinnahmte. Für ihre mehr als 100 Fernsehauftritte – in Serien wie „Hafenpolizei“ bis „Großstadtrevier“ – wurde sie mit den renommiertesten Preisen der deutschen Medien bedacht, z. B. „Goldener Bildschirm“ 1967 und 1972, „ Bambi“ 1984 sowie 2004 für ihr Lebenswerk, „Goldene Kamera“ und 1985 sowie 1994 sogar zur „Ehrenkommissarin der Hamburger Polizei“ ernannt.
Heidi Kabel sammelte 1992 im Hamburger Hafen Geld für die Aktion Sorgenkind und wandte sich 1994 mit einer Petition an den Hamburger Senat, um auf das Schicksal einer vor dem Krieg geflohenen und nun von Abschiebung bedrohten jugoslawischen Familie aufmerksam zu machen. Sie unterstützte unter anderem Hamburger Obdachlosenprojekte, das Kinderheim von St. Pauli und den Verein der Freunde des Tierparks Hagenbeck.
Text: Cornelia Göksu und Rita Bake

Quellen:
1 Jens Meyer-Odewald: Abendblatt Serie über Heid Kabel Teil 3: Familienmensch in guten und schlechten Zeiten, Hamburger Abendblatt vom 19.6.2010.
2 Heidi Kabel: Manchmal war es nicht zum Lachen. Hamburg 1979, S. 119.
3 Heidi Kabel, a. a. O., S. 121.
4 Heidi Kabel, a. a. O., S 161.
5 Heidi Kabel, a. a O., S. 174.
6 Heidi Kabel, a. a. O., S. 202ff.
7 Staatsarchiv Hamburg: Bestandsnummer: 131-14 Verbindungsstelle zur Militärregierung), Signatur der Archivguteinheit: III 1 Band 1 29.6.-29.9 Hinweis von Dr. Brigitta Huhnke, die diese Quelle recherchiert hat.
8 Heidi Kabel, a. a. a. O., S. 214f.
 

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NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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