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Christian Boeck

(10. 03. 1875, Heiligenstedten - 21. 07.1964, Hamburg)
Pastor bis 1945 an der Lutherkirche Hamburg-Wellingsbüttel, Aktivist der Niederdeutschen Bewegung (u.a. „Fehrs-Gilde“, seit 1916)
wohnhaft bis 1964: Waldingstraße 39 (ehemals: Waldstraße), Hamburg-Wellingsbüttel
Christian-Boeck-Allee , Hamburg-Wellingsbüttel (seit 1992, vorher: Lindenallee )

„Was wir empfinden, wenn wir auf Dich, auf Dein Werk schauen: Habe Dank, Dank, Dank!“ [1]

I

Sein „gläubiges, gütiges und warmherziges Wirken (…) bleibt unvergessen“[2]; seine „in vielfacher Weise segensreiche Tätigkeit“[3] wird hervorgehoben; er gilt als der „geistige, weise und gütige Mensch“ schlechthin [4]. Kurzum, „gleich liebens- wie verehrungswürdig“[5], habe er sich  „im In- und Ausland einen geschätzten Namen erworben“ [6].

Vereine und Universitäten überreichten ihm Preise und Auszeichnungen; Festschriften wurden ihm gewidmet. Das Bundesverdienstkreuz wurde ihm verliehen.[7] Endlich, fast drei Jahrzehnte nach seinem Tod, erhielt eine kleine Straße in Hamburg seinen Namen.[8]

Schon sein Geburtsort schien auf eine besondere Beziehung zu den Mitmenschen zu deuten, was in Anbetracht der Tatsache, dass er ein protestantischer Pastor war, allerdings außergewöhnlich zu nennen wäre. Er sei, wurde bemerkt, „- nomen est omen – in Heiligenstedten geboren.“[9]

Christian Boeck, über den so geschrieben wurde, wurde am 10. März 1875 in besagtem schleswig-holsteinischen Heiligenstedten an der Stör, unweit Itzehoe, geboren. Nach der üblichen Schulzeit (Gymnasium in Rendsburg) absolvierte er – in Leipzig, später Marburg und Kiel – das Studium der evangelischen Theologie, wurde danach Vikar in Kappeln an der Schlei, dann in Kiel.  Anschließend war er Hilfsgeistlicher in Bramfeld/Wellingsbüttel nahe Bergstedt. Damals waren das kleine Orte in Stormarn, vor den Toren Hamburgs. Von 1907 bis 1933 stand Boeck der Kirchengemeine Bramfeld vor, übernahm danach die Hilfsgeistlichenstelle des noch zu Bramfeld gehörenden Pfarrbezirks Wellingsbüttel.[10]

Seit 1937 verfügte Wellingsbüttel – nunmehr zu Hamburg gehörend („Groß-Hamburg-Gesetz“) – erstmals über eine eigene Kirche, die neu erbaute Lutherkirche, Mittelpunkt der (ab Juli 1938)  selbstständigen Kirchengemeinde Wellingsbüttel. Sowohl am Kirchenbau wie an der Verselbstständigung der Gemeinde hatte Boeck offenbar nicht unwesentlichen Anteil.

Mit Bewunderung wird noch 1992 daran erinnert: „Nach Überwindung der üblichen Schwierigkeiten (…) konnte er die schlichte, in ihrer dörflichen Architektur der Umgebung so sensibel angepaßte Lutherkirche am 28. November 1937, dem ersten Adventssonntag des Jahres, übernehmen.“[11] Boeck selbst fand, der Kirchenbau zeichne sich durch „ein Gepräge [aus], das ganz von selbst ohne Künstelei etwas von niederdeutschem Bauwesen anklingen läßt“, und lobte den Eindruck eines „niedersächsischen Bauernhauses“. Sein abschließendes Urteil: „So kommt beides in diesem Bau zur Wirkung, der christliche Gedanke, dem er dienen soll, und das Heimatgefühl, das in ihm seinen Ausdruck findet.“ Diese neue Kirche war nicht nur der Umgebung, sondern auch dem Zeitgeist „sensibel angepasst“ (was freilich aus anderer Quelle zu erschließen ist): Der Bau war nach Norden ausgerichtet – dem Mythos von der vermuteten Urheimat der Germanen und Arier entsprechend – und ins Mauerwerk wurden (bis heute erhaltene und sichtbare) Runenzeichen und ein Hakenkreuz integriert. Die größte der drei im Dezember 1937 gelieferten Glocken, die es'-Glocke, zierte neben der Inschrift „Ein feste Burg ist unser Gott“ dann auch ein Hakenkreuz.[12]

Pastor Boeck hatte sich schon eine Weile mit diesem Zeitgeist auseinandergesetzt: Im August 1935 notierte er zu einer „Arbeitsgemeinschaft“, welche er in der Gemeinde durchführte: „Die Zeit, die hinter uns liegt, die man die liberalistische nennt, die Zeit, in der die Freiheit zur Willkür ausartete, hat so viele Meinungen und Gedanken hervorgebracht, daß auch in den Köpfen der Christen die verschiedensten Vorstellungen von dem, was Christentum ist, herrschen.“[13] 

Den Treffen dieser „Arbeitsgemeinschaft“ sollten deshalb Bibeltexte, etwa der Römerbrief, zugrunde liegen. Boeck hielt im Oktober 1935 fest, wie das ablief: „Jede Aussprache wurde mit einer Einführung begonnen, die bald dieser, bald jener Teilnehmer übernahm. In einer Sitzung wurde ein Referat über Rosenbergs Schrift gegen die Dunkelmänner gehalten und dieses besprochen. Auch bei der Besprechung der einzelnen Römerbriefkapitel kamen bald die Fragen der Gegenwart zur Sprache. Es ist nicht möglich, alles aufzuzählen, was im einzelnen erörtert wurde, nur einiges sei erwähnt: Religion und Rasse, Jesus und Rasse, Paulus und Rasse, Erbsünde, Kulturentwicklung, Christentum und Deutschtum usw.“[14] Boeck konnte zweifellos nicht nur zum Bibeltext, sondern auch zu „Fragen der Gegenwart“, etwa dem Thema Rasse, viel beisteuern, wie im Folgenden zu zeigen ist.  

Geplagt von zunehmender Schwerhörigkeit, übergab Boeck im Juli 1938 – er war mittlerweile 63 Jahre alt - seine Pastorenstelle an den Nachfolger Rudolf Scheuer. Dieser wurde jedoch im folgenden Jahr in den Krieg geschickt, was ihn „für Führer und Vaterland“ 1941 in Russland das Leben kostete. Also musste Boeck letztlich doch weiter kirchlichen Dienst als Pastor in Wellingsbüttel tun – bis Ende August 1945.[15]

Danach konnte er sich noch fast zwei Jahrzehnte lang dem widmen, was ihn schon immer beschäftigt hatte: Heimatkunde, Plattdeutschpflege, Niederdeutschtum.

 

II

Für Boeck trafen sich diese Interessen insbesondere in einem Punkt: in der Verehrung des schleswig-holsteinischen, in Itzehoe beheimateten Schriftstellers Johann Hinrich Fehrs (1838-1916). Nachdem er als Student in Kiel den Sohn Fehrs' kennengelernt hatte, hatte Boeck auch Zugang zum Haus des Vaters, der sich als Dichter herausstellte.[16] In niederdeutschen Kreisen wurde dieser, vor allem nach Erscheinen seines Romans „Maren“ (1907) - „En Dörpsromån ut de Tied von 1848/51“ -, alsdas große Talent, der „vierte Klassiker“[17] neuniederdeutscher Literatur gehandelt (in Nachfolge von Reuter, Groth und Brinckmann).

Als Fehrs 1916 starb, bildete sich sogleich ein Kreis niederdeutsch Heimatbewegter, die zu Ehren ihres literarischen Idols einen Verein gründeten: die „Fehrs-Gilde“ (in Hamburg bzw. Itzehoe). Federführend (und Vereinsvorsitzender bis 1921) war der in der norddeutschen, niederdeutsch-völkischen Szene umtriebige Journalist Jacob Bödewadt (1883-1946).[18] Christian Boeck, der 1908 als erster eine Monographie zu Fehrs herausbrachte,[19] war von Anfang an dabei, zeichnete für die „Blätter der Fehrs-Gilde“, das Vereinsorgan, und andere Veröffentlichungen der „Gilde“ verantwortlich und  übernahm später (ab Ende 1938) den Vorsitz des Vereins - bis zu seinem Todesjahr 1964. Damit bestimmte der Pastor Jahrzehnte hindurch – vor 1933, bis 1945 und danach – in entscheidendem Maß die Aktivitäten dieser „Gilde“: ihr Programm, ihre Veröffentlichungen und Veranstaltungen, ihre politische Positionierung. („Seine Persönlichkeit drückte der Fehrs-Gilde so sehr den Stempel auf, daß es wohl schien, als sei er die Fehrs-Gilde“, verlautete nach seinem Tod aus dem Verein.) Im Netzwerk der konkurrierenden Niederdeutsch-Vereine nach 1918 (in Hamburg wie im norddeutschen Raum) spielte die „Fehrs-Gilde“ unter Boecks Einfluss und Leitung bald eine prononcierte Rolle. Insbesondere zu beachten war die Zusammenarbeit, aber auch Auseinandersetzung mit der Hamburger Vereinigung „Quickborn“.[20]

Die gesamte Niederdeutsche Bewegung pflegte eine kultur- und zivilisationskritische, gegen die großstädtische Moderne gerichtete Sicht; so auch die „Fehrs-Gilde“.  Durch Christian Boeck wurden aber Jahre vor 1933 Ideologeme wie „Stamm“, „Volkstum“ und „Rasse“ als maßgeblich akzentuiert. Diese Position hat Boeck nicht nur in verschiedenen Arbeiten zu J.H. Fehrs entwickelt, sondern in grundsätzlichen Beiträgen zum „Wesen des Niederdeutschen“.

Insbesondere der von der „Fehrs-Gilde“ 1928 herausgebrachte Band „Was ist niederdeutsch?“[21] sollte zum einen die Bedeutung des Vereins belegen und ihm zum anderen in der Niederdeutschen Bewegung ein Deutungsmonopol verschaffen. Was noch Jahrzehnte später als großes, wissenschaftliches Werk bezeichnet wurde, war allerdings schon Gegenstand zeitgenössischer (im Grunde vernichtender) Kritik.[22] Eindeutig belegt dieses programmatische Kompendium aber die rassistische Ausrichtung der „Gilde“ seit jenen Jahren – und den großen Anteil, welchen Boeck daran hatte -, so dass der Anschluss des Vereins an die „neue Zeit“ der NS-Herrschaft ab 1933 kaum Wunder nehmen kann.

Noch 1933 schlossen „Fehrs-Gilde“ und „Quickborn“ ein taktisches Bündnis, gründeten einen „Ausschuß für Niederdeutsche Kultur“, um gegenüber den neuen Machthabern ihre Ergebenheit zu erklären, gleichzeitig aber ihre eigene Bedeutung, d.h. Eigenständigkeit zu betonen.[23]  Die Ziele der nunmehr staatstragenden NS-Bewegung, schrieben sie an den „Herrn Reichskanzler“ am 11. April 1933, seien die, welche „Fehrs-Gilde“ und „Quickborn“ schon immer angestrebt hätten: Der „Ausschuss“ „sieht durch den nationalen Aufbruch das Ziel langjähriger Arbeit der niederdeutschen Bewegung erfüllt: deutsches Wesen und deutsche Art wieder in den Mittelpunkt unseres geistigen Lebens zu rücken.“[24]  Für die „Gilde“ unterzeichneten der damalige Vorsitzende, („K[öni]gl[icher] Landrat a.D.“) Dr. Wachs, sowie Christian Boeck („Pastor“); für den „Quickborn“ der neue Vorsitzende, NSDAP-Parteigenosse Felix Schmidt, und Schriftleiter Dr. Alexander Strempel.

Dem Versuch der NS-Kulturpolitik, insbesondere des „Kampfbunds für deutsche Kultur“, in Hamburg personifiziert durch den unbeliebten, aber rabiaten NS-Aktiven Dr. Heinrich Haselmayer [25], die nationalsozialistisch reorganisierte Vereinigung „Quickborn“ als alleinigen niederdeutschen Aktionskreis einzusetzen, widersetzte sich die „Fehrs-Gilde“ und bestand auf ihrer organisatorischen Unabhängigkeit. Ähnlich die „Nedderdüütsh Sellshopp“ Thomas Westerichs [26] - wobei aber gleichzeitig allseits versichert wurde, mit Partei und Staat zusammenarbeiten zu wollen.[27]

Tatsächlich fand eine Auflösung  der „Gilde“ in eine „gleichgeschaltete“ Organisation nicht statt, ebenso wenig wie im Fall des Hamburger „Quickborn“ oder  etwa des kleinen „Alstervereins“, von dem noch zu sprechen ist.[28]  Später wurde dies Boeck, was die „Fehrs-Gilde“ anging, als großes  Verdienst angerechnet, „weil die politischen Machthaber auch eine Vereinigung wie die Fehrs-Gilde vollkommen unter ihre Botmäßigkeit zu bringen trachteten und sie in eine staatlich gelenkte Organisation überführen wollten. Das verhindert und die Selbständigkeit der Fehrs-Gilde in Gegensatz zu ähnlichen kulturellen Vereinigungen um ihrer Idee wegen erhalten zu haben, ist wohl in erster Linie das Werk des damaligen Vorsitzenden, des Landrats Dr. Wachs, aber auch, vor allem in den darauffolgenden Jahren, Dein Verdienst“, so Gustav Hoffmann im Namen der „Gilde“ 1960 an die Adresse Christian Boecks.[29]

Eine Bescheinigung politischer Widerständigkeit war das nicht. Vereine, die sich mit Heimat und „Volkstum“ befassten, mussten keineswegs zwangsläufig ihren Namen ändern oder aufgeben bzw. mussten sich nicht unbedingt organisatorisch in einen NS-Verband auflösen, zumal es keine einheitliche Position in der NS-Kulturpolitik gab, was die Form der (zwangsweisen) „Gleichschaltung“ betraf. Diese „Gleichschaltung“ warinhaltlich, d.h. thematisch, programmatisch (und entsprechend personell) gefordert. In dieser Hinsicht war auf Boeck zweifellos Verlass: Von den „Blättern der Fehrs-Gilde“, „in denen schon lange vor 1933 Aspekte der Rassenideologie Verbreitung fanden“, konnte jedenfalls festgestellt werden, dass sie „in Hinblick auf die politische Uminterpretation des Volkstums [in nationalsozialistischem Sinn] die extremste Position einnahmen.“[30]

Boeck hatte bereits 1925 einen „Wegweiser zur Bildung des literarischen Urteils“ verfasst [31], in dem er Juden nachsagte, sie hätten „zur Auflösung aller festen Formen auf sittlichem und religiösen Gebiet beigetragen“[32] und das „Judentum in der Literatur“ stelle „im weitesten Maße eine Gefahr für unser Volkstum“[33] dar. Dies war kein unbedachtes Versehen; zehn Jahre später schrieb Boeck immer noch: Juden seien „nicht zum Volkstum ihres Gastvolkes“ zu zählen -  in seinem Aufsatz „Was ist Volkstum?“. Dort wurde „Volkstum“ deshalb auch nicht ausschließlich oder vor allem sprachlich definiert: „Denn dann gehören auch die Juden zum deutschen Volkstum. (…) An dem Beispiel der Juden sehen wir auch, worauf sich das gemeinsame Lebensgefühl in der Hauptsache gründet: es ist die Abstammung. Jedes Volk unterscheidet sich von den anderen durch die besondere Rassenzusammensetzung. Wir wissen, daß im Judentum bestimmte Rassen vorherrschen, die vorderasiatische und die orientalische. Anders ist die Zusammensetzung der Rassen in Deutschland, in England und in Frankreich. Lebensgefühl, das sich auf gemeinsame Abstammung gründet, ist also ein Kennzeichen eines Volkstums.“[34]

Für ihr programmatisches Kompendium „Was ist niederdeutsch?“ bemühte die „Fehrs-Gilde“  1928 u.a. damals so klingende Namen wie Adolf Bartels, Hans F.K. Günther und Conrad Borchling [35], was für die einen Ausweis besten wissenschaftlichen Anspruchs, für andere Beleg eindeutig völkisch-rassistischer Niederdeutsch-Ideologie war. Boeck fasste die verschiedenen Beiträge für die „Fehrs-Gilde“ in einem „Schlußwort“ zusammen: „Wir suchten Antwort auf die Frage: Was ist niederdeutsch? (…) so finden wir (…) zwei Wegweiser (…), das Wesen eines Volkstums zu ergründen: es sind die Landschaft und die Rasse.“[36]

Für letztere interessierte sich Boeck vor allem: „In der Rasse finden wir die andere Grundlage, auf der sich jedes Volkstum und Stammestum erhebt. (…) Die Art und das Wesen eines Stammes wird zur einen Hälfte durch die Rassen geschaffen, die in ihm vorwiegend vertreten sind. Die Landschaft, die Umwelt allein macht es nicht.

Rasse tritt vor allem körperlich in die Erscheinung, an den Körpermerkmalen kann man erkennen, welcher Rasse ein Mensch angehört.“[37] Explizit verwies Boeck mehrfach auf H. F. K. Günther (den später so genannten „Rassegünther“, dank NS-Protektion schon 1930 mit einer Professur für „Sozialanthropologie“ an der Universität Jena versorgt) als Quelle seiner Erkenntnisse. Dementsprechend führte Boeck weiter aus:

„Aber Rasse bedeutet auch eine bestimmte seelische Gestalt, die einzelnen Rassen bieten verschiedene seelische Bilder. Die Tatsache ist uns gefühlsmäßig gegenwärtig. Man hat sie aber auch nachgewiesen.“[38] Gemeint waren mit „nachgewiesen“  Spekulationen wie die von Günther, denen Boeck bereitwillig folgte:

„Für das geistige Wesen des niederdeutschen Menschen in seiner besten Form sind in erster Linie die nordische und die fälische Rasse maßgeblich.“[39] Und zwar, so Boeck bzw. Günther, lief das auf Folgendes hinaus: „Die nordische Rasse ist schöpferisch begabt und liefert führende Menschen auf vielen Gebieten.“[40] Der „fälische“ Mensch dagegen: „Er zeigt mehr Gemüt und ist innerlicher. (…) Wucht bezeichnet leiblich und seelisch das Bild der fälischen Rasse, und etwas Urtümliches eignet ihr.“[41]

Agathe Lasch, nachdem sie gleich anfangs in ihrer Rezension des Bandes klargestellt hatte, dass zwischen einer „wissenschaftlichen Durchdringung“ und der „populären Form, die die Heimatvereine pflegen“, ein prinzipieller Unterschied bestehe, meinte zu Boecks Ausführungen ganz unpolemisch, aber eindeutig: „Der Verfasser geht offenbar von einem ziemlich fest umrissenen, eigenen Bilde aus. (…) Das Buch gibt wohl noch nicht das, was der Herausgeber plante und vielleicht auch zu geben glaubt (…).“ [42]

Boeck ließ sich durch solche Einwände von seiner Meinung nicht abbringen. Dies betraf auch seine fortwährende Beschäftigung mit Fehrs. War seine Monographie von 1908 schon dadurch gekennzeichnet, dass in ihr „dem Irrationalismus (…) nun endgültig Tür und Tor geöffnet“ wurde[43], so waren Jacob Bödewadt und Christian Boeck mit ihrer „Fehrs-Gilde“ ab 1916 „beide die treibenden Kräfte, die einer undifferenzierten Überhöhung des Fehrs-Bildes im Sinne eines Klassikermythos und einer stetig wachsenden Integration völkisch-konservativer Tendenzen in die Auseinandersetzung mit Fehrs den Weg [bereiteten]“.[44] 1929 war Boecks Darstellung seines verehrten Dichters ganz in Einklang mit seinen Rassenvorstellungen aus dem Vorjahr, als es ihm um die „nordische Rasse“ ging, wie gezeigt. „Wenn eine Möglichkeit besteht, nordischen Geist in unserm Volke zu pflegen und zu stärken, dann kann, wenn irgendeiner, Fehrs Dienst an diesem Werke tun. Nordischer Geist hat in seiner Dichtung Gestalt gewonnen und kann von hier aus in der unbewußten Weise, wie es Dichtung tut, auf alle Empfänglichen bildend wirken.“[45] Solche Sentenzen fanden in der Zeitschrift „Volk und Rasse“ („Vierteljahresschrift für deutsches Volkstum“), die der völkisch agitierende Verleger J. F. Lehmann [46] finanzierte, ihren angemessenen Platz.

Weiter sah Boeck seine Aufgabe (bzw. die der „Fehrs-Gilde“) auch darin, gegenwärtiges „Volkstum“ zu fördern, also aktuelle (möglichst plattdeutsche) Literatur in richtiger Deutung. Dies fand dann, wie vor 1933, auch unter NS-Vorzeichen statt. So gab er – zusammen mit Albrecht Janssen - 1935 den Band „Das unbekannte Niederdeutschland“ mit Texten zeitgenössischer „niederdeutscher“ Autoren heraus, gefolgt von „Niederdeutsche Balladen“ 1936.[47] In der Einleitung hieß es da: „Es ist allgemeine Meinung, daß die Ballade eine besonders nordische und daher auch niederdeutsche Form der Dichtung ist. Sie ist u.a. ein Nachklang alter Heldengesänge, wie sie einst in den nordischen Bereichen heimisch waren.“[48] Anschließend, wie gewohnt, die Wendung zu „Stamm“ und „Wesen“: „Niederdeutsche Balladen haben im allgemeinen etwas Schweres und Düsteres an sich. Darin kommt ein Zug unseres Stammeswesens zum Ausdruck, der stark ausgeprägt ist.“ So enthüllte sich ihnen „in all dem Streit, der Leidenschaft, dem Verrat und Mord [in den Balladen] der herrische, stürmische Wille, der alles daran setzt, die Welt zu zwingen. Auch das ist niederdeutsch.“[49]

Beide Bände waren zugleich auch Jahresgaben der „Fehrs-Gilde“, wie sie seit 1917/1918 an ihre Mitglieder verteilt wurden. Diese Publikationen erschienen unangefochten wie vor 1933 auch in der NS-Zeit bis zu deren unabweisbaren Ende. (Die Jahresgaben 1944/45 entfielen!) Die auf diese Weise von der „Fehrs-Gilde“ verbreiteten niederdeutschen Autoren waren, außer Fehrs natürlich, beispielsweise die NS-gefälligen Thomas Westerich und Albert Mähl, aber auch der nationalsozialistische Germanist Hans Teske, der sich über den „niederdeutschen Menschen“ äußerte.[50]

Als 1938 in Itzehoe ein „Fehrs-Gedenkstein“ eingeweiht wurde, ein großes Ereignis für die regionale nationalsozialistische Kulturpolitik, war Pastor Boeck nicht nur von der Familie Fehrs umringt (und Jakob Bödewadt war selbstverständlich auch mit von der Partie), sondern an seiner Seite stand auch Gauleiter Hinrich Lohse inmitten seiner uniformierten Parteigenossen.[51]

 

III

Im Kontrast zu derlei kontinuierlichem Wirken während der NS-Zeit steht Boecks spätere Erinnerung, in der die Niederdeutschen – er sprach nun vom entpersonalisierten „Plattdeutschen“ - unter den Verhältnissen zu leiden gehabt hätten: Nach Ende des 19. Jahrhunderts „lebte das Plattdeutsche ein wenig abseits, und die Kritik verlor das Interesse an ihm“, bemerkte Boeck 1961. „Später kam noch das Mißtrauen der Nationalsozialisten hinzu, die in den Bemühungen um das Plattdeutsche partikularistische Tendenzen politischer Art vermuteten.“[52]

Zu dieser Zeit, Anfang der 1960er-Jahre, wurde nicht so gern und jedenfalls ungenau von jenen vergangenen Tagen gesprochen; man fasste sich, wenn überhaupt, kurz und möglichst vage und inhaltsleer. Auch Hermann Goecke hielt sich daran: Als er 1962, damals Rektor der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster, im Namen der Stiftung F.V.S.  den Joost van den Vondel-Preis verlieh, war er wohl auf äußere Formen bedacht [53], blieb in seiner Rede inhaltlich aber unbestimmt. Er sprach in seiner Laudatio auf den Preisträger, Christian Boeck, von dessen Verdiensten um die plattdeutsche Sprache und um Niederdeutsches überhaupt: „Als Herausgeber bedeutender Sammelwerke wissenschaftlicher Arbeiten über niederdeutsche Probleme und Anthologien plattdeutscher Dichtungen, die ich im einzelnen heute nicht aufzählen kann, hat sich Boeck im In- und Ausland einen geschätzten Namen erworben.“[54] Hätte er sie aufgezählt, hätte er möglicherweise die dargestellten Bücher „Was ist niederdeutsch?“ oder auch „Das unbekannte Niederdeutschland“ und die „Niederdeutschen Balladen“  - mit Boecks Vorstellungen von Stamm, Rasse etc. -  nicht verschweigen können.

So jedoch konnte Boeck als „selbstloser Förderer niederdeutscher Sprache und Dichtung“[55] geehrt werden, wobei ebenfalls offen gelassen wurde, welche Geschichte sich mit der Stiftung F.V.S.  und ihren Preisen verband. Boeck selbst wußte, wem er dankte: „Ik dank de Stiftung F.V.S. un den hochgeehrde Mann, de se insett hatt; sien Doon un sien Will is, överall, in Natur un in de Geisteswelt, de Kräft to hegen un to plegen, ut de dat Leben sien Bestand hett.“[56]) Der „hochgeehrte Mann“, Alfred C. Toepfer, hatte, als „die Kräfte, aus denen das Leben seinen Bestand hat“, noch „Blut und Boden“ genannt wurden, einen Rembrandt-Preis finanziert, verliehen von der nationalsozialistisch ausgerichteten Hamburger Universität. Nun aber, der Rembrandt-Preis war diskreditiert und wurde nicht mehr vergeben, gab es einen Joost van den Vondel-Preis, verliehen an der Universität Münster, „als Auszeichnung überragender kultureller Leistungen im gesamten flämischen, niederländischen und niederdeutschen Sprachgebiet.“ [57]

Christian Boeck bedankte sich artig, sprach von seinen Bemühungen und von denen der „Fehrs-Gilde“:  Jetzt wie früher gehe es um „die Pflege des Fehrsschen Erbgutes“, dann aber auch „um das Niederdeutsche selbst und um die plattdeutsche Sprache“[58] Freilich sei nicht die Sprache allein von Belang: „Weit mehr noch hat das Plattdeutsche für jeden einzelnen Niederdeutschen charakterbildende Bedeutung. (…) Darum ist es seine Aufgabe, wie die jeder Mundart, Hüterin und Pflegerin der seelischen, der innerlichen, gefühlsbetonten Kräfte zu sein.“[59]  Boeck sah aber keineswegs  nur auf Innerliches: „Immer bleibt das Plattdeutsche in seiner Weltstellung bestehen, die darin begründet liegt, daß es im Angelpunkt der nordischen und der nahe verwandten westlichen Sprachen, des Niederländischen und des Flämischen, die Mitte hält. Diese Stellung hat schon immer Beziehungen gegeben und das Leben befruchtet.“[60] Genauer musste Boeck die alten all-niederdeutschen Vorstellungen nicht erläutern; anzunehmen ist, dass auch nach dem „Zusammenbruch von 1945“[61]  dem Publikum, vor dem er sprach, noch vertraut war, wovon er sprach.

Außer für die „Fehrs-Gilde“ wendete Boeck seine Zeit und Energie nach 1945 auch für den kleinen Heimatverein seiner Wohngegend auf, für den „Alsterverein“, dessen Interessen auch Wellingsbüttel einschlossen. Boeck wurde Mitglied, hielt Vorträge, schrieb im Jahrbuch des Vereins. Auch hier wurde er geschätzt: Er wurde zum Ehrenmitglied erklärt.[62] Am 23. August 1992 waren „Fehrs-Gilde“ und „Alsterverein“, zusammen mit lokaler Prominenz, in Wellingsbüttel versammelt: Die ehemalige „ Lindenallee “ erhielt einen neuen Namen: „ Christian-Boeck-Allee “. Man war sich einig: Der „tätige Kulturförderer“ Christian Boeck, „unser Christian Boeck“[63], galt den Anwesenden als „Vorbild“, an das die Hoffnung geknüpft wurde, es möge „auch nachfolgenden Generationen Anstöße geben“.[64]

Anstöße welcher Art, wurde nicht gesagt.

Text: Ralph Busch

ANMERKUNGEN
1 Gustav Hoffmann, „An Christian Boeck“, in: Gustav Hoffmann/Gustav Jürgensen (Hg.), Hart, warr nich mööd. Festschrift für Christian Boeck. Zum 85. Geburtstag am 10. März 1960, Hamburg 1960, S. 11-17; Zitat: S. 17 (Der genaue Wortlaut: „Aber auch dies muß gesagt werden: Ein Verdienstkreuz kann uns nicht davon befreien, zum Ausdruck zu bringen, was wir empfinden, wenn wir auf Dich, auf Dein Werk schauen: Habe Dank, Dank, Dank!“)
2 Heinrich Kahl/Ernst König, „In Memoriam Christian Boeck. Zur Benennung der Christian-Boeck-Allee “, Jahrbuch des Alstervereins 68/1992, S. 88-91; das Zitat: S. 89
3 Ebd., S. 88
4 Ewald Goltz, „Vorwort“, in: Ewald Goltz (Hg.), Pastor Christian Boeck zum Gedächtnis, Hamburg 1975, S. 5 – Ewald Goltz, Handwerkmeister und Gewerbelehrer aus Finkenwerder, war damals Vorsitzender der „Fehrs-Gilde“ (siehe Ewald Goltz, Ein Schiff kehrt heim, [Privatdruck] Hamburg 1978; ders., Finkwarder. Hunnert Johr Geschichte un Geschichten, Hamburg 1985 - wo er auch seine NSDAP- und – zeitweilige – SA-Mitgliedschaft erwähnt.)
5 Hans Ehrke, „Erinnerungen an Pastor Boeck“, in: Hoffmann/Jürgensen, Hart (wie Anm. 1), S. 22
6 Hermann Goecke, „Auszug aus der Ansprache des Rektors der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster, Herrn Professor Dr. Hermann Goecke“, in: Goltz, Pastor (wie Anm. 4), S. 41-44; das Zitat: S. 43
7 Ebd.: „1955 wurde er wegen seiner Verdienste um die deutsche Kultur mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes geehrt.“ Die Universität Kiel verlieh ihm 1962 ihre „Universitätsmedaille“ (siehe ebd.); ebenfalls 1962 verlieh ihm der „Schleswig- Holsteinische Heimatbund“, welcher zu der Zeit als anti-dänischer „Grenzverein“ auftrat, seine „goldene Lornsen-Kette“ („wegen seiner Bemühungen um das niederdeutsche Volkstum“, ebd.); vgl. zu den Daten und zur „goldenen“ Kette: Kahl/König (wie Anm. 2), S. 90. - Die Festschriften der „Fehrs-Gilde“ erschienen zum 85. Geburtstag (1960) und zum 100. Geburtstag (1975): Siehe Anm. 1 und Anm. 4. Beim „Alsterverein“ wurde er „Ehrenmitglied“ (wohl 1961).
8 Siehe dazu Kahl/König (wie Anm. 2) – In der „Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte“ 79/1993, S. 402, wird eigens auf diesen Aufsatz hingewiesen („Aus Anlaß der Benennung der zum Wellingsbüttler Torhaus führenden Lindenalle in Christian-Boeck-Allee im Jahr 1992 [...]“).
9 Kahl/König (wie Anm. 2), S. 88
10 Darstellung nach Kahl/König (wie Anm. 2) und Goecke (wie Anm. 6).
11 Kahl/König (wie Anm. 2), S. 89
12 Boecks Anmerkungen zum Kirchenbau laut Ernst König, Chronik der Kirchengemeinde Wellingsbüttel. 1938 bis 1988, Hamburg 1989, S. 53 und 54; zur Glocke siehe S. 60. König zitiert aus den „Gemeindeblättern“ (siehe ebd., S. 31/32). - Zur NS-gefälligen Architektur der Kirche siehe z.B. Petra Schellen, „Ein schwieriges Erbe“, sowie das Interview mit Stephan Linck („Jesus galt als Märtyrer und Held“) beide in der „taz. die tageszeitung“, Ausgabe Nord, 27. 12. 2013; vgl. „Geschichte aufarbeiten: Das schwere Erbe der Nazi-Kirchen“ (zur Sonderausstellung „Christenkreuz und Hakenkreuz“), unter: www.nordkirche.de/nachrichten/nachrichten/detail/geschichte-aufarbeiten-das-schwere-erbe-der-nazi-kirchen.html (zuletzt gesehen: 25. 03. 2016)
13 König, Chronik (wie Anm. 12), S. 48
14 Ebd., S. 48 – Verwiesen wird auf Alfred Rosenberg, An die Dunkelmänner unserer Zeit. Eine Antwort auf die Angriffe gegen den „Mythus des 20. Jahrhunderts“, München 1935 (worin sich Rosenberg vor allem mit Positionen der katholischen Kirche – u.a. ausgelöst durch die Verbreitung einer anonym veröffentlichten Schrift gegen Rosenberg durch den Münsteraner Bischof v. Galen - auseinandersetzt).
15 Seit 2014 wird in der Gemeinde der Lutherkirche ein Geschichtsprojekt (Dissertationsvorhaben, Michaela Bräuninger) bearbeitet, das sich u.a. auch der Vorgeschichte und Durchführung des Kirchenbaus
und dem Wirken des Pastors Boeck widmet. (Details dazu auf der Homepage der Lutherkirche, Wellingsbüttel.)
16 Siehe dazu Christian Boeck, Erinnerungen an Johann Hinrich Fehrs, Hamburg 1959.
17 Gustav Hoffmann, „Fehrs, Johann Hinrich“ in: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 52 [Onlinefassung]; URL: www.deutsche-biographie.de/pnd118532235.html
18 Zu Bödewadts Wirken in Zusammenhang mit Fehrs, der „Fehrs-Gilde“ und der niederdeutschen (und später nationalsozialistischen) Literaturszene siehe etwa Kay Dohnke, „Die kolportierte Klassikerlegende. Ein Literaturbericht zu J. H. Fehrs“, in: Kay Dohnke/Alexander Ritter (Hg.), Johann Hinrich Fehrs – ein Erzähler der Provinz. Studien zu Leben, Werk und Wirkung (= Steinburger Studien 5), Heide 1987, S. 261-280; Kay Dohnke, „Auf dem Weg zum Eutiner Dichterkreis“, in: Lawrence D. Stokes, Der Eutiner Dichterkreis und der Nationalsozialismus 1936-1945. Eine Dokumentation (= Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig- Holsteins 111), Neumünster 2001, S. 12-41.
19 Christian Boeck, Johann Hinrich Fehrs, Garding 1908
20 Der Verein „Quickborn“ (1904 in Hamburg gegründet als „Freie Vereinigung von Freunden der niederdeutschen Sprache und Literatur“) wurde bald zur größten und einflussreichsten Gruppierung in der Hamburger Niederdeutschen Bewegung. Auch Christian Boeck hat gelegentlich im Vereins-Blatt, den „Mitteilungen aus dem Quickborn“, geschrieben (über Fehrs), so 1908, aber auch 1937/38. - Das Zitat zu Boecks Bedeutung stammt aus einem Nachruf der „Fehrs-Gilde“, zitiert in der Notiz des „Quickborn“ zu Boecks Tod („Mitteilungen aus dem Quickborn“ 54/1964, S. 94).
21 Was ist niederdeutsch? Beiträge zur Stammeskunde, hrsg. v. Fehrs-Gilde, Kiel 1928.
22 Agathe Lasch, „Rezension: Was ist niederdeutsch?“, „Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte“ 32/1931, S. 210-213. Dass Agathe Lasch als Rezensentin bemüht wurde, ehrt den „Verein“, denn es war nicht mit einer Gefälligkeitsbesprechung zu rechnen. Lasch war nicht nur exzellente Sprachwissenschaftlerin und
dem Niederdeutschen eng verbunden, sondern auch Jüdin, was sie angesichts der rassistischen Tendenz des Bandes zu berechtigter Polemik hätte veranlassen können. Stattdessen zeigte sie die Unzulänglichkeiten und Unstimmigkeiten, die in den verschiedenen Beiträgen zu finden waren, nüchtern auf. Eine Konfrontation mit Conrad Borchling, dem Germanisten und Niederdeutsch-Professor, mit dem sie an der Universität eng zusammenarbeitete und der in dem „Fehrs-Gilde“-Band über „Die niederdeutsche Sprache“ schrieb, konnte sie umgehen, indem sie nicht im Einzelnen darauf einging. („Die einzelnen nicht nur verschiedenartigen, sondern auch verschiedenwertigen Arbeiten hier zu charakterisieren, muß ich mir versagen.“ - S. 212) – Professorin Dr. Agathe Lasch wurde 1942 im Holocaust umgebracht.
23 Dargestellt in Norbert Hopster/Jan Wirrer, „Tradition, Selbstinterpretation und Politik. Die 'Niederdeutsche Bewegung' vor und nach 1933“, in: Kay Dohnke/Norbert Hopster/Jan Wirrer (Hg.), Niederdeutsch im Nationalsozialismus. Studien zur Rolle regionaler Kultur im Faschismus, Hildesheim/Zürich/New York 1994, S. 59-122
24 Ebd., S. 85
25 Zu Haselmayer siehe in Hans-Peter de Lorent, Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz, Hamburg 2016, das Kapitel „ Heinrich Haselmayer. 'Gegen Verbastardierung und Vernegerung unseres Daseins'“, S. 621-656
26 Westerich „betätigte sich bereits kurz nach der Jahrhundertwende in der Hamburger 'Nedderdüütsh Sellshopp' ('Niederdeutsche Gesellschaft')“ (Dohnke, Eutiner Dichterkreis (wie Anm. 18), S. 28 - hier auch weitere Angaben zu seiner Vita); zur Rolle als Vereinsvorsitzender am Anfang der NS-Zeit siehe Hopster/Wirrer (wie Anm. 23).
27 Details bei Hopster/Wirrer (wie Anm. 23).
28 So lange durch personelle Umbesetzungen – NS-Parteigenossen übernahmen entscheidende Posten und garantierten so entsprechende Arbeit (Veröffentlichungen, Veranstaltungen) – der nationalsozialistische Rahmen gewahrt wurde, konnten Vereine, unter altem Namen, weiterarbeiten. Dass sie dabei mit NS-Staat und -Partei zusammenarbeiten mussten, gehörte zum Arrangement. (Der „Quickborn“ beispielsweise war zur Mitarbeit in der „Vereinigung Niederdeutsches Hamburg“ verpflichtet worden; der „Alsterverein“ hatte sich zunächst dem „Reichsbund Volkstum und Heimat“, danach der „NS-Kulturgemeinde“ zugewandt.)
29 Gustav Hoffmann (wie Anm. 1), S. 15
30 Hopster/Wirrer (wie Anm. 23), S. 101
31 Christian Boeck, Kritische Selbsthilfe. Ein Wegweiser zur Bildung des literarischen Urteils, Hamburg 1925. Das Buch erschien bei der Hanseatischen Verlagsanstalt, dem Verlag des antisemitischen Deutschnationalen-Handlungsgehilfen-Verbandes. (Siehe dazu: Iris Hamel, Völkischer Verband und nationale Gewerkschaft. Der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband 1893-1933, Frankfurt/M. 1967; Siegfried Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt. Politisches Buchmarketing im „Dritten Reich“, Frankfurt/M. 1992.)
32 Boeck, Kritische Selbsthilfe (wie Anm. 31), S. 61, zitiert nach Hopster/Wirrer (wie Anm. 23), S. 102
33 Ebd., S. 62, zitiert nach Hopster/Wirrer (wie Anm. 23), S. 102
34 Christian Boeck, „Was ist Volkstum?“, „Blätter der Fehrs-Gilde“ 13/Heft 1, 1935-1936, S. 1-8; das Zitat: S. 4/5, zitiert nach Jan Wirrer, „'Die Rassenseele ist des Volkes Sprache'. Sprache, Standarddeutsch, Niederdeutsch. Zum Sprachbegriff in der Diskussion um das Niederdeutsche während der nationalsozialistischen Diktatur“, in Dohnke/Hopster/Wirrer (wie Anm. 23), S. 207-261; das Boeck-Zitat auf S. 220.
35 Zu Adolf Bartels, dem bekennenden Literatur-Antisemiten, und Hans F.K. Günther, dem erfolgreichen und von der NSDAP hoch geschätzten Rassenideologen, erübrigen sich an dieser Stelle Erklärungen. Conrad Borchling dagegen war auch international anerkannter und führender Niederdeutsch-Germanist an der Universität Hamburg, pflegte aber durchaus auch Kontakte zur nichtakademischen Szene der Niederdeutschen Bewegung; so war er Mitglied und Mitarbeiter der „Fehrs-Gilde“ wie auch des „Quickborn“. Siehe auch Ingrid Schröder, „'Mit besonderer Rücksicht des Niederdeutschen und des Niederländischen'. Conrad Borchling und der Ausbau des Deutschen Seminars“, in Myriam Richter/Mirko Nottscheid (Hg.) 100 Jahre Germanistik in Hamburg. Tradition und Perspektiven (= Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte 19), Berlin/Hamburg 2011, S. 65-80 - Unter den weiteren Autoren wäre insbesondere noch auf den Volkskundler Otto Lehmann (1865-1951), den Direktor des Altonaer Museums, hinzuweisen, der nach seiner Pensionierung 1931 von der inzwischen NS-ausgerichteten „Hansischen Universität“ 1935 zum „Ehrensenator“ ernannt wurde. Er war dafür bekannt, ein Museum für deutsche Rassenkunde und Rassenhygiene zu fordern: „Aber dem deutschen Volk ist die Idee einzuhämmern, daß der deutsche Staat aus körperlich und geistig höher stehenden Deutschen bestehen muß.“(Otto Lehmann, „Museum für deutsche Rassenkunde“, „Der Biologe“ 3/1934, S. 122-125; Zitat: S. 125) Eine abwägende „Gesamtsicht“ auf das Wirken Lehmanns – einschließlich der NS-Zeit -, die ins Auge gefasst worden ist, liegt bislang nicht vor (siehe Uwe Claassen, „Ethnizität im Spiegel von Geographie und Darwinismus. Die kulturgeschichtlich-volkskundliche Abteilung des Altonaer Museums im Kontext“, in: Torkild Hinrichsen (Hg.), In Ottos Kopf. Das Altonaer Museum 1901 bis 2001 und das Ausstellungskonzept seines ersten Direktors Otto Lehmann, Hamburg/München 2001, S. 95-102).
36 „Was ist niederdeutsch?“ (wie Anm. 21), Christian Boecks Zusammenfassung, S. 231
37 Ebd., S. 233/234
38 Ebd., S. 234
39 Ebd., S. 235
40 Ebd., S. 236
41 Ebd.
42 Lasch (wie Anm. 22), S. 210 und 212
43 Dohnke, Klassikerlegende (wie Anm. 18), S. 265
44 Ebd., S. 268 – Siehe auch Kay Dohnke, „'Hier ist wahrhaft deutsches, wahrhaft niederdeutsches Wesen.' Ideologisierte Vermittlung niederdeutscher Literatur in Christian Boecks Arbeiten über H. J. Fehrs“, in: Friedrich W. Michelsen/Gerd Spiekermann (Hg.), Dat en Spoor blifft, Göttingen 1985, S. 87-100
45 Christian Boeck, „Ein Dichter nordischer Art“, „Volk und Rasse“ 4/1929, Heft 2, S. 102-107; Zitat: S. 107, zitiert nach Dohnke, Klassikerlegende (wie Anm. 18), S. 272
46 Siehe Sigrid Stöckel (Hg.), Die „rechte Nation“ und ihr Verleger. Politik und Popularisierung im J. F. Lehmanns Verlag 1890-1979, Berlin 2002.
47 Christian Boeck/Albrecht Janssen (Hg.), Das unbekannte Niederdeutschland, Hamburg 1935; Christian Boeck/Albrecht Janssen (Hg.), Niederdeutsche Balladen, Kiel 1936
48 Boeck/Janssen, Balladen (wie Anm. 47), S. 6
49 Ebd., S. 7
50 Siehe die Auflistung „Bücher der Fehrs-Gilde“, unter: www.fehrsgilde.de/hd_buecher.htm (zuletzt gesehen: 02. 04. 2016)
51 Siehe das Foto von der Gedenkstein-Einweihung 1938 in Itzehoe bei Michael Töteberg, „Propaganda für einen Dichter. Von der Jahrhundertwende bis zum Dritten Reich: Fehrs-Rezeption im Kontext von Heimatkunst und niederdeutscher Bewegung“, in: Dohnke/Ritter (wie Anm. 18), S. 247-260; das Foto auf S. 258.
52 Christian Boeck, „'… die seligsten, die leisesten, die süßesten Laute'“, in: Goltz, Pastor (wie Anm. 4), S. 13-17; das Zitat: S. 15. (Der Artikel ist nachgedruckt aus „Die geistige Welt“ (= Beilage zu „Die Welt“), 2. September 1961.)
53 „Hermann Goecke, 61, neuer Rektor der Universität Münster“ verlangte von seinen Universitätskollegen bei der Rektoratsübergabe, da „zum Talar an sich ein Frack“ gehöre, wenigstens einen „Eckenkragen mit voller Querschleife (nicht weißen oder silbergrauen Binder), schwarze Hose und schwarze Schuhe“. („Der Spiegel“ 47/1961 [15. November 1961], S. 92) In vorausgegangenen Jahren war Goecke Mitglied in der NSDAP (Blockleiter, Zellenleiter), im NSV, NS-Altherrenbund und NSDB gewesen. Seine Entnazifizierung geschah rasch: Er wurde als Arzt und in der Universität gebraucht. (Siehe Birthe Franziska Heitkötter, Die Geschichte der Frauenklinik der Universitätsklinik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Westf.) in den Jahren 1925-1950 unter besonderer Berücksichtigung der Jahre im Nationalsozialismus unter der Leitung des Klinikdirektors Peter Esch (= Diss. Münster), Münster 2012, S. 132/133 und Anhang, S. CLIX-CLXI.
54 Goecke (wie Anm. 6), S. 43.
55 Ebd., S. 44, der vollständige Text der Urkunde, die Boeck überreicht wurde: „Die Westfälische Wilhelms-Universität zu Münster verleiht den JOOST VAN DEN VONDEL-PREIS der Stiftung F. V. S. zu Hamburg für das Jahr 1961 dem Pastor in Ruhe CHRISTIAN BOECK. Die Ehrung gilt dem selbstlosen Förderer niederdeutscher Sprache und Dichtung, insbesondere des niederdeutschen Buches, nicht zuletzt auch dem Deuter des dichterischen Werkes seines väterlichen Freundes Johann Hinrich Fehrs.“ Dazu gab es eine Medaille – und das Preisgeld.
56 Boeck in seiner Dankesrede, in: Goltz, Pastor (wie Anm. 4), S. 51.
57“Mitteilungen aus dem Quickborn“ 51/1961, S. 16; vgl. ebd., S. 65. - Zum Rembrandt-Preis siehe Holger Wilken, „Niederdeutsche Lorbeeren in der NS-Kulturpolitik. Der Rembrandtpreis der Hansischen Universität Hamburg. 1935-1944“, „Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte“ 89/2003, S. 175-206; zur Weiterentwicklung Alfred C. Toepfers, seiner Stiftungen und Preise nach 1945 – einschließlich des nach Joost van den Vondel genannten - und den damit verbundenen ideologischen und politischen Vorstellungen: Karl Heinz Roth/Ulf-Thomas Lesle, „Völkische Netzwerke. Alfred Toepfer und das Stiftungsunternehmen ACT/FVS. Eine Forschungsbilanz“, „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“ 64/2016, S. 213-234. - Der Joost van den Vondel-Preis wurde nach 2000 nicht mehr verliehen.
58 Boeck in seiner Dankesrede, in: Goltz, Pastor (wie Anm. 4), S. 48
59 Ebd., S. 49
60 Ebd.
61 Ebd., S. 47
62 Boeck hat sich mehrfach mit Wellingsbüttel befasst: Siehe Christian Boeck (Hg.), Wellingsbütteler Urkunden, 1, Hamburg 1938; ders., Kurzer Abriß der Geschichte Wellingsbüttels, Hamburg 1947; ders. (Hg.), Wellingsbütteler Urkunden, 2, Hamburg 1950. - Boeck hat im Jahrbuch 24/1940 geschrieben („Spaziergang durch Wellingsbüttel 1806“, S. 33-41) und Vorträge im Verein gehalten: 1951 über „Wellingsbüttel“, 1955 über „Wellingsbütteler Urkunden“, 1959 über J.H. Fehrs (siehe die Jahrbücher 36/1957 und 39/1960; in der Ausgabe 40/1961, S. 80, wird er als „Ehrenmitglied“ aufgeführt. )
63 Kahl/König (wie Anm. 2), S. 88
64 Ebd., S. 91 - Auch in kritischer Sicht ist Boeck für die Zeit nach 1945 in seinen Bemühungen um Fehrs und das Plattdeutsche nicht nur viel positive Energie, sondern geradezu eine gewisse innere Wandlung bescheinigt worden. So wird einerseits Boecks rassistische Haltung vor 1933 und seine Verstrickung in das NS-Gefüge bis 1945 dokumentiert, andererseits heißt es über ihn: „Trotzdem war Boeck – eigenen Angaben zufolge – niemals Mitglied der NSDAP (…) und [hat] nach dem Kriege einen antifaschistischen Autor wie Hinrich Kruse gefördert.“(Wirrer, Rassenseele (wie Anm. 34), S. 245) Nach 1945, wird generalisierend geurteilt, „hat Boeck sich als offen, tolerant und aufgeschlossen gezeigt.“(Dohnke, Ideologisierte Vermittlung (wie Anm. 44), S. 97) Dazu muss freilich festgehalten werden: Wenn auch nach 1945 gewiss rassistische Äußerungen von ihm vermieden wurden, erscheint sein niederdeutsches Weltbild in Grundzügen kaum verändert (siehe z. B. seine Rede bei der Preisverleihung in Münster). Die genannte „Aufgeschlossenheit“ Boecks hat jedenfalls eine öffentlich zugängliche Reflexion des Verhältnisses von Niederdeutschtum und Nationalsozialismus, auch seiner eigenen Betätigung in der Niederdeutschen Bewegung schon vor 1933 und in der Zeit bis 1945, nicht eingeschlossen.
 

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Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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