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Traugott Diercks

(12.12.1899 – 01.02.1979)
bis 1945 Schulleiter der Gorch-Fock-Schule (vor 1937: Richard-Dehmel-Schule), Karstenstraße 22
Ortsgruppenleiter der NSDAP

1929 erhielt die neu erbaute Volksschule im damals noch schleswig-holsteinischen Blankenese den Namen Richard-Dehmel-Schule. Benannt war sie nach dem Dichter, der seit Ende des 19. Jahrhunderts zu den prominentesten deutschsprachigen Lyrikern gehörte – mit beträchtlicher Wirkung auf die junge Literaturszene. Richard Dehmel (1863-1920) hatte sich, nach Jahren in Berlin, seit 1901 in Blankenese angesiedelt. Sein 1911 in der damaligen Westerstraße 5 – jetzt Richard-Dehmel-Straße 1 – erbautes Haus, das „Dehmel-Haus“, wurde zu einem Zentrum literarischen und künstlerischen Lebens mit Bedeutung für den Hamburger Raum und darüber hinaus. Seine zweite Frau, die Literatin, Künstlerin und Frauenrechtlerin Ida Dehmel (1870-1942), trug wesentlich zur Gestaltung dieser Begegnungen, Veranstaltungen und Feste bei und führte dies, nach Richard Dehmels Tod, mit eigener Akzentuierung weiter.

Als 1933 mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten auch das Schulwesen im NS-Sinn ausgerichtet wurde, blieb der Name der Schule zunächst bestehen. Das sollte sich aber nur wenige Jahre später ändern, als die Dichtung und das Leben Dehmels bei nationalsozialistischen Kulturkämpfern Anstoß erregte: Im Oktober 1936 unternahm der NSDAP-Kreisleiter von Altona, Heinrich Piwitt, einen entsprechenden Vorstoß. Er verlangte von Hermann Saß, für Schulangelegenheiten zuständiger Stadtrat in Altona (später Oberschulrat [1]), die Umbenennung sowohl der Richard-Dehmel-Straße als auch der Richard-Dehmel-Schule in Blankenese. Begründung: „Dehmel sei zweimal mit jüdischen Frauen verheiratet gewesen und verdiene auch wegen 'seiner pazifistischen und sonstigen Haltung' keine solche Anerkennung.“[2] Begleitend wurde auch in dem HJ-Blatt „Vorposten“ ähnlich agitiert.

Nun war ebenfalls die Stellungnahme des „damaligen sehr linientreuen Schulleiters Traugott Diercks“ [3] gefragt. Seit 1921 im Schuldienst [4], unterstand er zur Jahreswende 1936/37 noch der Altonaer bzw. schleswig-holsteinischen Schulverwaltung und Parteizuständigkeit. Er „verschärfte die aus der NSDAP vorgetragenen Begründungen, indem er (…) auch auf die 'ungesunde und unsittliche Erotik der Werke Dehmels' hinwies.“[5] In seinem Brief an den Altonaer Oberbürgermeister Daniel (11. Dezember 1936) schrieb er von der „Artvergessenheit“ des Dichters: „Den Blankeneser Schuljungen, von Diercks zu Friesenjungen aufgenordet, sei es nicht zuzumuten eine Schule zu besuchen, die den Namen Dehmel trägt.“[6] So kam er, ganz zeitgemäß (wenn auch nicht gerade originell), zu seinem Umbenennungsvorschlag: „Hingegen seien die Schriften Gorch Focks einfach, klar und 'ohne künstliche Verwicklungen'.“[7]

Dieser Anregung Diercks' folgend wurde die Schule im Januar 1937 in Gorch-Fock-Schule umbenannt. Ida Dehmel hatte versucht, die Umbenennung zu verhindern -  u.a. über ihre Kontakte zu Peter Suhrkamp (S. Fischer-Verlag) und dessen möglicherweise vorhandenen Einflussnahmen auf Größen der NS-Kulturpolitik in Berlin und Hamburg. Zu Diercks' Rolle in dem gesamten Vorgang teilte sie 1937 noch mit: „Es ist mir erzählt worden, dass der Rektor gegen die Opposition der Lehrer die Umtaufe vorgenommen hat.“[8] Auch in Hamburg, zu dem Blankenese inzwischen gehörte („Groß-Hamburg-Gesetz“, 1937), sahen die NSDAP-Machthaber freilich keine Veranlassung, sich für Dehmel – und damit auch für seine Witwe und Nachlassverwalterin Ina Dehmel – wirklich einzusetzen. Infolge zunehmender Bedrängung und Bedrohung – ab 1941 begannen in Hamburg Deportationen von Juden - setzte Ida Dehmel ihrem Leben 1942 ein Ende.[9]

Der NS-inspirierte Schulleiter Traugott Diercks wurde indessen schließlich auch Blankeneser Ortsgruppenleiter der NSDAP. Nach dem Ende des NS-Regimes musste er sich demzufolge im Zuge der Entnazifizierungsprozeduren einem „Verfahren wegen Zugehörigkeit zum politischen Führerkorps“ stellen. Trotz mancher beigebrachter Entlastungsbezeugung endete das damit, dass er „in allen drei Anklagepunkten schuldig gesprochen“ wurde.[10]

Eine Rückkehr in den Schuldienst hat dies jedoch nicht verhindert. Allerdings wurde er nicht mehr als Schulleiter verwendet, und auch an seine Gorch-Fock-Schule kehrte er nicht zurück. Er unterrichtete im Schuljahr 1953/54 an der Schule Rugenbark in Groß-Flottbek, wechselte dann zur 1953 neu eröffneten Schule Swatten Weg in Lurup (ab1955), war anschließend auch noch an der Schule Frahmstraße (Blankenese/Dockenhuden) eingesetzt. [11] Für eine Verankerung in einem der Kollegien spricht das, wie es scheint, nicht gerade.

Die Schule, die nicht zuletzt aufgrund seines Wirkens als Schulleiter den Namen Gorch Focks trägt, blieb „von allen Hamburger Schulen die einzige in der Nazizeit umbenannte Schule, die nach dem Kriege nicht rückbenannt wurde.“[12] Seit November 2011 gibt es dort jedoch eine Dehmel-Plakette, eine Bronzetafel zur Erinnerung an den ursprünglichen Namensgeber – und damit auch an die unrühmliche Rolle, die ein Schulleiter im System nationalsozialistischer Gewaltherrschaft spielen konnte.[13]

Text: Ralph Busch

ANMERKUNGEN
1 Zu Hermann Saß siehe Hans-Peter de Lorent, Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz, Hamburg 2016, besonders S. 178-189.
2 Uwe Schmidt, Hamburger Schulen im „Dritten Reich“, Band 1, Hamburg 2010, S. 244
3 „Die Gorch-Fock-Schule bekommt eine Gedenktafel“, unter http://www.gorch-fock-schule.de/startseite/schulleben/ (11.07.2016)
4 In der Spalte „Eintritt in den Schuldienst bzw. feste Anstellung“ ist für Traugott Diercks [dort fälschlich: Dierks] das Datum 1. 5. 1921 verzeichnet: „Hamburgisches Lehrer-Verzeichnis für das ganze Stadt- und Landgebiet. Schuljahr 1938-1939“, hrsg. v. NS-Lehrerbund, Gauverwaltung Hamburg, Hamburg 1938, S. 17.
5 Schmidt (wie Anm. 2), S. 244/245
6 Sabine Boehlich, Rede anlässlich der „Anbringung der Dehmel-Plakette am 25.11.2010 [sic!]“, unter www.viermalleben.de/4xleben/downloads/GorchFockGrusswortEndfassung.pdf (11.07.2016) – Sabine Boehlich sprach für den Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese.
7 Schmidt (wie Anm. 2), S. 245 – Zur forcierten Rezeption und Propagierung Gorch Focks in der NS-Zeit siehe
Rüdiger Schütt, Seefahrt ist not! Gorch Frock – Die Biographie, Darmstadt 2016; insbesondere das Kapitel „Renaissance im 'Dritten Reich'. Gorch Fock als Kriegsherold und Jugendidol“, S. 159-171.
8 Brief Ida Dehmels an Peter Suhrkamp vom 31. 05. 1937, zitiert nach: Friedrich Pfäfflin/Ingrid Kussmaul (Hg.), S.Fischer, Verlag. Von der Gründung bis zur Rückkehr aus dem Exil (= Marbacher Katalog 40), Marbach 1985, S. 584. Auf diesen Vorgang (siehe S. 584-587) hat Rüdiger Schütt in seinem Aufsatz „'Beflaggt eure Schiffe und grüßt die deutsche See, ihr deutschen Jungen!' Gorch Fock im Schulunterricht des 'Dritten Reichs'“, S. 43-59, hingewiesen – in: Rüdiger Schütt (Hg.), Gorch Fock – Mythos, Marke, Mensch. Aufsätze zu Leben, Werk und Wirkung des Schriftstellers Johann Kinau (1880-1916), Nordhausen 2010.
9 Siehe zu Ida Dehmel den Text zu dem „Stolperstein“ in Hamburg-Blankenese, Richard-Dehmel-Straße 1: Petra Bopp, „Ida Dehmel“, in: Birgit Gewehr (Stadtteilarchiv Ottensen), Stolpersteine in Hamburg- Altona mit Elbvororten. Biographische Spurensuche, Hamburg 2015, S. 426-429; auch als: http://www.stolpersteine-hamburg.de/en.php?&MAIN_ID=7&p=40&LANGUAGE=EN&_=&BIO_ID=786 (13.07.2016)
10 Boehlich (wie Anm. 5)
11 Siehe „Hamburgisches Lehrer-Verzeichnis“, Hamburg o.J. 1953, S. 21 und 215 (für das Schuljahr 1953/54);ebenso: 1955, S. 237 (für 1955/56); 1959, S. 275 (für 1959/60); 1962, S. 287 (für 1962/63). - Im Jahr 1964 hatte Diercks sein Pensionsalter erreicht.
12 Boehlich (wie Anm. 5)
13 Siehe die Eintragung auf der Schul-Homepage (wie Anm. 3) sowie die Rede Sabine Boehlichs (wie Anm. 5).
 

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Von Hamburger NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Zuschauer/innen ... Eine Hamburg Topografie.

NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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