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  • Motivgruppe / Kategorie:  Polizei

Hans Brennecke

(22.2.1905-22.3.1953)
Polizist
Lengerckestraße 24e (heute: 45e): Wohnadresse

„Er hatte auch eine verbrecherische Seite" [1]

Hans-Jürgen Brennecke, Sohn des Polizisten Hans Brennecke, verfasste diesen Beitrag über seinen Vater. Es handelt sich hier um eine überarbeitete und erweiterte Fassung des von Hans-Jürgen Brennecke verfassten Artikels „Er hatte auch eine verbrecherische Seite“[1]

Ich bin 1944 geboren im letzten Kriegsjahr und hatte eine typische Nachkriegskindheit im zerbombten Hamburg, wobei wir das Glück hatten, dass durch unsere Wohnung zwar eine Bombe gegangen war, die aber wenig zerstört hat, sodass wir sie anschließend wieder „komfortabel“ bewohnen konnten. Komfortabel im Verhältnis zu anderen, die drum herum in Kellerbehausungen, Gartenlauben und Nissenhütten wohnen mussten. Ich bin mit dem Bewusstsein aufgewachsen: So sieht die Welt überall aus, es gibt kaputte Häuser und heile Häuser. Und in den kaputten Häusern konnte man wunderbar spielen, das war das reine Abenteuer für uns. Mir wurde zum Zustand der Stadt oder gar zur Vorgeschichte zu Hause oder in der Schule nichts erklärt, bis ich 13 oder 14 Jahre alt war und von dritter Seite die ersten Informationen bekam.

Als ich 8 Jahre alt war, 1953, nahm sich mein Vater das Leben. Auch nach seinem Tod habe ich jahrzehntelang nie nach seinem Verhalten in der Nazizeit gefragt. Mein Vater, mit dieser Information war ich aufgewachsen, verkehrte seit seiner Jugend gern in „vaterländischen Vereinen“ und arbeitete im Zweiten Weltkrieg als Polizist beim Luftschutz in Hamburg. Eine normale Arbeit in Kriegszeiten eben – harmlos und patriotisch, wie ich annahm. Ich hatte aber auch den Eindruck, dass Nachfragen unerwünscht sind und auch nur ausweichend beantwortet werden von Schwester und Mutter. Eigenes Leiden während des Krieges wurde dagegen gern und detailliert erzählt.

Dass mein Vater nicht der harmlose Polizist war, für den ich ihn mein Leben lang hielt, erfuhr ich erst aus seinen Briefen. Als meine Mutter im Jahr 2002 starb, hinterließ sie mir eine alte Holzkiste. Darin hatte sie alle Briefe ihres Mannes an sie aufbewahrt, – typisch gebündelt und verschnürt – vom ersten bis zum letzten, nur wenige fehlten. Der Großteil stammt aus den Kriegsjahren. Naja, Liebesbriefe, dachte ich. Die könnten mich höchstens literarisch interessieren. Doch ich täuschte mich. Als ich das Bündel aufschnürte entdeckte ich, dass die Briefe eine andere Geschichte erzählten. Ich erfuhr Details über seine Aufgaben bei der Ordnungspolizei und über seine politische Einstellung – Dinge, mit denen ich nicht mehr gerechnet hatte. Ich begann, seine Vergangenheit ausführlich zu recherchieren und soweit als möglich sein Leben zu rekonstruieren. Meine einzige, sieben Jahre ältere Schwester war und ist demgegenüber ablehnend, die sonstige Familie ist desinteressiert

Mein Vater Hans Brennecke, 1905 geboren, stammte aus bürgerlichem Elternhaus – sein Vater war Gymnasiallehrer in Braunschweig und ist 1914 „gefallen“ in Flandern. Als 17-jähriger Schüler wurde er 1922 Mitglied im „Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten“. Beim Abitur gab er als Berufswunsch an „Offizier in der Reichswehr“. Angeblich wurde er nicht angenommen, weil er Brillenträger war. Er machte stattdessen mit 19 Jahren eine Kaufmannslehre und trat dem „Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband“ bei. Er war also früh Mitglied in zwei reaktionären, antidemokratischen Vereinigungen, in die Juden nicht aufgenommen wurden.

1933 wurde der „Stahlhelm“ der SA angeschlossen und später ganz aufgelöst. Mein Vater zählte zu den „Alten Kämpfern“, zum „Alten Sturm“ der Nazis. Er besuchte 1934 für acht Wochen die SA-Sportschule in Bad Kleinen zur Ausbildung im „Infanteriedienst“. Die Zugehörigkeit zur SA war im wichtig, was auch daran deutlich wird, dass er 1936 in der Kirche in SA-Uniform heiratete.

Am 23. November 1936 legte er Wert auf seine bis 1650 zurückreichende „Familienchronik […] teils mit Bildern der Ahnen, unter denen nicht ein einziger Jude zu finden war.“ Zu seiner militaristischen Grundeinstellung aus der Kindheit, trotz oder wegen des frühen Verlusts des Vaters am Beginn des Ersten Weltkriegs, kam also eine nationalistische und antisemitische Haltung hinzu. 1937 trat er der NSDAP bei, 1938 wurde er SA-Oberscharführer. Mir ist es ein Rätsel, wie sich dieser begabte, sensible, gewissenhafte Mann in dieser Schlägerbande wohl fühlen konnte. Unser einziger Nachbar Egge war als Lehrer allerdings ebenfalls in der SA.

In der Entnazifizierungsakte meines Vaters las ich auch seine genauen Funktionen und Einsatzorte während des Krieges. Zu Beginn des Krieges gegen Polen wurde er Anfang September 1939 zur Polizei-Reserve eingezogen und kam damit seinem Wunschberuf „Soldat“ näher. Zuerst war er in Hamburg Wachtmeister beim Kommando der Schutzpolizei, Gruppenreserve („Überfallkommando“) und Revierdienst, dann Oberwachtmeister im 101. Polizei-Reserve-Bataillon, Anwärterlehrgang beim 104., Zugführer im 103. Bataillon, später Luftschutz-Offizier und Oberleutnant der Schutzpolizei, eingesetzt in Hamburg, Emden, Lüneburg, Stade, Lübeck, Neumünster. Weiteres Archivgut über ihn und Fachbücher ergänzten das Bild. In seinen Briefen nennt er als seine Aufgaben „Revierdienst, Streifendienst, Überfallkommando, Schießen, Verhöre u. a.“. Zu den Aufgaben der sogenannten „Schutzpolizei“ zählten aber z. B. auch Gefangenentransporte.

Die Ordnungspolizei, so erfuhr ich aus der Fachliteratur, hat im Zweiten Weltkrieg aber auch an Kriegseinsätzen teilgenommen und sich insbesondere in Polen und Weißrußland an zahlreichen NS-Verbrechen beteiligt. Beim Angriff auf Polen führte sie Exekutionen polnischer Bürger durch, war an der Abschiebung und Vernichtung von Juden in Polen, im Baltikum und in Weißrussland beteiligt. In Deutschland half sie bei den Deportationen. Auf einer Gedenktafel am Hamburger Hauptbahnhof steht heute: „Vom nahen ehem. Hannoverschen Bahnhof wurden ab Oktober 1941 bis Februar 1945, vom nationalsozialistischen Staat befohlen, durch Staats- und Schutzpolizei ausgeführt, von der Deutschen Reichsbahn befördert, fast sechstausend Menschen in siebzehn Transporten deportiert nach: Lodz, Minsk, Riga, Auschwitz , Theresienstadt […].“[2] Das Polizeibataillon 101 ist besonders berüchtigt, weil am besten durch Nachkriegsprozesse dokumentiert. Es beteiligte sich aktiv am Holocaust, deportierte Zehntausende Juden, nahm an Massenerschießungen teil. Auch die Bataillone 103 und 104 wurden zum Morden nach Polen abkommandiert. [3]

Wegen der kurzfristigen Zugehörigkeit meines Vaters 1941 zu den Polizeibataillonen 101, 103 und 104 passt wohl keine seiner Dienstzeiten zu deren Vernichtungseinsätzen im Osten. Auch in den Briefen in diesem Zeitraum steht nichts von einem Einsatz in den besetzten Gebieten. Doch er wusste genau, was dort geschah, und bejahte es. So hörte er von den zurückkehrenden Kameraden oder deren Frauen, was die Bataillone im Osten machten. So am 10. Januar 1942: „Von unseren Kameraden, die aus Rußland kamen, haben wir harte Schilderungen vernommen.“ Am 25. März 1941 schreibt er an meine Mutter: „Die Nachbarin Siegmann, (deren Mann Polizeimajor auch in Batl.101 ist - HJB), erzählt die ganze Nacht von Litzmannstadt – tolle Sachen.“ Und am 25. Oktober 1942 heißt es: „Dr. Dröse, der gerade von der Ostfront kam, erzählt vieles, was man in Zeitungen natürlich nicht liest, und Rudolf Baumgarten hatte auch so manches ‚auf Lager‘.“ Da bekomme ich noch heute Gänsehaut.

Sehr konkret wird er in den Schilderungen über seine Arbeit nicht – das war ihm auch verboten –, und doch erhalte ich ein ungefähres Bild von seinen Tätigkeiten und seinem Charakter. So schreibt er zu Beginn seiner Tätigkeit für das Reserve-Polizeibataillon 101 am 11. Mai 1941 „Gestern habe ich der Kompanie den Paradeschritt vorführen müssen, er gelang restlos, es gab ein Lob. Seitdem marschiere ich vorne.“ Er träumte weiterhin von einer militärischen Karriere, was ihm das Leben bei der Polizei nicht nur erleichterte. So heißt es in einem Brief vom 19. Mai 1941: „Übermorgen geht’s zur 1. Komp./Pol.Batl.101 […]. Ich muß 3 Monate Batl.-Dienst machen […]. Daß ich einen sehr schweren Stand habe, weiß ich, da es bei jeder Gelegenheit heißt: ‚Natürlich, wieder der Herr Offiziersanwärter.‘ Und es bleibt leider nie aus, daß es bis zu dem letzten kleinen Ausbilder durchsickert, was man vorhat.“ Unglücklich war er jedoch nicht, denn am 25. Mai 1941 notiert er: „Den 4. Tag im Batl. 101 gut überstanden; es ist ein Leben, wie ich es mir als Schüler früher immer gewünscht habe, zackig und würzig.“

An anderer Stelle schreibt er über seinen polizeilichen Arbeitsalltag, von „Vernehmungen“, die er durchführt, von „Überfallkommandos“, davon, dass er Schießübungen auch am Maschinengewehr macht. Er las das Hamburger Tageblatt, NSDAP- und SA-Zeitschriften; laut eigener Auskunft in der Akte hatte er Zugang zu den Geheimerlassen. Ich muss davon ausgehen, dass er Juden und andere Verfolgte aus ihren Wohnungen abholte, politische Gegner drangsalierte, KZ-Insassen, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter bei Blohm+Voss und beim Aufräumen nach Bombenangriffen beaufsichtigte etc. [4] „Zwei Pistolenschüsse linke Brust“, steht in seiner Akte: Er muss also auch an Vorgängen mit Waffengewalt beteiligt gewesen sein.

Er glaubte fest an die Propaganda von einem Sieg Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, der für ihn meist unmittelbar bevorstand. So heißt es am 25. März 1941 „Erst Frieden mit England, dann ein neues Brüderchen oder Schwesterchen.“ (Da hat er mich geplant). Und am 21. April 1941 „Kommst du im Mai, gerätst du in den Endkampf.“ Am 7. Februar 1943 „Es wird viel aufgeboten, um endlich mit Rußland Schluß zu machen.“ Und schließlich am 18. August 1943 „der Sieg ist so gewiß wie das Amen in der Kirche. Nun erst recht. Die Vergeltung wird fürchterlich. Wenn der Tommy ahnte, wie, er würde um Frieden winseln.“

Das war kurz vor seiner Beförderung zum Oberleutnant der Schutzpolizei der Reserve im November 1943, auf die er seit Jahren hingearbeitet hatte, nicht allein aus Karrieregründen, sondern weil er sich „bewähren“ wollte. Im Brief vom 4. April 1943 heißt es „Wenn’s nach mir ginge, wäre ich längst fort, wo ich das EK [Eiserne Kreuz] verdienen könnte. Hier reibt man sich für nichts auf. Dort winkt noch etwas.“ Bereits im Juni 1941 absolvierte er einen Lehrgang für Offiziersanwärter, woraufhin er am 2. Oktober festhielt „Interessant ist auch, daß man mit der Ernennung zum Leutnant gleich Untersturmführer der SS wird.“ Im Februar 1942 besuchte er die Polizeioffiziersschule in Berlin-Köpenick.

Die persönliche Karriere ist ein zentrales Thema der Briefe. Am 6. Januar 1943 schreibt er: „Zur Beförderung zum Oblt. [Oberleutnant] stehen als nächste die Weltkriegsteilnehmer an. Später –vielleicht Mitte des Jahres – wahrscheinlich die ‚alten Kämpfer‘. Es ist natürlich das Interessanteste, was es überhaupt für mich gibt.“ Und am 27. Oktober 1943 „Ich bin gespannt, ob aus meiner Beförderung was wird. Gehaltszulage hab ich schon ab 1.11., und zwar monatlich 24.-RM als 2-jähriger Leutnant mehr. Und das mitten im Krieg. Übrigens habe ich eine Luftaufnahme von Hamburg, die das trostlose Ausmaß der Zerstörungen zum Teil zeigt. Wer da jetzt noch wohnt, wohnt sicher. Der Tommy sagt dazu: ‚Das war Hamburg‘.“

Das Thema Bombenkrieg ist auch in anderen Briefen sehr präsent, da er aufgrund von wechselnden Dienststandorten zahlreiche zerstörte Städte in Norddeutschland gesehen hat. Dabei zeigt er sich von der Gewalt auch fasziniert, so schreibt er am 14. Mai 1941 „zumal wenn nachts die schweren Tommygewitter über die Menschheit hinweg- und in sie hineinbrausen. Was wir in den Vollmondnächten inzwischen erlebt haben, stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten. Die Pressluftbomben wirken auf Hunderte von Metern, keine Scheibe hält stand, Dächer werden abgedeckt, Häuser umgelegt, Du kannst Dir das nicht vorstellen.“

Bei Kriegsende wurde er mit seinem Bataillon dann doch noch an die Front geschickt und für meinen Vater ging damit ein Traum in Erfüllung. Im April 1945 schrieb er an seine Frau, er sei „stolz, nun Frontkämpfer zu sein“. Und kurz darauf: „Die Wehrmacht kämpft bis zum letzten Polizisten.“ Er selbst starb keinen Heldentod, sondern kam am 1. Mai an der Elbe bei Lüneburg in amerikanische Gefangenschaft. Bereits nach einem halben Jahr wurde er entlassen und kam zunächst für drei Wochen ins Krankenhaus, war dann zu Hilfsarbeiten als Holzfäller, Bauhelfer und ähnlichem eingeteilt. Anschließend hat mein Vater noch sieben Jahre gearbeitet – als Detektiv für die Engländer. Doch dann wurde er arbeitslos, außerdem war er gesundheitlich angeschlagen. Vor allem konnte er sich in dieser neuen Welt wohl nicht einrichten. Mein Vater war seit seiner Jugend ein korrekter, ehrlich überzeugter Nationalsozialist, es muss ihm unmöglich gewesen sein, in einer Welt zu leben, in der andere Werte gelten sollten. In seinem letzten Brief, kurz vor seinem Freitod mit 48 Jahren, schreibt er 1953 an seine Mutter: „Der nationale Mann ist noch nicht wieder gefragt.“

In Erinnerung habe ich einen humorvollen, fürsorglichen, „normalen“ Vater. Der zwar sehr streng war und hart geschlagen hat, wie das in dieser Zeit üblich war, den ich aber trotzdem liebte. Jetzt muss ich akzeptieren, dass er auch eine verbrecherische Seite hatte, die er als Pflichterfüllung im Dienst des Nazi-Regimes und des „Führers“ ausgeben konnte. Die perverse Einstellung „Morden um des scheinbar Guten willen“ hat er vertreten. Mein Vater war sehr korrekt, fast zwanghaft genau. Eigenschaften, die man für eine Karriere in Nazi-Deutschland brauchte. Man kann pünktlich, zuverlässig, pflichtbewusst und all dies sein – und dabei morden. Diese Sekundärtugenden eignen sich für jeden Zweck. Wo hat er dabei die Werte seiner humanistischen Bildung gelassen? In seinem letzten Brief aus dem Krieg vom 27. April 1945 schreibt er an meine Mutter: „Eine Welt des Glaubens und Vertrauens stürzt zusammen. Wir sind unschuldig an diesem Ablauf. In wenigen Wochen ist der Krieg zu Ende. Erzähle den Kindern, daß ich schließlich und nur für Dich und sie hier sein muß. Das Schicksal verlangt es so wie es das von unseren Vätern verlangt hat.“

Heute leide ich darunter, dass er sein Leben mit hundertprozentigem Einsatz für das absolut Böse vergeudet hat. Und ich übernehme dafür eine Verantwortung im Wortsinn: Meine Antwort ist, dass ich mich für Aufklärung, Aufarbeitung, Erinnerung der Naziverbrechen einsetze.

Text: Hans-Jürgen Brennecke

Quelle:
Entnazifizierungsakte: StaH 221-11 Staatskommissariat für die Entnazifizierung, Akte Hans Brennecke.

1 Artikel erschienen am 20. 4. 2014 auf www.spiegel.de/einestages/taeterkinder-projekt-werwolf-vater-brennecke-in-der-ordnungspolizei-a-964807.html (8. 1. 2015)
abgedruckt in: „Nationalsozialistische Täterschaften“ 'Nachwirkungen in Gesellschaft und Familie' Hrsg. Oliver von Wrochem u.a., Berlin 2016
2 Zu den Deportationen aus Hamburg vgl. u. a.: Linde Apel (Hrsg.), In den Tod geschickt. Die Deportationen von Juden, Roma und Sinti aus Hamburg 1940 bis 1945, Berlin 2009.
3 Zur Geschichte der Polizeibataillone im „auswärtigen Einsatz“ vgl. u. a.: Christopher Browning, Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen, Reinbek bei Hamburg 1993; Stefan Klemp, „Nicht ermittelt“: Polizeibataillone und die Nachkriegsjustiz. Ein Handbuch, Essen 2005; Wolfgang Curilla, Die deutsche Ordnungspolizei und der Holocaust im Baltikum und in Weißrussland 1941–1944, Paderborn 2006; Wolfgang Curilla, Der Judenmord in Polen und die deutsche Ordnungspolizei 1939–1945, Paderborn 2011; Wolfgang Kopitzsch, Hamburger Polizeibataillone im Zweiten Weltkrieg: Broschüre zur Ausstellung „Keine Bilder des Vergessens - Hamburger Polizeibataillone im Zweiten Weltkrieg“ der Landespolizeischule Hamburg in der Diele des Hamburger Rathauses vom 6. bis 27. Februar 1998, Hamburg 1998.
4 Vgl. als Überblick Herbert Diercks, Dokumentation Stadthaus: Die Hamburger Polizei im Nationalsozialismus. Texte, Fotos und Dokumente (Begleitheft zur Ausstellung), hrsg. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Hamburg 2012, S. 68 f.; ders., Die Hamburger Schutzpolizei und das System der Konzentrationslager, in: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hrsg.), Polizei, Verfolgung und Gesellschaft im Nationalsozialismus, Bremen 2013, S. 183–193.
 

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NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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