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Heinrich Bomhoff

(17.3.1878 Westerland/Sylt - 19.6.1949 Hamburg)
Architekt, Förderer des Wohnungsbaus
Neuer Jungfernstieg 7/8 (Wirkungsstätte, Architektenbüro)
Rosenhagenstraße 4 (Privatadresse)
Heinrich-Bomhoff-Weg (benannt seit 1965)

Heinrich Johann Bomhoff war der Sohn eines Maurermeisters und absolvierte auch selbst zunächst eine Maurerlehre.[1] Anschließend besuchte er von 1894 bis 1898 die Baugewerkschule Eckernförde und studierte von 1901 bis 1904 an der Technischen Hochschule Hannover. Ab 1906 war er als freischaffender Architekt in Hamburg tätig und als solcher zugleich Mitglied in dem 1903 gegründeten Bund Deutscher Architekten BDA. Von 1928 bis 1945 führte er zusammen mit einem Juniorpartner, dem Hamburger Architekten Hermann Schöne (1894–1982), das Büro Bomhoff & Schöne. Zu ihren Werken gehören unter anderem die Kirche St. Nicolai in Westerland auf Sylt (1906–08), das frühere Kirchenpauer-Gymnasium in Hamburg-Hamm (1928–29; heute Norddeutsche Akademie für Finanzen und Steuerrecht), die Bismarck-Gedächtnis-Kirche in Aumühle (1928–30), ein Wohngebäude in der Jarrestadt in Hamburg-Winterhude [2] sowie der Erweiterungsbau der Ebano-Asphaltwerke in Hamburg-Wilhelmsburg (1935).[3] Bomhoff & Schöne zählten außerdem zu den Architekturbüros, die sich für den Bau des „ Deutschlandhauses“ am Hamburger Gänsemarkt (1928/29) zur Architektengemeinschaft „Die Straße“ unter der Leitung von Fritz Block und Ernst Hochfeld zusammenschlossen.[4]

Ab 1940 arbeiteten Heinrich Bomhoff und Hermann Schöne in Hamburg für den Architekten Konstanty Gutschow (SA-Mitglied seit 1933, NSDAP-Mitglied seit 1937). Dieser entwarf ab 1941 im Auftrag des Hamburger Gauleiters und Reichstatthalters Karl Kaufmann den ersten Generalbebauungsplan für Hamburgs Ausbau zur „Führerstadt“ und beschäftigte zahlreiche Architekten mit Gutachten und Wettbewerben, Bebauungsplänen für verschiedene Stadtbereiche und dem Bau von Hochbunkern im Rahmen des „Führer-Sofortprogramms“. 1941 ernannte Kaufmann Gutschow zudem zum Leiter des neu geschaffenen „Amts für kriegswichtigen Einsatz“. Damit war er auch zuständig für die Organisation der Trümmerräumung, Luftschutzmaßnahmen und Ersatzwohnraumbeschaffung sowie für den Einsatz von Zwangsarbeiterinnen, Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen in diesen Bereichen. Da die erheblichen Zerstörungen durch die Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 einen radikaleren Stadtumbau ermöglichten, als den im ersten Generalbebauungsplan von 1941 vorgesehenen, erstellte Gutschow 1944 mit seinen Mitarbeitern einen zweiten Generalbebauungsplan.[5]

In seinem Entnazifizierungsfragebogen von Juli 1945 gab Bomhoff an, dass der BDA als Vereinigung freiberuflich tätiger Architekten 1933 aufgelöst wurde.[6] Tatsächlich schaltete sich der BDA 1934 unter seinem Ende März 1933 gewählten Präsidenten Eugen Hönig freiwillig zur staatstragenden Standesvertretung der Architektenschaft gleich – als Fachgruppe innerhalb der Reichskammer der bildenden Künste, die wiederum eine Unterorganisation der Reichskulturkammer bildete. In dieser Form verpflichtete sich der BDA zur Mitarbeit „am Werk des nationalen Aufbaus“. Hönig selbst gehörte seit 1931 dem völkisch gesinnten, antisemitischen Kampfbund für deutsche Kultur an und war kurz nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Januar 1933 in die NSDAP eingetreten. Im November 1933 ging der BDA im Fachverband für Baukunst der Reichskammer der Bildenden Künste auf, deren Präsident Eugen Hönig zugleich wurde. Sein Nachfolger als Präsident des BDA wurde der Nationalsozialist Carl Christoph Lörcher.[7]

Bomhoffs beruflicher Erfolg wuchs, gemessen an seinem Einkommen, zwischen 1933 und 1945 erheblich. Es stieg mit einem geringen Einbruch 1938 stetig an und erreichte 1943 mit 21.439 Reichsmark den höchsten Betrag (gegenüber 3161 Reichsmark 1933).[8] Ab 1937 bekannte er sich zudem durch die Mitgliedschaft in drei Organisationen zur nationalsozialistischen Ideologie. In jenem Jahr trat er zunächst in den NS-Reichskriegerbund ein, im Jahr darauf in die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) und 1941 in den Nationalsozialistischen Bund Deutscher Technik.[9]

Bei dem Reichskriegerbund handelte es sich um eine von der NSDAP betreute Organisation. Gegründet am 4. März 1938, war dieser Zusammenschluss ehemaliger Soldaten aus dem Deutschen Reichskriegerbund Kyffhäuser hervorgegangen und „betrieb Kameradschaftspflege im NS-Sinn“.[10] Den Vorsitz hatte der SS-Obergruppenführer Wilhelm Reinhard inne („Reichskriegerführer“), der bereits vorher Bundesführer des Deutschen Reichskriegerbundes Kyffhäuser gewesen war.[11] Er gehörte seit 1927 der NSDAP an und trug das Goldene Parteiabzeichen. Als SS-Ehrenführer zählte Reinhard ab 1938 zum Stab des Reichsführers SS Heinrich Himmler.[12] Die NSV war ein der NSDAP angeschlossener Verband. Sie unterstand dem Hauptamt für Volkswohlfahrt bei der NSDAP-Reichsleitung und der Finanzaufsicht des NSDAP-Reichsschatzmeisters. Ihren Status und ihre Aufgabe schrieb Hitler im Mai 1933 in einer Verfügung fest: „Die NS-Volkswohlfahrt (e. V.) wird hiermit als Organisation innerhalb der Partei für das Reich anerkannt. Sie ist zuständig für alle Fragen der Volkswohlfahrt und Fürsorge und hat ihren Sitz in Berlin.“[13] Die NS-Wohlfahrtspflege war unter anderem für das Hilfswerk „Mutter und Kind“, für Kindertagesstätten, die Jugendhilfe und das „Winterhilfswerk des Deutschen Volkes“ zuständig. Sie hatte die Erziehung der Bevölkerung zur „Volksgemeinschaft“ zum Ziel und war damit auch klar eugenisch orientiert. Dies formulierte der Leiter des NSV-Amtes für Wohlfahrtspflege und Jugendhilfe, Hermann Althaus, 1936 in seiner Schrift „Nationalsozialistische Volkswohlfahrt“ entsprechend: „Aus dieser weltanschaulichen Einstellung heraus ist eine Wohlfahrtspflege nationalsozialistischer Prägung grundsätzlich erbbiologisch und rassenhygienisch orientiert. (…) Sie übt keine aussichtslose, das Volksvermögen verschleudernde Fürsorge der Erbkranken, sondern eine aufbauende Vorsorge für die Erbgesunden. (…) Um der Gesunderhaltung unseres Volkes willen muss darum eine nationalsozialistische Volkswohlfahrt eine Befürwortung Minderwertiger ablehnen bzw. auf ein Mindestmaß einschränken unter gleichzeitiger Abdrosselung des kranken Erbstromes.“[14]

Der nationalsozialistische Bund Deutscher Technik schließlich gehörte zu den der NSDAP angeschlossenen Verbänden.[15] Sein Leiter war der Bauingenieur Fritz Todt, im NS-Regime Generalinspektor für das Straßenwesen, SA-Obergruppenführer, ab Dezember 1938 Generalbevollmächtigter für die Bauwirtschaft und ab 1940 Reichsminister für Bewaffnung und Munition. Er leitete unter anderem den Bau der Reichsautobahnen. Außerdem war nach ihm die 1938 gegründete und militärisch organisierte Bautruppe Organisation Todt benannt, die im Zweiten Weltkrieg unter anderem beim Bau des Westwalls, des Atlantikwalls und der U-Bootstützpunkte an der französischen Küste sowie in weiteren besetzten Gebieten zum Einsatz kam, der auch auf Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen sowie KZ-Häftlingen basierte.[16]

Wenige Wochen nach Kriegsende, im Juli 1945,beantragte Heinrich Bomhoff bei der Britischen Militärregierung in Hamburg, ein Institut für Architektur gründen zu dürfen. Nicht namentlich bekannte Architekten-Kollegen beschuldigten ihn gegenüber der zuständigen Spruchkammer, ein „Nazi“ gewesen zu sein. Die Spruchkammer ordnete ihn „ohne Bedenken“als „Entlasteten“ in die Kategorie V ein, da keine „Verdachtsgründe“ auf eine NS-Verstrickung vorlägen. Damit durfte er seinen Beruf weiter ausüben.[17] Er gehörte außerdem zu den ersten Vorstandsmitgliedern des 1948 wieder gegründeten Bundes Deutscher Architekten (BDA).[18]

Nach Heinrich Bomhoff ist außer dem Heinrich-Bomhoff-Weg in Hamburg-Groß-Flottbek auch die Bomhoffstraße in seinem Geburtsort Westerland auf Sylt benannt.[19]

Text: Frauke Steinhäuser

Fußnoten/Quellen:
1 Lennart Helberg u.a., Harburg und Umgebung, Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Hamburg-Inventar, Bezirk Harburg, Hamburg, 1999, S. 340 f.
2 Jarrestadt-Archiv, Die Jarrestadt. Planung – Umsetzung – Nutzung, online: www.jarrestadt-archiv.de/architektur_jarrestadt_archiv/index_architektur.html#11 (Zugriff 10.10.2016)
3 „Heinrich Bomhoff“, in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. Juli 2016, 18:42 UTC. URL: de.wikipedia.org/w/index.php?; title=Heinrich_Bomhoff&oldid=156085758 (Zugriff: 10.10.2016, 18:53 UTC)
4 Roland Jaeger, Block & Hochfeld , die Architekten des Deutschlandhauses, Berlin, 1996, S. 58 f.
5 Jan Lubitz, Architekten-Portrait, Konstanty Gutschow 1902–1978, verfasst 2002, online: www.architekten-portrait.de/konstanty_gutschow/ (Zugriff 10.10.2016); „ Konstanty Gutschow“, in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 3. Juni 2016, 20:20 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Konstanty_Gutschow&oldid=154964656 (Zugriff: 10.10.2016, 19:10 UTC)
6 StaH 221-11 Staatskommissar für die Entnazifizierung und Kategorisierung La.147
7 Ernst Klee:, Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt am Main, 2007, S. 256; Bund Deutscher Architekten, Berufung und Leidenschaft. 110 Jahre BDA, Berlin, 2013, S. 9
8 StaH 221-11 Staatskommissar für die Entnazifizierung und Kategorisierung La.147
9 ebd.
10 Willi Dreßen, Nationalsozialistischer Reichskriegerbund, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München, 1997, S. 609
11 Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Lizenzausgabe, Koblenz, 2011, S. 488
12 „Wilhelm Reinhard (General)“, in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, Bearbeitungsstand: 20. August 2016, 06:44 UTC, de.wikipedia.org/w/index.php?title=Wilhelm_Reinhard_(General)&oldid=157192121 (Zugriff 24.9.2016, 10:39 UTC)
13 APK (Akten der Parteikanzlei der NSDAP) 117 05309, zitiert nach: Peter Hammerschmidt, Die Wohlfahrtsverbände im NS-Staat. Die NSV und die konfessionellen Verbände Caritas und Innere Mission im Gefüge der Wohlfahrtspflege des Nationalsozialismus, Opladen, 1999 (zugl. Diss. Universität Marburg, 1997), S. 154
14 Hermann Althaus, Nationalsozialistische Volkswohlfahrt. Wesen, Aufgaben und Aufbau, Berlin, 1936, S. 14–16, zitiert nach: Hammerschmidt, Wohlfahrtsverbände, S. 369
15 Willi Dreßen, Nationalsozialistischer Bund Deutscher Technik (NSBDT), in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München, 1997, S. 607
16 Armin Bergmann, Organisation Todt, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München, 1997, S. 629
17 StaH 221-11 Staatskommissar für die Entnazifizierung und Kategorisierung La.147
18 „Heinrich Bomhoff“, in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. Juli 2016, 18:42 UTC. URL: de.wikipedia.org/w/index.php?title=Heinrich_Bomhoff&oldid=156085758 (Zugriff: 10.10.2016, 19:30 UTC)
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NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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