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Carl-Hans Lungershausen

(20.7.1896 Darmstadt – 27.12.1975 Darmstadt)
Generalleutnant, CDU-Fraktionsvorsitzender im Ortsausschuss Alstertal, Landesbeauftragter der Gesellschaft für Wehrkunde für Schleswig- Holstein und Hamburg
Rehmkoppel 9 (Wohnadresse)
Lungershausenweg , Poppenbüttel (1977)

Im September 2020 berief die Behörde für Kultur und Medien eine Kommission aus acht Expertinnen und Experten, die Entscheidungskriterien für den Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Hamburg entwickeln und Empfehlungen zu möglichen Umbenennungen und Kontextualisierungen aussprechen sollte.

Zum Lungershausenweg gab die Kommission im März 2022 die Empfehlung, den Straßennamen mit weiterführenden Informationen kritisch zu kontextualisieren, z. B. mittels eines Erläuterungsschildes unter dem Straßennamenschild. Folgende Begründung gab die Kommission: „Lungershausen hatte im Zweiten Weltkrieg eine verantwortliche Stellung in der Wehrmacht inne, und als Generalleutnant müssen ihm die Verbrechen der Wehrmacht bekannt gewesen sein. Eine direkte Beteiligung an verbrecherischen Handlungen ist jedoch, soweit bekannt, nicht nachweisbar. Eine Kontextualisierung erscheint geboten.“ (Abschlussbericht der Kommission zum Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Hamburg, Feb. 2022, www.hamburg.de/contentblob/15965308/8ee2e6d28dbd23e8df84bf75ceabda98/data/empfehlungen-kommission-ns-belastete-strassennamen.pdf)

 

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs trat Carl-Hans Lungershausen am 4. August 1914 als Fahnenjunker (Offiziersanwärter) in das Deutsche Heer ein und war während des Kriegs an der Ostfront eingesetzt. 1) 1915 wurde er zum Leutnant ernannt In der Zwischenkriegszeit gehörte er überwiegend der Kavallerie an, zuletzt von 1936 bis 1939 als Kommandeur eines Regiments. [1] Am 1. Februar 1939 folgte die Beförderung zum Oberstleutnant.

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 wurde seine Einheit als Teil der 18. Infanterie-Division bei dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf Polen eingesetzt und kämpfte in der für die Annexion Polens mitentscheidenden Schlacht an der Bzura gegen die polnische Armee sowie anschließend in Warschau. Im Oktober 1939 wurde Lungershausen Adjutant von Fedor von Bock, dem Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B, und musste diesen bei seinen Führungsaufgaben im deutschen Angriffskrieg unterstützen. Von Bock wusste laut seinem Kriegstagebuch im November 1939 von den „Vorgängen der ,Kolonisierung’ des Ostens“[2], sodass davon auszugehen ist, dass auch Lungershausen darüber informiert war. Im Kriegsverlauf und unter der deutschen Besetzung Polens bis 1945 ermordeten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS sowie Angehörige der Wehrmacht Zehntausende polnischer Intellektuelle, Geistliche, Gewerkschafter, Jüdinnen und Juden. Der Historiker Martin Broszat konstatierte „entfesselte Gewaltsamkeit“.[3] Ab Dezember 1939 war Lungershausen an der Planung des – nicht ausgeführten – „Unternehmens Seelöwe“ zur Invasion Großbritanniens beteiligt, im Mai 1940 am Überfall der Wehrmacht auf die Niederlande und Belgiensowie im Juni 1940 auf Frankreich. Im November 1940 wurde er zum Oberst befördert

Beim Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion ab Juni 1941 war Lungershausen Kommandant des 7. Schützen-Regiments der 7. Panzer-Division, die zur Heeresgruppe Mitte gehörte, sowie ab April 1942 zugleich Kommandant der 7. Schützen-Brigade. Um für die „arische Herrenrasse“ „Lebensraum im Osten“ zu erobern und den „jüdischen Bolschewismus“ zu vernichten, wollte das NS-Regime durch den Krieg gegen die Sowjetunion große Teile ihrer Bevölkerung als „Untermenschen“ vertreiben, versklaven und töten lassen, nahm den millionenfachen Hungertod sowjetischer Kriegsgefangener, Zivilistinnen und Zivilisten bewusst in Kauf, ließ sowjetische Offiziere und Kommissare auf der Basis völkerrechtswidriger Befehle ermorden und begann den Holocaust in den besetzten Gebieten der Sowjetunion – all das mitgeplant und arbeitsteilig mitdurchgeführt durch die Wehrmachtsführung und die Beteiligung ganzer Truppenteile und bis auf wenige Ausnahmen ohne jeden Widerstand.

Im Juli 1942 wurde Lungershausen nach Afrika versetzt, wo er ab August bis Januar 1943 den Posten des Kommandanten der 90. leichten Afrika-Division inne hatte. Im Oktober 1942 wurde er zum Generalmajor befördert. Im selben Jahr erhielt er das Deutsche Kreuz in Gold verliehen.

Infolge eines Unfalls Anfang Dezember 1942 [4] verließ er Afrika wenige Wochen später. Nach seiner Genesung wurde er im Mai 1943 Kommandant der Division Sardinien. Nach der Absetzung Mussolinis und der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens zwischen Italien und den beiden Alliierten USA und Großbritannien im September 1943 organisierte Lungershausen, der inzwischen Generalleutnant war, nach der Landung alliierter Truppen in Süditalien die Evakuierung der deutschen Soldaten aus Sardinien und Korsika. Im Dezember 1943 wurde er für sechs Monate in die Führer-Reserve versetzt, in der vorübergehend unbeschäftigte Offiziere auf eine neue Verwendung warteten. Im Juli 1944 kam er als Inspekteur der Italienischen Verbände zum Oberbefehlshaber Südwest, Generalfeldmarschall Albert Kesselring. Diese Position hatte er bis zum 1. März 1945 inne.

Generell verletzten Mitglieder der deutschen Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg systematisch und massiv die Vorschriften des humanitären Völkerrechts. In ganz Europa ermordeten Wehrmachtssoldaten Zivilistinnen und Zivilisten sowie gefangengenommene Soldatinnen und Soldaten. Auch führten sie exzessive „Gegen-“ und „Sühnemaßnahmen“ als Reaktion auf vermeintliche Angriffe von Partisaninnen und Partisanen durch. Zwar waren nach damaligem Recht solche Maßnahmen auch gegenüber Zivilistinnen und Zivilisten nicht verboten. Das Niederbrennen ganzer Dörfer und Töten der Bewohnerinnen und Bewohner beispielsweise stellten jedoch eindeutig Kriegsverbrechen dar.

Nach Kriegsende lebte Lungershausen in Hamburg-Wellingsbüttel. [5] Er trat in die CDU ein und wurde CDU-Fraktionsvorsitzender im Ortsausschuss Alstertal. Ab 1956 war er zudem Leiter der Hamburger Sektion der Gesellschaft für Wehrkunde (heute Gesellschaft für Sicherheitspolitik) sowie von 1958 bis 1966 zugleich Landesbeauftragter der Gesellschaft für Schleswig- Holstein und Hamburg. [6] Die Gesellschaft für Wehrkunde setzte sich für deutsche Westintegration und Wiederbewaffnung ein; sie war 1951 von der CIA gegründetund zunächst von ihr finanziert worden. Ab 1953 firmierte sie als eingetragener Verein, die Finanzierung erfolgte nun durch die Industrie und das „Amt Blank“ (die Vorgängerinstitution des Verteidigungsministeriums der Bundesrepublik Deutschland).

Darüber hinaus betätigte sich Lungerhausen als Vereinsvorsitzender bzw. Geschäftsführer des Vereins ehemaliger Leibgardisten, Ortsgruppe Düsseldorf, [7] und nahm an den sogenannten Dragoner-Treffen teil, Ausflügen der Kameradschaft der ehemaligen Leibdragoner, denen er im Ersten Weltkrieg als Leutnant angehört hatte. [8]

Rückblickend beschrieb Lungershausen 1957 seine militärischen Entscheidungen bei der Evakuierung der deutschen Truppen aus Sardinien in einer Korrespondenz mit dem Historiker Helmut Heiber vom Institut für Zeitgeschichte München u.a. folgendermaßen: „Dass ich entgegen den Weisungen des O.K.W. u. Ob. Süd-West beim Ausscheren der It. im Sept. 43 in engstem Einvernehmen mit dem mir auf Grund der guten Zus.arbeit freundschaftlich zugetanen Gen. Basso die Insel rein friedlich räumte, werden Sie wissen. Ich war im vergangenen Jahre mit meiner Frau dort u. konnte nur feststellen, dass man mir noch heute dafür dankbar ist den Krieg s. Z. von der Insel ferngehalten zu haben. Auch stehe ich noch heute mit Gen. Basso u. seinem Chef in Briefverkehr.“ [9] Er beendete das Schreiben mit dem Satz: „Man kann für die Zukunft nur hoffen, dass wir Deutsche gelernt haben von anderen Völkern nie etwas zu erwarten u. zu verlangen, was nicht geht. Setzt man andere Völker mit uns gleich, so begeht man einen grossen Irrrtum u. fällt dabei herein.“ [10]

Text: Frauke Steinhäuser

Quellen/Fußnoten
1 diese und alle weiteren militärbiografischen Angaben zu Carl-Hans Lungershausen in: Samuel W. Mitcham, Rommel’s Desert War. The Life and Death of the Afrika Korps, Mechanicsburg, 2007, S. 221 f.
2 Fedor von Bock, Zwischen Pflicht und Verweigerung. Das Kriegstagebuch, München, 1995, S. 78.
3 Martin Broszat, Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945, Stuttgart, 1961, S. 44
4 Institut für Zeitgeschichte München, Zeugenschrifttum Lungerhausen, Carl Hans v., GenLt. a.D., 2128/58, ZS-16325-3
5 Hamburger Adressbücher
6 Institut für Zeitgeschichte München, Zeugenschrifttum Lungerhausen, Carl Hans v., GenLt. a.D., 2128/58, ZS-16325-6
7 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, HStAD, Bestand O 61 Lungershausen
8 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, HStADR 4 188391-2
9 Institut für Zeitgeschichte München, Zeugenschrifttum Lungerhausen, Carl Hans v., GenLt. a.D., 2128/58, ZS-16325-9
10 Institut für Zeitgeschichte München, Zeugenschrifttum Lungerhausen, Carl Hans v., GenLt. a.D., 2128/58, ZS-16325-10
Wehrkunde: Organ der Gesellschaft für Wehrkunde, Band 25, Ausgaben 1-3
Verlag Europäische Wehrkunde, 1976, S. 110
Institut für Zeitgeschichte München, Zeugenschrifttum Lungerhausen, Carl Hans v., GenLt. a.D., ZS-16325-1 bis -12
 

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Von Hamburger NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Zuschauer/innen ... Eine Hamburg Topografie.

NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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