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Dietrich Ossenbrügge

(2.9.1878 Barnkrug – 30.9.1956)
Lehrer, Schulrat
Uhlenhorster Weg 35 (Wohnadesse)

Dr. Hans-Peter de Lorent verfasste dieses Profil für sein Buch „Täterprofile Band 2“.

Lehrer in Cuxhaven, deutschnationaler Abgeordneter in der Hamburgischen Bürgerschaft, vorher in völkischen und antisemitischen Gruppierungen engagiert, 1933 Schulrat in Hamburg, danach in die NSDAP eingetreten, wegen seiner früheren Logenzugehörigkeit in Parteigerichtsverfahren verstrickt, schrieb Ossenbrügge nach 1945 Leumundszeugnisse für ehemalige Deutschnationale, die in der NS-Zeit in Hamburg Karriere gemacht hatten.

Dietrich Ossenbrügge wurde am 2.9.1878 in Barnkrug, Kreis Kehdingen geboren. Den Beruf seines Vaters gab er mit Stallbesitzer an.1

Ossenbrügge besuchte die Volksschule, danach das Lehrerseminar in Stade von 1895 bis zu seiner ersten Lehrerprüfung 1898. Die zweite Lehrerprüfung absolvierte Ossenbrügge im Juni 1902 in Hamburg.

Er gehörte lange Zeit zum Kollegium der Abendrothschule in Cuxhaven, nebenamtlich arbeitete Ossenbrügge 15 Jahre als Lehrer an der Fortbildungsschule in Cuxhaven. Mit seiner Frau Emma Luise hatte er vier Kinder.

Von 1914 bis 1918 war Ossenbrügge im Kriegsdienst, zuletzt als Leutnant.2

Dass nicht nur während der Nazizeit vertrauliche Aussagen über die politische Zuverlässigkeit abgefordert wurden, ist aus einer Anfrage des Bezirkskommandos Hamburg, Stabsoffizierabteilung vom 17.10.1916 an die Oberschulbehörde ersichtlich. Wegen der „in Aussicht zu nehmenden Beförderung“ von Dietrich Ossenbrügge zum Offizier bat das Wehrkommando „um vertrauliche Auskunft über die persönlichen Einkommens-, Vermögens- und Familien-Verhältnisse des Genannten, wenn bekannt auch seiner Eltern, sowie ob irgendetwas Nachteiliges bekannt geworden ist, was seine Beförderung zum Offizier nicht wünschenswert erscheinen lässt.“3

Die Oberschulbehörde antwortete eine Woche später, bezifferte Ossenbrügges Gehalt aus der Lehrertätigkeit und seiner Nebenbeschäftigung, verwies auf ein nicht bekanntes Privatvermögen und schrieb weiter: „Ossenbrügge ist verheiratet. Sein Vater ist Landwirt; sein Schwiegervater war Kaufmann. Ossenbrügge ist als Lehrer tüchtig und vom Charakter ehrenhaft und zuverlässig. Er steht in Lehrer- und Bürgerkreisen in gutem Ansehen und gehört seit längerer Zeit der Cuxhavener Stadtvertretung an. Es ist über ihn nie etwas Nachteiliges bekannt geworden, das seine Beförderung zum Offizier des Beurlaubtenstandes nicht wünschenswert erscheinen lassen könnte.“4

Dietrich Ossenbrügge war demnach schon frühzeitig politisch aktiv. Als der aus Cuxhaven stammende Bruno Peyn in der NS-Zeit Probleme bekam, weil er die jüdischen Spuren seiner Familie mütterlicherseits aus den Kirchenakten verwischen wollte, trat Ossenbrügge als Zeuge für Peyns zuverlässige nationalsozialistische Gesinnung auf. Dabei sagte er auch etwas über sich: „Der Beschuldigte ist mir seit etwa 1900 bekannt. Ich habe auch niemals aus der Bevölkerung etwas gehört, dass irgendwelche Zweifel in Bezug auf die arische Abstammung der Frau Peyn geäußert worden sind. Ich bemerke dazu, dass ich im Jahre 1899 Mitglied der antisemitischen Partei geworden bin. 1905 wurde ich Vorsitzender der Gruppe Cuxhaven und Umgegend. Bis zum Übergang der antisemitischen Partei in die Deutschnationale Volkspartei im Jahre 1918 bin ich Vorsitzender dieser Gruppe gewesen. Wenn irgendwelche Zweifel an der arischen Abstammung der Mutter des Beschuldigten in der Bevölkerung Cuxhavens laut geworden oder sonst irgendwelche Anzeichen in dieser Beziehung aufgedeckt worden wären, so hätte ich sicher hiervon Kenntnis erhalten.“5

Von 1921 bis 1933 war Dietrich Ossenbrügge für Cuxhaven Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft für unterschiedliche nationale und rechte Gruppierungen, am Ende der Deutschnationalen Volkspartei. Ossenbrügge gab am 26.11.1952 in Cuxhaven eine eidesstattliche Erklärung ab, in der er im Entnazifizierungsverfahren für den ehemaligen Schulsenator Karl Witt interessante Hinweise zur Senatsbildung 1933 veröffentlichte: „Als Mitglied der ehemaligen deutschnationalen Bürgerschaftsfraktion (1921–1933) und als Vorstandsmitglied der DNVP ist der Unterzeichnete über die Vorgänge bei der Senatsbildung im Jahre 1933 noch heute genau im Bilde: Die Verhandlungen um die Senatsbildung im März 1933 sind seitens der DNVP von Herrn Stavenhagen und Dr. Koch, dem Fraktionsvorsitzenden geführt worden. Am Tage vor der Senatswahl ist Karl Witt vom Deutschnationalen Vorstand zum Schulsenator vorgeschlagen worden. Herr Witt wurde vorgeschlagen, weil die DNVP die Baubehörde und die Schulbehörde besetzen sollte. Herr Witt war lange Jahre Abgeordneter, hatte an drei Schulsystemen jahrelang unterrichtet und war die letzten Jahre vor 1933 bürgerschaftliches Mitglied der Landesschulbehörde. Zu erwähnen ist noch am Schluß, daß die NSDAP zunächst noch Einwände erhob, weil Herr Witt im letzten Bürgerschaftswahlkampf die NSDAP scharf angegriffen hatte.“6

Als Schulrat war Dietrich Ossenbrügge für die Landschulen zuständig, unter anderem für die sieben Volksschulen in Cuxhaven, darunter auch seine ehemalige Schule, die Abendrothschule, an der er selber lange als Lehrer gearbeitet hatte.7 Gleichzeitig war Ossenbrügge Vorsitzender der Deutschnationalen Volkspartei in Cuxhaven.8

An 4.1.1936 wurden die Leistungen von Ossenbrügge in einem Befähigungsbericht, der von dem ihm verbundenen Karl Witt unterzeichnet war, sehr positiv bewertet (mit Ausnahme der schriftlichen Ausdrucksweise, die ein „ausreichend“ bekam). Das Gesamturteil lautete: „Guter Organisator, aufrecht, ehrlich, praktischer Schulmann, weniger Theoretiker“.9

Am 1.4.1936 war Ossenbrügge in die NSDAP eingetreten.10

Die Wolken verdunkelten sich über Dietrich Ossenbrügge, nachdem das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung am 18.2.1937 einen Erlass herausgegeben hatte, nach dem Beamte, insbesondere in leitender Funktion, nur mit besonderer Genehmigung ihre bisherigen Funktionen weiter ausüben durften, wenn sie früher einer Loge angehört hatten. Die Kultur- und Schulbehörde schrieb am 31.3.1937, dass es unter den Schulaufsichtsbeamten in Hamburg zwei Personen gab, die zu diesem Personenkreis zählten. Einer davon war OSR Dr. Walter Behne, der der Organisation „Zur Hanseatentreue – Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland“ vom 29.1.1923 bis zum 15.8.1931 angehört hatte. Zu Walter Behne, der Oberschulrat für die höheren Schulen war, wurde festgehalten: „Er ist aus der Organisation auf eigenem Antrag ausgeschieden und ihm ist ein Entlassungsschein unter dem 15. August 1931 ausgestellt. Oberschulrat Dr. Behne gehört seit Dezember 1931 der NSDAP an, außerdem der SA, in der er den Rang eines Truppführers einnimmt. Es bestehen keine Bedenken dagegen, OSR Dr. Behne weiterhin in der Tätigkeit eines Schulaufsichtsbeamten zu belassen.“11

Walter Behne blieb tatsächlich in seinem Amt und war unter den Oberschulräten für die höheren Schulen derjenige, der schon vor 1933 der NSDAP beigetreten war.12

Bei Dietrich Ossenbrügge verhielt es sich anders. Das Schreiben an das Staats­amt war von Karl Witt unterzeichnet worden, der mit Ossenbrügge seit Jahren eng verbunden war und kein Interesse daran hatte, Ossenbrügge als Schulrat in der Behörde zu verlieren. Über Ossenbrügge wurde gemeldet:
„Dieser hat einer logenähnlichen Organisation, nämlich der Organisation ‚Zur siegenden Wahrheit‘ in Cuxhaven von 1903–1904 angehört, bei ihr aber kein Amt und keinen Hochgrad bekleidet und überhaupt keinen Grad innegehabt. Er ist nach seiner Angabe aus der Organisation durch freiwilligen Austritt ausgeschieden, weil der Betrieb, über den er bei seiner Aufnahme im Unklaren geblieben war, seinem völkischen Empfinden widersprochen habe. Schulrat Ossenbrügge ist als früheres Mitglied des Stahlhelms 1936 in die NSDAP überführt worden. Da Schulrat Ossenbrügge in irgendeiner Bindung zur logenähnlichen Organisation seit Jahrzehnten nicht gestanden hat und gegen seine Zuverlässigkeit nichts einzuwenden ist, so habe ich auch bei ihm nicht das mindeste Bedenken gegen seine Belassung in der Stellung eines Schulaufsichtsbeamten. Ich bitte, dem Herrn Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in diesem Sinne zu berichten und bei ihm darum nachzusuchen, daß er nach Einholung der Zustimmung des Stellvertreters des Führers sein Einverständnis dazu erteilt, die genannten Beamten in ihrem bisherigen Wirkungskreise zu belassen.“13

Der „Stellvertreter des Führers“ entschied anders. Oscar Toepffer, Leiter des Staatsamtes, das für alle Personalia zuständig war, teilte Karl Witt am 11.9.1937 mit, dass das Reichsministerium an den Reichsstatthalter Karl Kaufmann am 9.9.1937 geschrieben hatte: „Der Stellvertreter des Führers hat mich gebeten dafür Sorge zu tragen, daß der Schulrat Ossenbrügge aus dem Schulaufsichtsdienst entfernt wird, da er politisch ungünstig beurteilt wird.“14 Toepffer bat Witt um umgehende Äußerung. Und Karl Witt erklärte intern, wie verfahren werden könnte. Justiziar Dr. Schultz vermerkte: „Das Staatsamt steht auf dem Standpunkt, dass die Anordnung des Ministers vom 9. September betreffend Schulrat Ossenbrügge nicht dadurch erfüllt würde, dass Ossenbrügge unter Belassung in der Stelle eines Schulrates lediglich aus dem eigentlichen Schulaufsichtsdienst herausgezogen wird unter Enthebung von dem Amt des Leiters eines Schulkreises und unter Übertragung anderer Amtsgeschäfte (Vorerarbeitung von Schulneubauten, insbesondere im neu-hamburgischen Gebiet).“15 Offenbar gab es in dieser Angelegenheit eine einvernehmliche Kommunikation zwischen Witt, Toepffer und Kaufmann. Am Ende wurde Ossenbrügge auf eine Stelle als Mittelschullehrer versetzt, damit seine Besoldung erhalten blieb. Er wurde beauftragt, sich um Schulneubauten zu kümmern.16

Dietrich Ossenbrügge selbst wurde auf zwei Wegen aktiv. Einmal schrieb er an Rudolf Hess:
„Durch den anliegenden politischen Lebenslauf glaube ich den Beweis erbracht zu haben, dass meine politische Zuverlässigkeit allgemein nicht in Zweifel gezogen werden kann. Dabei lasse ich meine kurze Zugehörigkeit zu einer logen­ähnlichen Verbindung im Jahre 1904 unerwähnt, weil – wie ich hörte – diese Verirrung vor 33 Jahren, die innerhalb eines Jahres durch freiwilligen Austritt wieder gut gemacht wurde, auch höheren Ortes – Präsidium der Behörde und Reichsstatthalterschaft – als nicht belastend angesehen wurde.“ Ossenbrügge verwies darauf, dass sowohl sein Dienstvorgesetzter Karl Witt als auch Reichsstatthalter Karl Kaufmann es unterstützen, die Maßnahme gegen ihn „einer Nachprüfung zu unterziehen“. Ossenbrügge schrieb: „Ich glaube das tun zu dürfen, weil meines Erachtens der Gau Hamburg der NSDAP gegen mich keine Bedenken erhoben hat und auch nicht erheben wird, und weil ich nach wie vor davon überzeugt bin, dass der mich belastende Bericht, der aus dem Gau Hannover-Ost stammen soll, einer eingehenden Prüfung nicht standhält. Abgesehen davon, dass ich die Unterstellungen nicht kenne, die man gemacht hat, glaube ich Verwahrung dagegen einlegen zu müssen, dass ein Gau, dem ich nie angehört und in dessen Neugebiet (Cuxhaven, Amt Ritzebüttel) ich schon seit dreieinhalb Jahren nicht mehr meinen Wohnsitz habe, ein politisches Urteil über mich fällt, das mich grundlos meiner politischen Ehre beraubt. Als Pg. nehme ich den Vorwurf der politischen Unzuverlässigkeit nicht stillschweigend und unwidersprochen hin. Aus diesem Grunde habe ich auch den Herrn Reichsstatthalter gebeten, ein beschleunigtes Parteigerichtsverfahren gegen mich anstrengen zu wollen. Der Herr Reichsstatthalter hat dem Präsidenten meiner Behörde bereits mitgeteilt, dass er es mir überlasse, das Verfahren gegen mich zu beantragen.“17

Während Dietrich Ossenbrügge weiter in der Schulverwaltung arbeitete, befasste sich das Gaugericht mit dem Antrag von Ossenbrügge. Oscar Toepffer vermerkte dazu: „Nach Prüfung der Unterlagen kommt das Gaugericht zu dem Ergebnis, dass für die von dem Pg. Ossenbrügge beantragte Durchführung eines Parteigerichtsverfahrens zur Wiederherstellung seiner Ehre kein Anlass vorliegt, da es sich bei der Anordnung des Stellvertreters des Führers um eine Maßnahme handelt, die sich ausdrücklich nur auf die staatliche Stellung und Beschäftigung des Pg. Ossenbrügge erstreckt. Die Parteizugehörigkeit und die Ehre des Pg. Ossenbrügge werden durch diese innerdienstliche Maßnahme nicht berührt.“18

Oscar Toepffer schlug vor, eine politische Beurteilung Ossenbrügges durch den Gau Hamburg der NSDAP herbeizuführen und dann, nach der zu erwartenden positiven Beurteilung, Ossenbrügge erneut als Schulrat zu bestellen.19

So wurde verfahren. Am 6.1.1942 verfügte Reichsstatthalter Kaufmann, Diet­rich Ossenbrügge wiederum zum Schulrat zu ernennen und in die freie Stelle eines Schulrats einzuweisen. Allerdings: „Die Schulverwaltung wird ersucht, den Schulrat Ossenbrügge auch ferner im Verwaltungsdienst unter Ausschluss der unmittelbaren Schulaufsicht zu verwenden.“20

Das nennt man Gesichtswahrung.

Dietrich Ossenbrügge stellte den Antrag, zum 1.11.1944 in den Ruhestand versetzt zu werden. „Gleichzeitig übermittelte Ossenbrügge eine Bescheinigung des Ortsbauernführers in Barnkrug, aus der sich ergab, dass Schulrat Ossenbrügge nach seiner Pensionierung zweckmäßigen und kriegswichtigen Arbeitseinsatz auf seinem väterlichen Hof leisten könnte.“21 Intern hatte der neue Justiziar, Hasso von Wedel, vermerkt: „Schulrat Ossenbrügge wird im kommenden Monat 66 Jahre. Aus den dort bekannten Gründen darf er im Schulaufsichtsdienst nicht verwandt werden. Den Anforderungen seines Referates – Bausachen und Raumbewirtschaftung in der Schulverwaltung – war er unter den besonders schwierigen Verhältnissen nach den Luftangriffen im vorigen Jahr nicht mehr voll gewachsen. Dieses Referat mußte ihm daher genommen werden. Er war zuletzt nur noch mit einem Sonderreferat verhältnismäßig unwichtiger Angelegenheiten, die im Zuge der augenblicklichen Einsparungen im wesentlichen stillgelegt werden, beschäftigt. Schulrat Ossenbrügge ist nach meiner pflichtgemäßen Überzeugung für die Dauer unfähig, die Amtspflichten eines Schulrats voll zu erfüllen.“22

Dem letzten Leiter der Schulverwaltung in der NS-Zeit, Prof. Ernst Schrewe, blieb es überlassen, einen wertschätzenden Brief an Dietrich Ossenbrügge zu schreiben: „Bei ihrem Übertritt in den Ruhestand ist es mir ein Bedürfnis, Ihnen für Ihre langjährigen treuen Dienste und Ihre Leistungen als Lehrer und Schulrat meinen persönlichen und der Schulverwaltung Dank auszusprechen. Trotz vieler Widrigkeiten, die Sie trafen, haben Sie sich immer wieder mit ganzer Kraft als Lehrer und Verwaltungsmann den Ihnen gestellten Aufgaben gewidmet und niemals Liebe und Begeisterung und innere Verbundenheit mit der Schule durch äußere Verhältnisse sich lockern lassen. Ich habe es persönlich sehr bedauert, daß ich durch die Entwicklung der Verhältnisse gezwungen war, die von Ihnen verwalteten Aufgaben auf andere Schultern zu verlagern. Ich freue mich zu hören, daß Sie in Ihrem Ruhestand nunmehr eine andere schöne und kriegswichtige Aufgabe, die Sie persönlich befriedigt, in der Verwaltung eines Hofes gefunden haben. Ich wünsche Ihnen herzlich, daß Sie sich noch lange Jahre dieser schönen Aufgabe widmen können und Ihnen die Gesundheit erhalten bleibt.“23

Während der Entnazifizierungsverfahren, die für Dietrich Ossenbrügge persönlich unproblematisch waren, verwendete sich Ossenbrügge in meinen Augen in unrühmlicher Weise.

So trat er als Entlastungszeuge mit eidesstattlicher Erklärung und persönlichem Schreiben für den ehemaligen Senator Karl Witt ein. Ossenbrügge wurde dabei von Rechtsanwalt Samwer aus der Sozietät Samwer und Bucerius als ein Mann bezeichnet, „der bei dem Nationalsozialismus in Hamburg einen besonders schlechten Ruf hatte, weil er einer Freimaurerloge angehört hatte“. Das konnte man 1952 so einfach wahrheitswidrig behaupten. Und Ossenbrügge produzierte das, was als Prototyp eines „Persilscheins“ jener Tage gelten kann. Er schrieb an Witt, „Mein lieber Karl“, am 16.12.1952:

„Nachdem der deutschnationale Stavenhagen als Senator der Baubehörde abserviert worden war, kamst Du als zweiter an die Reihe. Für mich war das keine Überraschung, wußte ich doch, daß in der Schulbehörde Kreise um OSR Dr. Behne im Senat und im Reichsministerium von Anfang an stark gegen Dich intrigierten.

Auch Quertreibereien durch den NS-Lehrerbund und die Führung der HJ mögen die Partei zu Deiner Ausbootung veranlaßt haben.

Erinnerst Du Dich noch, wie Du mir damals voll Erbitterung erklärtest: ‚Ich haue ab und schmeiße den Nazis den ganzen Kram vor die Füße.‘ Ich sagte Dir, daß ein solcher Entschluß übereilt und unklug sei. Du würdest ja gerade damit erfüllen, was die Nazis wollten, Dich billig ganz loszuwerden. Auch mußtest Du Rücksicht nehmen auf Deine Getreuen in der Schulverwaltung und der Lehrerschaft, denn was sollte aus dem ganzen Erziehungswerk in Hamburg werden, wenn ein 150% iger an die Spitze der Schulverwaltung gesetzt würde? Man wollte den unbequemen Witt loswerden.“24

Alte Kameraden schrieben sich in der Not. Schließlich hatte Karl Witt in der NS-Zeit auch Dietrich Ossenbrügge geholfen.

Ossenbrügge starb am 30.9.1956.25

Das Kondolenzschreiben von OSR Franz Jürgens an Emma Ossenbrügge vom 4.10.1956 lautete:
„Mit Trauer habe ich Ihre Nachricht erhalten, daß Ihr lieber Mann einem Herzschlage erlegen ist. Er hat als Lehrer und als Schulrat seine besten Kräfte für die Schule und die ihr anvertrauten Kinder eingesetzt. Daran denken wir in der Schulbehörde mit Dankbarkeit zurück und erinnern uns des Verstorbenen mit Hochachtung. Seien Sie versichert, daß alle Mitarbeiter der Schulbehörde, die Ihren Mann gekannt haben, an Ihrer Trauer und an der Trauer Ihrer Familie herzlich teilnehmen.“26

Das Profil ist nachzulesen in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile, Band 2. Hamburg 2017. Das Buch ist erhältlich in der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg.

Anmerkungen
1 Personalakte Ossenbrügge, StA HH, 361-3_A 2192
2 Ebd.
3 Personalakte a.a.O.
4 Schreiben vom 27.10.1916, Personalakte a.a.O.
5 Personalakte Bruno Peyn, StA HH, 361-3_A 1067
6 Personalakte Karl Witt, StA HH, 361-3_A 47. Siehe auch die Biografie Witt, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 1, Hamburg 2016, S. 88ff.
7 Siehe Hamburgisches Lehrerverzeichnis von 1935/36, bearbeitet vom NSLB, S. 119ff.
8 Personalakte a.a.O.
9 Personalakte a.a.O.
10 Laut dem von ihm ausgefüllten Fragebogen vom 8.1.1946, Personalakte a.a.O.
11 Personalakte a.a.O.
12 Siehe auch die Biografie Walter Behne, in: de Lorent 2016, S. 457ff.
13 Personalakte a.a.O.
14 Personalakte a.a.O.
15 Ebd.
16 Vermerk Witt vom 27.9.1937, Personalakte a.a.O.
17 Personalakte a.a.O.
18 Schreiben vom 31.1.1941, Personalakte a.a.O.
19 Ebd.
20 Vermerk Kaufmanns vom 6.1.1942, Personalakte a.a.O.
21 Vermerk von Hasso von Wedel vom 8.8.1944, Personalakte a.a.O.
22 Vermerk vom 7.8.1944, Personalakte a.a.O. Das Schreiben war von Ernst Schrewe unterzeichnet, aber von von Wedel verfasst.
23 Schreiben vom 13.9.1944, Personalakte a.a.O.
24 Personalakte Witt, a.a.O.
25 Personalakte a.a.O.
26 Personalakte a.a.O.
27 Personalakte a.a.O.
28 Personalakte a.a.O.
 

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Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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