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Deutsche Meßapparate GmbH (Messap)

Hanseatisches Kettenwerk GmbH (HAK)
Werk für Munitionshülsen

Deutsche Meßapparate GmbH (Messap)
Werk zur Herstellung von Zeitzündern und Torpedosteuerungen in Kooperation mit der Firma Gebr. Junghans aus Schramberg/Schwarzwald,
Firmenlager für Zwangsarbeiter*innen und Kriegsgefangenenlager
Tannenkoppel - Weg 4 (heute Essener Straße 54), auch „ Tarpen bek“ genannt

Lager mit eigenen Küchen und insgesamt 1163 Zwangsarbeiter*innen, darunter auch von Wehrmacht und Werkspolizei bewachte Kriegsgefangene. Todesfälle von Zwangsarbeiterinnen und 49 Kindern nachgewiesen. Das Lager wurde auch „Tannenkoppel“ oder „ Tarpen bek“ genannt. Im September 1944 wurde auf einem Teilgelände ein Lager für weibliche Häftlinge des KZ Neuengamme eingerichtet.
Mit Stacheldraht umzäunt und von der Werkspolizei bewacht

Kinder von Zwangsarbeiterinnen waren im Lager Tannenkoppel in der „Ausländerkinder-Pflegestätte“ in „Baracke 4“ untergebracht. Ihre Mütter waren belgischer, französischer, lettischer, litauischer, polnischer, ukrainischer, russischer und weißrussischer Nationalität.

Nachgewiesen sind für Zwangsarbeiterinnen aus dem Lager Tannenkoppel 112 Geburten.
49 Kinder von Zwangsarbeiterinnen aus dem Zwangsarbeitslager Tannenkoppel verstarben zwischen Januar 1944 und Kriegsende 1945.

Die meisten Säuglinge waren nur wenige Monate alt; sie starben an Vernachlässigung und schwerer Unterernährung.
Der Name des Assistenzarztes Otto Blumenthal* der 82-fach unter den Todesanzeigen des „Allgemeinen Krankenhauses Langenhorn“ mit Angabe der Todesursache bei verstorbenen Kindern von Zwangarbeiterinnen verzeichnet ist, wollte nicht für die Abteilung der Ausländerbaracken der Säuglinge verantwortlich gewesen sein: „Ich kann mich schwach erinnern, dass dort auch Säuglinge untergebracht waren. Es muss sich um Säuglinge von Ostarbeiterinnen gehandelt haben. An Einzelheiten und bestimmte Fälle kann ich mich jedoch nicht erinnern; wohl aber daran, dass die Kinder im allgemeinen unterernährt waren.“

Wie ein Zeitzeugenbericht des überlebenden Kindes Margarita Jakowlewa, geb. am 26.4.1943 in der Frauenklinik Finkenau , und die beigefügten Photos aus dem Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme mit belegen, überlebten auch einige Kinder in „Baracke 4“. Es kann angenommen werden, dass dies nur durch einen starken Zusammenhalt unter den Müttern in der Gruppe möglich gewesen ist. Es ist nicht überliefert, inwieweit Beziehungen zu Deutschen oder zu Ausländern, in besser gestellten Positionen und deren Unterstützung dabei eine Rolle gespielt haben.
Photographieren im Lager, war strengstens verboten; ohne Beziehungen zu Deutschen wären die Photos vermutlich nicht entstanden.

Auch Margarita, „Rita“, erfuhr von ihrer Mutter Antonia Jakolewa, geb. am 17.8.1920 in Syojerce, wenig über die Person ihres Vater, die Mutter habe ihn bei der Arbeit in der Landwirtschaft kennengelernt: „Ich bedauere, dass ich so wenig über meinen Vater weiß. Zu wenig. Ich weiß, dass er irgendwo aus der Umgebung von Krakau kommt. Seine Mutter war Westukrainerin, sein Vater Pole. Ich weiß, dass er eine Schwester hatte, aber ich weiß weder, wie sie hieß, noch ob sie älter oder jünger als er war. Mehr weiß ich nicht. … Ich hatte drei Briefe von meinem Vater. … Hier in Hamburg war er wohl in einem anderen Lager und schickte die Briefe in Mamas Lager. Er wusste, wo sie ist. … Ich weiß, dass am Ende jedes Briefes stand: „Pass auf unsere Tochter Ritchen auf“. Also wusste er natürlich, dass ich schon da bin.“ Vielleicht wollte ihre Mutter sie auch nur schützen und hat ihr den Vater bewusst verschwiegen, denn in der Sowjetunion galten nach dem Krieg Zwangsarbeiter*innen teilweise als Kollaborateure.

Von ihrer Mutter, die anfangs in der Landwirtschaft arbeiten musste, ist auch überliefert, dass sie dort sehr schlecht verpflegt wurden. Der ihnen gegenüber sehr harte Bauer verfütterte trockenes Brot an seine Kaninchen, das sie sich in der Nacht heimlich aus dem Käfig holte, um ihren Hunger zu stillen. Die Zwangsarbeiter*innen bekamen lediglich Steckrüben.

Antonia Jakolewa wurde dann nach Bahrenfeld in das Lager Schützenstraße 241 verlegt, zur Zwangarbeit für die Altonaer Wellpappenfabrik GmbH. Vermutlich hochschwanger kam sie in das Lager Tannenkoppel und gebar ihre Tochter Margarita in der Frauenklinik Finkenau .

Etwa um dieselbe Zeit brachten dort mit Margaritas Mutter Antonia Jakowlewa noch sechs russische Frauen im Alter von 20 bis 24 Jahren kurz hintereinander Kinder auf die Welt. Vera und Pascha Frolowa, Charitina Kassjura, Tatjana Gorbatschuk, Anna Onaprejenko und Warwarra Wasilewa.

Einen Monat später kamen dann zwei junge Frauen im Alter von 17 und 18 Jahren, Anastasia Osika, Maria Romanjuk; zwei Frauen im Alter von 33 Jahren, Fanja Chastschenko, Maria Martschenko; eine Frau im Alter von 24 Jahren, Fanja und Johanna Cerniak zu ihrer Entbindung in die Klinik. Bekannt ist, dass von diesen geborenen Kindern nur die kleinen Tochter Boguscha der Polin Johanna Cerniak im Alter von 3 Monaten in Schwarzenbek verstarb.

Die Kinder, getrennt von ihren Müttern, wurden im Lager in „Baracke 4“ untergebracht. Die Ernährung der Säuglinge war nur gemeinschaftlich möglich, wie von Margaritas Mutter überliefert ist: „Hier waren alle Mütter. Aber meine Mutter schlief in der Nacht nicht bei mir. Wir, die Kinder, waren in einem anderen Zimmer. Nach der Entbindung musste Mama wieder zur Arbeit gehen. Sie hat mich nicht gestillt. Gestillt haben mich andere Frauen, die Milch hatten. Und die Deutschen gaben uns noch etwas. Aber. Eine Zuteilung bekam man ab dem ersten Tag: Milch und Säfte – Möhrensaft, Rote Beete ... alles Mögliche. Ich hatte keine Krankheiten als Kind.“

Einige Fotos zeigen auch, dass die Frauen versuchten, die Feiertage wie Weihnachten oder Sylvester für sich so schön es ging zu gestalten, mit einem Chor und wie Margarita berichtet mit begabten „Musikern“ und „Dichtern“. 1)

Einige Beispiele:

Elfriede Barabanowa kam am 13.5.1943 in Hamburg zur Welt. Ihre Mutter Anna Barabanowa, geb. am 18.10.1924 in Winogradowka, war ledig. Aus ihrer Heimat Russland verschleppt, musste sie in Hamburg-Langenhorn für die Hanseatische Kettenwerk GmbH (HAK) und / oder die Deutsche Meßapparate GmbH (Messap) Zwangsarbeit leisten und war im „Ostarbeiterlager“ Tannenkoppel, Weg 4, untergebracht und in dieser Zeit schwanger.
Am Tag der Geburt ihres Kindes wurde die 18-jährige Anna Barabanowa in der Frauenklinik Finkenau , Hamburg-Uhlenhorst, aufgenommen. Neun Tage nach der Entbindung, am 22. Mai 1943, kam sie mit ihrer Tochter Elfriede zurück in das Lager Tannenkoppel. Dort musste Elfriede die kurze Zeit ihres Lebens verbringen. Am 20. März 1944 wurde sie in das Allgemeine Krankenhaus Langenhorn mit der Diagnose „Nabelbruch“ eingeliefert. Einen Monat später kam sie am 21. April 1944 zurück in das Zwangsarbeitslager Tannenkoppel. Die Ernährungs- und Lebensbedingungen waren für sie dort völlig unzureichend.

Nach drei Monaten, am 28. Juli 1944, verstarb Elfriede dort um 3:00 Uhr. In der Todesanzeige des Polizeipräsidenten, unterzeichnet „ i. A. Behrmann L.A.“, ist nach „amtl. Ermittlung“ und ohne Benennung eines Arztes als Todesursache „Ersticken im Brechakt“ angegeben. Die in der Todesanzeige aufgeführten Angaben wurden von Paul Schwan, Angestellter des Arbeitsamtes Hamburg II/3, Raboisen 8, mündlich erstattet.
In der Rubrik „Vater“ sind die Angaben „Iwan Barabanow, lebt, Ostarbeiter, Wohnort wie oben“ durchgestrichen. Der Grund für die Streichung konnte bisher nicht geklärt werden. 2)

Vladimir Bowton kam am 6.4.1944 in Hamburg zur Welt. Seine Mutter Anna Frantschuk, geb. am 11.7.1915 in Kosijewka / Krs. Charkow, war ledig und vermutlich russisch-orthodoxen Glaubens, registriert als „orthodox“. Aus ihrer Heimat Tschernikowa/Ukraine verschleppt, kam sie am 16. Oktober 1943, sie befand sich damals im 3. Monat ihrer Schwangerschaft, zunächst nach Hamburg-Ottensen als „Ostarbeiterin“ in das Lager Hohenzollernring , Moortwiete (heute Hohenzollernring - Ecke Daimlerstraße ), „Heimstätte der Fischindustrie“ und musste für die Firma D.L. Wilkens, Fischräucherei, Friesenweg 5, Zwangsarbeit leisten.

In der Hausmeldekartei galt sie seit dem 17. November 1943 als „flüchtig“. Nach der Ausländermeldekartei war sie im Zwangsarbeitslager Schloßstraße 27 (heute Harburger Schloßstraße ) in Hamburg-Harburg untergebracht, zur Zwangsarbeit für die Gesamthafenbetriebsgesellschaft mbH. Hochschwanger wurde Anna Frantschuk am 28. Februar 1944 nach Hamburg-Langenhorn in das Lager Tannenkoppel, Weg 4, verlegt und bei der Hanseatischen Kettenwerk GmbH (HAK) und / oder der Deutschen Meßapparate GmbH (Messap) als „Dreher“ zur Zwangsarbeit eingesetzt. Auf ihrer Meldekarteikarte befindet sich die Notiz „deutschblütig“, was auf eine „Rasse“- Überprüfung während ihrer Schwangerschaft hindeutet.

Am Tag der Geburt ihres Kindes wurde die 30-jährige Anna Frantschuk im Krankenhaus Alsterdorf aufgenommen. Neun Tage nach der Entbindung, am 15. April 1944, kam sie mit ihrem Sohn Vladimir zurück in das Lager Tannenkoppel. In diesem Zwangsarbeitslager musste Vladimir die kurze Zeit seines Lebens verbringen. Die Ernährungs- und Lebensbedingungen waren für ihn dort völlig unzureichend.

Vladimirs Vater Filiph Bowton, geb. am 12.11.1920 in Blistawura / Krs. Kiew, war Zwangsarbeiter bei der Phoenix AG, Harburger Gummiwarenfabrik, und im Lager Capellenweg sowie im „Ostarbeiterlager“ Sperlsdeich (heute Sperlsdeicher Weg ), Hamburg-Wilhelmsburg, untergebracht.

Als das gemeinsame Kind Vladimir fünf Monate alt war, heirateten seine Eltern Anna Frantschuk und Filip Bowton am 8. September 1944. Die Eheschließung wurde beim Standesamt Harburg registriert. Die Glaubenszugehörigkeit wurde mit „evgl. luther.“ angegeben. Nach der Heirat wurde Vladimirs Vater Filiph Bowton ebenfalls nach Langenhorn verlegt, in das Männerlager Tannenkoppel.

Einen Monat später, am 5. Oktober 1944, verstarb ihr Sohn Vladimir im Allgemeinen Krankenhaus Langenhorn um 7:00 Uhr. In der Todesanzeige des Krankenhauses ist als Todesursache „Bronchopneunomie“ (Lungenentzündung) und als unterzeichnender Arzt Blumenthal* angegeben.3)

Serge Duvert kam am 27.5.1944 in Hamburg zur Welt. Seine Eltern, Hélène Julie, geb. Mouceau, geb. am 24.8.1917 in Nemours, und Jules Ernest Duvert, geb. 31.7.1917 ebenfalls in Nemours, waren katholischen Glaubens und hatten  am 31. Mai 1941 dort geheiratet. Aus ihrer Heimat Frankreich verschleppt, mussten sie in Hamburg-Langenhorn für die Hanseatische Kettenwerk GmbH (HAK) und / oder die Deutsche Meßapparate GmbH (Messap) Zwangsarbeit leisten. Sie waren im „Gemeinschaftslager Tarpen beck“, Weg 4, getrennt voneinander im Frauen- und Männerlager untergebracht

Hélène Julie Duvert wurde am Tag der Geburt ihres ersten Kindes im Krankenhaus Alsterdorf aufgenommen; es war eine „Frühgeburt“. Nach acht Tagen, am 5. Juni 1944, kehrte sie mit ihrem Sohn Serge zurück in das „Gemeinschaftslager Tarpen bek“. In diesem Zwangsarbeitslager musste Serge die kurze Zeit seines Lebens verbringen. Die Ernährungs- und Lebensbedingungen waren für ihn dort völlig unzureichend.

Am 8. August 1944 verstarb er im Krankenhaus Ehrhorn bei Soltau um 9:00 Uhr. In der Krankenhausliste ist als Todesursache „Frühgeburt“ angegeben. Im Sterberegister findet sich des Weiteren der Eintrag: „eingetragen auf schriftliche Anzeige der Krankenhaus-Sonderanlagen Aktion Brandt – Anlage Wintermoor“. Dies deutet darauf hin, dass Serge durch gezielte Vernachlässigung, durch Verhungernlassen oder durch eine Überdosis von Medikamenten getötet wurde.
(Auch ein weiterer Säugling aus dem Lager Tannenkoppel, Genja Woronez, war am selben Tag eine halbe Stunde zuvor in Ehrhorn verstorben. Bei ihm ist eine Todesbescheinigung mit der Angabe „Aktion Brandt“ erhalten geblieben.)

Erläuterungen:
Bei der von Karl Brandt, Generalkommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen, geleiteten und nach ihm benannten „Aktion Brandt“ wurden ab 1943 Patientinnen und Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten in andere Pflegestätten und Ausweichkrankenhäuser verlegt, offiziell um Bettenplätze für die zunehmende Anzahl von Kriegsverletzten freizumachen.
Vielfach wurden sie dort durch gezielte Vernachlässigung, Verhungernlassen oder durch eine Überdosierung von Medikamenten getötet. Die „Aktion Brandt“ wird deshalb als „regionalisierte Euthanasie“ oder als „dezentrale Euthanasie“ bezeichnet. Sie stand in der Nachfolge der „T 4-Aktion“, der gezielten „Euthanasie“-Ermordung von psychiatrischen Patientinnen und Patienten, die auf Grund des Widerstandes von Kirchenvertretern beider Konfessionen und von Teilen der Bevölkerung sowie einiger Anstalten im August 1941 offiziell eingestellt worden war.
Karl Brandt wurde im Jahre 1947 bei dem Nürnberger „Ärzteprozess“ als einer der Hauptverantwortlichen der NS-„Euthanasie“-Verbrechen zum Tode verurteilt und im Jahr darauf hingerichtet.

Die “Krankenhaus-Anlage-Wintermoor” wurde 1942/43 als Hamburger Ausweichkrankenhaus mit Zwangsarbeitern, sowjetischen Kriegsgefangenen und italienischen Militärinternierten aufgebaut, unter der Leitung der „Organisation Todt“ (OT), einer paramilitärisch gegliederten Sonderorganisation des NS-Staates, die kriegswichtige Bauprojekte durchführte. Nach dem Unfalltod ihres Gründers und Organisators Fritz Todt im Februar 1942 wurde die Leitung Albert Speer, Reichsminister für Bewaffnung und Munition, übertragen. Elf sowjetische Kriegsgefangene von etwa 100 Kriegsgefangenen des Außenlagers StaLag (Stammlager) Sandbostel, die in einer Holzbaracke in Ehrhorn untergebracht waren und beim Aufbau des Krankenhauses Wintermoor ums Leben kamen, sind namentlich bekannt. Polnische Zwangsarbeiterinnen arbeiteten im Krankenhausbetrieb in der Küche und als Reinigungskräfte. 4)

Anatoli Kobilko kam am 9.10.1944 in Schramberg zur Welt. Seine Eltern waren Warwara Kobilko, geb. am 17.7.1926 in Petropol, und griechisch-katholischen Glaubens, und Iwan Kobilko, geb. am 17.1.1922 in Boschedarowka / Petropol, vermutlich russisch-orthodoxen Glaubens, registriert als „orthodox“. Aus ihrer Heimat Ukraine verschleppt, mussten sie für die Uhrenfabrik Junghans A.G. in Schramberg Zwangsarbeit leisten, Warwara Kobilko als „Hilfsarbeiterin“. Die Überwachung führte die Gestapo-Leitstelle Stuttgart, Gestapo-Außenstelle Oberndorf am Neckar, durch.
Am 9. Oktover 1944 brachte die 18-jährige Warwara Kobilko im Zwangsarbeitslager der Junghans A.G., dem „Gemeinschaftslager Maierhof“, um 3:45 Uhr ihren Sohn Anatoli mit Hilfe der Hebamme Johanna Diebhold aus Lauterbach zur Welt.

Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter der Junghans A.G. wurden ebenfalls bei der Deutschen Meßapparate GmbH (Messap) in Hamburg-Langenhorn zur Zwangsarbeit eingesetzt; so kamen auch Warwara und Iwan Kobilko mit ihrem Sohn Anatoli dorthin, registriert in der Ausländermeldekartei am 24. Januar 1945. Im Lager Tannenkoppel, Weg Nr. 4, waren sie getrennt voneinander im Frauen- und Männerlager untergebracht. In diesem Zwangsarbeitslager musste Anatoli die kurze Zeit seines Lebens verbringen. Die Ernährungs- und Lebensbedingungen waren für ihn völlig unzureichend.

Anatoli verstarb dort am 18. Februar 1945 um 3:00 Uhr. Der Rechnungsführer Johannes Heller zeigte den Sterbefall mündlich an. In der Todesanzeige des Polizeipräsidenten ist nach „amtlichen Ermittlungen“, ohne Angabe eines Arztes, als Todesursache „Innere Ursache“ angegeben. 5)

Luba Nesterowitsch kam am 23.4.1944 in Hamburg zur Welt. Ihre Eltern, Olga, geb. Justina, geb. am 14.9.1922 (oder „10.8.1922?“, beide Geburtsdaten sind auf ihrer Ausländermeldekarteikarte verzeichnet), in Wilejka Matzki, und Wladimir, auch Waldemar genannt, Nestorowitsch, geb. 13.1.1918 Shitkowitschi, waren griechisch-katholischen Glaubens. Aus ihrem Heimatort Schikowitschi / Weißrussland verschleppt, mussten beide in Hamburg-Billbrook Zwangsarbeit leisten. Wladimir Nestorowitsch kam am 16. Oktober 1943 in das Lager Grusonstraße (Ecke Borsigstraße ) und wurde als „Rüstungsarbeiter“ vermutlich für die Gebr. Böhling, Firma für Rohrleitungsbau, Maschinen- u. Apparatebau, Kupferschmiede, zur Zwangsarbeit eingesetzt.

Zu dieser Zeit war Luba Nesterowitsch im dritten Monat ihrer Schwangerschaft. Als Zwangsarbeiterin für die Hamburger Juteindustrie A.G, Jutefabrikate Wilhelm Schlochauer, war sie im unbewachten Lager Liebigstraße 88 untergebracht. Im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft wurde Olga Nesterowitsch am 27. Januar 1944 nach Hamburg-Langenhorn in das Lager Tannenkoppel verlegt und zur Zwangsarbeit bei der Deutschen Meßapparate GmbH (Messap) und der Hanseatischen Kettenwerk GmbH (HAK) eingesetzt.

Am Tag der Geburt ihres Kindes kam sie in das Krankenhaus Alsterdorf. Neun Tage nach der Entbindung wurde Olga Nesterowitsch am 2. Mai 1944 mit ihrer Tochter Luba zurück in das „Ostarbeiterlager Tannenkoppel“ entlassen. In der folgenden Zeit kam Wladimir Nestorowitsch ebenfalls dorthin und war getrennt im Männerlager untergebracht. Im Zwangsarbeitslager Tannenkoppel musste Luba die kurze Zeit ihres Lebens verbringen. Die Ernährungs- und Lebensbedingungen waren für sie dort völlig unzureichend.

Am 29. September 1944 wurde sie mit der Diagnose „Ekzem a. Kopf“ in das Allgemeine Krankenhaus Langenhorn eingeliefert. Dort verstarb sie nach elf Tagen, am 10. Oktober 1944 um 0:30 Uhr. In der Todesanzeige des Krankenhauses ist als Todesursache „Kopfekzem und ausgedehnte Dermatitis“ (entzündliche Hauterkrankung) und als unterzeichnender Arzt Blumenthal* angegeben. 6)

Anatol Slusar kam am 1.1.1944 in Hamburg zur Welt. Seine Mutter Natascha Slusar, geb. am 28.10.1925 in Dnepropetrowsk, war römisch-katholischen Glaubens und laut Ausländermeldekartei „verheiratet“, Name und Schicksal ihres Ehemannes sind nicht bekannt. Aus ihrer Heimat Ukraine verschleppt, musste sie in Hamburg-Kleiner Grasbrook für das Bekleidungsamt der Marine Zwangsarbeit leisten. Sie war dort im Schuppen 55 (heute Afrikakai - Afrikahöft ), im kleinen Lager für Kriegsgefangene, untergebracht. Im siebten Monat ihrer Schwangerschaft wurde sie am 24. Oktober 1943 in das Zwangsarbeitslager Schuppen 77 verlegt und für die Gesamthafenbetriebsgesellschaft mbH, Buchheisterstraße 5, und die Gesamthafenbetriebsgesellschaft mbH, Hohe Brücke 4, Freihof, zur Zwangsarbeit eingesetzt.

Am 24. November 1943 kam die 18-jährige Natascha Slusar mit Wehen in die Frauenklinik Finkenau , Hamburg-Uhlenhorst, wurde jedoch nach zwei Tagen wieder zurück in das Zwangsarbeitslager Schuppen 77 entlassen.
Am 17. Dezember 1943 wurde sie erneut mit Wehen in die Frauenklinik eingeliefert und nach dreizehn Tagen, am 30. Dezember 1944, wiederum in ihr Zwangsarbeitslager zurück verlegt. Zwei Tage später brachte Natascha Slusar am Neujahrstag 1944 ihren Sohn Anatol in der Frauenklinik Finkenau zur Welt.

Zehn Tage nach der Entbindung, am 10. Januar 1944, wurde sie mit ihrem Sohn in das Hamburger Ausweichkrankenhaus Wintermoor verlegt. Wann beide dort entlassen wurden und nach Hamburg-Langenhorn in das Lager Tannenkoppel, Weg 4, gelangten, ist nicht bekannt. In diesem Zwangsarbeitslager musste Anatol die kurze Zeit seines Lebens verbringen. Die Ernährungs- und Lebensbedingungen waren für ihn dort völlig unzureichend.
Am 20. März 1944 wurde er mit der Diagnose „Durchfall“ im Allgemeinen Krankenhaus Langenhorn eingeliefert. Dort verstarb Anatol nach drei Tagen, am 23. März 1944 um 16:00 Uhr. In der Todesanzeige des Krankenhauses ist als Todesursache „Pädatrophie“ (Auszehrung - schwerster Grad der Ernährungsstörung) und als unterzeichnender Arzt Blumenthal* angegeben. 7)

Text: Margot Löhr

Quellen:
Zu 1) Hamburger Adressbuch 1943; StaH 322-3 Gutschow Pläne, B 92, N Nr. 474a H II-38 Weg 4; www.zwangsarbeit-in-hamburg.de, eingesehen 17.2.2016.
*StaH 221-11 Entnazifizierungsakte, Ed 5670, Dr. med Otto Blumenthal ( 22.9.1914 Hamburg - 17.6.1982 Hamburg).
Dr. Otto Blumenthal arbeitete nach seinem Studium der Medizin in Hamburg ab 1939 als Assistenzarzt im Allgemeinen Krankenhaus Altona, von 1941-43 in der Pathologie im Krankenhaus Eppendorf und ab 1943 bis Kriegsende im Allgemeinen Krankenhaus Langenhorn. Dort soll er nach eigenen Angaben für zwei der „Ausländerbaracken“ zuständig gewesen sein. Nach Kriegsende kehrte er in die Pathologie Eppendorf zurück, 1946 wurde er dort Röntgenarzt, danach Facharzt für Chirugie und Urologie im Allgemeinen Krankenhaus Rissen, Suurheid 20. Er gehörte dem Reichsarbeitsdienst (RAD) von Mai-Oktober 1934 an, ansonsten keiner Nationalsozialistischen Organisation und fiel in die Kategorie der Unbelasteten. Sein Name ist als unterzeichnender Arzt in 82 Todesanzeigen der Kinder von Zwangsarbeiterinnen angegeben.


Zu 2): Standesamt Hamburg 6, Geburtsregister 1613/1943 Elfriede Barabanowa; StaH 131-1 II, 518 Listen der während des Zweiten Weltkrieges in Hamburg verstorbenen und beigesetzten ausländischen Zivilarbeiter, S. 84; StaH 131-1 II, 519 Listen der von 1940 in Hamburger Krankenhäusern behandelten Ausländer, nach Nationalitäten geordnet, S. 162; StaH 332-5 Standesämter, 9953 u. 1179/1944 Elfriede Barabanowa; StaH 332-8, A 48 Alphabetische Meldekartei der Ausländer 1939-1945; ITS Archives, Bad Arolsen, Copy of Krankenhausliste Frauenklinik Finkenau 2.1.2.1 / 70646045, Sterbeurkunde 2.2.2.4 / 77078883 Elfriede Barabanowa; www.zwangsarbeit-in-hamburg.de, eingesehen 17.2.2016.

Zu 3): Standesamt Hamburg 1b, Geburtsregister, 371/1944 Vladimir Bowton; Standesamt Hamburg-Harburg, Heiratsregister Nr.428/1944; StaH 131-1 II, 518 Listen der während des Zweiten Weltkrieges in Hamburg verstorbenen und beigesetzten ausländischen Zivilarbeiter, S. 89, S. 257; StaH 332-5 Standesämter, 9953 u. 1449/1944 Vladimir Bowton; StaH 332-5 Sterbefallsammelakten, 64306 u. 1449/1944 Vladimir Bowton; StaH 332-8, A 48 Alphabetische Meldekartei der Ausländer 1939-1945; StaH 332-8 Meldewesen, Hausmeldekartei, 741-4 Fotoarchiv, K 2388 Lager Hohenzollernring , „Heimstätte der Fischindustrie“, D.L.Wilkens; ITS Archives, Bad Arolsen, Krankenhausliste Krankenhaus Alsterdorf Copy of 2.1.2.1 / 70646169, Geburtsurkunde 2.2.2.3 / 76954149 Vladimir Bowton, Sterbeurkunde 2.2.2.4 / 77080517 Vladimir Bowton; www.zwangsarbeit-in-hamburg.de, eingesehen 17.2.2016.
*StaH 221-11 Entnazifizierungsakte, Ed 5670, Dr. med Otto Blumenthal (22.9.1914 Hamburg - 17.6.1982 Hamburg).
Dr. Otto Blumenthal arbeitete nach seinem Studium der Medizin in Hamburg ab 1939 als Assistenzarzt im Allgemeinen Krankenhaus Altona, von 1941-43 in der Pathologie im Krankenhaus Eppendorf und ab 1943 bis Kriegsende im Allgemeinen Krankenhaus Langenhorn. Dort soll er nach eigenen Angaben für zwei der „Ausländerbaracken“ zuständig gewesen sein. Nach Kriegsende kehrte er in die Pathologie Eppendorf zurück, 1946 wurde er dort Röntgenarzt, danach Facharzt für Chirugie und Urologie im Allgemeinen Krankenhaus Rissen, Suurheid 20. Er gehörte dem Reichsarbeitsdienst (RAD) von Mai-Oktober 1934 an, ansonsten keiner Nationalsozialistischen Organisation und fiel in die Kategorie der Unbelasteten. Sein Name ist als unterzeichnender Arzt in 82 Todesanzeigen der Kinder von Zwangsarbeiterinnen angegeben.

Zu 4): Standesamt Hamburg 1b, Geburtsregister, 513/1944 Serge Duvert; Standesamt Ehrhorn/Krs.Soltau, Sterberegister Nr.81/1944 Serge Duvert; Heiratsregister Nemours/Frankreich, Mai 1941; StaH 131-1 II, 518 Listen der während des Zweiten Weltkrieges in Hamburg verstorbenen und beigesetzten ausländischen Zivilarbeiter, S. 85, S. 176; 131-1 II_2721 Listen der Gräber von im Zweiten Weltkrieg verstorbenen ausländischen Zivilisten auf Hamburger Friedhöfen, S. 31; StaH 332-8, A 48 Alphabetische Meldekartei der Ausländer 1939-1945; StaH 332-8 Meldewesen, Hausmeldekartei, 741-4 Fotoarchiv, K 2357 Sportstraße DAF Lager; ITS Archives, Bad Arolsen, Copy of Krankenhausliste Krankenhaus Alsterdorf 2.1.2.1 / 70646154, Geburtsurkunde 2.2.2.3 / 76949521 Serge Duvert, Sterbeurkunde 2.2.2.4 / 77083252 Serge Duvert, Duvert Helene Doku 2.3.3.2 / 78003117, 2.2.2.1 / 72134972, Duvert Serge Doku 2.3.3.2 / 78003119; http://www.zwangsarbeit-in-hamburg.de, eingesehen 17.2.2016; https://archiv-wintermoor.de/allgemein/zwangsarbeit, eingesehen 12.1.2017; www.gedenkorte-europa.eu/de_de/article-organisation-todt-ot.html, eingesehen 12.1.2017.

Zu 5): Standesamt Schramberg, Geburtsregister 309/1944 Anatoli Kobilko; StaH 131-1 II, 518 Listen der während des Zweiten Weltkrieges in Hamburg verstorbenen und beigesetzten ausländischen Zivilarbeiter, S. 156, S. 261; StaH 332-5 Standesämter, Sterberegister 9962 u. 474/1945 Anatoli Kobelko; 741-4 Hausmeldekartei, K 2510 A Weg Nr. 4; ITS Archives, Bad Arolsen, Copy of Geburtsurkunde 2.2.2.3 / 76981553 Anatoli Kobilko, Sterbeurkunde 2.2.2.4 / 77089154 Anatoli Kobilko; Auskünfte Doris Wöhrle, Standesamt Schramberg, Geburtsregister Nr.309/1944; Monika Haug, Melanie Hentschel, Sonja Broghammer, Zwangsarbeit im Kreis Rottweil in der Zeit des dritten Reiches, http://oberndorfgedenken.de/Zwangsarbeit-KreisRottweil.pdf, Eingesehen am 27.12.2013; www.zwangsarbeit-in-hamburg.de, eingesehen 17.2.2016.

Zu 6): Standesamt Hamburg 1b, Geburtsregister 408/1944 Luba Nesterowitsch; StaH 131-1 II, 518 Listen der während des Zweiten Weltkrieges in Hamburg verstorbenen und beigesetzten ausländischen Zivilarbeiter, S. 90, S. 266; StaH 131-1 II, 519 Listen der von 1940 in Hamburger Krankenhäusern behandelten Ausländer, nach Nationalitäten geordnet, S. 219; StaH 332-5 Standesämter, 9953 u. 1478/1944 Luba Nesterowitsch; StaH 332-8, A 48 Alphabetische Meldekartei der Ausländer 1939-1945; StaH 741-4 Hausmeldekartei, K 2510 Weg Nr. 4; ITS Archives, Bad Arolsen, Copy of Krankenhausliste Krankenhaus Alsterdorf 2.1.2.1 / 70646172, Geburtsurkunde 2.2.2.3 / 77012595 Luba Nesterowitsch, Sterbeurkunde 2.2.2.4 / 77095756 Luba Nesterowitsch, Wladimir Nesterowitsch, 2.1.2.1., Ordner 483a Paginiernummer 63, Fundort: SK Hamburg 483a/63, 0.1 / 63470788; www.zwangsarbeit-in-hamburg.de, eingesehen 17.2.2016.
*StaH 221-11 Entnazifizierungsakte, Ed 5670, Dr. med Otto Blumenthal ( 22.9.1914 Hamburg - 17.6.1982 Hamburg).
Dr. Otto Blumenthal arbeitete nach seinem Studium der Medizin in Hamburg ab 1939 als Assistenzarzt im Allgemeinen Krankenhaus Altona, von 1941-43 in der Pathologie im Krankenhaus Eppendorf und ab 1943 bis Kriegsende im Allgemeinen Krankenhaus Langenhorn. Dort soll er nach eigenen Angaben für zwei der „Ausländerbaracken“ zuständig gewesen sein. Nach Kriegsende kehrte er in die Pathologie Eppendorf zurück, 1946 wurde er dort Röntgenarzt, danach Facharzt für Chirugie und Urologie im Allgemeinen Krankenhaus Rissen, Suurheid 20. Er gehörte dem Reichsarbeitsdienst (RAD) von Mai-Oktober 1934 an, ansonsten keiner Nationalsozialistischen Organisation und fiel in die Kategorie der Unbelasteten. Sein Name ist als unterzeichnender Arzt in 82 Todesanzeigen der Kinder von Zwangsarbeiterinnen angegeben.

Zu 7): Standesamt Hamburg 6, Geburtsregister 54/1944 Anatol Slusar; StaH 131-1 II, 518 Listen der während des Zweiten Weltkrieges in Hamburg verstorbenen und beigesetzten ausländischen Zivilarbeiter, S. S. 75, S. 270; StaH 131-1 II, 519 Listen der von 1940 in Hamburger Krankenhäusern behandelten Ausländer, nach Nationalitäten geordnet, S. 162; StaH 332-5 Standesämter, Sterberegister 9951 u. 498/1944 Anatol Slusar; StaH 332-5 Sterbefallsammelakten, 64351 u. 498/1944 Anatol Slusar; StaH 332-8, A 48 Alphabetische Meldekartei der Ausländer 1939-1945; Archiv Friedhofsverwaltung Ohlsdorf Buch D, S. 94/365; ITS Archives, Bad Arolsen, Copy of Krankenhausliste Frauenklinik Finkenau 2.1.2.1 / 70646042, 2.1.2.1 / 70646061, Sterbeurkunde 2.2.2.4 / 77103275 Anatol Slusar; www.straty.pl/index.php/en/szukaj-w-bazie, eingesehen 10.07.2017; www.zwangsarbeit-in-hamburg.de, eingesehen 17.2.2016.
*StaH 221-11 Entnazifizierungsakte, Ed 5670, Dr. med Otto Blumenthal (22.9.1914 Hamburg - 17.6.1982 Hamburg).
Dr. Otto Blumenthal arbeitete nach seinem Studium der Medizin in Hamburg ab 1939 als Assistenzarzt im Allgemeinen Krankenhaus Altona, von 1941-43 in der Pathologie im Krankenhaus Eppendorf und ab 1943 bis Kriegsende im Allgemeinen Krankenhaus Langenhorn. Dort soll er nach eigenen Angaben für zwei der „Ausländerbaracken“ zuständig gewesen sein. Nach Kriegsende kehrte er in die Pathologie Eppendorf zurück, 1946 wurde er dort Röntgenarzt, danach Facharzt für Chirugie und Urologie im Allgemeinen Krankenhaus Rissen, Suurheid 20. Er gehörte dem Reichsarbeitsdienst (RAD) von Mai-Oktober 1934 an, ansonsten keiner Nationalsozialistischen Organisation und fiel in die Kategorie der Unbelasteten. Sein Name ist als unterzeichnender Arzt in 82 Todesanzeigen der Kinder von Zwangsarbeiterinnen angegeben.
 

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Von Hamburger NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Zuschauer/innen ... Eine Hamburg Topografie.

NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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