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Siegfried Gruber

(9.5.1908 Bant, bei Wilhelmshaven – 4.11.1998)
Lehrer am Christianeum
Eppendorfer Baum 13 (Wohnadresse 1953)

Dr. Hans-Peter de Lorent hat über Siegfried Grube r ein Portrait verfasst, das in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz. Band. 3. Hamburg 2019 erschienen und im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg erhältlich ist. Hier der Text:

„Mein Eintritt in die SS am 1. Oktober 1933 erfolgte keineswegs aus Begeisterung für die NSDAP und ihre intoleranten Lehren.“
Auch Siegfried Grube r gehörte zur Gruppe der jungen Lehrer, die sich für das höhere Lehramt ausbilden ließen und in einer Zeit fehlender Stellen glaubten, durch die Mitgliedschaft in NS-Organisationen ihre Chancen auf eine Festanstellung verbessern zu können. Grube r trat deswegen der SS bei und beteuerte später seine Beweggründe und seine innere Distanz zum Nationalsozialismus. Leumundszeugnisse bestätigten dies. Möglicherweise gab es noch einen weiteren Grund für ihn, NS-Loyalität zu demonstrieren. Er war als Kind adoptiert worden und beim Nachweis seiner „Erbgesundheit“ gegenüber dem Rasse- und Siedlungshauptamt der SS gab es Probleme mit der „arischen Ahnenkette“ der unverheirateten leiblichen Mutter des leiblichen Vaters.
Siegfried Grube r wurde am 9.5.1908 in Bant, bei Wilhelmshaven, geboren. In seinem handschriftlichen Lebenslauf für die Hamburger Oberschulbehörde schrieb er am 12.8.1932, er sei der „Sohn des hamburgischen Damenschneidermeisters Edmund Albert Grube r und seiner Ehefrau, Anna Henriette Grube r, geborene Schmidt, beide evangelisch-lutherischer Konfession“.[1]
Als Siegfried Grube r, der am 1.10.1933 in die SS eingetreten war[2], sich vier Jahre später verloben und danach heiraten wollte, musste er sich der peniblen Prozedur des Erbgesundheits-Nachweises unterziehen und die Ahnentafel von sich und seiner zukünftigen Frau lückenlos vorlegen. Das war verbunden mit einem handgeschriebenen Lebenslauf, in dem er seine Herkunft präziser benennen musste. Er schrieb, dass er „als unehelicher Sohn der Artistin Elsa Goehringer und des derzeitigen Leutnants Hermann Julius Bergeré geboren“ wurde. „Da mein Vater als kaiserlicher Offizier meine Mutter nicht heiraten konnte, leistete er nur die üblichen Unterhaltszuschüsse, während meine Mutter mich in Pflege gab, da sie mich als Artistin nicht mit auf Reisen nehmen konnte. Mit vier Jahren kam ich schließlich nach Hamburg zu Bekannten meiner Mutter, die mich im Sommer 1913 endgültig adoptierten.“[3]
Diese Lebensgeschichte und die Schwierigkeit, das uneheliche Kind einer nicht verheirateten jungen 18-jährigen Artistin zu sein, deren Großmutter mütterlicherseits 1862 in Sankt Petersburg geboren war, wofür Siegfried Grube r nur eine Geburtsurkunde in kyrillischer Schrift beibringen konnte, war schon schwierig zu jener Zeit in der SS. Hinzu kam die Bescheinigung des deutschen Generalkonsuls in Leningrad vom 19.8.1936, der feststellte: „Vermerke über das Glaubensbekenntnis werden von den jetzt für die Ausfertigung derartiger Urkunden ausschließlich zuständigen sowjetischen Behörden zur Beurkundung des Personenstandes in die Auszüge nicht aufgenommen. Aus der Tatsache, dass die Geburt in dem oben bezeichneten Kirchenbuch beurkundet war, geht jedoch einwandfrei hervor, dass Amalie Maximiliane Holst christlichen Glaubens war.“[4]
Siegfried Grube r wird in diesen Zeiten nicht wohl gewesen sein bei den Recherchen zu seiner familiären Herkunft. Und nachvollziehbar ist, dass er in Kenntnis der festgestellten Tatsachen in der NS-Zeit daran interessiert war, nicht weiter negativ aufzufallen.
Er wuchs also bei seinen Adoptiveltern auf, besuchte von 1915 bis 1918 die Realschule Seilerstraße, um danach auf die Thaer-Oberrealschule vor dem Holstentor zu wechseln, wo er Ostern 1927 die Reifeprüfung bestand. Danach begann er ein Studium der Germanistik, Romanistik und Geschichte an der Universität in Hamburg, mit jeweils einem Semester an den Universitäten in Wien und Paris.[5]
Am 22.7.1932 bestand er das erste Staatsexamen für das höhere Lehramt. Prüfungsvorsitzender war Oberschulrat Wilhelm Oberdörffer und zur Prüfungskommission gehörte auch der später emigrierte jüdische Prof. Ernst Cassirer.[6]
Den Vorbereitungsdienst absolvierte Siegfried Grube r an der Oberrealschule auf der Uhlenhorst, der Lichtwarkschule und der Oberrealschule Eppendorf. Am 30.9.1934 bestand er auch die zweite Lehrerprüfung, erneut mit OSR Wilhelm Oberdörffer als Vorsitzenden und Alfred Kleeberg in der Prüfungskommission.[7]
Siegfried Grube r wurde danach zum 1.10.1934 als Hilfslehrer an der Oberrealschule Eppendorf eingestellt, aber es dauerte noch bis zum 1.6.1937, bis er eine feste Assessorenstelle am Christianeum in Altona erhielt. Dafür sorgte der für Altona zuständige Stadtrat Hermann Saß.[8]
Die Einstellungssituation an den höheren Schulen in Hamburg war schwierig. Da war es hilfreich, auf die Mitgliedschaft in nationalsozialistischen Organisationen verweisen zu können, insbesondere wenn die verantwortlichen Personalreferenten so fanatische Nationalsozialisten waren wie Hermann Saß. Siegfried Grube r war seit dem 1.10.1933 Mitglied der SS (Mitgliedsnummer 136.718) und kurz vor seiner Übernahme am Christianeum am 1.5.1937 in die NSDAP eingetreten.[9]
Bei seiner Zuordnung zum Kollegium des Christianeums verfolgte Hermann Saß das Kalkül, an dieser Schule, an der vor 1933 starke demokratische Persönlichkeiten gewirkt hatten, die Gruppe der Nationalsozialisten zu stärken. Über den Effekt habe ich in der Biografie Ernst Köhler in diesem Band ausführlicher geschrieben.[10]
Die größte Schwierigkeit für Siegfried Grube r bestand zu dieser Zeit darin, die notwendigen Unterlagen für das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS zu beschaffen, um seine Erbgesundheit und die seiner zukünftigen Frau zu belegen. Dies gelang nicht rechtzeitig und so bekam der SS-Rottenführer Siegfried Grube r am 10.9.1937 vom Chef des Sippenamtes in Berlin ein Schreiben, in dem es hieß:
„Die Verlobung und Heirat mit Fräulein Ilse Thielemann, Hamburg, wird Ihnen hiermit auf eigene Verantwortung freigegeben, da eine ordnungsgemäße Prüfung des Gesuches auf Erbgesundheit und Abstammung nicht erfolgen konnte. Die Vorfahren stammen zum Teil aus dem Auslande. Die erforderlichen Urkunden sind von dorther zur Zeit nicht zu beschaffen. Sie sind verpflichtet, die fehlenden Unterlagen nachzureichen, sobald eine Anforderung von Urkunden aus den betreffenden Staaten wieder erfolgen kann bzw. darf.“[11]
Siegfried Grube r hatte vorher dem Rasse- und Siedlungshauptamt der SS schreiben müssen, welche Forschungsschwierigkeiten sich für ihn auftaten:
„Nach Familienüberlieferung kam mein Ururgroßvater Jean Bergeré als Emigrant während der französischen Revolution auf einem eigenen Kahn nach Deutschland. Aus welchem Ort er kam und wo er überall auf dem Rhein anlegte, ist unbekannt. Ebenso der Ort, wo er seine deutsche Frau, Maria Koch, heiratete. Frauen dieses Namens gibt es aus der Zeit im Rheinland unzählige. Ob der Sohn aus dieser Ehe, der spätere Schreinermeister und Bürger in Vallendar, wirklich in Koblenz geboren wurde, ist fraglich, jedenfalls war ja ein Eintrag nicht zu finden, was bei dem unsteten Wohnsitz auf dem Kahn nicht weiter verwunderlich ist. Jedenfalls sind wir hier mit den Quellen am Ende.“[12]
Für Siegfried Grube r, der unter anderem Geschichte studiert hatte, gestaltete es sich nicht leichter, Unterlagen über die Ahnen mütterlicherseits zu beschaffen:
„Die in Leningrad angeforderte Heiratsurkunde ist inzwischen eingelaufen. Leider enthält sie keinerlei Angaben über das Alter oder den Geburtsort der Braut, so dass ich auch hier nicht weiter komme. Eintragungen vor 1933 sind in St. Petersburg überhaupt nicht mehr vorhanden. Meine Mutter weiß noch aus Andeutungen ihrer verstorbenen Mutter, dass ihre Großmutter Jürgens nach dem Tode ihres Mannes als Erzieherin auf russische Güter gegangen ist; seitdem blieb sie verschollen.“[13]
Das war sicherlich eine nicht zufriedenstellende Last für Siegfried Grube r. Andere Unterlagen konnten beigebracht werden, so die ärztlichen Zeugnisse über seinen Gesundheitszustand und den seiner zukünftigen Frau. Dafür wurden in der Regel SS-Ärzte konsultiert. Und es musste auch Zeugnis abgelegt werden über die Charaktereigenschaften der zukünftigen Braut. Dafür hatte die SS einen Fragebogen-Vordruck, der im Falle von Else Thielemann von dem Kaufmann Emil Cassuhn ausgefüllt wurde, der zu seiner Glaubwürdigkeit noch dokumentierte, SA-Verwaltungs-Obertruppführer in Hamburg zu sein. Die zu beantwortenden Fragen lauteten unter anderem:
„Ist die zukünftige Braut zuverlässig oder unzuverlässig?
Kinderlieb oder nicht kinderlieb?
Kameradschaftlich oder herrschsüchtig?
Sparsam oder verschwenderisch?
Häuslich oder flatterhaft, putzsüchtig?
Ist die Familie wirtschaftlich oder unwirtschaftlich?
Sind ihnen in der Familie und bei den weiteren Vorfahren Geisteskrankheiten, Nervenleiden, Tuberkulose oder sonstige schwere Erkrankungen bekannt?
Sind Selbstmorde oder Selbstmordversuche vorgekommen?
Hat die zukünftige Braut und ihre Familie sich für die nationalsozialistische Erhebung eingesetzt oder sind sie heute zuverlässige Verteidiger der nationalsozialistischen Weltanschauung?
Halten Sie die zukünftige Braut als Frau eines SS-Angehörigen geeignet?
Sind Ihnen sonstige hervortretend gute oder auffallend schlechte Eigenschaften der Braut bekannt?“[14]
Bei dieser gesamten Prozedur mussten ein SS-Mann und seine zukünftige Frau eigentlich wissen, welchen Charakter und Geist diese Organisation hatte.
Die Ehe wurde dann auf eigene Verantwortung vollzogen, Siegfried Grube r und seine Frau Else bekamen in der Folge zwei Söhne (1941 und 1944).[15]
Das Wirken von Siegfried Grube r an der Schule war unspektakulär. Eine feste Anstellung erhielt er erst in Abwesenheit. Per Feldpost (0151213) teilte der Präsident der Landesunterrichtsbehörde, Karl Witt, ihm am 13.4.1940 mit, zum Studienrat befördert worden zu sein.[16]
Grube r hatte schon 1937/38 militärische Übungen absolviert, um sich zum Unteroffizieranwärter ausbilden zu lassen. Seit dem 28.8.1939 war er bei der Wehrmacht, Unteroffizier, Marineinspektor, Leutnant und Funkoffizier.[17] Am 8.5.1945 geriet er in Italien in Kriegsgefangenschaft und kam in verschiedene Internierungslager.[18]
Am 4.11.1947 wurde Siegfried Grube r „nach eingehender Überprüfung und Vernehmung durch Beamte der britischen Militärregierung aus dem Internierungslager Neuengamme entlassen“.[19]
In seinem langen Entnazifizierungsfragebogen hatte Siegfried Grube r wahrheitsgemäß seine Mitgliedschaften in der SS und der NSDAP angegeben, außerdem war er dem NSLB 1935 beigetreten und der NSV 1938.[20]
Er gab dazu im Fragebogen folgende Erklärung ab:
„Mein Eintritt in die allgemeine SS im November 1933 erfolgte nicht aus reifer politischer Erkenntnis, sondern als einfache Loyalitätserklärung dem neuen Staate gegenüber, der ein solches äußerliches ‚Bekenntnis‘ von den jungen Beamtenanwärtern verlangte. Als Sohn völlig verarmter Adoptiveltern stand ich unter schwerem wirtschaftlichen Druck.“[21]
In einem Schreiben an die Hamburger Schulbehörde vom 19.11.1947 hatte Grube r seine Beziehung zur SS noch ausführlicher begründet:
„Mein Eintritt in die SS am 1. Okt. 1933 erfolgte keineswegs aus Begeisterung für die NSDAP und ihre intoleranten Lehren. Als Adoptivsohn eines kleinen Handwerkers, der sein Leben lang seine Wahlstimme der SPD gegeben hatte (mein Vater verstarb 1941), war mir der brutale, diktatorische Zug der Hitler-Bewegung weit eher verdächtig als sympathisch. Als jedoch nach der ‚Gleichschaltung von Partei und Staat‘ alle amtlichen und halbamtlichen Stellen einen unerhört starken Druck insbesondere auf die jungen Beamtenanwärter ausübten und als Voraussetzung für jede spätere Anstellung aktive Mitarbeit in einer der beiden halb militärischen Parteiformationen verlangten, glaubte ich, dem neuen Staat, der über die Hälfte aller Deutschen für sich gewonnen zu haben schien, eine solche Loyalitätserklärung nicht mehr verweigern zu dürfen. Zugleich stand ich damals unter schwerem wirtschaftlichen Druck. Meine Adoptiveltern hatten zur Beendigung meines Studiums Geld aufnehmen müssen, zu dessen baldiger Rückzahlung ich verpflichtet war. Wenn ich damals – als 25-jähriger Studienreferendar – der SS und nicht der SA beitrat, so deshalb, weil die SS in Hamburg bis dahin weniger im politischen Kampf hervorgetreten war und der ‚weniger wilde Haufen‘ zu sein schien. Ein grundsätzlicher Unterschied war damals zwischen den beiden Organisationen allerdings noch nicht zu erkennen. Irgendeine Rolle habe ich in der Folgezeit im SS-Sturm 4/28, dem ich bis zum Kriegsausbruch angehörte, nicht gespielt. Zwar wurde ich, da kein weiterer Lehrer in der Einheit vorhanden war, ganz ohne mein Zutun zum ‚Sturmschulungsmann‘ erklärt, aber alle Schulungsarbeit wurde ausschließlich von den Sturmbann- und Standartenschulungsleitern durchgeführt. Wer nicht ‚Alter Kämpfer‘ war, konnte solches Amt, das zum Aufstieg in die Führerränge berechtigte, nur durch den Besuch von SS-Schulungslagern erwerben, was ich jedoch durch stetigen Hinweis auf berufliche Unabkömmlichkeit zu vermeiden wusste. Den Dienstgrad eines Unterscharführers erhielt ich nicht wegen irgendwelcher Verdienste, sondern termingemäß nach vierjähriger Mitgliedschaft.
Als im Jahre 1936 die allgemeine Wehrdienstpflicht eingeführt wurde, hieß es sehr bald, dass die militärische Ausbildung der SS-Angehörigen von den SS-Totenkopfverbänden übernommen werden sollte. Da diese Truppe in erster Linie die Fachverbände für die Konzentrationslager zu stellen hatte, war sie mir besonders zuwider. Ich meldete mich daher vorsorglich zur kurzfristigen Ausbildung bei der Artillerie des Heeres, wo ich denn auch bei Kriegsbeginn sofort eingezogen wurde. 1940 wurde ich zur Marine versetzt. Als dann 1941 der Reichsführer-SS von den drei Wehrmachtsteilen die Überstellung aller ehemaligen Angehörigen der Allg. SS zur Waffen-SS verlangte, ließ ich mich von meiner Einheit zum ‚Spezialisten‘ erklären und konnte mich so der Erfassung entziehen. Ganz abgesehen von der ablehnenden Haltung, die ich inzwischen dem Hitler-Staat gegenüber gewonnen hatte, befürchtete ich damals, dass im Augenblick des deutschen Zusammenbruchs eine Revolution entstehen und die Waffen-SS als politisch-militärische Leibgarde des Diktators eingesetzt werden könnte. Ich blieb daher bis zum Kriegsende bei der Marine.“[22]
Im Weiteren berichtete Siegfried Grube r von den Anwerbungsversuchen, als Lehrer zu den Nationalpolitischen Anstalten (Napolas) zu wechseln:
„Als 1939 die dem SS-Amt Obergruppenführer Heissmeyer (Berlin) unterstellten ‚Nationalpolitischen Erziehungsanstalten‘ erheblich vermehrt werden sollten, wurden alle Lehrer der Höheren Schulen, welche Angehörige der SS waren, aufgefordert, sich zur Mitarbeit an den ‚Napolas‘ zur Verfügung zu stellen. Da ich den uniformierten Drillbetrieb im Stile preußischer Kadettenanstalten jedoch ablehnte, vermochte ich nicht, meine Einwilligung zur Versetzung an eine solche Anstalt zu geben. Von 1939 bis 1944 versuchte die Berliner SS-Leitung der Napolas wiederholt mich umzustimmen, doch fand ich immer neue Ausflüchte. Leider ist mir dieser sehr wichtige Briefwechsel 1945 bei der Gefangennahme in Italien abgenommen worden, und das Entnazifizierungsamt der Stadt Berlin hat sich bisher geweigert, mir Abschriften auszuhändigen.“[23]
Grube r legte den Durchschlag seiner Anfrage an die Dokumentenzentrale Berlin seinem Schreiben an die Schulbehörde bei. Die Entnazifizierungskommission beim Magistrat der Stadt Berlin hatte am 29.4.1947 allerdings abschlägig geantwortet:
„Die Entnazifizierungskommissionen sind nicht berechtigt, einem Appellanten irgendwelches Beweismaterial zu verschaffen. Das ist Ihre eigene Aufgabe bzw. diejenige der dortigen Spruchkammer. Weisen Sie bei ihrer Antragstellung lediglich darauf hin, dass Sie während des Jahres 1939–44 einen Schriftwechsel mit dem sogenannten Reichsführer-SS Hauptamt unterhielten.“[24]
Zum Schluss gab Siegfried Grube r noch eine interessante und für ihn entlastende Information weiter:
„Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass ich während der Jahre der Gefangenschaft und Internierung in den Lagern Rimini, Auerbach, Regensburg und Neuengamme jede Gelegenheit wahrgenommen habe, mich beruflich zu betätigen. Im Lager Regensburg zum Beispiel erteilte ich im Rahmen eines Abiturientenlehrganges für Kriegsteilnehmer Deutsch-, Französisch- und Geschichtsunterricht. Alle 14 Schüler bestanden vor der Oberschule Regensburg ihr Examen. Anschließend bereitete ich 16 Internierte ohne weitere Unterstützung auf die große französische Dolmetscherprüfung vor. Daneben hielt ich zahlreiche Vorträge über Dichter und Dichtung der Weltliteratur und wirkte bei der Gestaltung fast aller Feierstunden mit. Im Rahmen einer von mir geleiteten literarischen Arbeitsgemeinschaft, welche über 100 Mitglieder zählte, konnte ich durch regelmäßige Buchbesprechungen und Leseabende insbesondere Verständnis für die im Hitlerreich kaum beachtete Literatur des Auslandes erwecken. Dem im gleichen Lager gegründeten ‚Aktionsausschuss für demokratische Umerziehung‘ gehörte ich als aktives Mitglied an. In Anbetracht der hier erwähnten Umstände, die ich im wesentlichen bereits bei der Vernehmung durch britische Militärbeamte im Internierungslager Neuengamme vorbringen und belegen konnte, wurde dort meine provisorische Einstufung in die Kategorie V verfügt.“[25]
Die Tatsache, dass Siegfried Grube r zweieinhalb Jahre in Internierungslagern verbracht hatte, wurde sicherlich schon als eine Art Sühnemaßnahme angesehen. Da er seine Lageraktivitäten aber auch belegen konnte, vermittelte er den Eindruck, dass es sich hier nicht um die übliche Beschönigungsrhetorik handelte, sondern um eine ernsthafte Entwicklung und tatkräftige Hilfe bei der demokratischen Fortbildung von Gefangenen in den jeweiligen Internierungs- und Arbeitslagern.[26]
Siegfried Grube r konnte auch von drei ehemaligen Kollegen des Christianeums, die als Nazigegner bekannt waren, Leumundszeugnisse beibringen. So schrieb der ehemalige Kollege Walther Gabe:
„Herr Studienrat Siegfried Grube r ist mir seit Ostern 1938 bekannt. Im kollegialen Verkehr hat er sich niemals irgendwie politisch aufgedrängt. Trotzdem ich eine jüdische Großmutter gehabt habe und deshalb Anfeindungen ausgesetzt war, hat Herr Grube r diese Notlage niemals gegen mich ausgenutzt. Mein Eintreten zugunsten von Herrn Grube r dürfte von besonderer Wirkung sein, weil ich als nicht Pg. und wegen meiner Abstammung selber ein Opfer der Nazis wurde und Februar 1943 urplötzlich aus dem Unterricht gerissen und zum Schreiberdienst in der Verwaltung degradiert wurde. Dort musste ich bis zum Zusammenbruch aushalten.“[27]
Der neue Schulleiter am Christianeum, Dr. Otto Stadel, urteilte über Grube r:
Grube r gehörte zu jener Gruppe von Nationalsozialisten, die man als Opfer der Nazipropaganda anzusehen hat. Wenn er auch Mitglied der SS war, so war er doch nicht der Verbrechen fähig, deren diese Organisation sich schuldig gemacht hat. Er kannte meine Einstellung, die ich als Mann, der der Partei nicht angehörte, hatte; ich brauchte jedoch nicht zu fürchten, dass er jemals zu einer Denunziation, zu der meines Wissens die SS verpflichtet war, greifen würde. Ich kann mich nicht erinnern, Grube r in SS-Uniform in der Schule gesehen zu haben. Es ist allgemein aufgefallen, als Grube r aus freien Stücken an einer christlichen Weihnachtsfeier der Schule teilnahm.“[28]
Und auch Oberschulrat Heinrich Schröder gab eine eidesstattliche Erklärung für seinen ehemaligen Kollegen ab:
„Ich weiß, dass Herr Grube r Mitglied der SS war, habe aber nie bemerkt, dass er während des Unterrichts und in der Schule sich aktiv im nationalsozialistischen Sinne betätigt hat.“[29]
Der Beratende Ausschuss unter Vorsitz von Johann Helbig reagierte am 22.11.1947:
„Wir folgen den Gutachten der Kollegen am Christianeum und halten ihn nicht für einen Aktivisten, eher schon, wie Herr Direktor Stadel ausführt, für ein Opfer der NS-Propaganda. In der Unterhaltung machte er einen sehr günstigen Eindruck. Wir befürworten seine Wiedereinstellung.“[30]
Der Fachausschuss schloss sich am 19.12.1947 diesem Gutachten an.[31]
Zum 1.4.1948 konnte Siegfried Grube r seinen Dienst wieder antreten. Er kam an die Schule, an der er selbst Schüler gewesen war, an die Albrecht-Thaer-Schule. Auch dort entpuppte er sich als einsatzbereiter und motivierender Lehrer „mit sehr guten Unterrichtserfolgen auf allen Stufen“. Schulleiter Wigalis lobte Grube rs besonderes Engagement bei der Einrichtung der Schulbühne und die Verwaltung der umfangreichen Lehrerbücherei. Außerdem habe Siegfried Grube r seine Französischkenntnisse weiterentwickelt und sei Pionier bei der „methodischen Verwendung des Tonbandgerätes für den Sprachunterricht“. Darüber hinaus betreute Siegfried Grube r die Referendare der Schule, was jeweils zum Anlass für eine Beförderung zum Oberstudienrat genommen wurde.[32]
Da auch Oberschulrat Karl Wagner seine Beförderung unterstützte, wurde Grube r am 1.4.1961 Oberstudienrat und erhielt 1965 eine Zulage von 132 DM, weil keine A 15 Stelle vorhanden war, auf die er befördert werden sollte.[33]
Am 13.12.1970 stellte Grube r den Antrag, aus gesundheitlichen Gründen mit 62 Jahren in den Ruhestand versetzt zu werden. Dies geschah dann zum 1.4.1971.[34]
Siegfried Grube r starb am 4.11.1998, mit 90 Jahren.[35]
Grube rs Ehefrau Else, 1916 geboren, lebte noch bis zum 6.9.2011.[36]
Da war die SS schon seit 66 Jahren als verbrecherische Organisation aufgelöst.
Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen
1 Personalakte Siegfried Grube r, StA HH, 361-3_Nr. 4997, Ablieferung 13.11.2015.
2 Entnazifizierungsakte Grube r, StA HH, 221-11_Z 6569
3 SS-Akte von Siegfried Grube r, BArch R 9361-III_60580
4 Bescheinigung des deutschen Generalkonsuls in Leningrad vom 19.8.1936, Personalakte a. a. O.
5 Personalakte a. a. O.
6 Prüfungszeugnis vom 22.7.1932, Personalakte a. a. O.
7 Zeugnis über die pädagogische Prüfung, Personalakte a. a. O. Siehe die Biografie Wilhelm Oberdörffer, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 1, Hamburg 2016, S. 528 ff.
8 Personalakte a. a. O. Siehe die Biografie Hermann Saß, in: de Lorent 2016, S. 178 ff.
9 Entnazifizierungsakte a. a. O.
10 Siehe die Biografie Köhler in diesem Band und die Biografie des damaligen Schulleiters des Christianeums, Hermann Lau, in: de Lorent 2016, S. 323 ff.
11 Personalakte a. a. O.
12 Schreiben von Siegfried Grube r vom 17.8.1937 an das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS, SS-Akte a. a. O.
13 Ebd.
14 Ebd.
15 Personalakte a. a. O.
16 Personalakte a. a. O.
17 Personalakte a. a. O.
18 Personalakte a. a. O.
19 Schreiben von Siegfried Grube r vom 19.11.1947 an die Schulbehörde in Hamburg, Entnazifizierungsakte a. a. O.
20 Entnazifizierungsakte a. a. O.
21 Zwölfseitiger Entnazifizierungsfragebogen vom 13.11.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
22 Schreiben von Siegfried Grube r vom 19.11.1947 an die Schulbehörde in Hamburg, Entnazifizierungsakte a. a. O.
23 Ebd.
24 Schreiben vom 29.4.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
25 Schreiben von Siegfried Grube r vom 19.11.1947 an die Schulbehörde in Hamburg, Entnazifizierungsakte a. a. O.
26 Bestätigungen aus den Lagern Regensburg und Auersbach vom 12.9.1947, 16.9.1947 und 8.6.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
27 Schreiben vom 3.5.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O. Siehe auch die zahlreichen Angaben zu Walther Gabe in den Biografien Paul Dittmer (S. 268 ff.), Adolf de Bruyker (S. 310 ff.) und Hermann Lau (S. 323 ff.), in: de Lorent 2016.
28 Schreiben vom 1.2.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
29 Schreiben vom 3.2.1947 Entnazifizierungsakte a. a. O.
30 Beratender Ausschuss vom 22.11.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
31 Fachausschuss vom 19.12.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
32 Beurteilung von 5.6.1960, Personalakte a. a. O.
33 Personalakte a. a. O.
34 Personalakte a. a. O.
35 Personalakte a. a. O.
36 Personalakte a. a. O.
 

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Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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