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Hans-Hermann Langhein

(11.7.1913 Hamburg – 24.12.1999)
HJ-Funktionär, Schulleiter des Gymnasiums Wartenau ab 1960
Marienthaler Straße 164 (Wohnadresse 1955)

Hans-Peter de Lorent hat über Hans-Hermann Langhein ein Portrait verfasst, das in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz. Band. 3. Hamburg 2019 erschienen und im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg erhältlich ist. Hier der Text:  
„Ich begann, mich mit dem Programm der NSDAP zu beschäftigen und kam damals zu der Überzeugung, dass das deutsche Volk mit dem Nationalsozialismus die Weltkriegsfolgen überwinden könne.“

Ein spezieller Fall ist der 1913 geborene Hans-Hermann Langhein, der 1933 an der Gelehrtenschule des Johanneum das Abitur machte, HJ-Funktionär war bis 1945, Kommissarischer Bannführer der HJ, parallel dazu ein Studium für das höhere Lehramt absolvierte und nach dem Examen 1939 weiter hauptamtlich für die Hitlerjugend arbeitete und in den Krieg zog. 1945 geriet er in englische Gefangenschaft, wurde danach in ein Internierungslager überführt und arbeitete seit der Entlassung aus dem Internierungslager als Holzfäller. Die Entnazifizierungsausschüsse mussten 1948 entscheiden, ob Langhein seine Lehrerausbildung in einem Studienseminar fortsetzen durfte.
Hans-Hermann Langhein wurde am 11.7.1913 in Hamburg geboren. Sein Vater, Hans Langhein[1], war zu diesem Zeitpunkt Volksschullehrer in Hamburg und seit 1925 technischer Lehrer (Sportlehrer) an der Gelehrtenschule des Johanneums. Wie sein Vater besuchte auch Hans-Hermann Langhein erst die Seminarschule in der Binderstraße 34 (von 1920 bis 1924), an der Vater Langhein zu dieser Zeit auch Lehrer war. Danach wechselte Hans-Hermann Langhein auf die Realschule Alstertal und danach auf das Johanneum, wo inzwischen auch der Vater tätig war.[2]
Dort bestand Langhein am 16.2.1933 die Reifeprüfung. Der Prüfungskommission gehörten die späteren Schulleiter und Nationalsozialisten Werner Puttfarken und Erwin Zindler an.[3] Deutschlehrer Zindler bestätigte ihm „eine außerordentlich rege Mitarbeit, außergewöhnlich klares Denken aus dem Stegreif und eine schwungvolle gewandte Ausdrucksfähigkeit in Wort und Schrift. Auch verfügt er über eine besondere Begabung im edlen Vortrag von Gedichten.“[4] Langhein begann danach an der Universität Hamburg ein Studium für das Lehramt an höheren Schulen mit den Hauptfächern Leibesübungen und Geschichte und dem Nebenfach Deutsch. Sein Studium dauerte ungewöhnlich lange und wurde erst im November 1939 abgeschlossen. Hauptgrund dafür war, dass Langhein seit dem 1.1.1935 schwerpunktmäßig bei der Hitlerjugend arbeitete und am Ende dort als kommissarischer Bannführer fungierte.[5] Er selbst beschrieb seinen Lebenslauf retrospektiv am 22.6.1948 folgendermaßen:
„Vom 1.10.1935 bis 30.6.1936 unterbrach ich das Studium, um auf Anregung der Universität bei der Marine-Artillerie-Abt. Wilhelmshaven einer neunmonatigen freiwilligen Dienstverpflichtung zu genügen. Im Juli 1937 bestand ich die Vorprüfung für Lehrer der körperlichen Erziehung im staatlichen Prüfungsamt Berlin (Neustrelitz) mit der damit verbundenen Berechtigung, als Sportlehrer im freien Beruf tätig zu sein. Im Verlaufe meines weiteren Studiums war ich bis 1939 bei verschiedenen Hamburger Firmen und finanzierte damit mein restliches Studium. Bei Ausbruch des Krieges hatte ich meine schriftlichen Arbeiten für das Staatsexamen abgeschlossen. Am 3.9.1939 erfolgte meine Einberufung zum Wehrdienst. Im November 1939 erhielt ich von der Truppe einen zehntägigen Prüfungs- und Heiratsurlaub. Am 19. November 1939 hatte ich das Staatsexamen für das höhere Lehramt bestanden. Nach Beendigung des Examens kehrte ich zur Truppe zurück. Am 1.5.1941 wurde ich zum Leutnant der Reserve befördert. Zum Ende des Krieges war ich Leutnant und Bataillons-Adjutant in einem Marine-Festungs-Bataillon, geriet am 2.5.1945 in Holland in englische Kriegsgefangenschaft, wurde am 20.4.1946 in die Internierung überführt und am 20.12.1946 entlassen.“[6]
Das sechs Jahre dauernde Studium zeigte, dass Hans-Hermann Langhein schwerpunktmäßig als Funktionär für die Hitlerjugend arbeitete, wofür er ein Sportlehrerexamen gut gebrauchen konnte. In seinem Lebenslauf schrieb er 1948:
„Meine Arbeit in der Hitlerjugend entsprang meinem Glauben an die Richtigkeit des Nationalsozialismus. Von den in den Konzentrationslagern begangenen Verbrechen habe ich niemals die geringste Kenntnis gehabt, wie ich überhaupt als HJ-Führer mit der Gestapo, dem SD oder ähnlichen Einrichtungen niemals in Berührung kam. Bei der Überprüfung meiner politischen Vergangenheit bitte ich daher in Betracht zu ziehen, dass ich stets im guten Glauben handelte und mir die Erziehung der Jugend als der für mich entscheidende Lebensberuf gegolten hat und heute noch gilt.“
Zu seiner politischen Entwicklung führte er an:
„Bis zum Abschluss meiner Schulzeit hatte ich mich mit Politik nicht beschäftigt. Bei meiner Schulentlassung war die Machtübernahme durch den Nationalsozialismus vollzogene Tatsache. Ich begann, mich mit dem Programm der NSDAP zu beschäftigen und kam damals zu der Überzeugung, dass das deutsche Volk mit dem Nationalsozialismus die Weltkriegsfolgen überwinden könne. Aus dieser Überzeugung heraus wurde ich am 1.5.1933 zunächst SA-Anwärter. Da ich jedoch Lehrer werden wollte, hielt ich es für notwendig, mich mit der Jugenderziehung der NSDAP vertraut zu machen und wurde am 1.5.1935 Mitglied des Deutschen Jungvolkes. Aufgrund meiner sportlichen Interessen arbeitete ich im Jungvolk zunächst als Sportreferent, ging dann aber auch in die Einheitenarbeit hinein, um von unten herauf alle Dienstarten kennenzulernen.“
Das gelang Langhein ziemlich schnell. Jedes Jahr wurde er bei der Hitlerjugend befördert. „Am 1.8.1939 übernahm ich hauptamtlich den Jungbann 421 unter der Einschränkung, dass ich nach einer gewissen Zeit in den Schuldienst übertreten wollte. Durch den Krieg kam es jedoch nicht dazu. Ohne mein Wissen wurde ich am 1.2.1941 durch das OKW nach Hamburg befohlen und stellte hier fest, dass ich durch die HJ uk-gestellt war. Ich übernahm die Führung des Bannes 421 als K-Bannführer bis zum 1.12.1943. Im ersten Halbjahr 1944 war ich wegen einer schweren Magenerkrankung dienstunfähig, von meiner Wiederherstellung an im Juni arbeitete ich innerhalb der Hamburger Gebietsführung in der Schulung, der KLV und der Einheiteninspektion, vor allem aber im Bereich der Jugendbuch-Literatur, da ich auf diesem Gebiet meine Doktor-Arbeit zu verfassen gedachte. Ich wurde daher auch auf eigenen Wunsch in den Monaten Juli, August und September 1944 von der Hamburger Gebietsführung zu diesen Arbeiten nach der Reichsjugendbücherei der Reichsjugendführung entsandt. Seit Oktober 1944 hielt ich mich wieder in Hamburg auf, hatte jedoch keine Dienststellung mehr inne, da meine uk-Stellung aufgehoben worden war und ich meine Wiedereinberufung zum Wehrdienst erwartete.“[7]
Hans-Hermann Langhein war auf eine Karriere bei der Hitler-Jugend eingestellt, der Krieg verhinderte dieses, weil er anders ausging, als erhofft. Tragisch für Langhein, dass er kurz nach Wiedereintritt in die Wehrmacht in Gefangenschaft geriet.
Langhein war 1937 aus der Kirche ausgetreten. Als Begründung gab er an: „Aus der evangelisch-lutherischen Kirche ausgetreten, weil gottgläubig.“[8]
Langhein glaubte an Adolf Hitler und trat zum 1.5.1937 in die NSDAP ein.[9]
Auch wenn es keine Sippenhaft gibt, sollte an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass Langheins Vater, Hans Langhein, NSDAP-Ortsgruppenamtsleiter gewesen war, einer der unangenehmsten Nationalsozialisten an der Gelehrtenschule des Johanneums.[10] Auch die Mutter von Hans-Hermann Langhein war aktiv in der NS-Bewegung als Ortsfrauenschaftsleiterin. Als dem Vater nach 1945 vorgeworfen wurde, jüdische Schüler malträtiert und bei den Schülern des Johanneums Haarschnittkontrollen durchgeführt zu haben, gab er zu seiner Entlastung an:
„Ich soll eine ‚Haarschnittkontrolle‘ der Schüler des Johanneums vorgenommen haben. Diese Haarschnittkontrolle ist von dem damaligen Direktor des Johanneums, Dr. Puttfarken, im Einvernehmen mit der Hamburger HJ-Führung angesetzt und durchgeführt worden. Ich habe lediglich auf Anweisung von Dr. Puttfarken die Klassen in der Turnhalle aufgestellt und hatte für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Die Besichtigung wurde von Direktor Dr. Puttfarken und dem zuständigen Bannführer (das war mein ältester Sohn) vorgenommen.“[11]
Nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was Bannführer Langhein zu tun hatte. Wichtiger sicherlich seine Funktion als Inspekteur der Kinderlandverschickungslager.[12]
Hans-Hermann Langhein hatte also 1948 eine einjährige Kriegsgefangenschaft hinter sich und einen siebenmonatigen Aufenthalt in dem Internierungslager Staumühle bei Paderborn. Er war von dem Spruchgericht in Kategorie III eingruppiert worden und damit als NS-belastet gekennzeichnet.[13]
In seinem Lebenslauf hatte er vermerkt, nach seiner Entlassung aus dem Internierungslager am 1.2.1947 vom Arbeitsamt Hamburg als Holzfäller vermittelt worden zu sein, wobei er sich bei dieser Arbeit eine Fußverletzung zugezogen hatte und anschließend, am 1.7.1947, vom Arbeitsamt für fast zwei Jahre als Bote in einem Einzelhandelsgeschäft vermittelt wurde.[14]
Nunmehr bemühte er sich darum, seine Lehrerausbildung fortsetzen zu können. Dafür musste er in Hamburg entnazifiziert werden. Und hier trat wieder, wie auch schon bei seinem Vater Hans Langhein, der Oberstudienrat Dr. Hans Lorenz Lorenzen auf den Plan. Lorenzen, in der Weimarer Zeit ein deutschnationaler Oberlehrer, der von den Nationalsozialisten 1937 mit Hinweis auf seine jüdische Mutter als „Halbjude“ aus dem Schuldienst entlassen worden war, schrieb nach 1945 „Persilscheine“ für zum Teil sehr aktive und fanatische ehemalige Nationalsozialisten. Er war mit der Schwester der Ehefrau von Hans Langhein verheiratet, also der Schwager von Hans Langhein und der Onkel von Hans-Hermann Langhein, was Lorenzen allerdings in seinen „Persilscheinen“ nicht erwähnte. Wohl aber wies er darauf hin, niemals Mitglied der NSDAP gewesen und wegen seiner jüdischen Abstammung 1937 pensioniert worden zu sein. Das Verschweigen seiner Familienverbindung steigerte den Wert des Leumundszeugnisses. Lorenzen gutachtete:
„Ich habe Herrn Hans-Hermann Langhein 1939 bei seinen Vorbereitungen zum Staatsexamen in der Germanistik unterstützt. Dabei konnte ich feststellen, dass er den wissenschaftlichen Anforderungen, die man an einen zukünftigen Studienrat stellt, vollauf entspricht. Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung in der Ausbildung unseres pädagogischen Nachwuchses glaube ich berechtigt zu sein, ihm auch eine erfolgreiche Zukunft als Lehrer und Erzieher unserer Jugend prophezeien zu können. In den Jahren, als Herr L. K-Bannführer war, habe ich mich des öfteren über den menschlichen Erfolg seiner Arbeit informiert und immer nur Worte der Anerkennung gehört. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Herr L. sich durch extreme Ideologien und Vorschriften seiner Partei nicht hat beeinflussen lassen. Sonst hätte er gewiss nicht, als wir 1943 und 1944 ausgebombt wurden, mir, dem Halbjuden, und meiner Frau in aufopfernder Weise beigestanden. Er ließ es sich nicht verdrießen, in den regnerischen Novembertagen des Jahres 1944 das Dach unseres Hauses zu decken. Die Verpflichtung zur Hilfsbereitschaft ging ihm also über das Parteidogma. Darum gebe ich abschließend der Meinung Ausdruck, dass er ein brauchbares Mitglied der Hamburger Lehrerschaft werden wird, das enttäuscht von den Idealen seiner Jugend, umso eifriger am Aufbau eines neuen, besseren Deutschland mitarbeiten wird.“[15]
Dies war natürlich ein extrem geschickter Schachzug und eine entscheidende, verschleierte Familienhilfe, mit dem gewünschten Effekt.
So verwundert es auch nicht, dass der Beratende Ausschuss für die Entnazifizierung von Lehrern am 4.12.1948 unter Vorsitz von Johann Helbig entschied:
„Langhein ist als kommissarischer Bannführer schwer belastet. Er fällt auch nicht unter die Jugendamnestie, wenngleich er erst 1933 die Reifeprüfung bestand. Die beiden Gutachten seines Komp. Führers und unseres Kollegen Lorenzen sind für seine Entlastung wertvoll. Er hat bisher nur die Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen bestanden, ein Seminar hat er noch nicht besucht. Wir bitten den Fachausschuss, Langhein zu hören. Wir sind der Ansicht, man sollte ihn in ein Studienseminar aufnehmen und nach einem Jahr von den Ausbildern über seine politische weltanschauliche Bewährung einen Bericht einfordern.“[16]
Der Fachausschuss tagte dazu am 21.12.1948 und der Vorsitzende, Friedrich Wilhelm Licht, stellte fest: „Es bestehen keine politischen Bedenken, Langhein zum Studienseminar zuzulassen. Nach einem Jahr ist über seine Bewährung zu berichten. Die endgültige Entscheidung über seine Zulassung zum Lehrerberuf wird bis zu diesem Zeitpunkt ausgesetzt.“[17]
Bevor Langhein seine Lehrerausbildung fortsetzen konnte, musste er noch einmal einen Lebenslauf für die Schulbehörde schreiben, der in seine Personalakte einging. Darin schrieb er:
„Neben meiner damaligen ehrlichen Überzeugung von der Richtigkeit des nationalsozialistischen Wollens war es vor allem mein Wunsch nach möglichst frühzeitiger praktischer Erziehungsarbeit, der mich seinerzeit in die Hitlerjugend führte und dort dann meine ganze spätere Tätigkeit maßgeblich bestimmte. Nicht so sehr die politisch-weltanschauliche Arbeit als vielmehr allgemein-gültige Grundsätze der Jugenderziehung haben immer wieder im Vordergrund meiner Tätigkeit gestanden. Zudem hatte ich mir in der HJ immer die Möglichkeiten einer notwendigen und gesunden Kritik bewahren können. Ich vermochte daher in Anwendung dieser Kritik stets genügenden Spielraum zur Verwirklichung meiner eigenen Ansichten über Jugenderziehung zu gewinnen. Im August 1939 übernahm ich die Führung des Jungbannes 421 mit der damals auch schriftlich in meiner Personalakte festgelegten Einschränkung, dass ich nach einer gewissen Zeit in den Schuldienst übertreten wolle. Durch den Krieg kam es dann aber anders. Am 1.2.1941 wurde ich ohne mein Wissen und Wollen durch das OKW zurückgestellt und wurde K-Bannführer in Hamburg. 1944 wurde ich infolge einer schweren Magenerkrankung dienstunfähig. Im Juni 1944 einigermaßen wiederhergestellt, arbeitete ich innerhalb der Hamburger Gebietsführung in der Schulung, der Kinderlandverschickung und der allgemeinen Einheiteninspektion. Von Juli bis Mitte September 1944 wurde ich von der Gebietsführung auf eigenen Wunsch in die Reichsjugendbücherei entsandt, um dort auf dem Gebiet der Jugendbuchliteratur zu arbeiten. Ich hoffte, dort wichtige Unterlagen für eine geplante Doktorarbeit sammeln zu können. Am 1.1.1945 rückte ich dann erneut zur Kriegsmarine ein.
Wie ich im Verlaufe der Entnazifizierungsverhandlungen auch dem Beratenden Ausschuss gegenüber betonte, habe ich mit meinem Antrag auf politische Überprüfung bewusst so lange gewartet, bis ich selbst glaubte, die inneren Folgen des Zusammenbruchs von 1945 überwunden zu haben. Wenn ich eingangs erwähnte, dass meine politische Betätigung nicht dem Wunsch nach persönlichen Vorteilen entsprang, sondern meiner damaligen inneren Überzeugung, so darf ich heute ebenso aufrichtig bekennen, dass ich diese meine damalige innere Überzeugung seit 1945 einer immer wiederkehrenden Selbstkritik unterzogen habe. Ihr endliches Ergebnis veranlasste mich zu meinem Antrag auf Entnazifizierung in dem Bestreben, damit die Möglichkeit zurückzugewinnen, doch noch in jenen Beruf tätig zu sein zu können, der mir damals wie heute einen allein entscheidenden Lebensinhalt bedeutet.“[18]
Dieser lange Prozess der „immer wiederkehrenden Selbstkritik“ hätte Hans-Hermann Langhein zu Ehren gereicht, argwöhnisch könnte man allerdings vermuten, dass er mit seiner Belastung einer Kategorisierung III durch das Spruchgericht auf einen Zeitpunkt wartete, als die Entnazifizierung in eine „mildere Phase“ überging.
Hans-Hermann Langhein wurde also zum Studienseminar zugelassen und wusste, dass er insbesondere in Bezug auf seine politische Haltung genau beobachtet werden würde. Er absolvierte seinen Vorbereitungsdienst am Christianeum und an der Schlee-Schule in Altona. 1950 gingen die Gutachten der beiden Schulleiter in der Schulbehörde ein. Otto Stadel, Oberstudiendirektor der Schlee-Schule schrieb am 28.3.1950:
„Der Studienreferendar Langhein ist während seiner Ausbildung an der Schlee-Schule politisch nicht hervorgetreten. In Gesprächen über Jugenderziehung entwickelte er stets tolerante und liberale Auffassungen, die nirgends den früheren HJ-Führer erkennen ließen. Wenn im Geschichtsunterricht die nationalsozialistische Ideologie berührt wurde – der Unterricht in der 7. Klasse bot wenig Gelegenheit – hat er eindeutig dagegen Stellung bezogen, ohne dass irgendwie der Eindruck politischen Renegatentums hervorgerufen wurde. Unterrichtston und -gestaltung im Turnunterricht enthielten keinerlei Anklänge an überlebte militärische Formen, zeigten im Gegenteil, dass es L. vorbildlich versteht, die Schüler zu freier, selbständiger Arbeit anzuregen.“[19]
Und auch der Schulleiter des Christianeums, Dr. Gustav Lange, kam zu einem ähnlichen Ergebnis:
„Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Studienreferendar Hans-Hermann Langhein die Abkehr von einer vergangenen Epoche, der er sehr verhaftet war, aus ehrlicher Überzeugung vollzogen hat. In seinem Unterricht und in privaten Gesprächen habe ich festgestellt, dass Studienreferendar Langhein sich ernsthaft bemühte, seinen Schülern die demokratische Gedankenwelt nahe zu bringen. Gegenteiliges ist mir nicht bekannt geworden.“[20]
Die Personalabteilung der Schulbehörde lieferte die beiden Gutachten an den Fachausschuss und stellte anheim, „nach einer Entscheidung über die Aufnahme in den Schuldienst, Langhein periodisch neu zu überprüfen und die Ergebnisse der Schulbehörde mitzuteilen“.[21]
Hans-Hermann Langhein war mittlerweile 37 Jahre alt und es ließ sich prognostizieren, dass er mit Eintritt in den Hamburger Schuldienst bei seinen in der hauptberuflichen politischen Arbeit erworbenen Führungskompetenzen noch weitere Karrierechancen im Schulbereich bekommen würde.
Bemerkenswert für seinen beruflichen Werdegang war es, dass zwei Personen Langhein im Weiteren förderten, die aus meiner Sicht selbst durch ihre Tätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus belastet waren, sich mittlerweile aber im Hamburger Schuldienst etabliert hatten. Das war zum einen Prof. Hans Möckelmann, der am 1.10.1950 Schulleiter an der Walddörferschule geworden war, an der Langhein das zweite Jahr seines Referendariats absolvierte. Dem ehemaligen Sportwissenschaftler Möckelmann dürfte die Sportlehrerausbildung und Haltung Langheins gefallen haben. Und Möckelmann hatte bei einem späteren Karriereschritt von Hans-Hermann Langhein noch eine wesentliche Bedeutung.[22]
Vorerst ging es darum, nach dem Vorbereitungsdienst in den ordentlichen Schuldienst zu gelangen. Dafür setzte sich der Personalreferent für den gymnasialen Bereich in der Schulbehörde, Dr. Hans Reimers, ein, der Langhein erst mit einem Lehrauftrag und dann mit einem vollen Vertrag als wissenschaftlicher Angestellter an der Bismarck-Schule einstellte.[23]
Hans-Hermann Langhein bedankte sich bei Oberschulrat Reimers in einem persönlichen Schreiben vom 25.7.1951:
„Es ist mir nun ein ehrliches Bedürfnis, Ihnen, sehr verehrter Herr Oberschulrat, meinen aufrichtigen Dank zu sagen für das Zeichen des Vertrauens, dass Sie mir mit der Maßnahme entgegengebracht haben. Herr Radbruch sagte mir mehrmals, dass gerade Sie ständig um eine Lösung bemüht gewesen seien. Sehr wohl kann ich mir denken, mit welch großen Schwierigkeiten diese Verbesserung meiner Dienstverhältnisse verbunden gewesen sein muss. Ich möchte Ihnen daher die Versicherung abgeben, dass sich mit meiner großen Freude nun voll arbeiten zu können, der Entschluss verbindet, mich mit allen Kräften dieses Ihres Vertrauensbeweises wert zu erweisen.“[24]
Robert Radbruch war Oberstudiendirektor der Bismarck-Schule, der die Bewährung Langheins als Lehrer bestätigen konnte, sodass Hans-Hermann Langhein am 1.2.1954 zum Studienrat befördert wurde. In dem von Senator Landahl unterschriebenen Ernennungsvorschlag wurde festgehalten:
„Herr Langhein ist ein besonders eifriger und hingebungsvoller Lehrer, der seine Schüler gut zu fördern und für die Schule zu begeistern weiß. Er ist zu zusätzlicher Tätigkeit stets bereit und geht in seinem Beruf auf. Seine Eignung hat er nachgewiesen. Die Ernennung kann deshalb befürwortet werden.“[25]
Drei Jahre später schrieb Schulleiter Radbruch ein Gutachten über den Studienrat Langhein, in dem es hieß:
„Wegen seines gediegenen Wissens und Könnens und seiner hervorragenden pädagogischen Begabung gehört er zu den Spitzenlehrern der Schule. Als Fachvertreter hat er den gesamten Unterricht in den Leibesübungen an unserer Schule maßgeblich beeinflusst und nach modernen Gesichtspunkten ausgerichtet. In der Auslese ist er jahrelang vorbildlich tätig. Seine kontaktreiche Art, Schüler und Erwachsene anzusprechen, zeigt sich ebenfalls bei der Ausbildung der Referendare, die sich immer sowohl in Deutsch- und Geschichtsunterricht als auch in den Leibesübungen bei ihm gut aufgehoben fühlen, weil er sie zu besonderen Leistungen begeistert.
Wiederholt habe ich ihm schwierige Klassen anvertraut. Er hat sie mühelos in bester Weise beeinflusst. Seine sehr gute Beziehung zu Schülern zeigt sich auch bei der Arbeit in unserem Schullandheim. Er gehört zu den Lehrern, die die schwierige Arbeit des Leiters eines Ferientransportes in unserem Nordseeheim vorbildlich leisten und es verstehen, für die 180 Jugendlichen eine besonders schöne und wertvolle Atmosphäre zu schaffen. Mit seinem großen Organisationstalent gestaltet er Turn- und Sportfeste unserer Schule ausgezeichnet. Jede ihm übertragene Aufgabe führt er freudig, tatkräftig und zuverlässig bis ins letzte durchdacht aus. Eine jede Beförderung ist ihm unbedingt zu wünschen.“[26]
Der Beförderungsgedanke wurde zwei Jahre später aufgegriffen. Es war OSR Hans Möckelmann, der Senator Landahl und Landesschulrat Matthewes vorschlug, Hans-Hermann Langhein als kommissarischen Schulleiter ab Ostern 1960 an dem neu zu errichtenden Gymnasium Wartenau (früher Elise-Averdieck-Schule) einzusetzen.[27]
Landahl und Matthewes stimmten zu und Hans-Hermann Langhein wurde am 8.1.1960 beauftragt, die Schulleitung zum 1.4.1960 zu übernehmen.[28]
Im Zusammenhang mit der Einsetzung als kommissarischer Schulleiter wurde Hans-Hermann Langhein zum Oberstudienrat befördert. Der von Prof. Hans Möckelmann abgezeichnete Ernennungsvorschlag wurde folgendermaßen begründet:
„Der Studienrat Hans-Hermann Langhein ist ein Lehrer von gediegenem Wissen und Können, vorbildlich in der Pflichtauffassung und begeisterungsfähig. Seine pädagogische Begabung, die Fähigkeit, die schwierigsten menschlichen und schulischen Situationen in ebenso behutsam-taktvoller wie überzeugend-sicherer Weise zu meistern, befähigen ihn zu einem leitenden Posten. Er hat sich als Vertrauenslehrer der Schülermitverwaltung, als Anleiter von Referendaren, als Vorsitzender eines Bezirksausleseausschusses und im Schullandheim über den Rahmen seiner Schule hinaus uneingeschränkt bewährt.“[29]
Knapp zwei Jahren später fand am 1.3.1962 eine Konferenz am Gymnasium Wartenau statt, die von OSR Prof. Möckelmann geleitet wurde und auf der sich das Kollegium mit 16 Mitgliedern einstimmig für die endgültige Bestellung von Hans-Hermann Langhein zum Schulleiter aussprach.[30]
Im Ernennungsvorschlag, den Schulsenator Wilhelm Drexelius am 29.6.1962 einbrachte, hieß es:
„Studienrat Langhein wurde am 1.4.1960 mit der Leitung des neu eingerichteten Gymnasiums Wartenau beauftragt und hat sich in den vergangenen zwei Jahren dieser Aufgabe in hohem Maße gewachsen gezeigt. Er hat es in hervorragender Weise verstanden, die Schule in dem zunächst recht bescheidenen äußeren Rahmen aufzubauen und eine feste Schulgemeinschaft zu schaffen. Herr Langhein hat mit großem Geschick und erheblicher Aktivität alle Fragen gemeistert, die sich aus dem besonderen Aufbau des Gymnasiums Wartenau (Gymnasium mit siebenjährigem Bildungsgang) ergeben. Er findet die volle Zustimmung der Eltern und des Kollegiums, das sich jetzt einstimmig für seine endgültige Bestellung zum Schulleiter ausgesprochen hat. Herr Langhein hat die Erwartungen erfüllt, die die Schulbehörde bei seiner Bestellung zum kommissarischen Schulleiter in ihn gesetzt hat. Die Ernennung zum Oberstudiendirektor wird daher ohne Einschränkung befürwortet.“[31]
Mit dieser Erfolgsgeschichte scheint sich zu belegen, dass die Sozialisation über die hauptamtliche Tätigkeit bei der Hitlerjugend offenbar kein Nachteil für eine spätere Schulleiterkarriere gewesen war.
Als Langhein zum 31.7.1978 pensioniert wurde[32], würdigte auch das „Hamburger Abendblatt“ „einen Schulmeister, der dies im besten Sinne des Wortes ist, der seinen Pestalozzi im Herzen und nicht im Bücherschrank hat, den Schüler so mögen wie Eltern und Lehrer.“ Die Zeitung wusste zu berichten: „Fragt man diesen leidenschaftlichen Pädagogen aber nach dem Konzept, mit dem er es verstanden hat, sich das Vertrauen der oft gegensätzlichen Gruppen zu erwerben, dann ist dies seine Antwort: ‚Ich habe mich eben immer bemüht, für alle gleichmäßig da zu sein, für Lehrer, Eltern und Schüler.‘“[33]
Hans-Hermann Langhein starb am 24.12.1999.[34]
Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen
1 Siehe die Biografie Hans Langhein in diesem Band.
2 Alle Angaben laut Entnazifizierungsakte, StA HH, 221-11_Z 6767
3 Siehe die Biografie Werner Puttfarken, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 1, Hamburg 2016, S. 691 ff.; Erwin Zindler, in: de Lorent 2016, S. 538 ff.
4 Reifezeugnis vom 16.2.1933 in seiner Personalakte, laut Auskunft der Schulbehörde vom 25.5.2018.
5 Entnazifizierungsakte a. a. O.
6 Lebenslauf, geschrieben am 22.6.1948, Entnazifizierungsakte a. a. O.
7 Ebd.
8 Ebd. Entnazifizierungsfragebogen, Frage 19, Entnazifizierungsakte a. a. O.
9 Entnazifizierungsfragebogen, ebd.
10 Siehe die Biografie Hans Langhein in diesem Band.
11 Schreiben vom 22.2.1948, Entnazifizierungsakte des Vaters, Hans Langhein, StA HH, 221-11_Ed 6616
12 Siehe dazu die Biografie über den Organisator der Kinderlandverschickung (KLV), Heinrich Sahrhage, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 2, Hamburg 2017, S. 284 ff. Sowie: Reiner Lehberger: Kinderland verschickung, In: Reiner Lehberger/Hans-Peter de Lorent: „Die Fahne hoch“. Schulpolitik und Schulalltag in Hamburg unterm Hakenkreuz, Hamburg 1986, S. 370 ff.
13 Entnazifizierungsakte a. a. O.
14 Lebenslauf, geschrieben am 22.6.1948, Entnazifizierungsakte a. a. O.
15 Schreiben vom 18.11.1949, Entnazifizierungsakte a. a. O.
16 Beratender Ausschuss vom 4.12.1948, Entnazifizierungsakte a. a. O.
17 Fachausschuss vom 21.12.1948, Entnazifizierungsakte a. a. O.
18 Handschriftlicher Lebenslauf von Hans-Hermann Langhein, Personalakte, laut Auskunft der Schulbehörde vom 25.5.2018.
19 Gutachten vom 28.3.1950, Entnazifizierungsakte a. a. O.
20 Gutachten vom 14.4.1950, Entnazifizierungsakte a. a. O.
21 Schreiben vom 21.6.1950, Entnazifizierungsakte a. a. O.
22 Langhein trat seinen Vorbereitungsdienst an der Walddörferschule am 12.10.1950 an, was Möckelmann bestätigte, der kurz vorher dort zum Schulleiter bestellt worden war. Siehe auch die Biografie Hans Möckelmann in diesem Band.
23 Personalakte, laut Auskunft der Schulbehörde vom 25.5.2018.
24 Schreiben vom 25.7.1951, ebd.
25 Ernennungsvorschlag vom 4.11.1953, ebd.
26 Gutachten vom 2.9.1957, ebd.
27 Vorschlag vom 11.11.1959, ebd.
28 Schreiben vom 8.1.1960 von Senator Landahl, ebd.
29 Ernennungsvorschlag vom 4.3.1960, ebd.
30 Protokoll der Konferenz vom 1.3.1962, ebd.
31 Ernennungsvorschlag vom 29.6.1962, ebd.
32 Ebd.
33 „Hamburger Abendblatt“ vom 15.7.1978.
34 Nach Auskunft von Christina Ahrens, Staatsarchiv Hamburg, vom 3.11.2017.
 

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muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
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Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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