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Walter Lohse

(28.8.1896 Moorfleet bei Hamburg – 10.1.1975)
Oberstudiendirektor an der Oberschule für Mädchen in Wandsbek (später Charlotte-Paulsen-Gymnasium)
Ritterstraße 77 (Wohnadresse 1939)

Hans-Peter de Lorent hat über Walter Lohse ein Portrait verfasst, das in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz. Band. 3. Hamburg 2019 erschienen und im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg erhältlich ist. Hier der Text:  
Auffällig sind die Beförderungen, die einhergehen mit seinem Engagement in der NS-Bewegung.

Eine bemerkenswerte Person im Hamburger Bildungswesen war Walter Lohse, auch aufgrund seines familiären Umfeldes. Einerseits gehörte er zu den Personen, die schon zum 1.5.1933 der NSDAP beitraten und sich dadurch für Leitungspositionen empfahlen, in diesem Fall eine Oberstudiendirektoren-Funktion an der Oberschule für Mädchen in Wandsbek (später Charlotte-Paulsen-Gymnasium). Auffällig war auch die Karriere von Walter Lohse in der Wehrmacht. Bei der Entnazifizierung spielte die Kirche eine entscheidende Rolle. Walter Lohse war verheiratet mit einer Tochter aus der hugenottischen Familie Barrelet. Die Söhne gerieten aufgrund ihrer kirchlichen Aktivitäten in den Fokus der Gestapo. Der älteste Sohn, Eduard Lohse (1924–2015), war später theologischer Professor, Landesbischof und Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche (EKD) in Deutschland.
Walter Lohse wurde am 28.8.1896 in Moorfleet bei Hamburg geboren, sein Vater war Arzt, der Großvater Lehrer gewesen. Nach dem angesichts des beginnenden Ersten Weltkrieges vorgezogenen „Not-Abitur“ an der Bergedorfer Hansaschule am 10.8.1914, zog Walter Lohse als Freiwilliger in den Krieg, den er als Leutnant mit dem Eisernen Kreuz I und II beendete.[1]
Anschließend, von Januar 1919 bis Juli 1922 studierte Lohse an der Universität Hamburg Französisch, Spanisch und Geschichte und legte am 29.7.1922 das Examen ab. Am 8. Juli 1922 wurde er promoviert mit einer Dissertation zum Thema: „Zur Sprache altkatalanischer Texte“.[2]
Lohse heiratete am 18.5.1923 Agnes Emilie Barrelet, die Schwester von Sophie und Adelheid Barrelet, die ich in den beiden Bänden der „Täterprofile“ porträtiert habe und die nach 1933 zu den profiliertesten Frauen der NS-Bewegung gehörten.[3]
Walter Lohse und seine Frau bekamen vier Kinder. Das älteste Kind, Sohn Eduard, wurde am 19.2.1924 geboren. Wie in vielen anderen Lehrerhaushalten herrschte auch bei den Lohses materielle Enge, sodass Walter Lohse langjährig Nebentätigkeiten ausübte, parallel zu seiner hauptamtlichen Stelle, an der Handelsschule, bei deutsch-iberischen Ferienkursen und an der Volkshochschule.[4]
Das Probejahr absolvierte Walter Lohse an der Oberrealschule in St. Georg, den Diensteid leistete er an der Oberrealschule Eppendorf.[5]
Zwischenzeitlich hatte Walter Lohse auch an der Höheren Stadtschule in Cuxhaven als Vertretungslehrer gearbeitet und dort Französisch, Erdkunde und Turnen unterrichtet. Man bescheinigte ihm, „sich seines Unterrichts mit gewissenhaftem Interesse angenommen und gute Erfolge erzielt“ zu haben. „Er verfügt über eine ruhige, klare Art seinen Unterricht zu erteilen. Disziplinarische Schwierigkeiten sind nicht aufgetreten. Auch ist Herr Dr. Lohse seinen Pflichten in jeder Beziehung nachgekommen und hat sich als ein angenehmes Mitglied des Kollegiums erwiesen.“[6]
Am 1. Oktober 1928 wurde Walter Lohse zum Studienrat ernannt und am 1.1.1930 auf eine feste Stelle gesetzt.[7]
Auffällig in Walter Lohse Personalakte sind zwei Stränge: Einmal die Beförderungen, die einhergehen mit seinem Engagement in der NS-Bewegung. Walter Lohse trat am 1.5.1933 sowohl in die NSDAP ein sowie in den NSLB. In der NSDAP war er seit 1933 Blockleiter.[8] Oberschulrat Mühe, der lange Zeit Vorsitzender des Hamburger Philologenvereins gewesen war, seit 1933 in der NS-Schulverwaltung für die höheren Schulen zuständig, sorgte dafür, dass das ehemalige Mitglied des Philologenvereins und frühzeitige Parteigenosse Lohse von der Oberrealschule Eppendorf zum 10.10.1934 als stellvertretender Schulleiter an die Hindenburg-Oberrealschule am Brekelsbaumpark 6 versetzt wurde.[9]
Am 1.4.1938 ernannte die Schulverwaltung Walter Lohse zum Schulleiter der Oberschule für Mädchen in der Wandsbeker Reichardtstraße und beförderte ihn kurz darauf, am 1.7.1938, zum Oberstudienrat. Ein Jahr später, am 1.4.1939 wurde er dann zum Oberstudiendirektor ernannt, eine Beförderung, die ursächlich in diesen Zeiten nur für anerkannte NSDAP-Mitglieder mit Zustimmung der Partei möglich war.[10]
Der zweite Strang, der sich durch die Personalakte durchzieht, ist das militärische Engagement von Walter Lohse. Zur Erinnerung: Nach dem „Notabitur“ hatte er sich als Kriegsfreiwilliger, wie so viele andere auch, für den Ersten Weltkrieg gemeldet und diesen als Leutnant der Reserve Ende 1918 mit 23 Jahren beendet. Seit dem 15.4.1936 nahm er regelmäßig jedes Jahr an militärischen Übungen teil, die in der Regel 3 bis 4 Wochen dauerten. So war er 1936 vom 15.4. bis zum 12.5. beim Infanterie-Regiment 47, 1937 machte er eine dreiwöchige Übung beim Flakregiment 6. Vom 6.1. bis zum 5.2.1938  fuhr er zu einer militärischen Übung, die mit seiner Beförderung zum Oberleutnant der Reserve verbunden war. Nach der Übernahme der Schulleiter-Funktion war Walter Lohse vom 15.8.1938 bis zum 16.9.1938 zu einer militärischen Übung beim Flakregiment verpflichtet worden, die bis zum 12.10.1938 ausgedehnt wurde. Dies stand offenbar schon im Dienst der Kriegsvorbereitung. Am 13.3.1939 wurde Walter Lohse zum Hauptmann der Reserve befördert und am 23.8.1939 endgültig aus der Schule herausgenommen und zur Wehrmacht eingezogen. Während des Krieges, in den Walter Lohse bis zum Ende involviert war, wurde er noch zum Major befördert.[11]
Man kann ausrechnen, wie kurz die praktische Ausübung in der Funktion des Schulleiters für Walter Lohse gewesen ist.
Am 4.7.1945 beurlaubte Schulsenator Landahl Walter Lohse bis auf weiteres. Am 12.9.1945 erfolgte die Suspendierung aus dem Beamtenverhältnis.[12]
Walter Lohse reichte am 24.9.1945 den ersten ausgefüllten Entnazifizierungsfragebogen ein, zu dem er in einer Anlage noch zusätzliche Ausführungen machte.[13]
Seine Mitgliedschaften gab Walter Lohse wahrheitsgemäß an, wobei er die Blockleitertätigkeit in der NSDAP auf die Zeit bis 1934 begrenzte. Im Weiteren war er natürlich bemüht, entlastende Argumente in den Vordergrund zu stellen und seine Distanz zum Nationalsozialismus zu betonen. Im Einzelnen schrieb er:
„Im Juni 1934 hielt ich einen Vortrag vor der Eilbecker Ortsgruppe des damaligen ‚Kampfbundes deutscher Architekten und Ingenieure‘ über das Thema: ‚Was bedeutet Versailles für Deutschland?‘ Am Ende meines Vortrags wurde ich von einem ‚alten‘ Parteigenossen sehr scharf getadelt, weil ich das Thema nicht in genügend nationalsozialistischem Geist behandelt hätte. Ich habe daraufhin meine Entlassung aus dem ‚Korps der Politischen Leiter‘ erbeten und, nach erheblichen Schwierigkeiten, erhalten.“[14]
Ein typisches Argument in den Entnazifizierungsverfahren. Die Auseinandersetzung mit „einer Person“, die Zweifel an dem „nationalsozialistischen Geist“ angemeldet habe. Nicht genannt wurde, dass das Thema durchaus im Sinne der Nationalsozialisten behandelt wurde und Walter Lohse aufgrund seiner Offizierslaufbahn in zwei Weltkriegen sicherlich aktiv an der „Korrektur des Versailler Vertrages“ tätig gewesen war.
Im weiteren behauptete Walter Lohse, in der Zeit an der „Hindenburg-Oberschule“ in Hamburg „Jugendwalter“ gewesen zu sein, dessen Absetzung die Hitler-Jugend gefordert habe, „weil ich mich weigerte, die Schüler zum Eintritt in die Hitler-Jugend zu pressen“.[15]
Zum Thema, welche Reden Lohse sonst gehalten hatte, gab er lediglich an: „Ansprachen an die Schulgemeinde bei Schulfeiern (zum Beispiel Abiturientenentlassungen, Tag der Hausmusik, Muttertag)“. Er ergänzte: „An der Hamburger Volkshochschule habe ich 1934/35 über Rosenbergs ‚Mythus des 20. Jahrhunderts‘ gesprochen. Die Unmöglichkeit, mit diesem Werk innerlich fertig zu werden, insbesondere auch der Umstand, dass meine aus einer streng christlichen Familie stammende Frau unsere heranwachsenden Kinder in christlichem Geist erzog und ich in religiöser Beziehung mich von meiner Familie keinesfalls trennen wollte, veranlasste mich, dieses Thema aufzugeben.“[16]
Freilich gibt es keine Sippenhaft, wenn es um die Entnazifizierung ehemaliger Nationalsozialisten geht. Zu dem Thema der „streng christlichen Familie“ der Ehefrau von Walter Lohse möchte ich trotzdem darauf hinweisen, dass die „streng christliche Erziehung“ die beiden Schwestern von Agnes Emilie Barrelet, nämlich Sophie und Adelheid Barrelet, nicht davor bewahrt hatte, aktivistische und fanatische NS-Parteigängerinnen zu werden.[17]
Gewichtige Gegenargumente sind möglicherweise die Söhne von Walter und Agnes Emilie Lohse gewesen und deren kirchliches Engagement, das gegebenenfalls von ihrer Mutter positiv begleitet worden war. Dazu schrieb Walter Lohse:
„Meine Söhne waren seit Beginn ihres Konfirmandenunterrichts (1938) sehr eifrig in der Jugendgemeinschaft der Hamburg-Eilbecker Friedenskirche tätig, die mein ältester Sohn Eduard (jetzt Student der Theologie) und mein zweitältester Sohn Walter mehrere Jahre geleitet haben. Die Gestapo hat in den Jahren 1939–1942 wiederholt Haussuchungen in meinem damaligen Hause in Hamburg 23, Ritterstraße 97, gehalten und religiöse Schriften und Bücher meiner Söhne beschlagnahmt. Die Korrespondenz unserer Familie wurde von der Gestapo überwacht, vor allem wurden durch die Post geschickte Rundschreiben meiner Söhne beschlagnahmt. Wiederholt wurden meine Söhne, schon im Alter von 15 Jahren, von Gestapobeamten abgeholt und stundenlang verhört. Mein zweiter Sohn Walter wurde am 7./8. Januar 1942, erst 15-jährig, zwei Tage von der Gestapo im Gefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel in Haft gehalten.“[18]
An dieser Darstellung soll nicht gezweifelt waren. Walter Lohse gab als Zeugen den Pastor und den Gemeindehelfer der Friedenskirche an. Es muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass Walter Lohse 1938 und 1939 von der NS-Schulverwaltung  zum Schulleiter, zum Oberstudienrat und zum Oberstudiendirektor befördert worden war und dass für solche Beförderungen immer ein vorheriges politisches Gutachten der NSDAP eingeholt wurde. Insofern ist es nur begrenzt glaubwürdig, wenn Walter Lohse am 29.9.1945 erklärte: „Nachdem ich erkannt hatte, dass die innere und äußere Politik der NSDAP zum moralischen und geistigen Untergang unseres Volkes führte, versuchte ich, durch Mitarbeit in Kirche und Religion ein Gegengewicht gegen die zersetzen Tendenzen des Nationalsozialismus zu schaffen.“[19] Walter Lohse legte Gutachten von drei Pastoren bei, aus denen sich ergebe, „dass ich ein treuer Sohn der Kirche geblieben bin und dass meine Kinder in der kirchlichen Jugend Hamburg-Eilbecks eine führende Rolle gespielt haben“.
Interessant dabei ist auch, über welche Zeit ein Urteil abgegeben wurde. So schrieb Pastor Eduard Juhl am 22.9.1945:
„Herr Oberstudiendirektor Dr. Walter Lohse kam, nachdem er im Sommer 1943 ausgebombt war, in meine Gemeinde und gehört seitdem mit seiner gesamten Familie zu den allertreuesten Mitgliedern dieser Gemeinde. Er selbst, seine Gattin und seine Kinder nahmen ganz regelmäßig an den sonntäglichen Gottesdiensten und auch an sonstigen kirchlichen Veranstaltungen teil. Auch persönlich entwickelte sich sehr schnell, wie ich wohl sagen darf, ein Freundschaftsverhältnis zwischen unseren beiden Familien, wodurch ich von 1943 ab die beste Gelegenheit hatte, mir auch von den kirchlichen und politischen Anschauungen der ganzen Familie und zumal Herrn Dr. Lohses selber, ein klares Bild zu verschaffen. Er hat stets die Weltanschauung und die Methoden des Nationalsozialismus in schärfster Weise abgelehnt und sich bei keiner Gelegenheit gescheut, seine tief ernst kirchliche und christliche Überzeugung zum Ausdruck zu bringen.“[20]
Auch dieses „Pfarramtliche Zeugnis“ kann und soll nicht bestritten werden. Es beschreibt aber eine Haltung nach den desaströsen Bombenangriffen auf Hamburg im Sommer 1943, nach der nur noch fanatische und ideologisch „vernagelte“ Nationalsozialisten an den „Endsieg“ glauben konnten und vom Nationalsozialismus unbeirrt überzeugt waren.
Es gab weitere Leumundsschreiben, die Walter Lohse ein positives Zeugnis in Bezug auf seine Haltung als Schulleiter ausstellten, wenngleich noch einmal darauf hingewiesen werden muss, wie kurz seine aktive Schulleiter-Tätigkeit aufgrund des Krieges und der vielen Militärübungen nur gewesen war. So schrieben am 7.12.1945 elf Kolleginnen und Kollegen:
„Herr Dr. Lohse kam Ostern 1938 als Direktor zu uns und erwarb sich durch sein gerades, offenes Wesen, seine Güte und seine Fähigkeiten sehr schnell das volle Vertrauen der Schülerschaft und des Lehrerkollegiums. Einer der ersten Eindrücke, den das Kollegium von ihm hatte, war der Mut, mit dem er in Konferenzen Kritik an den Missständen in der HJ übte, mit einer Schärfe, die ihm damals leicht hätte gefährlich werden können.“[21]
Auch zu letzterem muss gesagt werden, dass nahezu alle Oberstudiendirektoren der höheren Schulen, ob fanatische Nationalsozialisten oder nicht, Schwierigkeiten mit der HJ hatten und insbesondere damit, dass ihre Autorität als Direktoren von der HJ häufig infrage gestellt wurde. Im Entnazifizierungsverfahren wurden diese Auseinandersetzungen dann gerne als Konflikte mit der Partei oder mit den Parteigliederungen ins Feld geführt.
Einen Kontrast, wie Schulleiter ihr Amt wahrnehmen konnten, erlebte die Studienrätin Magda Rieper, die am 17.9.1945 schrieb, dass sie „Ostern 1938 auf Betreiben des Schulleiters Herrn Lüth von der Hansaschule an der Bogenstraße nach Wandsbek an die Mädchenoberschule versetzt“ worden war, die von Walter Lohse als Schulleiter geleitet wurde:
„Herr Dr. Lohse war zwar Parteigenosse, zeigte aber in vielen Gesprächen, dass er sich in keiner Weise mit den Zielen der NSDAP einverstanden fühlte. Ich hatte mich trotz aller Bedrohungen und Bearbeitungen immer geweigert, in die Partei einzutreten, und erlebte unter der Leitung von Herrn Dr. Lohse zum ersten Mal seit 1933, dass ich ohne Anfeindungen friedlich in der Schule arbeiten konnte, und dass ein Schulleiter keine Angst hatte, manche Verfügung der Partei nicht strikte durchzuführen.“[22]
Dies war sicherlich eine schwergewichtige Aussage. Noch größeren Einfluss hatte das Gutachten, das der neue Oberschulrat Prof. Walther Merck abgab. Merck, der seit 1927 an der Oberrealschule in Harburg Oberstudiendirektor gewesen und von den Nationalsozialisten 1933 abgesetzt und als Lehrer weiter beschäftigt worden war, erklärte:
„Ich selbst kenne Lohse seit Anfang 1938, wo er Direktor an der Anstalt wurde, an der ich damals nach meiner Absetzung als Oberstudiendirektor als Studienrat tätig war. L. verhehlte vom ersten Augenblick an seine antinationalsozialistische Gesinnung nicht. Ich war sogar über die damals ungewohnte Offenheit seiner Kritik an der nationalsozialistischen Politik erstaunt. Auch in seinem Unterricht – wie ich von vielen ehemaligen Schülerinnen weiß – hat er sich klar und eindeutig von der nationalsozialistischen Ideologie distanziert, so dass seine wahre Gesinnung innerhalb der Schule jedermann bekannt war.“[23]
Auch mit der Einschränkung, dass die gemeinsame Arbeit nur etwa ein Jahr umfasste, weil Walter Lohse danach im Kriegsdienst war, mit Walther Merck verfügte Lohse über einen wichtigen und vertrauenswürdigen Unterstützer in der Schulbehörde, wie die Stellungnahme von Oberschulrat Heinrich Schröder vom 24.6.1946 zeigte:
„Die Schulverwaltung befürwortet den Einspruch des Herrn Dr. Walter Lohse. Sie ist mit Herrn Oberschulrat Merck, dessen Gutachten beigefügt ist, überzeugt, dass Herr Dr. Lohse noch wertvolle Erziehungsarbeit an der deutschen Jugend im christlichen und demokratischen Sinne leisten wird. Eine Tätigkeit in leitender Stellung kann allerdings nicht wieder infrage kommen; aber eine Wiederbeschäftigung als Studienrat wird von der Schulverwaltung nicht nur für tragbar gehalten, sondern auch besonders warm befürwortet.“[24]
Der Beratende Ausschuss für das höhere Schulwesen beschäftigte sich am 15.7.1946 mit dem Fall und entschied unter dem Vorsitz von Johann Helbig:
„Er ist sehr früh vom Nationalsozialismus abgerückt und hat sich dann die ganzen Jahre als treuer und aufrechter Anhänger der Kirche bewährt. Wir glauben, dass eine Weiterbeschäftigung als Studienrat sich verantworten lässt.“[25]
Aus meiner Sicht eine sehr verkürzte Zusammenfassung der Position und Tätigkeit von Walter Lohse. Sie hatte aber den Effekt, dass der Entnazifizierungsausschuss am 20.8.1946 die Wiedereinstellung von Walter Lohse empfahl, der einschränkend feststellte:
„Eine Wiedereinstellung als Oberstudiendirektor kommt nicht infrage, da er unter den Nazis zweimal befördert worden ist.“[26]
Walter Lohse wurde am 22.10.1946 wieder eingestellt und der Oberschule für Mädchen in Flottbek zugewiesen.[27]
Parallel zu seiner Arbeit in der Schule lief das Entnazifizierungsverfahren weiter. Am 24.5.1950 empfahl der Beratende Ausschuss mit Hinweis auf das Gutachten von Prof. Walther Merck: „Herrn Dr. Lohse sollte beim späteren Übertritt in den Ruhestand die Pension nach der Gruppe A 2 b gewährt werden“[28], orientiert an der eines Oberstudiendirektors.
Da die Hamburger Schulbehörde mit vielen vergleichbaren Fällen von ehemaligen Oberstudiendirektoren zu tun hatte, die wieder in den Schuldienst gelangt waren, stellte die Personalabteilung der Schulbehörde noch einmal ihren Grundsatz fest:
„Es wird bei dieser Gelegenheit darauf hingewiesen, dass die Schulbehörde nach wie vor an ihrer Auffassung festhält, dass die ehemaligen Oberstudiendirektoren, die bereits im Jahre 1933, als noch kein Zwang ausgeübt wurde, in die NSDAP eingetreten sind und die dadurch eine gewisse politische Anfälligkeit bewiesen haben, für das so wichtige Amt des Leiters einer Oberschule nicht wieder infrage kommen. Gegen ihre Beschäftigung als Studienrat und gegen die Zahlung der Versorgungsbezüge aus der Besoldungsgruppe A 2 b nach der Versetzung in den Ruhestand, bestehen keine Bedenken.“[29]
Walter Lohse hatte zwischenzeitlich den Antrag gestellt, schon vor seiner Pensionierung das Oberstudiendirektoren-Gehalt zugesprochen zu bekommen.[30] Der Leitende Ausschuss lehnte dies am 17.11.1950 ab und stellte es der Schulbehörde anheim, „nach einer Beschäftigung von mindestens sechs Jahren als Studienrat zu prüfen, ob eine Beförderung bzw. Ernennung zum Oberstudiendirektor möglich ist.“[31]
Zum Fall Walter Lohse wurde in der Schulbehörde am 16.10.1950 noch einmal nüchtern festgehalten, was die Personalabteilung für Personen die am 1.5.1933 „ohne Zwang“ in die NSDAP eingetreten waren, konstatiert hatte. Und im Fall Lohse wurde, aus meiner Sicht zu Recht vermerkt:
„Zu berücksichtigen ist die Tatsache, dass Lohse in der Nazizeit zweimal befördert wurde, am 1.7.1938 zum Oberstudienrat und am 1.4.1939 zum Oberstudiendirektor. Selbst wenn angenommen wird, dass die Beförderung zum Oberstudienrat als eine planmäßige bezeichnet werden kann, ist die Ernennung zum Oberstudiendirektor offensichtlich eine bevorzugte. Daraus kann allerdings nicht gefolgert werden, dass Lohse von der Partei große Schwierigkeiten gemacht worden sind.“[32]
Erstaunt bin ich wieder im Gegensatz dazu über eine Stellungnahme von Oberschulrat Hans Reimers, der am 12.11.1952 feststellte:
„Dr. Walter Lohse erfüllte nach Vorbildung und Laufbahn die Voraussetzungen für eine Beförderung zum Oberstudiendirektor. Die Beförderung kann nicht ausschließlich auf die enge Verbindung Dr. Lohses zur NSDAP oder einer ihrer Gliederungen zurückgeführt werden.“[33]
Dies schrieb Reimers im Gegensatz zu dem, was von der Personalabteilung vermerkt worden war. Und er tat es nicht zum ersten und zum einzigen Mal. Nicht berücksichtigt wurde dabei die Tatsache, dass bei allen Beförderungen in der NS-Zeit vorab eine politische Stellungnahme der NSDAP eingeholt wurde und dass schon die Ernennung von Walter Lohse zum stellvertretenden Schulleiter in enger Korrespondenz zu seinem Eintritt in die NSDAP am 1.5.1933 stand. Kritisch sehe ich die Haltung Reimers auch deswegen, weil er selbst aus meiner Sicht deutlich NS-belastet war, wie ich in seiner Biografie beschrieben habe. Und besonders kritisch ist dies deswegen, weil er nach dem Tod von Heinrich Schröder der Personalreferent in der Schulbehörde für die höheren Schulen gewesen war.[34]
Dass Walter Lohse über Führungskompetenzen und auch menschliche Qualitäten verfügte, soll nicht bestritten werden. Am 23.4.1954 war er an die Oberschule für Jungen in Blankenese versetzt worden.[35] Am 13. 30.8.1957 schrieb Schulleiter Dr. Lorenz Nicolaysen einen Bericht über ihn, in dem es hieß:
„Herr Lohse ist seit Ostern 1954 am Gymnasium Blankenese und hat in dieser Zeit als Lehrer und Kollege allseitig sich die größten Sympathien erworben. In seinen Fächern Französisch, Spanisch und Geschichte ist seine Kompetenz unbestritten, so dass er sich als Anleiter für diese Fächer besonders bewährt hat. Das Verhältnis zu den Jungen ist ausgezeichnet, seine freundliche, dennoch bestimmte Art ist eindrucksvoll und erfolgreich. Er hat viel Herz und Verständnis, Eigenschaften, die ihm die Liebe der Jungen eintragen und den Einsatz äußerer Autorität unnötig machen. Herr Lohse hat eine ausgleichende Art, die vom Kollegium als wohltuend empfunden wird. Die Anerkennung seiner Persönlichkeit kommt dadurch zum Ausdruck, dass er zum Mitglied des Vertrauensausschusses gewählt wurde. Ich kann mir gut vorstellen, dass Herr Lohse das Amt des Schulleiters, das er früher einige Jahre innehatte, ausgezeichnet verwaltet hat. Auch heute bitte ich ihn, falls ich abwesend bin und mein Stellvertreter durch irgendwelche Umstände verhindert ist, mich zu vertreten.“[36]
Dies war nun gleichzeitig die Empfehlung, Walter Lohse zum Oberstudienrat zu befördern, was mit Antrag vom 22.4.1958 dann auch geschah.[37]
Am 6.9.1961 trat Walter Lohse in den Ruhestand. Er bekam danach aber noch für ein halbes Jahr einen Lehrauftrag am Gymnasium in Blankenese.[38]
Walter Lohse starb am 10.1.1975.[39]
Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen
1 Personalakte Walter Lohse, StA HH, 361-3_A 1576
2 Ebd.
3 Siehe die Biografie Sophie Barrelet, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 1, Hamburg 2016, S. 352 ff. und Adelheid Barrelet in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 2, Hamburg 2017, S. 450 ff.
4 Alle Angaben laut Personalakte, a. a. O.
5 Personalakte, a. a. O.
6 Bericht vom 7.4.1923, Personalakte a. a. O.
7 Personalakte a. a. O.
8 Entnazifizierungsakte Lohse, StA HH, 221-11_Ed 1061
9 Personalakte a. a. O.
10 Personalakte a. a. O.
11 Alle Angaben laut Personalakte a. a. O.
12 Personalakte, a. a. O.
13 Entnazifizierungsakte a. a. O.
14 Anlage zum Fragebogen, Entnazifizierungsakte a. a. O.
15 Ebd.
16 Ebd.
17 Siehe die beiden Biografien von Sophie Barrelet und Adelheid Barrelet, a. a. O.
18 Anlage zum Fragebogen, Entnazifizierungsakte a. a. O.
19 Schreiben vom 29.9.1945, Entnazifizierungsakte a. a. O.
20 Pfarramtliches Zeugnis vom 22.9.1945, Entnazifizierungsakte a. a. O.
21 Eingabe vom 7.12.1945, Entnazifizierungsakte a. a. O.
22 Schreiben vom 17.9.1945, Entnazifizierungsakte a. a. O.
23 Undatiertes Gutachten von Oberschulrat Walther Merck, Entnazifizierungsakte a. a. O. Walther Merck (1892–1964) hatte eine Lehrerausbildung in Berlin absolviert, war dort Lehrer und Mitarbeiter für Auslandspädagogik und kam 1927 als Oberstudiendirektor an die Oberrealschule in Harburg und wurde 1945 Oberschulrat in Hamburg. 1950 trat er eine Professur für vergleichende Pädagogik an der Universität Hamburg an und wurde am 1.3.1952 der erste Direktor des UNESCO-Institut für Pädagogik.
24 Stellungnahme vom 24.6.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
25 Beratender Ausschuss vom 15.7.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
26 Ausschussempfehlung vom 20.8.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
27 Personalakte a. a. O.
28 Beratender Ausschuss vom 24.5.1950, Entnazifizierungsakte a. a. O.
29 Grundsatzposition der Personalabteilung der Schulbehörde vom 11.10.1950, Entnazifizierungsakte a. a. O.
30 Antrag vom 27.6.1950, Entnazifizierungsakte a. a. O.
31 Leitender Ausschuss vom 17.11.1950, Entnazifizierungsakte a. a. O.
32 Vermerk vom 16.10.1950, Entnazifizierungsakte a. a. O.
33 Stellungnahme vom 12.11.1952, Entnazifizierungsakte a. a. O.
34 Siehe die Biografie Hans Reimers in: de Lorent 2017, S. 249 ff.
35 Personalakte a. a. O.
36 Bericht vom 30.8.1957, Personalakte a. a. O.
37 Ernennungsvorschlag vom 22.4.1958, Personalakte a. a. O.
38 Personalakte a. a. O.
39 Personalakte a. a. O.
 

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Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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