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Gustav Möhring

(27.12.1886 Groß-Flottbek – 23.1.1980)
Schulleiter der Gemeindeschule in Moorburg
Elbdeich 153a Hamburg-Moorburg (Wohnadresse 1955)

Hans-Peter de Lorent hat über Gustav Möhring ein Portrait verfasst, das in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz. Band. 3. Hamburg 2019 erschienen und im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg erhältlich ist. Hier der Text:  
„Der NSDAP-Ortsgruppenleiter hatte die Annahme der Zeugnisse seiner eigenen Kinder verweigert, da sie durch mich unterzeichnet worden waren.“

Eine durchaus typische Karriere eines Volksschullehrers, der nach Eintritt in die NSDAP im Sommer 1933 zum Schulleiter ernannt wurde, absolvierte Gustav Möhring, seit 1909 an der Gemeindeschule in Moorburg tätig. Er war bildungsambitioniert, durchlief das Lehrerseminar und war schon mit 25 Jahren fest angestellter Lehrer. Im Ersten Weltkrieg nahm er Teil an den Feldzügen in Flandern, Frankreich und Russland, zuletzt zum Leutnant befördert. In der NS-Zeit verhielt er sich durchaus angepasst und aktiv in einer Bewegung, die er aktiv zu bejahen schien. Nach 1945 formulierte er kreativ Gegensätze zum Nationalsozialismus, die aber offenbar auch tatsächlich bestanden.
Gustav Möhring wurde am 27.12.1886 als Sohn eines Windmüllers in Groß-Flottbek geboren. Er besuchte zuerst die Dorfschule und danach ab 1904 das Lehrerseminar in Uetersen, das er am 29.8.1907 mit einer Abgangsprüfung, die gleichzeitig das Zeugnis der Reife zusprach, verließ. Er wechselte nach Finkenwerder an die Westerschule und arbeitete seit dem 16.4.1909 an der Gemeindeschule in Moorburg. Zum 1.10.1911, nach der zweiten Lehrerprüfung, bekam er eine feste Anstellung. Gustav Möhring war verheiratet und hatte drei Kinder.[1]
Am 11.1.1916 zog Möhring in den Ersten Weltkrieg, in dem er an den Feldzügen in Flandern, Frankreich und Russland teilnahm. Am Ende zum Leutnant befördert, kam er am 8.12.1918 nach Moorburg zurück.[2]
In Moorburg machte sich Gustav Möhring neben seiner Schulmeister-Tätigkeit auch als Heimatforscher und Autor niederdeutscher Literatur verdient.[3]
Möhring sammelte Aufsätze seiner Moorburger Schüler von 1937 bis 1952, die einen intensiven Eindruck vom Leben in Moorburg geben und auf einer interessanten privaten Webseite über Moorburg mit Fotos und Illustrationen veröffentlicht wurden.[4]
Damit leistete Gustav Möhring einen wichtigen Beitrag zur Heimatkunde seiner Wahlheimat.
Am 1.5.1933 trat Möhring in die NSDAP ein, gleichzeitig in den NSLB und den NSV. Im VDA war er bereits seit 1925 und im Reichskriegerbund seit 1919. Dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) gehörte er seit 1920 an, Mitgliedschaften, die in dörflicher Umgebung damals eine andere Bedeutung hatten und sicherlich auch einen anderen sozialen Hintergrund und Zusammenhalt ausdrückten.[5]
Mit dieser Frage setzte sich Gustav Möhring auseinander, als die NS-Herrschaft überwunden war und die ehemaligen Mitglieder der NS-Organisationen sich erklären mussten. Erst einmal profitierte Gustav Möhring von seinem Bekenntnis zum Nationalsozialismus und wurde am 23.6.1933 von Schulsenator Karl Witt zum Schulleiter der Gemeindeschule in Moorburg ernannt. Als Schulleiter und Heimatforscher der zu Hamburg gehörenden Landschule war Möhring in Moorburg eine wichtige und respektierte Person. Er besuchte vom 2. bis zum 6.1.1937 das Führerlager in Schätzendorf, später leitete er sogar vom 10. bis zum 26.7.1937 das Lehrerlager in Hoisdorf.[6]
Die Gemeindeschule in Moorburg war klein, bestand aus sieben Klassen und acht Lehrkräften, wie Gustav Möhring dem für die Landschulen zuständigen Schulrat Dietrich Ossenbrügge am 9.2.1937 mitteilte.[7]
Während des Zweiten Weltkrieges war Gustav Möhring immer wieder uk-gestellt worden, bis 1944 wurde der Versuch unternommen, Möhring mobil zu machen.[8]
Im Juli 1945 war Schulleiter Gustav Möhring im Auftrag der Britischen Militärregierung von Schulsenator Landahl abgesetzt worden, aber als Lehrer in Moorburg verblieben. Dies war ihm auf der Schulleiter-Sitzung am 19.7.1945 verkündet worden.[9]
Dagegen legte er einen Tag später schriftlich Einspruch ein. Ihm war mitgeteilt worden, dass seine Absetzung als Schulleiter, wie in allen anderen Fällen von Hamburger Schulleitern ebenfalls, ausgesprochen worden war, weil Möhring der NSDAP bereits am 1.5.1933 beigetreten war.[10]
Gustav Möhring gab mit seinem Einspruch eine überraschende Erklärung gab:
„Ich bin fest davon überzeugt, dass die Entscheidung anders ausgefallen wäre, wenn Beweise dafür zur Hand gewesen wären, wie ich zu meinem Amte kam und in welchem Geiste ich es führte, nämlich folgendermaßen: Als mein Voramtsvorgänger Ostern 1934 pensioniert wurde und damit die Frage der Nachfolge akut wurde, habe ich diesen gebeten, der Behörde mitzuteilen, dass ich als Ältester im Kollegium nicht gewillt sei, einem etwaigen Ruf Folge zu leisten. – Herr Schulrat Ossenbrügge, der mich gleich darauf mit der Führung der Geschäfte beauftragte, fragte mich sofort, ob das wahr sei und warum ich ablehne. Er ist mein Zeuge, dass ich geantwortet habe, ich besitze keinen anderen Ehrgeiz, als ein guter Lehrer zu sein, und ich wolle mich durch das Schulleiteramt nicht unglücklich machen lassen, da ich mit meinem Ortsgruppenleiter bestimmt sofort schwere Kämpfe bekommen werde, was denn auch prompt in zermürbender Weise für mich eingetreten ist. Die Ablehnung erfolgte mündlich und schriftlich. Dass ich dieses Amt dann später doch angenommen habe, ja, nach Einspruch der Partei gewollt habe, kann nur der verstehen, der meine Einstellung zur Religion kennt: ich bin nicht nur seit 1925 Mitglied des Kirchenvorstandes gewesen und es auch trotz allen Hohnes bis heute geblieben, nein, ich darf auch von mir sagen, dass ich alleine es gewesen bin, der in schweren Jahren den Religionsunterricht an der Schule vor dem Erliegen bewahrt hat. Und als ich 1933/34 erleben musste, wie alle Religiosität an der Schule vor die Hunde ging, da brachte die Aufforderung zur Übernahme der Leitung der von mir geliebten Schule, in der damals die Arbeitskraft meiner besten 25 Jahre steckte, mich nach und nach zu der Erkenntnis, dass nur die neue Stellung mir Macht genug geben werde, eine gründliche Änderung herbeizuführen.“[11]
Als Beleg führte Gustav Möhring dazu Folgendes an:
„Das dies keine leeren Worte sind und kein Mäntelchen, das ich mir umhänge, wird unwiderleglich dadurch bewiesen, dass ich z. B. in einem Falle im ganzen Winterhalbjahr 1941/42, um die verderbliche Wirkung eines ganz besonders krassen, aus der Kirche ausgetretenen Nazis auszuschalten, diesen von 30 Stunden auf acht Wochenstunden herab und dafür mich selber auf 43 gegebene Wochenstunden hinauf gesetzt habe – neben der Büroarbeit. Dass ich außerdem in fast allen Klassen den Religionsunterricht selber gab, weil ich festgestellt hatte, dass die Stunden mit anderen Dingen ausgefüllt wurden, dass ich von einem anderen Kollegen vor dem Ortsgruppenleiter Meyer und Schulrat Himstedt[12] beschuldigt wurde die ‚Kirche in die Schule zu schmuggeln‘ und von demselben bei der Kreisleitung angezeigt wurde, dass ich als Lagerleiter in der KLV gewagt hätte vor den Kindern ‚christliche Tischgebete‘ zu sprechen, und endlich, dass ich bis heute trotz der verblüfften Blicke der durch die HJ verseuchten Kinder an meinem Schulgebete vor der Klasse festgehalten habe, redet doch wohl eine unmissverständliche Sprache. – Und alles dies kann ich nicht nur an Eides Statt erklären, sondern auch durch die Eltern meiner Schulkinder und durch andere Zeugen jeden Tag ebenso klipp und klar beweisen, wie meine Fragebögen-Angaben über meine Einstellung zur Partei, zu deren Gliederungen ich niemals gehörte und in der selber ich nie ein Amt bekleidete.“[13]
In seinem Entnazifizierungsfragebogen vom 1.6.1945 hatte Gustav Möhring eingetragen, 1936 von Schulrat Ossenbrügge zum Mittelschullehrer ernannt worden zu sein, um ein Gegengewicht gegen die vom NS-Lehrerbund betriebene „Bevorzugung der jungen Lehrer zu geben“.[14]
Und Gustav Möhring konnte auch darauf verweisen, dass er vom NSDAP-Ortsgruppenleiter und von Lehrern beim Schulrat „als Reaktionär verklagt worden“ sei und dass „der Ortsgruppenleiter die Annahme der Zeugnisse seiner eigenen Kinder verweigert habe, da sie durch mich unterzeichnet worden waren“.[15]
Dies alles bestätigte der ehemalige Schulrat Ossenbrügge, der sich nach 1945 selbst in Entnazifizierungs-Schwierigkeiten befand: „Obgleich der Ortsgruppenleiter den ganzen Parteiapparat in Bewegung setzte, und auch am Orte gegen Möhring hetzte, ist sein Vorgehen gegen den Schulleiter und mich, der ich ihn deckte, ohne Erfolg geblieben.“[16]
Es wurde schon ziemlich deutlich, welch einsamer Kämpfer Gustav Möhring in Moorburg gewesen war. Das Problem der Schulverwaltung und Britischen Militärregierung war in diesem Fall, dass sie den Grundsatz vertraten, keinen Schulleiter im Amt zu behalten, der zum 1.5.1933 oder sogar davor Mitglied der NSDAP gewesen war.[17]
Auch der Pastor des evangelischen Pfarramtes in Moorburg hatte bescheinigt, dass Möhring stets im Kirchenvorstand geblieben sei und sein Amt als Kirchenvorsteher ununterbrochen ausgeübt habe.[18]
Der Beratende Ausschuss befasste sich mit der Sache und stellte fest, dass Möhring durch den Fragebogen und die Angabe seiner Mitgliedschaften „schwer belastet sei“. „Er hätte das Amt eines Rektors nicht annehmen dürfen, falls, wie es heißt, sein Vorgänger gegen eigenen Willen die Schulleitung aufgab oder aufgeben musste. Da Möhring wegen Erkrankung nicht gehört werden konnte, wäre obige Darstellung auf ihre Richtigkeit nachzuprüfen. Für entscheidend halten wir aber in der Hauptsache die Fragebogendaten, die eine Belassung der Rektorenzulage ausschließen.“[19]
Der Senior Controll Officer der Britische Militärregierung, Jones, ordnete am 24.4.1947 an, die Empfehlung des Beratenden Ausschusses und des Fachausschusses auf Zurückstufung von Gustav Möhring vom Rektor zum Lehrer in Kraft zu setzen.[20]
Gustav Möhring ließ nicht locker. Er wies darauf hin, „unter welchen Bedingungen er nach 1933 als Landschul-Rektor gezwungen war, zu arbeiten. So kann ich mit folgenden Angaben dienen:
1. Unter den fünf Lehrern der Schule, die sämtlich in der Partei, ich alleine in keiner Formation.
2. Einer dieser Lehrer, zum politischen Leiter ernannt und 1945 dienstentlassen.
3. Eine der beiden Lehrerinnen, die einen hohen Rang im BDM innehatte, gleichfalls 1945 dienstentlassen.
In welchem Umfang übrigens der damalige Ortsgruppenleiter sich die ganze Ortsbevölkerung gefügig zu machen wusste, erhellt am überzeugendsten aus folgender Tatsache: Kurz nach Kriegsschluss sollte die Moorburger Genossenschaftsmeierei aufgelöst werden. Dazu bedurfte es der Unterschrift von drei Nicht-Parteimitgliedern. Einer von diesen war davon der von mir im Fragebogen-Beiblatt als Zeuge erwähnte Landsmann Heinrich Brandt, mit mir zusammen vom Ortsgruppenleiter ‚stets als Reaktionär‘ beschimpft und der zweite wurde auch bald gefunden. Aber nach dem dritten musste tagelang förmlich herumgesucht werden. So selten waren in Moorburg seinerzeit sogar unter den Bauern die Nicht-Mitglieder! Dass es in einem solchen Orte äußerst schwierig war für einen Lehrer und Rektor, sich ganz herauszuhalten, wird sicherlich einleuchten.“[21]
Gustav Möhring konnte sogar eine Fälschung des NSDAP-Ortsgruppenleiters belegen, die ihn 1941 vor das Kreisgericht der NSDAP in Hamburg gebracht hatte. Er war mit den Schülern aus Moorburg in der Kinderlandverschickung in der bayerischen Ostmark als KLV-Lagerleiter gewesen. Von der NSDAP-Gauleitung in Bayreuth war eine Beschwerde über ihn verfasst worden:
„Der Lagerleiter Möhring hat unter der Elternschaft in Hamburg durch seine Briefe unerhörte Unruhe hervorgerufen. Er teilte den Eltern nämlich mit, sie möchten ihre Kinder zurückholen, da in der Nähe des Lagers Diphtherie ausgebrochen sei. Daraufhin fuhren sofort acht Mütter aus Hamburg ab. Sie werden ja in der Zwischenzeit Auseinandersetzungen mit diesen Müttern gehabt haben. Ich bitte Sie, dem Lagerleiter Möhring mitzuteilen, dass er sofort den Gau zu verlassen hat. Er soll sich bei der Gauleitung Hamburg melden, die ihn für seine Handlungsweise zur Rechenschaft ziehen wird.“[22]
Die ganze Geschichte stellte sich als Inszenierung des Ortsgruppenleiters aus Moorburg heraus, das Kreisgerichtsverfahren führte nicht dazu, Gustav Möhring aus der NSDAP auszuschließen. Bei all dem Geschilderten erscheint es allerdings überraschend, dass Möhring Parteimitglied blieb.
Der Leitende Ausschuss für die Entnazifizierung entschied am 25.5.1951, Gustav Möhring im Pensionsfalle die „volle verdiente Pension als Schulleiter einschließlich der pensionsfähigen Stellenzulage“ zu gewähren. Eine Wiedereinstellung als Schulleiter lehnte er aber ab.[23]
So wurde verfahren, am 19.2.1952 trat Gustav Möhring in den Ruhestand.[24]
Er war mit einem langen Leben gesegnet, zu seinen Geburtstagen bekam Möhring Glückwunschschreiben von den Landesschulräten, die gerne hervorgehoben, dass er als Heimatforscher nach wie vor arbeitete.[25]
Er starb am 23.1.1980 mit 94 Jahren.[26]
Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen
1 Alle Angaben laut seiner Personalakte, StA HH, 361-3_A 1829
2 Ebd.
3 Peter Hansen: Die niederdeutsche Literatur. Autoren und mehr: www.niederdeutsche-literatur.de
4 Aufsätze Moorburger Schüler (1937–1952) unter der Leitung von Gustav Möhring. Moorburger Geschichte und Geschichten, in: www.hamburg-moorburg.de
5 Entnazifizierungsakte Möhring, StA HH, 221-11_Ed 1477
6 Ebd.
7 Personalakte a. a. O. Siehe in diesem Kontext auch die Biografie eines anderen Lehrers in Moorburg, der auch schriftstellerisch tätig war, Alfred Aust, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 2, Hamburg 2017, S. 534 ff.
8 Personalakte a. a. O.
9 Personalakte a. a. O.
10 Entnazifizierungsakte a. a. O.
11 Schreiben vom 20.7.1945, Entnazifizierungsakte a. a. O.
12 Siehe Bibliografie Karl Himstedt, in: de Lorent 2017, S. 194 ff.
13 Schreiben vom 20.7.1945, Entnazifizierungsakte a. a. O.
14 Entnazifizierung Fragebogen vom 1.6.1945, Entnazifizierungsakte a. a. O.
15 Ebd.
16 Schreiben vom 20.8.1949, Entnazifizierungsakte a. a. O. Siehe auch die Biografie Dietrich Ossenbrügge, in: de Lorent 2017, S. 186 ff.
17 Vermerk von Schulrat Backeberg, abgezeichnet von Fritz Köhne und Schulsenator Heinrich Landahl am 29.8.1945, Personalakte a. a. O.
18 Schreiben vom 4.8.1945, Entnazifizierungsakte a. a. O.
19 Beratender Ausschuss vom 27.3.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
20 Militärregierung vom 24.4.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
21 Schreiben vom 4.2.1951, Entnazifizierungsakte a. a. O.
22 Schreiben vom 28.8.1941, Entnazifizierungsakte a. a. O.
23 Entscheidung vom 25.5.1951, Entnazifizierungsakte a. a. O.
24 Personalakte a. a. O.
25 Personalakte a. a. O.
26 Personalakte a. a. O.
 

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Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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