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Hermann Reimnitz

(21.1.1893 Karlsmarkt, Kreis Brieg, im Bezirk Breslau – 8.4.1976)
Rektor der Schule Dockenhuden
Kleiststraße 10 (Wohnadresse 1949)

Hans-Peter de Lorent hat über Hermann Reimnitz ein Portrait verfasst, das in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz. Band. 3. Hamburg 2019 erschienen und im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg erhältlich ist. Hier der Text:  
„Für mich alten Pg., der Jahrzehnte im völkischen Kampf stand, ist es hart zu sehen, daß andere, die damals wer weiß wo waren, jetzt das Rennen machen.“
Eine schillernde Figur im Hamburger Schulwesen ist Hermann Reimnitz gewesen. Er fiel dadurch auf, dass er als Rektor der Schule Dockenhuden seinen Altonaer Schulrat Karl Schlotfeldt der „Lumperei“ bezichtigte, weil dieser Aufsätze im Mitteilungsblatt des NSLB unter eigenem Namen veröffentlicht hatte, die Schulleiter seines Altonaer Schulkreises geschrieben hatten. In einer autoritär strukturierten NSDAP gehörte eine gewisse Courage dazu, den Vorgesetzten öffentlich zu kritisieren. Reimnitz war allerdings selbst Parteimitglied seit 1932 und seit 1931 im NSLB und hatte eine gewisse Erfahrung, sich in der NS-Zeit zu widersetzen. Nach 1945 nutzten Reimnitz auch die NS-internen Zwistigkeiten nichts. Wie so manche anderen Belasteten ging er nach Schleswig- Holstein, um seine Familie mit sechs Kindern ernähren zu können.
In dem ersten Band der „Täterprofile“ habe ich die Biografie des Altonaer NSDAP-Schulrates Karl Schlotfeldt veröffentlicht.[1] Schlotfeldt gehörte zum System des Altonaer Schulsenators Hermann Saß, der später als Oberschulrat in Altona die Verantwortung für das Schulwesen hatte. Schlotfeldt erwies sich als eifriger und fanatischer Nationalsozialist. Er war Wehrmachts- und Verbindungsoffizier zum NSLB und profilierte sich durch regelmäßige Veröffentlichungen im Mitteilungsblatt des NSLB.
1944 verdunkelten sich die Wolken über Karl Schlotfeldt. Hermann Reimnitz, Schulleiter der Schule Dockenhuden in Schlotfeldts Schulkreis, bezeichnete die Veröffentlichungen „zur wehrgeistigen Erziehung“ unter Schlotfeldts Namen als „Lumperei“ und „geistigen Diebstahl“ und „unter Deutschen nicht üblich“.[2]
Es ging dabei um die Aufsätze, die Schlotfeldt unter seinem Namen im Mitteilungsblatt des NSLB publiziert hatte, die teilweise von den ihm unterstellten Schulleitern stammten und wörtlich oder in leichter Überarbeitung veröffentlicht wurden.
Die Vorwürfe waren so schwerwiegend, dass es eine dienstliche Untersuchung gab, die vom Justitiar der Schulverwaltung, Hasso von Wedel, durchgeführt wurde. Von Wedel führte einige protokollierte Gespräche. Wichtiger Zeuge, neben den Beteiligten und den betroffenen Schulleitern war der Schriftleiter der „Hamburger Lehrerzeitung“, Max Fehring, der später auch für das Mitteilungsblatt des NSLB verantwortlich zeichnete, nachdem das Erscheinen der HLZ im Krieg eingestellt worden war. Fehring erklärte zu Schlotfeldts Veröffentlichungen am 5.10.1944: „Ich war Schriftleiter der Hamburger Lehrerzeitung. In dieser Zeitung sind zahlreiche Aufsätze unter Schulrat Schlotfeldts Namen erschienen, die meisten unter dem Leitgedanken, wie kann die wehrgeistige Erziehung in die einzelnen Fächer hineingetragen werden. Oft ist fast in jeder Nummer ein Aufsatz von Schulrat Schlotfeldt gewesen. Ich persönlich habe mich über die außerordentliche Fruchtbarkeit von Schulrat Schlotfeldt gewundert, ebenso über seine große Vielseitigkeit, da er sich nicht auf ein oder wenige Fächer beschränkte. Die Aufsätze breiteten ein großes Material aus, wenn sie vielleicht auch manchmal gröber zusammengeschlagen waren. Ich bin immer davon ausgegangen, daß Schulrat Schlotfeldt der Verfasser dieser Aufsätze war.“[3]
Schlotfeldt hatte gegenüber von Wedel zugegeben, dass nicht alle Aufsätze von ihm geschrieben worden waren. Sie unter seinem Namen zu veröffentlichen, sei ein Rat von Max Fehring gewesen, da „es nicht angängig sei, sie als Berichte einer AG hamburgischer Lehrer seines Schulkreises zu veröffentlichen“.[4]
Fehring erklärte, sich an eine solche Unterredung nicht zu erinnern: „Ich halte das sogar für ausgeschlossen, weil ja, wie ich vorhin schon sagte, es mir als Schriftleiter viel lieber gewesen wäre, wenn gelegentlich andere als Verfasser zu diesem Thema gezeichnet hätten und ich Schulrat Schlotfeldt dann sicher den Vorschlag gemacht hätte, doch einmal einen anderen als Verfasser anzuführen. Ich hätte auch sicherlich, wenn ich Schulrat Schlotfeldt den von ihm behaupteten Rat erteilt hätte, ihm vorgeschlagen, in einer Fußnote zu bemerken, daß die Aufsätze von einem Arbeitskreis erarbeitet seien. Die Vorgänge liegen ja immerhin mehrere Jahre zurück, deswegen möchte ich hier nicht erklären, daß das, was Schulrat Schlotfeldt anführt, nicht wahr sei. Richtig ist, daß ich Schulrat Schlotfeldt gelegentlich, wenn ich Stoff brauchte, auch gefragt habe, ob er wieder etwas habe. Gedrängt habe ich ihn allerdings nicht, da ich ja sehr häufig schon auf Vorrat Artikel von Schulrat Schlotfeldt liegen hatte. Gedrängt habe ich ihn lediglich bei der Zusammenstellung der Gefallenenanzeigen.“[5]
Die Aussagen der Altonaer Schulleiter fielen sehr unterschiedlich aus. Alle waren von Schlotfeldt angesprochen worden, hatten Material geliefert, das von Schlotfeldt be- und verarbeitet worden war. Dafür hätte es als Anerkennung Bücher mit Widmung von Schlotfeldt gegeben. Geärgert hatte sich Schulleiter Hermann Weyland, dass Schlotfeldt einen Aufsatz von ihm zum Thema „Zeichenunterricht und wehrgeistige Erziehung“ unter eigenem Namen veröffentlicht hatte. „Unternommen habe ich dagegen jedoch nichts. Ich empfand Schulrat Schlotfeldt gegenüber keine besondere Achtung und Neigung, hörte von anderen, dass es ihnen ebenso ergangen sei und ließ die Sache laufen.“[6]
Offenbar hatte es größeres Rumoren gegeben, als in den Vernehmungen zugegeben. So sagte etwa der Schulleiter Otto Anders über einen Aufsatz der AG Geschichte, an dem sechs bis sieben Schulleiter gearbeitet hatten und der vom Schulleiter der Arnkielstraße , Georg Jessen, zusammengefasst, allerdings unter Schlotfeldts Namen veröffentlicht worden war: „Ich persönlich hatte erwartet, daß am Ende der Reihe ein besonderer Hinweis erschienen wäre, in dem festgestellt war, daß diese unter Schlotfeldts Namen verfasste Serie eine Gemeinschaftsarbeit der Lehrerschaft sei. Daß ich darauf vergeblich gewartet habe, hat mir einen kleinen Knacks gegeben und mich in Bezug auf die Ehrlichkeit von Schulrat Schlotfeldt enttäuscht.“[7]
Anders verhielt sich Hermann Reimnitz, der sehr drastisch und unverblümt den NSDAP-Schulrat kritisierte und charakterisierte. Zu seinen Gründen erklärte er am 6.10.1944 gegenüber Schulrat Fritz Köhne:
„Ich erhebe gegen Schulrat Schlotfeldt den Vorwurf geistigen Diebstahls. Schon seit Jahren hat Herr Schlotfeldt sich bei seiner reichen literarischen Tätigkeit der Vorarbeiten anderer bedient, die er zum Teil in nur wenig veränderter Form in Zeitschriften unter seinem Namen veröffentlicht hat. Über diese Vorgänge ist auch unter Kollegen viel geredet worden. Als ich einmal erklärte, Schlotfeldt müsse doch ein erstaunliches Wissen haben bei seiner schriftstellerischen Produktivität wurde mir gesagt, das sei nur Arbeit anderer. Dadurch wurde ich aufmerksam und hörte noch mehrfach darüber etwas. Zum Beispiel fielen mir gegenüber Bemerkungen, warum denn keiner sich unter den Parteigenossen finde, der den Mut habe, Schlotfeldt dies zu sagen.“[8]
Hermann Reimnitz hatte aber auch ganz persönliche Gründe, sich über Schulrat Schlotfeldt zu ärgern und so massiv zu protestieren: „Wenn ich nach meinen Motiven für meine Meldung bei Herrn Köhne gefragt werde, so ist doch die Tatsache solchen geistigen Diebstahls Motiv genug. Ich gebe aber offen zu, daß ich auch in der letzten Zeit persönlich sehr verärgert war, weil ich auf Schlotfeldts Veranlassung durch Schulrat i. V. Backeberg eines Morgens revidiert worden bin. Ich bin als alter Parteigenosse sehr stark in politische Arbeit eingespannt und komme dadurch naturgemäß gegenüber Kollegen, die weniger aktiv sind, leicht ins Hintertreffen. Die Besichtigung fand Dienstag vor einer Woche statt (26. September). Am Tag vorher war ich unmittelbar nach meiner Schulzeit bis gegen 22:00 Uhr wegen Parteiarbeit fort und hatte, todmüde zurückgekehrt, keine Gelegenheit mehr gehabt, mich zu präparieren. Meine Leistungen vor der Klasse waren daher am Tage der Besichtigung nicht gut. Ich hätte, da Schlotfeldt die Verhältnisse kannte, es richtig gefunden, wenn er mich vorher auf die geplante Besichtigung meines Unterrichts aufmerksam gemacht hätte. Überhaupt halte ich das Regiment von Schlotfeldt in seinem Schulkreis für zu rigoros und nicht kollegial. Für mich alten Pg., der Jahrzehnte im völkischen Kampf stand, ist es hart zu sehen, daß andere, die damals wer weiß wo waren, jetzt das Rennen machen. Ich bin zum Beispiel auch früher kommissarischer Schulrat gewesen, dann aber durch irgendwelche Beurteilungen Fremder abgelöst worden. Ich betone aber, daß diese Verärgerung für mich nicht der entscheidende Grund war. Ich habe die Tatsache, daß Schlotfeldt geistigen Diebstahl begangen hat, schon lange als Unmöglichkeit empfunden. Diese letzten Ereignisse brachten aber einfach das Fass zum überlaufen. Entscheidend war für mich, daß ich als Pg. mich verpflichtet fühle, für Sauberkeit zu sorgen.“
Wie schwierig das Verhältnis von Schulrat Schlotfeldt und dem Parteigenossen und Schulleiter Reimnitz war, wurde deutlich, als Reimnitz von deren letzter Begegnung berichtete: „Ich habe dann letzten Dienstag mich mit Schlotfeldt ausgesprochen und ihm meine Vorwürfe ins Gesicht gesagt. Schlotfeldt hat mir zur Sache gesagt, daß die Kollegen einverstanden gewesen wären und daß der Erlös der Beiträge für Bücheranschaffungen verwandt worden sei. Er sagte mir zunächst, daß er mir danke, daß ich ihm das eröffnet habe. Ich wollte aber nicht diese Sache auf sich beruhen lassen, sondern habe ihm dann in sehr schroffer Form meine Beurteilung der Angelegenheit gesagt. Von Lumpereien und über Gesinnung gesprochen, den Ausdruck ,Pfui Teufel‘ gebraucht und gesagt, daß er sich schämen müsse, Parteiuniform zu tragen. Schlotfeldt war nach meiner Auffassung sehr bestürzt und sagte im wesentlichen nur: ‚Aber, Herr Kollege‘.“[9]
Die Bewertung durch die Schulverwaltung war im Ergebnis zurückhaltend und für Schulleiter Hermann Reimnitz sicherlich völlig unbefriedigend. Schlotfeldt habe zugegeben, dass die Aufsätze nur zum Teil von ihm stammten. Die Honorare seien zur Anschaffung von Büchern über wehrgeistige Schriften für die Schulkreisbücherei verwendet worden. „Angesichts der öffentlichen Erklärung von Schulrat Schlotfeldt auf der Rektorenkonferenz über die von ihm beabsichtigte Verwendung der Beiträge, der Ausführungen in dem Tätigkeitsbericht in der Augustnummer der Mitteilungsblätter, der von keiner Seite bestrittenen Verwendung des Honorars für schulische Zwecke, kann jedoch nicht festgestellt werden, daß der Fehler von Schulrat Schlotfeldt und das Versäumnis, auf die wahren Verfasser der Beiträge in angemessener Weise hinzuweisen, auf unlauteren Motiven beruht. Bei dieser Sachlage ist es nicht berechtigt, das Verhalten von Schulrat Schlotfeldt als ‚geistigen Diebstahl‘ zu bezeichnen, weil die Gesinnung eines Diebes zweifellos nicht vorlag. Man wird andererseits aber, da Schulrat Schlotfeldt objektiv gesehen fremdes Eigentum in unzulässiger Weise verwandt hat, gegen den Anzeigenden nicht vorgehen können. Dieser muss aufgeklärt werden, daß unlautere Motive Schulrat Schlotfeldt bei dem von ihm zweifellos begangenen Fehler nicht vorgeworfen werden können.“[10]
Hasso von Wedel schlug vor, Gauleiter und Reichsstatthalter Karl Kaufmann von dem Fall zu unterrichten, da Schlotfeldt Ortsgruppenleiter der NSDAP und Schulrat sei. Angemessen sei eine formlose Missbilligung Schlotfeldts und ihn auf das „Fehlerhafte“ seines Verhaltens hinzuweisen. Gleichzeitig sollten die Zeugen und die Schulaufsichtsbeamten unterrichtet werden.[11]
Senatssyndikus Dr. Hermann Schultz erklärte sich gegenüber dem Personalamt mit dem vorgeschlagenen Verfahren einverstanden. Er gehe aber auch davon aus, „dass es in der Schulverwaltung dann (gedeckt durch die Autorität des Herrn Reichsstatthalters und Gauleiters) gelingen wird, auch den Rektor Reimnitz, der seinen dienstlichen Vorgesetzten, Schulrat Schlotfeldt, in seiner begreiflichen Empörung über dessen unkorrektes Verhaltens ‚geistigen Diebstahl‘, ‚Lumpereien‘, ‚Pfui Teufel‘ und ‚Unmöglichkeit, die Parteiuniform zu tragen‘ vorwerfen durfte, für die Zukunft zum Schweigen zu bringen und ihn zu verpflichten, auf die Angelegenheit in keiner Weise wieder zurückzukommen. Andernfalls würde die Autorität des Schulrates natürlich stark erschüttert sein.“[12]
Im Weiteren wurde Vollzug gemeldet. Ernst Schrewe, Leiter der Schulverwaltung in den letzten Monaten vor Ende des Krieges, schrieb an Reichsstatthalter Kaufmann, dass Schlotfeldt „das Fehlerhafte seines Verhaltens eingesehen habe“. Rektor Reimnitz sei davon unterrichtet worden, dass es dennoch unberechtigt sei, „dessen Verhalten als geistigen Diebstahl zu bezeichnen, da Schulrat Schlotfeldt nicht aus unlauteren Beweggründen, die den Motiven eines Diebes vergleichbar seien, gehandelt habe.“[13]
Damit beschäftigte sich die Schulverwaltung noch im Februar 1945. Hermann Reimnitz konnte damit sicher nicht zufrieden sein, aber er hatte kurz darauf schon ganz andere Probleme, die im Weiteren geschildert werden.
Wer war Hermann Reimnitz, der sich am Ende der NS-Herrschaft so rebellisch zeigte?
Hermann Reimnitz wurde am 21.1.1893 in Karlsmarkt, Kreis Brieg, im Bezirk Breslau geboren. Er besuchte das Lehrerseminar und absolvierte am 8.2.1913 die erste Lehrerprüfung. Er bekam eine Anstellung in Langenbielau an einer evangelischen Knaben-Volksschule, bestand am 8.9.1914 die zweite Lehrerprüfung und zog anschließend in den Krieg, den er 1916 im Januar als Unteroffizier beendete.[14]
Anschließend wurde Hermann Reimnitz in Schlesien an verschiedenen Schulen vertretungsweise eingesetzt, bis er an der sechsklassigen evangelischen Volksschule in Neumittelwalde am 1.6.1917 eine feste Anstellung fand. Dort wurde er am 1.6.1922 zum Rektor ernannt. Reimnitz wechselte 1928 an die große Nachbarschule in Festenberg und ein Jahr später nach Maltsch, ebenfalls in Schlesien, an eine evangelische Volksschule, wiederum als Rektor. Das heißt, Hermann Reimnitz wurde, wenn auch an kleinen Schulen, schon während der Weimarer Republik als Rektor beschäftigt.[15]
An dieser Stelle ist einzufügen, dass Hermann Reimnitz bereits 1931 in den NSLB eintrat und als Kreisabschnittsleiter fungierte und am 1.8.1932 NSDAP-Mitglied wurde.[16]
Damit hing vermutlich der nächste Karriereschritt zusammen, als Reimnitz am 1.4.1934 zum kommissarischen Kreisschulrat in Grünberg (Schlesien) ernannt wurde.[17]
Diese Funktion hatte er allerdings nur knapp ein halbes Jahr inne, bereits zum 1.12.1934 erfolgte seine Abberufung. Reimnitz protestierte dagegen in einem Schreiben an den Regierungspräsidenten in Breslau am 27.11.1934, nachdem man ihm mitgeteilt hatte, zum 1.12.1934 wieder in den Schuldienst zurückzukehren und zwar auf seine vormalige Rektorenstelle in Maltsch: „Das wäre eine unerträgliche Bestrafung für mich, zumal ich mir irgend einer Schuld nicht bewusst bin. Falls meine bei dem Herrn Minister vorgebrachte Beschwerde bis zum 1. Dezember keinen Erfolg hat, bitte ich, mir zu erlauben, in meiner Angelegenheit persönlich in Berlin vorzusprechen. Zu dem Zwecke erbitte ich Urlaub für den 1., gegebenenfalls 4. Dezember.“[18]
Hermann Reimnitz erwies sich also schon hier als streitbar, ohne dass in seiner Personalakte dokumentiert ist, aus welchen Gründen man ihn nicht als Schulrat weiter beschäftigte. Immerhin hatte seine Intervention den Erfolg, dass das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung am 22.12.1934 verfügte, Reimnitz sofort in eine freie Rektorenstelle in Altona zu versetzen.[19]
Nach Ende der NS-Herrschaft gab Hermann Reimnitz am 14.6.1945 seine Version für die Nichtweiterbeschäftigung als Schulrat in Schlesien an. Seine Gründe waren schwerlich nachprüfbar, passten aber in seine Verteidigungsstrategie, von der NSDAP stets als unbequeme Persönlichkeit behandelt worden zu sein. Er schrieb über seine Absetzung als Schulrat und „Degradierung“ zum Rektor:
„Auf meine Beschwerde hin erfuhr ich, dass man mir kein Versagen in der Schule, dafür aber mangelnde Zusammenarbeit mit der Partei vorzuwerfen hatte. Ich hatte eine Reihe von Lehrern ohne die Partei zu befragen, allein wegen ihrer teils schulischen, teils wissenschaftlichen Tüchtigkeit zu fördern versucht. Es handelte sich um einen ehemaligen Demokraten Otto aus Grünberg, einen ehemaligen Zentrumsmann Hentschel aus Grünwald, der mit fünf Kindern in kleiner Schule und ungesunder Wohnung weit abgelegen von allem Verkehr hauste, um einen ehemaligen Sozialdemokraten aus Hammer, und um einen ehemaligen Volksparteiler Neumann aus Schlesisch-Nettkow. Jeder Versuch, zu meinem Recht zu kommen, schlug fehl. Mein Vertrauen in die Rechtssicherheit in der NSDAP war dadurch so erschüttert, dass ich die Absicht hatte, aus der Partei auszuscheiden. Ich unterließ es nur deshalb, weil ich damit gleichzeitig auch meinen Beruf verloren hätte.“[20]
Wahrscheinlich war das Angebot, das man Hermann Reimnitz machte, nicht so schlecht. Er bekam im Januar 1935 eine Rektorenstelle an der Schule Dockenhuden im Kreis Altona, zum 1.10.1935 sogar die Rektor-Wohnung Dockenhuden. Seine Frau, die das fünfte Kind erwartete, war noch in Schlesien geblieben, sodass Hermann Reimnitz einen Antrag auf doppelte Haushaltsführung stellte, der von Oberschulrat Hermann Saß allerdings abgelehnt wurde.[21] Mit seiner Ehefrau Elisabeth, geb. 1902, hatte Reimnitz sechs Kinder (geboren zwischen 1929 und 1937).[22]
Eine Charakterisierung der Person Hermann Reimnitz fand sich in dem Hospitationsbericht des neuen Altonaer Schulrates und SS-Mannes Stegemann vom 24.6.1936. Er notierte:
„Reimnitz ist eine herbe, karge Natur. Darum kommt naturnotwendig eine gewisse starre, trockene Linie in den Unterricht. Es fehlt etwas die lebendige Wärme. Jedoch ist der Arbeitswille der Schüler (innen) durchaus vorhanden. Sie lernen durch Reimnitz Vorbild die notwendige Ernsthaftigkeit bei der Arbeit, die innere Disziplin und den Willen zur Leistung.“[23]
Hermann Reimnitz war seit dem 1.1.1935 Volksschulrektor in Altona und bekam ab dem 1.1.1939 eine Stellenzulage, da seine Schule Dockenhuden mittlerweile 18 Klassen führte.[24]
Aus Altona schrieb Hermann Reimnitz eine Eingabe an „den Stellvertreter des Führers, Pg. Rudolf Hess, Berlin“ und beklagte sich darüber, was ihm in Schlesien geschehen war:
„Herr Minister! Partei und Staat haben mir ein unerhörtes Unrecht zugefügt. Am 1.4.1934 wurde ich kommissarischer Kreisschulrat in Grünberg in Schlesien. Zum 1.12.1934 wurde ich ohne Angabe von Gründen, wie sich aber bald herausstellt, wegen angeblicher politischer Ungeeignetheit, in eine Rektorstelle zurückversetzt. Ich wurde sogar gezwungen, den Dienst an meiner alten Rektorstelle in Maltsch an der Oder wieder aufzunehmen, bis ich dann am 16.1.1935 die Versetzung nach Altona erhielt. Schon am 22.11.1934 bat ich unter Darlegung der Verhältnisse, so weit sie für mich damals durchsichtig waren, den Herrn Minister, um Nachprüfung der Voraussetzungen für meine Zurückversetzung und um Rücknahme der Verfügung. Am 3.1.1935 wurde ich daraufhin beim Gau Schlesien durch den Gauschulungsleiter Pg. Stolpe in Gegenwart meines Widersachers, des Gauobmanns Schlesien des NSLB, Pg. Däunert in Breslau, vernommen, wobei die ‚Anklagen‘ in sich zusammenfielen. Seither habe ich nichts weiter darüber gehört, als dass seine Akten am 19.5.1935 noch nicht aus Schlesien nach Berlin zurück gelangt waren. Ich werde hier den dringenden Verdacht nicht los, dass eine schlesische Stelle ein Interesse an einer solchen für mich unerträglichen Verschleppung über nun schon fünf Monate hat.
Ich habe versucht, in Berlin eine in der Angelegenheit maßgebende Stelle zu sprechen: Ich wurde nicht vorgelassen, Trotz der öffentlichen Zusagen, dass jeder Volksgenosse einen Anspruch darauf hat, wenigstens gehört zu werden. Trotz dieser empörenden Behandlung kann ich mir nicht denken, dass ein Staat, der sehr wohl weiß, wie brüchig jede nicht in Recht begründete Ordnung ist, den offenen Rechtsbruch einer Parteistelle durch Stillschweigen gutheißt. Denn es ist Rechtsbruch, wenn der Gauobmann des NSLB, Däunert, das ihm von unteren Stellen zugetragene Material ohne Nachprüfung und ohne den Angeschuldigten zu hören, weitergibt und selber grobe Fälschungen hinzufügt. Ich kann mir nicht denken, dass ein Staat, der um seine eigene Ehre peinlichst bedacht ist und bedacht sein muss, die Ehre der Volksgenossen leichtfertig zerstören lässt. Ein solches Dulden müsste am Ende seine eigene Ehre aushöhlen.
Im Vertrauen darauf, dass zu einem völkischen Deutschland ein unbestechliches Recht gehört, wende ich mich an Sie, Herr Minister. Ich bettle nicht um Gnade – die brauche ich nicht und würde sie auch nicht annehmen. Ich beanspruche aber Wiederherstellung der einfachsten Lebensgrundlage, die mir zerstört worden ist: Ich beantrage die Wiederherstellung meiner Ehre! Dazu bitte ich um Ihre Hilfe! Heil Hitler!“[25]
Die Hinwendung zum „Stellvertreter des Führers“, Rudolf Heß, der für interne Parteiangelegenheiten zuständig war, brachte keinen Erfolg für Hermann Reimnitz. In einem Schreiben des Regierungspräsidenten Schleswig vom 31.5.1935 wurde ihm klargemacht, dass es auch im nationalsozialistischen Staatswesen so etwas wie einen Dienstweg gab. Man bedeutete ihm: „Wegen der Form Ihrer Eingabe spreche ich Ihnen im Auftrage des Herrn Ministers ernstliche Missbilligung aus.“[26]
In Altona fand für Hermann Reimnitz trotzdem erst einmal ein neues Leben statt. Am 10.11.1935 musste er, wie alle anderen Beamten, eine Erklärung über seine bisherigen Zugehörigkeiten zu Beamtenvereinigungen oder politischen Organisationen abgeben. Er notierte:
„Ich habe angehört: Von 1913–1931 dem Preußischen Lehrerverein, von 1931–33 dem Rektorenverein, von 1924–1933 dem ‚Bund völkischer Lehrer‘. Ich gehöre an: Seit 1.12.1931 dem NSLB.“[27] In seinem späteren Entnazifizierungsverfahren wurde deutlich, dass Hermann Reimnitz in Altona von 1936 bis 1943 als Kreisabschnittsleiter des NSLB tätig war und in der NSDAP, in die er am 1.8.1932 eingetreten war, in den Jahren 1940 bis 1943 als Ortsgruppenschulungsleiter fungierte.[28]
Der gekränkte Rebell hatte also niemals die nationalsozialistische Gemeinschaft verlassen, bei aller Frustration über Personen, von denen er sich in seiner Ehre und Achtung beschnitten gefühlt hatte.
Im Zuge der Auseinandersetzung von Hermann Reimnitz mit Schulrat Karl Schlotfeldt war deutlich geworden, dass Reimnitz noch 1944 intensiv in der NSDAP-Parteiarbeit steckte und sich deshalb besonders empörte, dass er nicht vorgewarnt worden war, von einem Schulratskollegen hospitiert zu werden. In einem Schreiben vom 24.6.1944 erwog der damalige Leiter der Schulverwaltung, Prof. Ernst Schrewe, sogar, Hermann Reimnitz von seiner Arbeit als Rektor zu entlasten, da er zu sehr mit Parteiarbeit beschäftigt war, die seine Möglichkeiten, die Schule zu leiten, deutlich einschränkten. Es hieß im Kontakt mit dem Gaustabsamtsleiter Dahlem:
„Durch die Schulferien ist einstweilen die Frage der Entlastung des Rektors Reimnitz geklärt. Wenn über die Schulferien hinaus Reimnitz für die Parteiarbeit weiterhin so sehr in Anspruch genommen ist, dass er für seine Aufgabe in der Schule nicht mehr die erforderliche Zeit besitzt, bin ich bereit, ihn für einige Zeit freizugeben, und zwar auf jederzeitigen Widerruf. Allerdings ist es dann notwendig, auch die Schulleitung für diese Zeit einem Vertreter zu übertragen. Die Volksschule, die Herr Reimnitz leitet, gehört heute mit ihren 28 Lehrkräften zu den größten Volksschulen im Kreis 7. Ein derartiger Betrieb verlangt eine tätige Anteilnahme des verantwortlichen Leiters. Wenn R. für eine kürzere Zeit ganz freigestellt werden soll, dann bitte ich um Nachricht, damit seine Vertretung geregelt werden kann.“[29]
Hermann Reimnitz war demnach bis Ende der NS-Herrschaft ein umtriebiger Vertreter von deren Politik. Absehbar, dass dies zu erheblichen Schwierigkeiten nach Ende des Regimes führen würde. Am 18.6.1945 wurde Hermann Reimnitz aufgrund des Gesetzes Nummer 6 der Britischen Militärregierung vom 11.5.1945 aus dem Schuldienst entlassen. Er gehörte bekanntlich zu denen, die schon vor dem 1.5.1933 in die NSDAP eingetreten waren. Und dies war eines der wichtigen Entlassungskriterien. Am 2.10.1945 wurde auch der Einspruch gegen diese Entlassung von der Hamburger Schulverwaltung durch Senator Landahl verworfen.[30]
Hermann Reimnitz schrieb an die Hamburger Schulverwaltung über seine Situation 1945 und die Schwierigkeiten für ihn und seine Familie in der Zeit danach:
„Bis 1940 war ich Rektor der Volksschule Dockenhuden in Hamburg Blankenese. Am 18.6.1945 wurde ich auf Anordnung der Militärregierung entlassen. Weil ich damit auch meine Dienstwohnung verlor und in Hamburg mit meiner achtköpfigen Familie keine Wohnung bekam, zog ich nach Keitum-Sylt. Seit dem 1.7.1948 bin ich arbeitslos und bekomme für jeden Monat eine Arbeitslosen-Fürsorge-Unterstützung von 134,40 DM. Da alle meine Kinder noch unversorgt sind (vier in der Schule, zwei in Lehrlingsausbildung), ich seit 1946 viermal umziehen musste, geriet ich seit dem Währungsschnitt in drückende Schulden, die ich aus eigener Kraft nicht bezahlen kann. Der Winter mit seinen notwendigen Anschaffungen steht vor der Tür. Ich weiß mir keinen anderen Rat, als Sie um Unterstützung zu bitten.“[31]
In der Anlage zu seinem Entnazifizierungsfragebogen versuchte Reimnitz seine Aktivitäten innerhalb der NSDAP kleinzureden. So schrieb er zum Beispiel:
„Außer als Ortsgruppenschulungsleiter bin ich gelegentlich auch in anderer Weise durch die Partei zur Arbeit herangezogen worden, zum Beispiel als Mitarbeiter bei der Fest- und Feiergestaltung, als Mitglied des Luftschutz-Einsatztrupps der Ortsgruppe. Ortsgruppenschulungsleiter bezeichnet den von mir erreichten höchsten Rang.“[32]
Und zur Frage, welche Reden und Vorträge er gehalten habe.
„Wenn die Vorträge eines Ortsgruppenschulungsleiters im Sinne dieses Absatzes politische Reden sind, dann hätte ich eine größere Anzahl anzuführen. Sie bewegten sich jedoch lediglich innerhalb des Rahmens der uns durch die Partei in die Hand gegebenen Unterlagen. Da ich auch keine Aufzeichnungen darüber habe, könnte ich hier nur unvollständige und ungenaue Angaben machen.“33 Möglicherweise war ihm nicht klar, dass er gerade erklärt hatte, als Propagandist der NSDAP auf Grundlage der Parteimaterialien die Ortsgruppe auf die Ideologie der NSDAP eingeschworen zu haben.
Zu Recht behauptete Hermann Reimnitz von sich:
„Ich leugne nicht, Nationalsozialist gewesen zu sein. Aber ich habe jederzeit eine eigene Meinung für mich in Anspruch genommen.“[34]
In seiner Hamburger Personalakte gibt es zwei Leumundszeugnisse, die den Charakter und die Persönlichkeit von Hermann Reimnitz differenzieren halfen. Sie beleuchten möglicherweise, was hinter der Person stand, die von Schulrat Stegemann als „eine herbe, karge Natur“ bezeichnet wurde, mit „einer gewissen starren, trockenen Linie“, der „etwas die lebendige Wärme“ fehle.[35]
Die Lehrerin Lissy Pfeffer, an der Schule Dockenhuden tätig während Reimnitz Schulleiter-Zeit, schätzte Hermann Reimnitz bei aller „verschiedenartiger politischen Einstellung“. Es habe „menschlich eine schöne Verbindung“ gegeben. „Ich habe bei Reimnitz immer eine innere Lauterkeit empfunden. Herr Reimnitz ist der Typ eines ‚reinen Toren‘. Von einer in Erstaunen setzenden Unfähigkeit zum Misstrauen, selbst von tiefer Gläubigkeit erfüllt, mit heiligem Willen zur Wahrheit und zum Rechten beschritt er so den Irrweg . Weil er den Sinn des Lebens sieht in der Ausgestaltung innerer Werte, ging es ihm nie um äußere Vorteile. Er hat durch seine verschiedenen Ämter in der Partei nie pekuniäre Vorteile gehabt und lebte mit seiner Familie auch in normalen Zeiten in dem bescheidenen Rahmen eines kinderreichen Schulleiters, wie überhaupt innere und äußere Bescheidenheit wesentliche Merkmale seines Wesens sind. Diese Charaktereigenschaft macht ihn auch hilflos, wenn es sich um persönliche Rechtfertigung handelt, so dass er immer darauf angewiesen ist, in solcher Not Fürsprecher zu finden. Im Gegensatz zu der Ungeschicklichkeit, in persönlichen Dingen sein Wort zu machen, steht eine große Begabung, in geistigen Dingen seine Gedanken klar und schön zu formulieren, wenn es sich um Grundsätzliches handelt, hat er sich oft mutvoll eingesetzt.“[36]
Sie verwies dabei auf die „schonungslose“ Auseinandersetzung mit Schulrat Karl Schlotfeldt.
Noch bedeutsamer war das Leumundszeugnis der sozialdemokratischen Schulrätin Dora Christiansen am 20.11.1948. Dora Christiansen war die erste Schulrätin in Hamburg seit 1920 im Volkschulbereich und war von den Nationalsozialisten 1933 in den Ruhestand versetzt worden.
Dora Christiansen wusste über Hermann Reimnitz zu berichten:
„Herr Rektor Reimnitz ist mir seit 1928 bekannt, da er schon damals aus Liebe zu Schleswig Holstein seine Ferien regelmäßig hier oben zu verbringen pflegte. Schmerzlich und unbegreiflich war es mir, dass Herr Reimnitz schon einige Jahre vor 1933 ein Anhänger der Hitler-Bewegung wurde. Freilich war es verständlich, dass er nur das Gute in dieser Bewegung zu sehen glaubte, da er seine eigene saubere Gesinnung auch Hitler und seinen Anhängern unterstellte.
Als er im Frühjahr 1934 zum Schulrat ernannt wurde, freute ich mich um der Sache willen über diese Ernennung; denn Herr Reimnitz ist nicht nur ein hervorragend tüchtiger Schulfachmann, sondern ich war auch überzeugt, dass er den Mut haben würde, die ihm unterstellten Schulen vor schädlichen Einflüssen der Partei so viel wie möglich zu bewahren. Tatsächlich hat er denn auch gleich von Anfang an sich gegen die Übergriffe der Partei und der Hitler-Jugend gestemmt, Leider aber mit dem Erfolg, dass er schon nach acht Monaten als Schulrat wieder abgesetzt wurde. Als er bei seinem Ferienaufenthalt in Husum meinem Vater, der ebenfalls Lehrer war, und mir Vorgänge mitbrachte, die seine Kämpfe mit der Partei zeigten, waren wir tief erschüttert von dem Bild, dass diese Angelegenheit von den Zuständen in der Partei und von ihren Übergriffen auf die Schule gab. Herr Reimnitz war durch das, was er erlebt hatte, sehr bitter und äußerte sich in zum Teil sehr kräftigen Ausdrücken über den ‚Saustall Rust‘ und über den ‚Verbrecher Baldur von Schirach‘, der unsere Jugend verdürbe.“[37]
Frau Christiansen kannte auch Karl Schlotfeldt und wusste von den Konflikten die Reimnitz mit Schlotfeldt gehabt hatte:
„Sehr schwierig gestaltete sich seine Lage nach seiner Versetzung nach Blankenese, als dort einer der übelsten und aktivsten Nationalsozialisten sein Schulrat wurde. Da ich diesen Mann recht gut kannte aus der Zeit, als er Kreisamtsleiter des Lehrerbundes im Kreise Husum war, sah ich für Herrn Reimnitz Schwierigkeiten voraus. Er hat dann tatsächlich auch durch die Jahre hindurch fortgesetzt Schwierigkeiten und harte Kämpfe mit seinem Schulrat auszufechten gehabt. Ganz besonders schwierig gestaltete sich seine Lage dadurch, dass er in seinem Kollegium Lehrkräfte hatte, die Parteigegner waren und sich in ihren Äußerungen nicht immer genügend in acht nahmen. Bei einem Besuch in Husum im April 1943 erzählte Herr Reimnitz mir, wie schwierig manchmal seine Lage dadurch würde, dass er für diese Lehrkräfte einträte. Diese Unterhaltung im April 1943 war die letzte, die ich während der Hitler-Zeit mit Herrn Reimnitz hatte. Ich erzählte ihm sehr viel von den Vorkommnissen in Husum, die so recht die Schandtaten der Hitler-Jugend beleuchteten. Wenn ich seine eigene Gesinnung nicht so genau gekannt hätte, wäre es unmöglich für mich gewesen, mich über alle diese haarsträubenden Vorgänge frei zu äußern. Herr R. war außer sich und wäre am liebsten sofort bei den zuständigen Stellen vorstellig geworden, um Abhilfe zu schaffen. Er bat mich dringend, in meinen Äußerungen vorsichtig zu sein, da er ja aus eigener Erfahrung die Rücksichtslosigkeit der Parteidienststellen kannte.“[38]
Dora Christiansen kam zu dem Schluss:
„Ein Mann, der zwar so überzeugt von den reinen Absichten der Hitler-Bewegung im Anfang war, der aber dann schon so bald viele Schäden erkannte, die von der Partei und der Hitler-Jugend angerichtet wurden, der außerdem alles, was in seiner Macht stand, tat, um Parteigegner zu schützen und um den allzu starken Einfluss der Partei von der Schule fernzuhalten, kann niemals als ‚übler‘ Nazi bezeichnet werden. Dass Herr Reimnitz heute längst den großen Betrug des Hitler-Reiches erkannt hat und sich zu demokratischem Denken zurückgefunden hat, wäre für mich ein Grund, ihn ohne jede Bedenken in meinem Schulaufsichtsbezirk wieder einzustellen; denn er gehört nicht nur zu den Erziehern, die im heutigen Staate tragbar, sondern zu denen, die zum Wiederaufbau des Schulwesens unentbehrlich sind.“[39]
Starke Worte einer Frau, deren demokratischer Leumund unzweifelhaft war. Allerdings war ihr auch nicht bekannt, dass Hermann Reimnitz bis zum Ende der NS-Zeit für die NSDAP tätig gewesen war und er ab dem 15.5.1944 in Hamburg dem Landsturm I A angehörte.[40]
Hermann Reimnitz war nach der Entlassung und aufgrund der Räumung seiner Dienstwohnung mit der Familie nach Sylt verzogen, ohne dass er ein Verfahren gegen seine Entlassung anstrengte und ohne dass es in Hamburg ein Entnazifizierungsverfahren gab. Allerdings erhielt die Hamburger Schulbehörde Mitteilungen aus Schleswig- Holstein über die dort stattfindenden Entnazifizierungsverfahren. So stellte Friedrich Wilhelm Licht am 3.6.1948 fest, der Hauptausschuss des Entnazifizierungsausschusses für den Kreis Süd-Tondern hätte „am 20.5.1948 Reimnitz in Kategorie III eingestuft und ihm untersagt, als Lehrer oder in ähnlichen Stellungen tätig zu sein. Bei völliger Arbeitsunfähigkeit kann ihm 50 % der Pension bewilligt werden.“[41]
Hermann Reimnitz lebte mit seiner Familie zuerst in Keitum auf Sylt und bekam am 24.6.1949 die Mitteilung vom Entnazifizierung-Hauptausschuss des Kreises Süd-Tondern, dass er nach periodischer Überprüfung nunmehr in Kategorie V eingestuft sei.[42]
Hermann Reimnitz hatte daraufhin ab dem 14.11.1949 eine Anstellung an der Volksschule Klappholttal auf Sylt gefunden, beantragte aber zugleich, wieder in den Hamburgischen Schuldienst eingestellt zu werden.[43]
Daraufhin tagte in Hamburg der Beratende Ausschuss 7 a am 12.10.1949. Zu seiner Sitzung waren ehemalige Lehrerinnen und Lehrer eingeladen, die in der NS-Zeit an der von Hermann Reimnitz geleiteten Schule Dockenhuden tätig gewesen waren. Der Ausschuss empfahl:
„Nach eingehender Aussprache kamen wir einstimmig zu dem Ergebnis, dass gegen die Wiedereinstellung des Herrn Reimnitz in den Schuldienst nichts einzuwenden ist. Er gehörte wohl zu den ideell überzeugten Nazis, hat aber nicht aus böser Absicht jemand Böses zufügen wollen. In seinem eigenen Interesse und im Interesse der Schule würde es nicht erwünscht sein, wenn er in den Elbgemeinden angestellt würde.“[44]
Daraufhin legte der Personalreferent für den Volksschulbereich, OSR Karl Hoffmann einen Vermerk für Senator Heinrich Landahl vor, in dem er die Daten aus der Personalakte von Hermann Reimnitz zusammenfasste mit dessen NS-Tätigkeiten. Hoffmann resümierte: „Herr Reimnitz ist sehr eifrig und betont für die Partei tätig gewesen. 1944 erwog man, ihn wegen dieser Tätigkeit vom Schuldienst ganz zu befreien.“ Hoffmanns Plädoyer: „In Übereinstimmung mit dem Lehrerbetriebsrat, dessen Vorsitzender Herrn Reimnitz aus seiner früheren Tätigkeit in Altona genau kennt, schlage ich vor, den Antrag auf Einstellung abzulehnen. Falls sein jetziges Dienstverhältnis endet, würde die Zahlung der Unterhaltsbeihilfe einsetzen.“[45]
Senator Landahl schloss sich dieser Position an und teilte dem Senatsamt mit, dass eine Wiedereinstellung von Hermann Reimnitz im Hamburger Schuldienst abgelehnt würde.[46]
Dies wurde Hermann Reimnitz am 8.5.1950 nach Tinnum/Sylt mitgeteilt.[47]
Am 17.3.1952 wurde die Hamburger Schulverwaltung aus Niebüll angeschrieben mit dem Hinweis, das Hermann Reimnitz, der nach wie vor als Lehrer an der Lagerschule Klappholttal tätig sei, sich um eine Rektorenstelle beworben habe, mit dem Hinweis, dass er von 1935–1945 eine solche Stelle schon in Hamburg wahrgenommen habe. Man bat um Zusendung der Personalakten aus Hamburg, was dann auch geschah.[48]
Laut Personalakte wurde Hermann Reimnitz auf Sylt am 4.6.1954 in den Ruhestand versetzt, da er nicht mehr dienstfähig war.[49] 1955 wandte er sich an die Hamburger Schulbehörde mit einer ungewöhnlichen Anfrage:
„Ich kann in Kampen ein Haus durch Zahlung einer jährlichen Leibrente in Höhe von 2000 DM erwerben. Da das Haus geräumig ist, kann ich den Hauptteil der Leibrente aus Vermietungen an Sommergäste herausholen. Der Verkäufer verlangt für die regelmäßige Zahlung der Leibrente eine Sicherheit. Der Anteil an meiner Pension den ich von der Stadt Hamburg erhalte, entspricht etwa dem aufzubringenden Betrag. Darf ich darum bitten, mir Ihre Einwilligung dazu zu geben, dass der Verkäufer des Hauses ein Zugriffsrecht auf diesen Teil meiner Pension erhält, falls ich meine Zahlungspflicht nicht erfülle?“[50]
Aus einem Vermerk ging hervor, das Hermann Reimnitz in Schleswig- Holstein eine Pension von 591,50 DM erhielt und Hamburg den Unterschiedsbetrag in Höhe von 170 DM bezahlte. Die Behörde teilte Reimnitz mit, dass dieser Anteil „nicht pfandbar“ sei.[51]
Hermann Reimnitz hatte um schnelle Rückmeldung gebeten, da bereits 1955 ein Problem auf der Insel virulent war:
„Auf Sylt werden alle irgendwie greifbaren Zimmer für Sommergäste zur Verfügung gehalten. Auf dieser Grundlage steht für die meisten Insulaner entweder ganz oder zum Hauptteil der Lebensunterhalt. Ich habe aus dem Grunde hier neun Jahre in unmöglichen Baracken gewohnt und möchte endlich wieder menschlich wohnen können.“[52]
Hermann Reimnitz schrieb erneut am 25.3.1958 an die Finanzbehörde Hamburg, mit der Bitte um ein Baudarlehen. Absender war wieder Klappholttal/Sylt, Vogelkoje. An seiner Wohnsituation hatte sich nicht viel verändert und er beabsichtigte, zu bauen:
„Seit dem Kriege bin ich hier fünfmal von Baracke zu Baracke umgezogen und wohne auch jetzt nur in einem aus Barackenholz selbst gebauten Schuppen. Der Großteil meiner Möbel ist in einer Tinnumer Scheune untergestellt, meine große Bücherei liegt seit drei Jahren in Kisten verpackt in einem ehemaligen Schweinestall, von dem ich nur mit Mühe die Ratten und Mäuse fernhalten kann.“[53]
Hermann Reimnitz wies darauf hin, eine große Familie mit sechs Kindern zu haben, darum „nicht klein bauen“ zu können.
Möglicherweise konnte das Bauprojekt realisiert werden. Das letzte Schreiben von Hermann Reimnitz in seiner Personalakte vom 19.1.1968, war die Antwort an Landesschulrat Ernst Matthewes, dem Reimnitz für ein Glückwunschschreiben zu seinem 75. Geburtstag dankte. Es machte den Eindruck, als habe Hermann Reimnitz seinen Frieden mit Hamburg gefunden und es dokumentiert, das zumindest seine sechs Kinder erfolgreich waren, wenn zu einem großen Teil auch in der neuen Welt. Reimnitz schrieb:
„Haben Sie sehr herzlichen Dank für Ihre Glückwünsche zu meinem 75. Lebensjahr. Sie haben mich ganz besonders gefreut. Unsere ganze Familie (wir haben sechs Kinder) hat Hamburg sehr lieb gewonnen und empfindet diese Stadt durchaus als Heimat, obwohl ich geborener Schlesier bin. Es ist doch eben die Weite der geistigen Welt und die Weite der Wirtschaft, die uns alle sehr stark berührt und geprägt haben. In welchem Maße das unser weiteres Schicksal bestimmt hat, werden Sie vielleicht ahnen, wenn ich Ihnen einiges von unseren Kindern sage:
1.    Rudolf, unser ältestes Kind, ist Kapitän auf einem eigenen Schiff in Alaska.
2.    Erk, der zweite, ist Doktor der Ozeanographie in San Diego/Alaska und treibt Meeresforschungen.
3.    Volker ist Rechtsanwalt in Hamburg.
4.    Frauke, unsere einzige Tochter, ist Krankenschwester in San Diego/Alaska.
5.    Olaf ist Pianist, ausgebildet von Professor Konrad Hansen in Hamburg.
6.    Hartmut, zum Schauspieler ausgebildet bei Eduard Marx, etwa zwei Jahre Schauspieler in Oldenburg, folgte dem Ruf der Geschwister und ist Kapitän in Alaska.
In ihnen allen ist also die hanseatische Unruhe zu spüren, keinesfalls zum Nachteil, und wir Alten freuen uns darüber.“[54]
Hermann Reimnitz starb am 8.4.1976. Seine Frau Elisabeth, geboren am 1.5.1902, wurde fast 100 Jahre alt und starb am 27.7.2001.[55]
Besucher der Insel Sylt, die viel mit dem Fahrrad unterwegs sind, kennen auf der Insel Klappholttal, wo Hermann Reimnitz nach 1945 gearbeitet hatte.
Während des Ersten Weltkrieges entstanden in den Sylter Küstendünen mehrere abgelegene Stellungen und Lager des deutschen Militärs. Eines davon war das „Lager Klappholttal“. Dieses Lager diente Soldaten der Inselwache als Quartier.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit entstand im Jahr 1919 in den verlassenen, jedoch relativ gut erhaltenen Baracken unter der Leitung des Kampener Arztes Knud Ahlborn das „Freideutsche Lager Klappholttal auf Sylt“. Hieraus entwickelte sich die heutige Bildungs- und Erholungsstätte. Nach 1945 lebten dort auch Kriegswaisen, die Hermann Reimnitz unterrichtete. Bis zum Bau einer Straße 1970 war das Lager ausschließlich zu Fuß auf Dünenpfaden oder durch die 1907 errichtete Nordbahn der Sylter Inselbahn, und seit 1958 über einen befestigten Fußweg zu erreichen.
Von 1971 bis 1998 war dort die Volkshochschule Klappholttal untergebracht, seit 1976 Akademie am Meer benannt. In einem Buch, herausgegeben von Michael Andritzky und Kai J. Friedrich: Klappholttal/Sylt 1919–1989, wird die Geschichte von Klappholttal in Geschichten erzählt. Eine Erinnerung darin ist dem Lehrer Hermann Reimnitz gewidmet und die soll abschließend wiedergegeben werden:
„Dann aber kam Hermann Reimnitz. Hermann Reimnitz war nicht nur Lehrer, er war wie ein Vater. Er wusste uns ‚aufzuwecken‘, allen Dingen gingen wir auf den Grund. Er brachte uns das Zeichnen bei mit dem Blick für das Wesentliche, er lehrte uns schnitzen, Naturzusammenhänge erkennen und vieles, vieles mehr. Wir verehrten und liebten ihn zugleich. Wir wetteiferten um Entdeckungen, das Lernen machte ungemein Freude. Herr Reimnitz war auch jener, der unsere Speisekarte bereicherte. Wir stellten selbst Salz her. Meerwasser wurde geholt, auf dem Ofen verdunstet, und wir hatten jeder eine Tüte Salz für die Speisen. Auch legten wir Sammlungen von Steinen, Muscheln und Bernstein an.
Herr Reimnitz kam aus Schlesien und war irgendwo vorher Rektor. Seine Familie bestand aus vier prächtigen Söhnen, einer Tochter und einer ‚germanischen Mutter‘. Die Söhne waren teilweise bei uns im Unterricht. Sie gehörten zu uns, wie wir alle zu seiner Familie gehörten. In Tinnum bewohnten die Reimnitz’ens, wunderbar abgelegen zwischen Westerland und Keitum ein Holzhaus mit Garten und Tieren: auch waren nur einige hundert Meter entfernt das kilometerlange ‚Loch‘ mit Waldbestand. Das sogenannte ‚Loch‘ war beim Bau des Hindenburgdammes entstanden. Oft gingen wir dort auf die Jagd. Einmal fingen wir einen jungen Fuchs, der sich aber nach wenigen Tagen wieder selbst befreite. Ein enger Freund von Hermann Reimnitz war der Inselmaler Magnus Weidemann.“[56]
Geschrieben von dem Kriegswaisen Paul Stöpel, der nach dem Krieg in Klappholttal lebte. Ein schönes Zeugnis für den Lehrer Reimnitz.
Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen
1 Siehe die Biografie Karl Schlotfeldt, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 1, Hamburg 2016, S. 254 ff.
2 Schreiben von Hermann Reimnitz vom 4. und 6.11.1944, in: StA HH Senatskommission für den höheren Verwaltungsdienst, G 8c HH 1943 IV/31
3 Protokoll vom 5.11.1944, Vernehmung Max Fehring, ebd. Siehe die Biografie Fehring in diesem Band.
4 Zusammenfassender Bericht von Hasso von Wedel vom 18.10.1944, ebd.
5 Protokoll vom 5.10.1944, ebd.
6 Vernehmung Hermann Weyland vom 6.10.1944, ebd.
7 Vernehmungsprotokoll vom 7.10.1944, ebd.
8 Ebd.
9 Protokoll vom 6.10.1944, ebd.
10 Bericht von Hasso von Wedel vom 18.10.1944, ebd.
11 Ebd.
12 Vermerk vom 23.11.1944, ebd.
13 Schreiben vom 20.2.1945, ebd. Siehe auch Biografien Hasso von Wedel und Ernst Schrewe, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 2, Hamburg 2017, S. 120 ff. und S. 82 ff.
14 Personalakte Reimnitz, StA HH, 361-3_Nr. 3688
15 Alle Angaben laut Personalakte a. a. O.
16 Entnazifizierungsakte Reimnitz, StA HH, 221-11_Ed 9369
17 Personalakte a. a. O.
18 Schreiben vom 27.11.1934, Personalakte a. a. O.
19 Schreiben vom 22.12.1934, Personalakte a. a. O.
20 Schreiben vom 14.6.1945, Personalakte a. a. O.
21 Personalakte a. a. O.
22 Ebd.
23 Ebd.
24 Ebd.
25 Schreiben vom 16.4.1935, Personalakte a. a. O.
26 Schreiben vom 31.5.1935, Personalakte a. a. O.
27 Erklärung vom 10.11.1935, Personalakte a. a. O.
28 Aktenvermerk vom 3.3.1954, Entnazifizierungsakte a. a. O.
29 Schreiben vom 24.6.1944, Personalakte a. a. O.
30 Entnazifizierungsakte a. a. O.
31 Schreiben vom 3.10.1946, Personalakte a. a. O.
32 Anlage zum Fragebogen, Personalakte a. a. O.
33 Ebd.
34 Ebd.
35 Siehe Anmerkung 23.
36 Schreiben von Lizzy Pfeffer an Schulrat Kurt Zeidler am 7.10.1949, Personalakte a. a. O.
37 Schreiben von Dora Christiansen vom 20.11.1948, Personalakte a. a. O.
38 Ebd.
39 Ebd.
40 Personalakte a. a. O.
41 Vermerk vom 3.6.1948, Personalakte a. a. O.
42 Schreiben vom 24.6.1949, in Abschrift in der Personalakte a. a. O.
43 Antrag vom 5.3.1950, Personalakte a. a. O.
44 Beratender Ausschuss 7 a vom 12.10.1949, Personalakte a. a. O.
45 Vermerk von Oberschulrat Hoffmann vom 10.3.1950, Personalakte a. a. O.
46 Stellungnahme der Schulbehörde vom 31.3.1950, Personalakte a. a. O.
47 Schreiben vom 8.5.1950, Personalakte a. a. O.
48 Schreiben vom 17.3.1952, Personalakte a. a. O.
49 Personalakte a. a. O.
50 Schreiben vom 7.7.1955, Personalakte a. a. O.
51 Vermerk vom 10.8.1955, Entnazifizierungsakte a. a. O.
52 Schreiben vom 28.7.1955, Personalakte a. a. O.
53 Schreiben vom 25.3.1958, Personalakte a. a. O.
54 Schreiben vom 19.1.1968, Personalakte a. a. O.
55 Personalakte a. a. O.
56 Michael Andritzky und Kai J. Friedrich (Hg.): Klappholttal/Sylt 1919–1989 Geschichte und Geschichten, Giessen 1989, S. 125 f.
 

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Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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