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Gerhard Rösch

(27.6.1889 Hamburg – 7.10.1962)
Stellvertret. Schulleiter am Johanneum, später Oberstudiendirektor an der Hansa-Schule (später Helene-Lange-Schule)
Heidlohstraße 38 (Wohnadresse 1955)

Hans-Peter de Lorent hat über Gerhard Rösch ein Portrait verfasst, das in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz. Band. 3. Hamburg 2019 erschienen und im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg erhältlich ist. Hier der Text:  
„Meine Berufung zum Schulleiter der Hansa-Oberschule Ostern 1938 erfolgte gegen meinen Wunsch und Willen und gegen meinen Einspruch auf Drängen der Behörde.“
Ein überzeugter Nationalsozialist, der früh in die NSDAP, in den NSLB und auch in die SA eingetreten war, wobei im späteren Entnazifizierungsverfahren über das Eintrittsdatum Widersprüche aufgeklärt werden mussten, war Gerhard Rösch. Er war der Bruder einer der schillerndsten Figuren im Hamburger Schulwesen während der Nazizeit, Hans Rösch. Über den Charakter von Gerhard Rösch und seine Haltung gegenüber den Lehrern und jüdischen Schülern gab es widersprüchliche Aussagen. Ralph Giordano schrieb: „Er war ein Nazi, aber gut zu mir und meinem Bruder Egon.“[1] Rösch arbeitete jahrelang als Lehrer an der Gelehrtenschule des Johanneums, in der NS-Zeit dort als stellvertretender Schulleiter, später als Oberstudiendirektor an der Hansa-Schule in Eimsbüttel (Helene-Lange-Schule). Allerdings nur solange, bis er als Offizier in die Wehrmacht eintrat, wo er am Ende des Krieges als Major in amerikanische Gefangenschaft geriet. Ein Leben voller Widersprüche.
Gerhard Rösch wurde am 27.6.1889 als Sohn eines Volksschullehrers in Hamburg geboren. Er besuchte drei Jahre lang die Seminarschule am Grindelhof und danach, wie sein Bruder Hans Rösch, das Wilhelm-Gymnasium in Hamburg, wo er 1908 die Reifeprüfung bestand. Anschließend studierte er klassische Philologie, Geschichte und Archäologie an den Universitäten Heidelberg, Straßburg und Kiel, wo er am 7.7.1914 mit einer Dissertation zum Thema „Altertümliche Marmorwerke von Paros“ promoviert wurde.[2]
Rösch kam mit dem späteren Schulleiter Werner Puttfarken an die Gelehrtenschule des Johanneums, um dort das Probejahr zu absolvieren. Nach zwischenzeitlicher Einberufung zum Heeresdienst im Ersten Weltkrieg wurde Rösch am 1.7.1918 als Oberlehrer am Johanneum fest eingestellt.
Gerhard Rösch war verheiratet und hatte mit seiner Frau Marie drei Kinder.[3]
Politisch vertrat er eine konservative Ausrichtung. Schon in den 1920er Jahren unterstützte er bei der Lehrerkammerwahl die „Rechtsfraktion“, die von dem Oberlehrer des Johanneums, Carl Bertheau, angeführt wurde und die an dieser Schule viele Unterstützer hatte, die später überzeugte Nationalsozialisten wurden.[4]
Gerhard Rösch war außerdem Mitglied des Hamburger Philologenvereins und kandidierte am Übergang zur NS-Herrschaft 1933 für dessen Vorstand. Theodor Mühe hatte den Vorsitz niedergelegt und an Karl Züge weitergegeben. Beide spielten während der NS-Zeit eine bedeutende Rolle als Oberschulräte für die höheren Schulen.[5]
Im Personalbogen, der in seiner Personalakte liegt, gab Gerhard Rösch an, seit dem 5.7.1932 Mitglied der NSDAP zu sein (Mitgliedsnummer 1271956), in die SA am 1.3.1932 eingetreten zu sein und auch seit dem 1.11.1932 dem NSLB anzugehören.[6]
Später, nach Ende der NS-Herrschaft, als frühe Eintrittsdaten in die nationalsozialistischen Organisationen für eine Wiederbeschäftigung im Hamburger Schuldienst hinderlich waren, machte Gerhard Rösch korrigierte Angaben. Zunächst einmal erwies sich sein frühes Engagement für die NSDAP als karrierefördernd. Zum 11.7.1933 war Gerhard Rösch als neuer stellvertretender Schulleiter mit Schulleiter Werner Puttfarken für die Gelehrtenschule des Johanneums ernannt worden.[7]
Über die Arbeit von Gerhard Rösch am Johanneum gibt es widersprüchliche Aussagen. Einerseits wurde kolportiert, dass Stellvertreter Gerhard Rösch gemeinsam mit dem antisemitischen Werner Puttfarken 1937 die Aufnahme jüdischer Schüler abgelehnt hatte, was Puttfarken mit den Worten kommentierte:
„Ich habe durch die große Anzahl jüdischer und halbjüdischer Schüler große Schwierigkeiten und Behinderungen in der politischen Erziehung der Schüler. Keiner meiner Lehrer und deutschen Schüler würde es verstehen, wenn jetzt noch Juden aufgenommen würden.“[8]
Die Unterstützung durch Rösch in dieser Haltung widerspricht anderen Aussagen, etwa der von Ralph Giordano, der mir bei seiner Kommentierung des Lehrerkollegiums des Johanneums geschrieben hatte: „Rösch war ein Nazi, aber gut zu mir und meinem Bruder Egon.“[9]
Und auch der ehemalige Schüler Theodor Ritterbusch, der 1938 noch sein Abitur am Johanneum ablegen konnte, bevor seine jüdische Familie mit ihm nach England auswanderte, erklärte später:
„Der Lehrer und spätere stellvertretende Schulleiter Gerhard Rösch, obwohl SA-Mann, habe jüdische Schüler mit der Begründung ‚Das geht in dieser Schule nicht‘, beschützt.“[10] Uwe Schmidt berichtete auch von der Aussage von Theodor Ritterbusch, dass der Sohn von Gerhard Rösch, ein Klassenkamerad von Ritterbusch, „ein viel überzeugterer Nazi als der Vater gewesen sei“.[11]
Das wiederum passt nicht zusammen mit der späteren Aussage des besagten Sohnes, Dr. Franz-Gerhard Rösch, geboren am 16.11.1920, der mit seiner Mutter in der Abwesenheit von Gerhard Rösch, der noch in der Zivilinternierung in Hammelburg festgesetzt war, erklärt hatte, selbst „nie Mitglied der NSDAP gewesen zu sein“.[12]
Schwierige Zeiten nach 1945 für die Entnazifizierungsausschüsse, die sich einen Reim aus widersprüchlichen Daten und Aussagen machen mussten.
Noch war Gerhard Rösch aber auf der Erfolgsspur. Am 6.1.1936 bezeichnete der Präsident der Schulverwaltung, Karl Witt, als geeignete Kandidaten zur Beförderung zu Schulleitern die bisherigen stellvertretenden Schulleiter Ernst Hüttmann[13], Albert Tomforde[14] und Gerhard Rösch und führte als Kriterien an, „sie seien bereits stellvertretende Schulleiter, alte Parteigenossen und entweder Funktionsträger im NSLB oder in anderen nationalsozialistischen Organisationen“.[15]
Die Beförderung ließ für Gerhard Rösch auch nicht lange auf sich warten.
Zum 15.4.1938 wurde er zum Schulleiter der Hansa-Schule in Eimsbüttel ernannt.[16]
Am 17.2.1938 schrieb Gerhard Rösch einen Brief an die Kultur- und Schulbehörde und machte deutlich, dass diese Beförderung nicht unbedingt sein Ziel gewesen war:
„Der Kultur- und Schulbehörde danke ich aufrichtig für das ehrende Vertrauen, das ich in der beabsichtigten Berufung zum Leiter an der Hansa-Oberschule für Mädchen erblicken darf. Nach reiflicher Überlegung muss ich jedoch darauf hinweisen, dass mir eine Loslösung aus meiner bisherigen Tätigkeit außerordentlich schwer werden würde. Meine ganze Kraft und Liebe gehört dem Johanneum, dem ich in Kürze 25 Jahre haben dienen dürfen, mit dessen Leiter mich eine Lebensfreundschaft verbindet. Doch bin ich Nationalsozialist genug, um mich einer behördlichen Anordnung zu fügen. Für diesen Fall müsste ich dann damit rechnen können, dass mir ein Stellvertreter zur Seite gestellt wird, mit dem ich wirklich zusammenarbeiten kann; ich glaube kaum, dass das mit dem an der fraglichen Schule jetzt amtierenden Stellvertreter auf die Dauer möglich sein würde.“[17]
Ein geschicktes personalpolitisches Manöver. Tatsächlich bekam Gerhard Rösch mit NSLB-Funktionär Richard Lüth einen ihm genehmen Stellvertreter.[18]
Gerhard Rösch war nach seiner Berufung drei Monate krankgeschrieben aufgrund einer Stoffwechselstörung. Er konnte erst ab dem 6.7.1938 die Schulleiterfunktion übernehmen.[19]
Schon zwei Monate später war er nicht mehr an der Schule, sondern im Kriegsdienst, wo er unmittelbar darauf zum Hauptmann befördert wurde.[20] Der von Rösch gewünschte Stellvertreter, Richard Lüth, vertrat ihn bis zum Ende des Krieges, weil Rösch nicht mehr zurückkehrte. Er wurde bei der Wehrmacht zum Major befördert, geriet in kurze amerikanische Gefangenschaft und wurde auf Anordnung der amerikanischen Militärregierung in der Zeit vom 28.7.1945 bis zum 4.11.1946 in das Zivilinternierungslager Hammelburg überführt.[21]
In seiner Abwesenheit war Gerhard Rösch als Person, die vor dem 1.5.1933 in die NSDAP eingetreten war, von seiner Schulleiterfunktion beurlaubt worden, am 20.6. 1945 entlassen von Senator Landahl im Auftrag der Britischen Militärregierung.[22]
Zwischenzeitlich lief der Kontakt der Schulverwaltung über die Ehefrau von Gerhard Rösch, Marie Rösch und deren schon erwähnten Sohn, Franz-Gerhard Rösch, die beide erklärten, nie Mitglied der NSDAP gewesen zu sein.[23]
Nach Rückkehr aus dem Internierungslager Hammelburg füllte Gerhard Rösch am 18.1.1947 den Entnazifizierungsfragebogen aus und gab andere Daten über seine NS-Mitgliedschaften ab, als im Personalbogen seiner Personalakte von ihm selbst vermerkt. Das sollte noch zu Schwierigkeiten führen. Rösch legte am 18.1.1947 Einspruch gegen die Entlassung ein und begründete dies damit, dass er „nicht Parteigenosse vor dem 1.4.1933 gewesen sei. „Ich habe zwar aus ­ideellen Gründen mein Eintrittsgesuch am 15.8.32 eingereicht, die Aufnahme wurde jedoch vom Ortsgruppenleiter Timm abgelehnt, weil ich an seinen Maßnahmen Kritik geübt hatte. Erst im August 1933 wurde ich im Zuge der Lockerung der Aufnahmemaßnahmen Parteigenosse. Dass ich damals nicht Parteigenosse war, geht ferner daraus hervor, dass ich bei den Gemeindewahlen der Gemeinde Lokstedt im Februar 1933 erfolgreich kandidierte für die Partei des Kleingrundbesitzes und als Vertreter dieser Partei im Gemeinderat bis zur Auflösung der Parteien angehört habe.“[24] In seinem Personalbogen hatte Rösch angegeben, seit dem 15.7.1932 Mitglied der NSDAP zu sein.
Und auch in Bezug auf seine Zugehörigkeit zur SA gab er etwas an, was nicht übereinstimmte mit dem, was er selbst in seiner Personalakte vermerkt hatte. Er sei erst 1933 der SA beigetreten, schrieb er, und: „Meine Aufgabe in der SA-Reserve sah ich zur Hauptsache in der Pflege der Kameradschaft und Kameradschaftshilfe. Als 1936 auch der SA-Reserve wehrerzieherische Aufgaben zugewiesen wurden, wandte ich mich dagegen und blieb dem Dienste fern. Ich wurde daraufhin am 10.3.36 wegen mangelnder Dienstbeteiligung aus der SA-Reserve ausgeschlossen.“[25]
Es war bekannt, dass falsche Angaben im Entnazifizierungsfragebogen geahndet wurden. Rösch selbst hatte im Personalbogen, der in seiner Personalakte lag, notiert:
„NSDAP 15.7.32, Mitgliedsnummer 1271956, SA 1.3.1932, NSLB 1.11.1932.“[26] Das war für seine Beförderung zum stellvertretenden Schulleiter an der Gelehrtenschule des Johanneums förderlich gewesen, nun stand es im Widerspruch zu seinen jüngsten Erklärungen.
Gerhard Rösch behauptete: „Ich war nicht Nutznießer der Partei und habe mich nicht zu einer führenden Stellung gedrängt. Meine Berufung zum Leiter der Hansa-Oberschule Ostern 1938 erfolgte gegen meinen Wunsch und Willen und gegen meinen Einspruch auf Drängen der Behörde.“[27]
Letzteres ist richtig, aber die Ernennung zum stellvertretenden Schulleiter 1933 hing natürlich originär zusammen mit seinem nationalsozialistischen Engagement.
Auch seine Aussage, kein Militarist gewesen zu sein, nachdem er gerade aus einem Internierungslager zurückgekehrt war, in dem er als Major der Wehrmacht ein Jahr zugebracht hatte, stieß sicherlich nicht auf allgemeines Verständnis. Wobei sein Hinweis darauf, dass seine 15 Monate in Kriegsgefangenschaft und Internierung doch als Sühnemaßnahme gewertet werden könnten, sicherlich auf Akzeptanz trafen. Gerhard Rösch bat um Wiederbeschäftigung im Hamburger Schuldienst.[28]
Zu seinen Gunsten konnte er Leumundszeugnisse vorlegen, wie von der Studienrätin an der Hansa-Schule, Elisabeth Osbar, die am 11.9.1946 schon geschrieben hatte, dass Rösch „sich dem Kollegium gegenüber stets freundlich und hilfsbereit gezeigt hatte und keinen Unterschied zwischen Parteigenossen und Nicht-Parteigenossen machte“. Auch hätte Rösch sie „nicht zum Eintritt in die NSDAP gedrängt. Er hatte sich dafür eingesetzt, dass in der Schule ordentlich gearbeitet wurde und unter seiner Leitung verschwand der zackige Ton aus der Schule. Er habe als Schulleiter Charakter und Menschlichkeit bewiesen“.[29]
Eher unangenehm wirkt aus meiner Sicht ein Schreiben von Hans L. Lorenzen, einem ehemaligen Lehrer des Johanneums, der eine zutiefst konservative Einstellung hatte, sich für Rösch verwendete mit der Betonung darauf, dass er als „nicht-arischer Halbjude“ 1937 aus dem Hamburger Schuldienst pensioniert worden war. Nach 1945 stellte er reihenweise „Persilscheine“ aus für Personen, die intensiv verstrickt waren in den Nationalsozialismus, so zum Beispiel auch für seinen Schwager Hans Langhein.[30]
Lorenzen schrieb am 15.9.1946, er sei mit Rösch seit dem Studium an der Universität Kiel bekannt gewesen und habe mit ihm von 1935 bis 1937 am Johanneum zusammengearbeitet, wobei „ich ihn dabei stets als Freund und Helfer gesehen hatte“.[31]
Der Beratende Ausschuss für das Höhere Schulwesen fasste unter Vorsitz von Johann Helbig am 24.3.1947 einen erstaunlich positiven Beschluss für Gerhard Rösch. Darin hieß es:
„Er hat bis 1934 die Versprechungen der NSDAP geglaubt, dann ist er allmählich ernüchtert worden und ist konsequent von der als irrig erkannten Ideologie abgerückt. Für ihn spricht besonders, dass er als Leiter an der Helene-Lange-Schule geradezu als Befreier vom Kollegium begrüßt wurde nach den fürchterlichen Jahren unter dem verstorbenen Grüber, und dass er aus der SA ausgeschlossen wurde. Wir meinen, dass er heute vorbehaltlos im demokratischen Lager steht und setzen uns für seine Wiedereinstellung als Studienrat ein.“[32]
Verständlich wurde dieses Votum erst durch eine andere eidesstattliche Erklärung, die später der langjährige Studienrat am Johanneum, Willi Thede, abgab, der an fast allen Entscheidungen des Beratenden Ausschusses für die höheren Schulen zusammen mit Johann Helbig beteiligt gewesen war.
Am 30.11.1949 stellte er eigenständig fest:
„Bereits seit dem Jahre 1920 kenne ich meinen Kollegen Dr. Rösch. Seit dieser Zeit bin ich in ständiger Verbindung mit ihm gewesen, so dass ich ihn in charakterlicher sowie politischer Hinsicht genaue kenne. Ich betone, dass ich ein strenger Gegner des Nationalsozialismus bin. Diese meine Einstellung ist auch allgemein bekannt. Ich habe auch dem Dreierausschuss angehört, der die Entfernung missliebiger Nationalsozialisten zur Aufgabe hatte. Ich habe also persönlich keinen Anlass, mich für ehemalige Nationalsozialisten einzusetzen.
Im Falle des Herrn Dr. R. möchte ich aber mit allem Nachdruck sagen, dass er nicht als Nationalsozialist übler Prägung anzusehen war. Dr. R. ist eine charakterlich einwandfreie Persönlichkeit. Er ist stets als ein freundlicher und gütiger Lehrer bekannt gewesen, dem jede – auch politische – Schärfe fernlag. So ist auch zu erklären, dass er sich, als er das wahre Gesicht des Nationalsozialismus erkannte, von diesem entschieden abwandte. Dr. Rösch hat persönlich sehr darunter gelitten, dass seine Ideale, die er in den Nationalsozialismus anfangs gesetzt hatte, enttäuscht wurden. Dr. R. hat später in vornehmster Weise gerade politisch Verfolgten gegenüber außerordentlich menschlich gehandelt. Ich weiß persönlich genau, dass er im Falle seines Schülers Gerd-Günter Grau sich rückhaltlos für diesen eingesetzt hat, obgleich dieser Halbjude war. Dr. R. hat sich so weit vor seinen Schüler Grau gestellt, dass er selbst ernstlich politische Komplikationen für sich befürchten musste.
Ferner ließ Herr Dr. R. auch die schärfsten Kritiker im Kollegium in politischer Hinsicht gelten. Man wusste, dass man ungefährdet vor ihm seiner Meinung in jeder Form Ausdruck geben konnte. Auch weiß ich, dass man Herrn Dr. R. an die Hansa-Oberschule (Helene-Lange-Oberschule) nur deshalb berief, weil man einen politisch gemäßigten Herrn als Schulleiter dort haben wollte. Es ging wie ein Aufatmen durch die ganze Schule, als das NS-Regime des Vorgängers durch Herrn Dr. R.’s Leitung ersetzt wurde.
Aus diesen, meinen persönlichen Wahrnehmungen ergibt sich mit Deutlichkeit, dass Dr. R. politisch einwandfrei gewesen ist. Ich würde es begrüßen, wenn meine Zeilen dazu beitragen würden, dass Herr Dr. R. völlig rehabilitiert würde.“[33]
Dies war natürlich eine gewichtige Fürsprache für Gerhard Rösch.
Eine Irritation entstand durch ein Schreiben von Dr. Carl Meyer, der am 19.3.1948 behauptete und begründete, dass Gerhard Rösch als Beisitzer der Hamburger Dienststrafkammer am 22.8.1939 und 1.9.1939 entscheidend dazu beigetragen hatte, ihn aus dem Schuldienst zu entfernen. Die Verurteilung habe aus rein politischen Gründen stattgefunden. Und Rösch wäre dabei die entscheidende Person gewesen.[34]
Der Berufungsausschuss 3 für die Ausschaltung von Nationalsozialisten unter dem Vorsitz von Dr. Kiesselbach, der für milde Urteile bekannt war, musste sich mit den Vorwürfen von Carl Meyer gegen Gerhard Rösch beschäftigen und es ergab sich, dass Rösch eine gänzlich andere Version vorlegte und behauptete, sich für eine milde Beurteilung im Fall Meyer eingesetzt zu haben. Am Ende beschloss der Berufungsausschuss, Rösch mit zwei Dritteln der Versorgungsbezüge eines Studienrates in den Ruhestand zu versetzen und ihn in Kategorie IV einzustufen. Er sah es nicht als erwiesen an, dass gerade Rösch im Fall Carl Meyer eine Verantwortung für das Urteil gehabt habe. Andererseits sah der Berufungsausschuss eine erhebliche Belastung darin, dass Rösch „unter Nichtbeachtung der damals vom Senat erlassenen Warnungen am 15.8.1932 seinen Beitritt zur NSDAP und am 1.11.1932 zum NSLB angemeldet hat“.[35]
Rösch beantragte am 21.6.1949 eine Überprüfung des gegen ihn gefällten Urteils des Berufungsausschusses „wegen eines unterlaufenen Irrtums“. Er „habe nicht mit seinem Parteieintritt gegen die Verfügung des Hamburger Senates vom 3. November 1930 verstoßen, die den Beamten den Beitritt zur KPD und NSDAP verboten hatte, da diese Verfügung nachdem ein gleichlautendes Verbot in Preußen aufgehoben worden war, am 3. August 1932 außer Kraft gesetzt wurde“.[36]
Kurz darauf legte Rösch eine ärztliche Bescheinigung vor, die bestätigte, dass er schwer erkrankt sei, „eine krankheitsbedingte, verbliebene Depression durch Fronteinsatz während des Krieges, eineinhalb Jahre Kriegsgefangenschaft und Internierung erheblich verschlimmert worden war. Diese Depressionen haben sich in der letzten Zeit verheerend gesteigert infolge der Berufs- und Pensionssorgen, die durch eine langwierige Entnazifizierung entstanden sind.“[37]
Der Arzt, Dr. Hans Meisel, forderte ein beschleunigtes Verfahren.
Nun kamen die Gegenpositionen zum Ausdruck. So schrieb der Vorsitzende des Fachausschusses, Friedrich Wilhelm Licht, am 21.2.1950:
„Die Art, wie er seinen Eintritt in die NSDAP am 15.8.1932 zu rechtfertigen sucht, wirkt unsympathisch. Er musste, wie jeder andere Beamte auch, wissen, dass diese Partei auf den gewaltsamen Umsturz der bestehenden Staatsordnung abzielte und dass nicht allein die KPD gemeint war. Er hat jedoch genau wie sein Bruder, ein ganz übler Nazi, die Gelegenheit ergriffen, um die lendenlahme Verfügung des Senats vom 3.8.1932 für sich auszunutzen. Im NSLB, der damals eine ausgesprochene Kampforganisation war, ist er ebenfalls bald darauf Mitglied geworden. Es ist kein Zweifel, dass er ein überzeugter Nazi gewesen ist, den zwar seine charakterliche Veranlagung von einer zu großen Aktivität bewahrt hat. Das ist auch die Ansicht des Zeugen Oberstudienrat Thede. Auffällig ist, dass Dr. Rösch noch 1944 in einem geheimen Befähigungs- und Leistungsbericht von dem damaligen Oberschulrat Mühe als ‚einsatzbereit für die NSDAP, vielfach bewährt‘ bezeichnet wird. Sturmschulungsleiter in der SA bis Michaelis 1936, Ortsgruppenamtsleiter des Amtes für Erziehung seit November 1936 soll er danach ebenfalls gewesen sein.
Der Fachausschuss kann sich nur schwer entschließen, einer Abänderung des Urteils des Berufungsausschusses zuzustimmen. In Anbetracht der Praxis, wie sie neuerdings gehandhabt wird, will er sich jedoch damit einverstanden erklären, dass dem Betroffenen die volle Pension eines Studienrats zugebilligt wird. Die Pensionierung als Oberstudiendirektor kommt nicht in Frage.“[38]
Jetzt legte auch der zweite Vorsitzende des Fachausschusses nach, Kurt Zeidler, der die Angaben von Gerhard Rösch in dessen Personalakte nachgeprüft hatte mit der Feststellung, dass die von ihm selbst genannten Daten in seinem Personalbogen nicht übereinstimmten mit dem von ihm ausgefüllten Fragebogen. Danach sei er bereits am 15.7.1932 (!) in die NSDAP eingetreten, „also vor der Senatsverfügung vom 3.8.1932“. Und Zeidler schlussfolgerte: „Es besteht demnach der Verdacht der Fragebogenfälschung, und der Fachausschuss muss seine Stellungnahme von der Klärung dieser Angelegenheit (Auskunftsanforderung in Berlin) abhängig machen. Im Übrigen ist kein Zweifel, dass der Betroffene ein überzeugter Nazi gewesen ist.“ Er verwies dabei ebenfalls auf den Befähigungsbericht von OSR Theodor Mühe.[39]
Nun wurde es schwierig für Gerhard Rösch. Denn auch der Berufungsausschuss 17 vom 1.3.1950 stellte die Widersprüche zwischen Personalakte und dem Fragebogen in der Entnazifizierungsakte fest und unterstützte die Anfrage beim Berliner Documents Center.[40]
Das Berlin Documents Center schickte am 20.3.1950 einen Auszug aus den vorliegenden Daten, womit bestätigt wurde, dass Gerhard Rösch am 1.8.1932 in die NSDAP eingetreten war und am 1.11.1932 in den NSLB, sowie die Mitgliedschaft in der SA seit 1932 und die Funktion als Politischer Leiter.[41]
Daraufhin beschloss der Berufungsausschuss 17 am 31.3.1950, Gerhard Rösch als Studienrat mit vollen Pensionsbezügen in den Ruhestand zu schicken. Mit Wirkung vom 1.4.1950 wurde er in die Kategorie V eingestuft.[42]
Rösch empfand dies in einem Schreiben vom 24.7.1951 als „unbillige Härte“. Er unterschrieb weiter als „Oberstudiendirektor a. D.“, erreichte aber keine andere Regelung.[43]
Zu seinem 70. Geburtstag am 26.6.1959 erhielt er von Landesschulrat Matthewes das formale Glückwunschschreiben ohne irgendwelche Zusätze.[44]
Gerhard Rösch starb am 7.10.1962.[45]
Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen
1 In einem Schreiben an mich vom 13.3.2012. Siehe: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 1, Hamburg 2016, S. 13.
2 Personalakte Gerhard Rösch, StA HH, 361-3_A 1584
3 Ebd.
4 Uwe Schmidt: Aktiv für Gymnasien, Hamburg 1999, S. 127.
5 Schmidt 1999, S. 320. Siehe die Biografie Theodor Mühe, in: de Lorent 2016 S. 371 ff. und die Biografie Karl Züge, in: de Lorent 2016, S. 385 ff.
6 Personalakte a. a. O.
7 Siehe die Schulleiter-Liste, in: de Lorent 2016, S. 32.
8 Rainer Hering: Nationalsozialist oder schwacher Charakter? Dr. Werner Puttfarken, Schulleiter der Gelehrtenschule des Johanneums von 1933–1942, In: Symposion, Festschrift zum 475-jährigen Jubiläum der Gelehrtenschule dees Johanneums, herausgegeben von Christine von Müller, Uwe Petersen und Uwe Reimer, Hamburg 2004, S. 51. Siehe auch die Biografie Werner Puttfarken, in: de Lorent 2016, S. 691 ff.
9 In einem Schreiben an mich vom 13.3.2012. Siehe: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 1, Hamburg 2016, S. 13.
10 Schmidt 1999, S. 364.
11 Ebd.
12 Entnazifizierungsakte Gerhard Rösch, StA HH, 221-11_17254
13 Siehe die Biografie Ernst Hüttmann, in: de Lorent 2016, S. 512.
14 Siehe die Biografie Albert Tomforde in diesem Band.
15 Uwe Schmidt: Hamburgs Schulen im „Dritten Reich“, Hamburg 2000, S. 57, Anmerkung 160.
16 Personalakte a. a. O.
17 Schreiben vom 17.2.1938, Personalakte a. a. O.
18 Siehe die Biografie Richard Lüth, in: Hans Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 2, Hamburg 2017, S. 463 ff.
19 Personalakte a. a. O.
20 Personalakte a. a. O.
21 Bescheinigung vom 4.11.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
22 Personalakte a. a. O.
23 Schreiben vom 18.1.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
24 Ebd.
25 Personalakte a. a. O.
26 Schreiben vom 18.1.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
27 Ebd.
28 Schreiben vom 11.9.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
29 Siehe die Biografie Langhein in diesem Band.
30 Schreiben vom 15.9.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
31 Beratender Ausschluss vom 24.3.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
32 Schreiben von Willi Thede vom 30.11.1949, Entnazifizierungsakte a. a. O.
33 Schreiben von Dr. Carl Meyer an den Berufungsausschuss 3 vom 19.1.1948, Entnazifizierungsakte a. a. O.
34 Berufungsausschuss 3 vom 12.4.1948, Entnazifizierungsakte a. a. O.
35 Schreiben von Gerhard Rösch vom 20.6.1949, Entnazifizierungsakte a. a. O.
36 Ärztliche Bescheinigung vom 1.12.1949, Entnazifizierungsakte a. a. O.
37 Fachausschuss XI a 2 vom 21.2.1950, Entnazifizierungsakte a. a. O. Siehe auch die Biografie des Bruders Hans Rösch, de Lorent 2016, S. 760 ff.
38 Fachausschusses Form 21.2.1950 zum Wiederaufnahmeverfahren rasch Entnazifizierungsakte a. a. O.
39 Berufungsausschuss 17 vom 1.3.1950, Entnazifizierungsakte a. a. O.
40 Schreiben des Berlin Documents Center von 20.3.1950, Entnazifizierungsakte a. a. O.
41 Berufungsausschuss 17 vom 31.3.1950, Entnazifizierungsakte a. a. O.
42 Personalakte a. a. O.
43 Personalakte a. a. O.
44 Personalakte a. a. O.
45 Personalakte a. a. O.
 

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Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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