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Hannelore (Loki) Schmidt

( Hannelore (Loki) Schmidt, geb. Glaser )
(3.3.1919 Hamburg - 21.10.2010 Hamburg),
Botanikerin, Begründerin und Ehrenvorsitzende der Stiftung Internationaler Gärtneraustausch, Gründerin der Stiftung Loki Schmidt zum Schutze gefährdeter Pflanzen; Ehrensenatorin der Universität Hamburg, Ehrenbügerin der Freien und Hansestadt Hamburg
Loki-Schmidt-Garten , Groß Flottbek, seit 2012

Hannelore „Loki“ Schmidt, geb. Glaser war Pädagogin und Ehefrau des Altbundeskanzlers Helmut Schmidt. Sie wirkte als Botanikerin, Natur- und Pflanzenschützerin mit internationaler Anerkennung für ihre Leistungen als Autorin und der von ihr initiierten Einrichtungen.
„Frau Mantel“ ist der erste Pflanzenname, den die kleine Hannelore lernte. Der Frauenmantel mit seinen schönen gezähnten Blättern und den Wassertropfen drauf brachte sie zum Staunen bevor sie richtig sprechen konnte. Ihre Bilderbücher waren die Kupferstiche der „Flora von Deutschland“. Mit acht Jahren stellte sie fest, dass der „Löwenzahn“ zwischen den Pflastersteinen vor ihrem Wohnhaus anders aussah als der im Hammer Park. Die Sommerferien verbrachte die ganze Familie bei den Großeltern in der Heide vor den Toren Hamburgs. Der Botanische Garten wurde für sie zum Zaubergarten (mehr unter www.biologie.uni-hamburg.de/bzf/museum/namensgeberin.htm).
Im Arbeiterstadtteil Hammerbrook wurde sie geboren. In der ehemaligen Schleusenstraße 11 wuchs Hannelore mit ihren Eltern und ihrer Geschwistern in bescheidenen Verhältnissen auf. Dem Bruder Christoph, geb. 1920, folgten zwei Schwestern: Linde, geb. 1922, und Rose, geb. 1929. Früh lernte sie als Älteste, soziale Verantwortung zu übernehmen. Ihr Vater Hermann Glaser war Betriebselektriker auf einer Werft. Als er 1931 arbeitslos wurde, begann Mutter Gertrud als Näherin zu arbeiten. Wie sehr die Arbeitslosigkeit des Vaters Loki Schmidts weiteren Lebensweg beeinflusste, schriebt Reiner Lehberger in seiner Biographie über Loki Schmidt: „Über sechs Jahre sollte die Zeit der Arbeitslosigkeit des Vaters andauern (…). Erst Mitte 1936 fand er endlich wieder eine Anstellung (…). Es waren diese schweren Erfahrungen der wirtschaftlichen Not, die bei Loki später den starken Wunsch entstehen ließen, möglichst schnell ihre Ausbildung zu Ende zu bringen, ihre Eltern unterstützen zu können und vor allem für sich selbst eine wirtschaftliche Eigenständigkeit zu erlangen und zu bewahren.“ 1)

Mit dem Größerwerden ihrer Familien zogen die Glasers aus der Wohnung der Großeltern zunächst nach Borgfelde, dann in einen Neubau für kinderreiche Familien nach Horn 2)

Als kleines Kind gab sie sich selbst den Rufnamen „Loki“. Ihr späteres Markenzeichen bezog sie vermutlich auf den Riesen aus den Sagen der Nordischen Mythologie. Ihre außergewöhnliche schulische Bildung entsprach dem Bildungswillen der Arbeiterschaft der 1920er Jahre: Ab 1925 besuchte sie die reformorientierte (Grund-)Schule Burgstraße "> Burgstraße . Von 1929-1937 die musisch geprägte, ebenfalls reformorientierte Lichtwarkschule am Grasweg "> Grasweg in Winterhude (aufgelöst 1937). Dort bereits lernte sie ihren späteren Ehemann Helmut Schmidt kennen. Klassenlehrerin mit dem Fach Biologie war Ida Eberhardt, die 1935 entlassen wurde, weil sie sich gegen den Aushang der Hetzschrift „Der Stürmer“ in der Lichtwarkschule ausgesprochen hatte. Ihre zeitweilige Deutschlehrerin Erna Stahl gehörte zum Umfeld der Weißen Rose Hamburg. Für beide Schulen galt ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern, selbstständiges Arbeiten der Schüler und Beteiligung der Eltern am Schulleben.
Loki Schmidt war von Dezember 1935 bis März 1938 Mitglied des BDM (Bund Deutscher Mädel), in dem sie acht Monate lang den Rang einer Scharführerin ausfüllte. 3)

Reiner Lehberger schreibt in seiner Loki Schmidt Biographie dazu: „1936 wurde reichsweit die Zwangsmitgliedschaft [in den BDM bzw. HJ] eingeführt] (…). Ende 1935 trat auch Loki in den BDM ein. Um eine Anpassungshandlung handelt es sich dabei sicher nicht, denn ihr Schulleiter hatte das als Bedingung für den Verbleib auf der geliebten Schule gemacht. In ihrer Horner BDM-Gruppe machte sie Vorschläge für die Verschönerung des kargen Gruppenraums (…). Weniger erfreulich waren für sie die stetigen Haus- und Straßensammlungen. (…) Schon in ihrer Lichtwarkschule galt Loki als eine ‚Führernatur‘, wie eine Mitschülerin es formulierte.  Sie galt als resolut, sportlich, geistig beweglich und an der Klassengemeinschaft interessiert. In der BDM-Gruppe wird das nicht anders gewesen sein, denn bereits im Sommer 1936 wird sie Kameradschaftsführerin, d. h. Leiterin einer BDM-Gruppe.  (…) Von nun an musste sie die Heimabende gestalten. Eines der vorgegebenen Themen ist das Schicksal und Leben der sogenannten Auslandsdeutschen in den ehemaligen deutschen Kolonien. Der politische Hintergrund war das Wachhalten des Kolonialgedankens, wie es im Jargon der damaligen Zeit hieß. Im Jahr 1936 wurde Loki zur Scharführerin ernannt, die nächste hierarchische Stufe in der BDM-Struktur. Der normale Dienst war für sie jedoch bald beendet. Loki wurde ins BDM-Orchester aufgenommen, von nun an traten an die Stelle von Heimabenden und Straßensammlungen Orchesterproben und öffentliche Musikeinsätze. (…) Für das BDM-Orchester gehörte aber gewiss auch das politische Liedgut der Zeit zum Repertoire. Die Ernennung zur Scharführerin sollte ihr im Übrigen nach 1945 im Entnazifizierungsverfahren noch einmal große Schwierigkeiten bereiten. (…)

Bei aller geschilderten Skepsis, der Gedanke an irgendeine Form des Widerstandes kam ihr nie. Nur einmal zeigte sie öffentlich eine deutliche Distanz. Als Ostern 1936 im Turnunterricht der Lichtwarkschule für alle Schießübungen mit Kleinkalibergewehren angeordnet wurde, erklärte sie gegenüber dem Schulleiter, dass sie ‚kein Gewehr anfassen würde‘. Dieser nahm es hin, verlangte lediglich, dass sie das schriftlich zu erklären habe. Ansonsten galt: Über die Abneigung gegenüber dem NS-System und ‚Adolf-Nazi‘, wie dieser in ihrem Elternhaus genannt wurde, verständigte man sich nur im kleinen, vertrauten Kreis, schon in größeren gruppen ließ sie Vorsicht walten. (…) Man tut der jungen Hannelore Glaser sicher nicht unrecht, wenn man sagt, dass der Wille, die Zeit unbeschadet zu überleben, stärker war, als sich gegen das NS-Regime aktiv aufzulehnen.“ 4)

Ihr Abitur bestand Loki Glaser 1937 an der Klosterschule. Danach wurde sie vom 1.4.1938 bis zum 1.10.1938 zum Reichsarbeitsdienst eingezogen.

Ihr Wunsch, Biologie zu studieren, scheiterte an den Studiengebühren. Daraufhin absolvierte sie von 1938 -1940 eine Ausbildung zur Volksschullehrerin an der von den Nationalsozialisten neu eingerichteten Hochschule für Lehrerbildung. Reiner Lehberger schreibt dazu: „Die Politischen Anteile des Studiums berührten die junge Studentin offenbar wenig. Durch ihre Mitgliedschaft im Hamburger BDM-Orchester musste sie keinen aktiven Dienst in anderen NS-Organisationen aufnehmen. Auch nahm sie an keinem der von der Hochschule organisierten Studentenlagern teil, sondern ging stattdessen auf eine volkskundliche Exkursion mit Studierenden des höheren Lehramts im Wahlfach Deutsch und Niederdeutsch.“ 5)

Als Examensarbeit wählte sie eine volkskundliche Studie über die dörfliche Vorgeschichte des Arbeiterstadtteils Horn. Im Mai 1940 trat sie mit 21 Jahren in den Hamburger Schuldienst ein.

„Bei der endgültigen Einstellung [in den Schuldienst] hatte man Loki angetragen, dass die Mitgliedschaft in der NSDAP erwünscht sei. (…) Der Druck war (…) groß, und auch Hannelore Glaser beugte sich ihm. Sie unterschrieb ein Eintrittsgesuch für die NSDAP und die NSV (…). Ein Jahr später, im April 1941, erhielt sie ein vorgefertigtes Schreiben der Schulverwaltung, in dem nach ihrer Mitgliedschaft in der NSDAP nachgefragt wird. Sie trug ein: ‚Antrag gestellt‘, blieb danach von Partei und Behörde aber offenbar unbehelligt.“ 6) 

In ihrem „Entnazifizierungsfragebogen“ vom 21.6.1945 teilte Loki Schmidt auf die Frage nach einer Mitgliedschaft in der NSDAP mit: „Ja, Anwärterin 1940 Eintritt“. 7)

Ein knappes Jahr später, am 4.4.1946, vermerkte Loki Schmidt in einem weiteren „Entnazifizierungsfragebogen“ der Military Government of germany unter „Anmerkung“ zu ihrem Beitritt in den BDM und zu ihrem Eintrittsgesuch in die NSDAP und die NSV: „Mein Vater war viele Jahre arbeitslos. Er konnte mein Schulgeld für die höhere Schule nie bezahlen. Es wurde immer vom Hamburger Staat getragen und ich erhielt Beihilfen. 1935 wurde die Fortführung verweigert, wenn ich nicht in den BDM eintrat und mich dort als Führerin betätigte. So wurde ich ohne persönliche Überzeugung zum Beitritt gezwungen. Gleichfalls wurde ich im Mai 1940 wider Willen gezwungen, die Aufnahme in NSDAP und NSV zu beantragen, da ich eine Bescheinigung dieser Anträge der Hber. Schulverwaltung vorzeigen musste, um eine Anstellung zu erhalten. Nachdem ich meine Anstellung hatte, zog ich mich von NSDAP und NSV zurück, zahlte keine Beiträge und hatte seit März 42 nie wieder mit NSDAP oder NSV zu tun.“ 8) 

Reiner Lehberger dazu: „Die Aussagen entsprechen den tatsächlichen Umständen. Das Bundesarchiv bestätigt im März 2012 nach Auswertung aller einschlägigen Quellen – wie den personenbezogenen Akten des Berlin Document Center; des Reichserziehungsministeriums und der NSDAP-Mitgliederkartei -, dass Hannelore Glaser bzw. Hannelore Schmidt zu keinem Zeitpunkt Mitglied der NSDAP war.“ 9)

In dem ersten „Entnazifizierungsfragebogen“, datiert auf den 21.6.1945 hatte Loki Schmidt allerdings eine Mitgliedschaft in der NSV von April 40-1945 handschriftlich eingetragen. Und zu ihrer Mitgliedschaft in der NSDAP hatte sie geschrieben: „Ja, Anwärterin, 1940 Eintritt“ (siehe Fußnote 7). Dies erklärt Reiner Lehberger wie folgt: „Anders als im ersten Fragebogen [gemeint ist der vom 21.6.1945] konnte Loki Schmidt jetzt [gemeint sind die Angaben auf dem am 4.4.1946 ausgefüllten „Entnazifizierungsfragebogen“] auch die Angabe ihrer Mitgliedschaft in der NSV auf die Jahre 1940 bis 1942 präzisieren.“ 10) In diesem zweiten „Entnazifizierungsfragebogen“ vom April 1946 war nun neben der oben zitierten „Anmerkung“ bei den Frage zur Mitgliedschaft in der NSDAP vermerkt: „Anwärter, ja, Mai 1940 bis März 1942“. Und bei der Frage zur Mitgliedschaft in der NSV hieß es nun: „ja, Mai 1940 – März 1942“. 11)    

Die NSV war mit „17 Mio. Mitgliedern (1943) nach der Dt. Arbeitsfront die größte (…)NS-Massenorganisation.(…) Ihren Anspruch auf Monopolisierung der gesamten freien und öffentlichen Wohlfahrt konnte die N. zwar nicht realisieren, doch gelang es ihr, die in der freien Wohlfahrtspflege tätigen Verbände zurückzudrängen bzw. gleichzuschalten (…). Angesichts der ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel (Mitgliedsbeiträge, Spenden, staatliche Zuwendungen) war es ihr n möglich, in alle Bereiche der Wohlfahrt zu expandieren (…). Aufgrund ihrer scheinbaren Ideologieferne war die Arbeit der N. populär und die Mitgliedschaft erschien auch für diejenigen, die dem Regime eher zögernd oder kritisch gegenüberstanden, aber aus Opportunitätsgründen in eine Parteiorganisation eintreten wollten, akzeptabel. Tatsächlich war die Arbeit der N. von rasse- und erbbiologischen Selektionskriterien bestimmt (…).“ 12)

Loki Schmidt wurde nach der Befreiung vom Nationalsozialismus durch die Britische Militärregierung im Oktober 1945 als Lehrerin entlassen, zuvor hatte sie im Juni 1945 den bereits oben erwähnten und zitierten „Entnazifizierungsfragebogen“ ausgefüllt. Reiner Lehberger schreibt über die Situation, in die Loki Schmidt durch die Entlassung aus dem Schuldienst geriet und bezieht sich dabei auch auf die im Juni 1945 in dem Entnazifizierungsfragebogen von Loki Schmidt gemachten Angaben: „Am 27. September wurde ihr von der Schulverwaltung ‚im Auftrag des Bürgermeister‘ mitgeteilt, dass sie ab sofort suspendiert sei. Gehaltszahlungen oder andere Bezüge ständen ihr nicht zu. Und ‚Ihre Wiederverwendung in dem Amte eines Lehrers ist von einer erneuten Überprüfung Ihrer Eignung nach Absolvierung eines 6-monatigen Sonderkurses (…) abhängig.‘ [Zitat bei Lehberger: Schreiben der Schulverwaltung vom 27.9.1945, Personalakte Hannelore Schmidt, Staatsarchiv Hamburg] Eine Begründung ist in dem Schreiben nicht enthalten, doch ohne Zweifel waren es Angaben aus dem Fragebogen [vom 21.6.1945], die zu dieser Maßnahme geführt haben. Denn in dieser ersten Phase der Entnazifizierung wurde schematisch ausgewertet, individuelle Motive und Besonderheiten wurden nicht berücksichtigt. Im November verschärfte die Behörde die Suspendierung und wandelte sie in eine sofortige Entlassung um. (…) Für Loki und ihren Mann war dies ein harter Schlag. Neben der Ungewissheit, wie die Sache ausgehen würde, kam eine erhebliche Verschärfung ihrer wirtschaftlichen Lage durch die Streichung des Gehalts hinzu. In mehreren Eingaben bat sie um eine finanzielle Unterstützung, die aber wurde nicht gewährt. (…) In den nächsten 14 Monaten arbeitete sie als Putzfrau, nähte abends Kinderkleidung oder strickte Pullover für Bauern in der Umgebung und besser gestellte Familien. Inzwischen hatte Helmut Schmidt im November 1945 sein Volkswirtschaftsstudium an der Universität Hamburg aufgenommen. (…) Um ihr Einkommen aufzubessern übernahm Helmut Schmidt kleinere Aufträge von Selbstständigen, z. B. das Erstellen von Steuererklärungen. (…) Zu allem Unglück erlitt Loki am Heiligabend 1945 eine Fehlgeburt. In einem Schreiben an die Schulverwaltung vom März 1946, in dem sie ausführlich über ihre ‚besonders harte Notlage‘ berichtet und finanzielle Unterstützung erbittet, heißt es dazu: ‚Ich bin seit 4 Jahren verheiratet, mein Mann war 8 Jahre Soldat (1937 eingezogen), er steht jetzt mit 27 Jahren am Beginn des 2. Semesters und ist seit Mai 1945 ohne jedes Einkommen oder Beihilfen und dergl. Wir haben in diesem Kriege zweimal einen vollständigen Haushalt verloren, das zweite Mal im April 1945. Da wir für die zweite Wohnungseinrichtung alles Ersparte verbraucht hatten, sind wir zur Zeit ohne jegliche Mittel. Die beiderseitigen Eltern und alle näheren Verwandten sind gleichfalls total ausgebombt und wohnen in kümmerlichen Verhältnissen (…). Die Überlastung führte im Winter zu einer Fehlgeburt mit Bettlägerigkeit, Klinikaufenthalt und Operation.‘ [bei Lehberger angegebenes Zitat: Schreiben der Schulverwaltung vom 24.3.1946, Personalakte Hannelore Schmidt, Staatsarchiv Hamburg] Unter diesen Umständen konnten die Schmidts die Arzt- und Klinikkosten nicht begleichen. Loki bat um Befreiung, die ihr schließlich gewährt wurde.“ 13)

Nachdem Loki Schmidt den Sonderlehrgang, den sie wegen ihrer Funktion als Scharführerin absolvieren musste – Reiner Lehberger schreibt dazu, dass Zeitgenossen ihn „Entbräunungskurs“ nannten 14) – beendet hatte, erhob sie am 6.5.1946 Einspruch gegen ihre Entlassung aus dem Schuldienst. Sie schrieb an die Militär-Regierung Hamburg. „Betr. Einspruch gegen die Entlassung der Lehramtsanwärterin Hannelore Schmidt. Kontrollnr. ---…

Bezug: Schreiben der Militärregierung vom 18. Oktober 1945 No. 3754 H.

Auf Grund der Verfügung der Militärregierung vom 18. Oktober 1945 No. 3754 H.Hmg/LR.HMG.Ed. 2592 bin ich aus dem Amt als Lehrerin entlassen worden. Ich habe an dem von der Hamburger Schulverwaltung eingerichteten Sonderlehrgang für die jungen Lehrkräfte (6 Monatskursus) teilgenommen.

Ich darf bemerken, dass meine Notlage mich zu meiner seinerzeitigen Tätigkeit im BDM gezwungen hat. Ich habe die näheren Umstände in den Anmerkungen (Absatz J ) meines Fragebogens angegeben.

Zur Bestätigung füge ich Gutachten von Oberschulrat F. Köhne und Lehrer Ernst Peters bei.

Ich beantrage hiermit meine Wiedereinstellung in den Schuldienst.“ 15)

Zuvor hatte Loki Schmidt am 4.4.1946 - wie bereits oben ausgeführt und in Teilen daraus zitiert - einen zweiten „Entnazifizierungsfragebogen“ ausfüllen müssen. Dazu Reiner Lehberger: „Natürlich wiederholte Loki ihre Antworten auch in diesem zweiten Bogen exakt, aber dieser zweite Bogen enthielt nun wesentliche Anmerkungen und Präzisierungen, die für das weitere Verfahren mit Sicherheit hohe Bedeutung hatten. So finden sich hier die später vom Berlin Document Center bestätigten Einlassungen zu ihrer ‚erzwungenen‘ NSDAP-Anwartschaft, die zeitliche Eingrenzung dieser Anwartschaft auf die Jahre 1940 bis 1942 und der Verweis auf den Rückzug von ihrem Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP im  März 1942. (…). In den persönlichen Akten von Loki Schmidt, (…) existieren handschriftliche Notizen von Helmut Schmidt, die nahelegen, dass die beiden sich intensiv über die Einträge auf diesem zweiten Fragebogen ausgetauscht und gemeinsam nach Formulierungen gesucht haben.“ 16)

Für Loki Schmidts Einspruch gegen die Entlassung aus dem Schuldienst verfasste Christian Bollmann, kom. Schulrat des Kreises Regen, am 14.5.1946 ein „Politisches Zeugnis“: „Frau Hannelore Schmidt geb. Glaser ist mir seit ihrem 1. Dienstantritt 1939 oder 1940 bekannt. Wir waren bis zu meiner Einberufung im Februar 1943 an der gleichen Schule tätig, und ich kenne sie sowohl ihrer Tätigkeit als Lehrerin, als auch privat. Sie hat in allen Gesprächen und Unterhaltungen immer wieder ihre ablehnende Einstellung zum Nationalsozialismus zum Ausdruck gebracht und hat besonders in ihrer Schularbeit nie irgendwelche nationalsozialistischen Ideen vertreten. Sie war gegen ihren Willen zu einer BDM-Führerin ernannt worden, hat aber mir gegenüber immer wieder betont, dass sie dieses Amt entweder gar nicht oder nur sehr oberflächlich ausführte und vor allen Dingen schon garnicht so, wie es von ihr erwartet würde.

Ich kann ihr aus meiner persönlichen Kenntnis bestätigen, das sie sich immer gegen den Nationalsozialismus in jeder Form geäussert hat.“ 17)

Oberschulrat Fritz Köhne schrieb am 4.6.1946 an die Militärregierung Hamburg wegen der Entlassung der Lehrerin Hannelore Schmidt: „Frau Hannelore Schmidt hat an der Arbeitsgemeinschaft regelmäßig teilgenommen und sich in den politischen Aussprachen lebhaft beteiligt. Sie hat sich oft in längeren Ausführungen zu den verschiedensten Problemen unserer Zeit Stellung geäußert. Dabei wurde eine entschieden demokratische und kriegsgegnerische Einstellung deutlich. Dabei ist sie nicht eigentlich politisch interessiert, nimmt vielmehr zu allen Fragen aus dem Bewußtsein inniger Verbundenheit mit der Schuljugend unter dem Gesichtspunkt der Erziehung zur Menschlichkeit Stellung.

Die Schulverwaltung empfiehlt ihre Wiedereinstellung in den Schuldienst.“ 18)

Ebenfalls datiert auf den 6.5.1946 ist ein „Gutachten über Frau Hannelore Schmidt, geb. Glaser“ verfasst von Ernst Peters, Lehrer Hamburg-Volksdorf Wulfsdorferweg 77. „Frau Hannelore Schmidt geb. Glaser und ihre Familie kenne ich seit 1933. Mutter und Vater, beide hilfsbereit, künstlerisch begabt, mit vielseitigen Kulturinteressen, haben den Nationalsozialismus in seiner Enge und Gefährlichkeit stets erkannt und ihn abgelehnt. Der Vater und ich haben einander oft deutlich unsere ausgesprochene Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus in gegenseitigen Vertrauen zum Ausdruck gebracht.

Die älteste Tochter, jetzige Frau Schmidt, ist in solcher antifaschistischen Luft erzogen und konnte darum dem B.D.M. nicht aus innerer Überzeugung beitreten. Sie war dazu gezwungen, wenn sie den Beruf einer Lehrerin ergreifen wollte. Im anderen Falle hätte sie die Oberschule verlassen müssen, weil ihr der Unterstützungsbetrag entzogen werden sollte, der aber war notwendig wegen der Erwerbslosigkeit ihres Vaters. Sie hat im B.D.M. gearbeitet, ohne die verschleierten Ziele der Partei und ihre verhehlte Schändlichkeit voll zu erkennen und die politischen Folgen vorauszusehen. Sie hat niemals nationalsozialistischen Ansichten und Lehren mit den üblichen verwerflichen Mitteln der Partei zu verbreiten und durchzusetzen versucht.

Ich müsste es bedauern, wenn Frau Schmidt, die ihrer Herkunft und Kindheit nach zu den Gegnern des Faschismus gehört, keine Lehrerin bleiben dürfte.

Der Unterzeichner hat der NSDAP nicht angehört.“ 19)

Reiner Lehberger dazu: „Natürlich, Gutachten dieser Art haben bei der Entnazifizierung eine große und nicht unumstrittene Rolle gespielt. Auch viele Täter verschafften sich entsprechende Zeugnisse, nicht ganz ohne Grund sprach man von ‚Persilscheinen‘. Im Fall von Hannelore Schmidt waren die Schriftstücke jedoch unzweifelhaft Ausdruck ehrlicher Meinungen und stellten die tatsächlichen Sachverhalte korrekt dar.“ 20)

Schließlich schrieb die Schulverwaltung am 27.8.1946 an den Berufungsausschuss 2: „Betr. Einspruch der Lehrerin Frau Hannelore Schmidt gegen ihre Entlassung. Frau Schmidt ist nur nominelles Mitglied der Partei gewesen. Sie hat nur dem zwang folgend und der Not gehorchend die Mitgliedschaft der Partei erworben und sich kurze Zeit als Führerin betätigt. Sie hat im Sonderlehrgang ausführlich und lebhaft zu den verschiedensten Problemen unserer Zeit Stellung genommen. Sie äusserte dabei entschieden demokratische und kriegsgegnerische Gedanken. Sie ist nicht eigentlich politisch interessiert, nimmt vielmehr zu allen Fragen aus dem Bewusstsein innerer Verbundenheit mit der Schuljugend und unter dem Gesichtspunkt der Erziehung zur Menschlichkeit Stellung. Die Schulverwaltung empfiehlt ihre Wiedereinstellung in den Schuldienst. K. Hoffmann Schulrat i. V.“ 21)

In einem mit der Überschrift „Empfehlung“ versehenen Schreiben vom 12.12.46, das von einer Mitgliedschaft in der NSDAP („P.G. 1940“ und auf englisch: „Member of the Party since 1940“) und NSV („NSV 40“) spricht, heißt es dann abschließend: „Hannelore Schmidt, Jahrgang 1919, Lehramtsanwärterin, Der Berufung wird stattgegeben.“ „P.G. 1940, H.J. 35/38 (8 Monate Scharführerin) NSV 40, RAD. Teilnahme am Sonderkursus. Schulverwaltung positiv. Amnestiejahrgang. 12.12.46,“ 22) unterzeichnet von Schmidt, Meyer, andere Unterschriften unleserlich.

Bis zu ihrer Pensionierung 1971 arbeitete Loki Schmidt u.a. in der Schule am Bauerberg , an den Schulen Hirtenweg, Othmarscher Kirchenweg und Eberhofweg . Auch „nach 1945 knüpfte sie in ihrer pädagogischen Arbeit an die reformpädagogischen Erfahrungen aus ihrer eigenen Schulzeit an. Meist führte sie ihre Grundschulklassen über vier Jahre, um sie zu Lern- und Sozialgemeinschaften zu entwickeln. Sie unterrichtete fächerübergreifend und projektorientiert“ 23) Wegen dieser unverändert aktuellen Pädagogikform blieb sie zeitlebens eine geschätzte und anregende Gesprächspartnerin auch für jüngere Lehrkräfte.

Auf ihre Verlobung mit Helmut Schmidt Ostern 1942 folgte im Juni die Heirat. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor. Sohn Helmut Walter starb noch vor seinem ersten Geburtstag 1945. Tochter Susanne wurde im Mai 1947 geboren und ist promovierte Volkswirtin und Wirtschaftsjournalistin. Vor und nach der Geburt ihrer Tochter erlitt Loki Schmidt insgesamt sechs Fehlgeburten. Nachdem ihr Mann 1945 aus der britischen Kriegsgefangenschaft entlassen wurde, studierte er bis 1949 Staatswissenschaften und Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg, bevor er eine Beschäftigung bei der Hamburger Wirtschafts- und Verkehrsbehörde aufnahm. Während dieser Zeit sorgte Loki Schmidt allein für den Unterhalt der Familie. Mehr als drei Jahrzehnte von 1940 bis 1972 arbeitete sie als Volks-, Grund- und Realschullehrerin.

Zwischen 1974 und 1982 nahm Loki Schmidt vor allem protokollarische Aufgaben als Ehefrau des Bundeskanzlers in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn wahr. „Du hast ja wohl einen Vogel, dich irgendwie zu verbiegen“, soll sie ihrem Gatten, dem SPD-Politiker Helmut Schmidt, zum Amtsantritt mit auf den Weg gegeben haben. An solche Autonomie im Denken und Handeln hielten sich wohl beide.

Zurück in ihrer Heimatstadt Hamburg, widmete sich Loki Schmidt der Unterstützung von Schulkindern in schwierigen sozialen Verhältnissen 24). Sie verstärkte ihren bisherigen Einsatz für gefährdete Pflanzen und ließ sich in die Deputation der Behörde für Bezirksangelegenheiten, Naturschutz und Umweltgestaltung in Hamburg wählen. Auf eigene Kosten begleitete sie Forschungsreisen von Wissenschaftlern, meistens der Max-Planck-Gesellschaft, beispielsweise zum Nakuru-See nach Kenia, auf die Galapagos-Inseln, nach Ecuador, Malaysia, Nordborneo oder Brasilien. Auch nach dieser Zeit bis in die 1990er Jahre hinein unternahm sie umfangreiche Auslandsreisen zum Studium der Pflanzenwelt und der Natur. 1976 hatte sie bereits das Kuratorium zum Schutze gefährdeter Pflanzen gegründet. Das fusionierte 1979 mit der Stiftung Naturschutz Hamburg zur heutigen Loki Schmidt-Stiftung. Die Stiftung vergibt seit 1977 die „Loki-Schmidt-Silberpflanze“ (Idee von Kurt A. Körber und Loki Schmidt); seit 1980 wählt sie auch die Blume des Jahres aus.

Seit den 1970er Jahren setzte sich Loki Schmidt zudem für den Botanischen Garten in Hamburg und dessen Aufgabe zur Erforschung und Erhaltung biologischer Vielfalt ein. 1986 initiierte sie den internationalen Gärtnertausch, der mit einer von ihr finanzierten Reise von Gärtnern des Hamburger Botanischen Gartens zur Mitbepflanzung des ersten tropischen Gewächshauses in Israel begann. Für einen 1997 veröffentlichten Bildband „Die Botanischen Gärten in Deutschland“ mit der ersten vollständigen Übersicht der Botanischen Gärten Deutschlands und ihren Sammlungen, recherchierte sie zwei Jahre lang und legte 26.000 Reisekilometer zurück. Noch in ihrem 90. Lebensjahr machte ihr Erinnerungsbuch „Erzähl doch mal von früher“ sie zur Bestsellerautorin.

Loki Schmidt starb am 21. Oktober 2010 in ihrem Haus in Hamburg-Langenhorn. Nach einer prominent besetzten Trauerfeier in der Michaeliskirche wurde ihre Urne im schlicht gehaltenen Grab der Familie Schmidt auf dem Hauptfriedhof Hamburg-Ohlsdorf am 2. November 2010 beigesetzt.

Auszeichnungen (Auswahl): 1990 Ernennung zur Ehrensenatorin der Universität Hamburg; 1994, acht Jahre nachdem zum ersten Mal die Alfred-Toepfer-Medaille für Verdienst um Stadtentwicklung und Umweltschutz verliehen wurde, bekam sie als erste Frau diese Auszeichnung; zu ihrem 80. Geburtstag 1999: Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Hamburg des Fachbereichs Biologie für „ein Lebenswerk von herausragender Bedeutung und Engagement in allen Bereichen des wissenschaftlichen und praktischen Naturschutzes“; 2004: Deutscher Umweltpreis der Bundesstiftung Umwelt für ihre Lebensleistung; 2009 ernannte Hamburg sie zur Ehrenbürgerin. Am 30. März 2009 eröffnete das neue Museum für Nutzpflanzen der Universität Hamburg als „Loki-Schmidt-Haus“ im Botanischen Garten Klein Flottbek. Seit dem 1.8.2012 heißt die Offene Ganztagsschule am Othmarscher Kirchenweg „Loki-Schmidt-Schule“.

Text: Dr. Cornelia Göksu und Dr. Rita Bake

Quellen:
– Loki Schmidt in Wikipedia sowie Informationen auf den Websites der von ihr initiieren Institutionen
wie z.B. www.loki-schmidt-stiftung.de
1) Reiner Lehberger: Loki Schmidt. Die Biographie. Hamburg 2014, S. 33.
2) vgl.: Reiner Lehberger, a. a. O., S. 16.
3) Staatsarchiv Hamburg; 221-11, ED 2592
4) Reiner Lehberger, a. a. O., S. 65ff.
5) Reiner Lehberger, a. a.O., S. 59f.
6) Reiner Lehberger, a. a. O., S. 76.
7) Staatsarchiv Hamburg; 221-11, Ed 2592
8) Staatsarchiv Hamburg; 221-11, ED 2592
9) Reiner Lehberger, a. a. O., S. 77.
10) Reiner Lehberger, a. a. O., S. 105.
11) Staatsarchiv Hamburg, 221-11, Ed 2592
12) (Marie- Luise Recker: NS-Volkswohlfahrt, in: Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 2. Aufl., München 1998, S. 619.
13) Reiner Lehberger, a. a. O., S. 102ff.
14) Reiner Lehberger, a. a. O., S. 104.……..
15) Staatsarchiv Hamburg; 221-11-ED 2592
16) Reiner Lehberger, a. a. O., S. 106.
17) Staatsarchiv Hamburg; 221-11, ED 2592
18) Staatsarchiv Hamburg; 221-11, ED 2592
19) Ebenda.
20) Reiner Lehberger, a. a. O., S. 105.
21) Staatsarchiv Hamburg 221-11-ED 2592
22) Ebenda.
23) Reiner Lehberger: Loki Schmidt, in: Hamburgische Biografie, Band 6, Göttingen 2012, S. 294.
24) vgl.: ebenda.
 

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Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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