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Ernst Hüttmann

(6.12.1891 in Hennerode - 8.2.1943)
Fachschaftsleiter für die Höheren Schulen
Wohnadresse: Tarpenbekstraße 129

Opfer der eigenen Wahnsinnsideologie

Zu den Männern der ersten Stunde der Nationalsozialisten im Hamburger Schulwesen gehörte Ernst Hüttmann. Er war seit 1934 Fachschaftsleiter für die Höheren Schulen im Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB). Er zeigte sich als strammer Propagandist der NS- Ideologie, bis er den „Ariernachweis“ für sich und seine Ehefrau erbringen musste. Da begann seine persönliche Katastrophe.

Ernst Hüttmann wurde am 6.12.1891 in Hennerode bei Kiel geboren. [1] Sein Vater war Volksschullehrer und später Rektor. Nach dem Abitur an der Oberrealschule vor dem Holstenthor, 1910, studierte er in Marburg und Kiel Englisch für die Oberstufe, Französisch für die Mittelstufe und Philosophie.

Am 21.2.1914 machte er mit 23 Jahren das Doktorexamen, sein Thema „Das Partizipium Präsentis bei Lydgate im Vergleich zu Chancer’s Gebrauch“.

Wie viele seiner Generation und viele spätere Nationalsozialisten absolvierte er einen Turnlehrerkurs, legte darin 1912 ein Examen ab, ebenfalls für einen Spielleiterkurs.

Der beginnende Krieg 1914 verhinderte, dass Hüttmann das Studium beenden und sein Staatsexamen ablegen konnte. Er hatte, wie er schrieb, mit Ausnahme von April 1917 bis Juni 1918 „ununterbrochen im Feld gestanden“, erwarb das Eiserne Kreuz I. und II. Klasse und das Hanseatenkreuz, geriet als Leutnant im August 1918 in englische Kriegsgefangenschaft, aus der er Ende 1919 nach Hamburg zurückkehrte. Danach bereitete er sich auf die Staatsprüfung vor, „in wirtschaftlicher Beziehung völlig von meinem Vater abhängig“, wie er schrieb. [2]

Nach dem Examen absolvierte er das Probejahr an der Realschule an der Uferstraße , 1923 wurde er außerplanmäßiger Beamter und kurz darauf Oberlehrer.

Am 1.4.1925 wechselte er zur Oberrealschule Eppendorf in der Hegestraße , an der er bis 1934 arbeitete.

Ernst Hüttmann war seit dem 16.3.1923 mit Käthe Wiese verheiratet, mit der er drei Kinder hatte. [3]

Am 1.5.1933 trat er in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer 3030148). Am 1.10.1934 wurde Hüttmann Gaustellenleiter für die Höheren Schulen im NSLB und kurz darauf, am 10.10.1934, von Senator Karl Witt zum Stellvertretenden Schulleiter der Oberrealschule St. Georg berufen. Ein enger zeitlicher Zusammenhang. Im NSLB trat er mit der Verantwortung für die höheren Schulen die Nachfolge von Hans Rösch an, der sich im Streitgetümmel mit der Schulverwaltung und der Führung des NSLB aufgerieben hatte. [4]

Die Parteiaktivitäten Hüttmanns waren zahlreich. Im Februar 1934 wurde er an der Gauführerschule ausgebildet. Am 13.10.1934 vertrat er den NSLB bei einer Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Trier.

Auf den Reichsparteitagen 1934 und 1936 in Nürnberg jubelte er dem Führer zu, jeweils sechs bis acht Tage vom Dienst befreit. Führerkurse in Uhrenbach und 1937 in Bayreuth sollten Hüttmann für seine Parteiarbeit weiter qualifizieren. [5]

Vom 15. bis 18.8.1938 wurde ihm Urlaub für die Teilnahme an den Bayreuther Festspielen gewährt, Karten erhielt er über den NSLB, vermutlich auch für seine Frau Käthe. [6]

Trotz seiner Gaustellenleiterfunktion blieb Ernst Hüttmann ein Mann der zweiten Reihe. In der HLZ unterm Hakenkreuz trat er in der Zeit des „Tausendjährigen Reiches“ nur zweimal in Erscheinung. 1935 wurde er in einem Beitrag über „Nationalpolitische Lehrgänge für Schüler und Schülerinnen höherer Lehranstalten“ erwähnt und zitiert (Autor: Heinrich Sahrhage). Hüttmann hatte am 4.11.1935 auf einer Versammlung der Fachschaft II (Höhere Schulen) in Hamburg über die Einführung nationalpolitischer Lehrgänge für die vier oberen Schulen berichtet. Offenbar identifizierte sich Hüttmann mit der Aufgabe und führte aus:
„Darin wird der neuen völkischen Schule die Aufgabe zugewiesen, die deutsche Jugend in Heimat, Volk und Staat einzugliedern und ihre gesunden rassischen Kräfte zu wecken und zu pflegen. ‚Bei dieser Aufgabe können die Schullandheime wertvolle Dienste leisten, weil sie in dem Zusammenleben der Schüler Kameradschaft und Selbstzucht entwickeln.‘“ [7] Wobei Heinrich Sahrhage als NSLB-Beauftragter für die Schullandheime sein Interessengebiet gezielt dabei unterzubringen vermag.

Eine gewisse Schlichtheit Hüttmanns zeigte sich auch im Weiteren deutlich: „Natürlich ist die Voraussetzung für eine richtige Lagergestaltung die Vertrautheit der Erzieher mit den Lebensformen der Hitler-Jugend. Daher müssen die Leiter der nationalpolitischen Lehrgänge vorher selbst Schulungslager bei der HJ, dem NSLB oder in Zusammenwirkung beider mitmachen. Die Auswahl der Lehrer für die nationalpolitischen Lehrgänge ist wichtig, denn mit der Eignung der Lagerleiter steht und fällt die Sache. Jeder Lehrer muss mit innerstem Herzen dabei sein und mitten zwischen seinen Schülern stehen.“ [8]

Ein Jahr später berichtete vermutlich Hüttmann von einer Arbeitstagung der Reichssachbearbeiter der Gaufachschaftsleiter 2 im NSLB, Höhere Schulen. Er schrieb u.a.: „Heute haben alle Lehrer eine große gemeinsame Aufgabe: Sie sind Erzieher, sind Wahrer, sind Mittler und Mehrer des völkische Kultur- und Bildungsgutes, sind Gestalter des kommenden Geschlechts.“ Und: „Fortgesetzt wird die Tagung mit dem Vortrag des Reichssachbearbeiters für Rassenfragen, Pg. Dr. Zimmermann, Bayreuth. Er bezeichnete den Biologieunterricht als Kernfach, aus dessen Arbeit heraus die wesentlichen Grundlagen unserer Weltanschauung erwachsen sind. Erb- und Rassenkunde sowie Bevölkerungspolitik gehören hierher; aber auch Abstammungs- und Entwicklungslehre und die Urgeschichte sind biologische Arbeitsgebiete von weltanschaulicher Bedeutung. Nicht minder wichtig ist die praktische Bedeutung der Biologie (Erzeugungsschlacht!).“ [9]

Für Ernst Hüttmann, der mit seinen drei Kindern bei der „Erzeugungsschlacht“ Erfolge zu verzeichnen hatte, begann kurz darauf die persönliche Katastrophe, sein Martyrium: Wie alle anderen Kollegen war Hüttmann aufgefordert, für sich und seine Ehefrau den „Ariernachweis“ zu erbringen. Dies nahm in allen Personalakten nach 1937 großen Raum ein, seitenlange Beglaubigungen aus Taufregistern bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts.

Am 19.10.1934 hatte Ernst Hüttmann noch selbstbewusst verkündet: „Ich versichere hiermit pflichtgemäß: Mir sind trotz sorgfältiger Prüfung keine Umstände bekannt, die die Annahme rechtfertigen könnten, daß ich oder meine Ehefrau nicht arischer Abstammung sein oder daß einer unserer Elternteile in irgendeiner Zeit der jüdische Religion angehört habe. Ich bin mir bewußt, daß ich mich dienststrafrechtlicher Verfolgung mit dem Ziel der Dienstentlassung aussetze, wenn diese Erklärung nicht der Wahrheit entspricht.“ [10]

Die Anlage seiner Verheiratung enthielt noch weitere Angaben über die Abstammung seiner Ehefrau Käthe Wiese, mit Hinweis über Eltern und Großeltern, alle evangelisch-lutherisch, der Großvater mütterlicherseits, 1832 geboren, Kaufmann.

Die persönliche Katastrophe des Ernst Hüttmann, Propagandist auch der NS-Rassenlehre muss sich danach ergeben haben. Er realisierte erst bei weiteren Nachforschungen: „Ein Urgroßvater mütterlicherseits meiner Ehefrau ist nicht arisch“. [11]

Hüttmann meldete damit gleichzeitig, dass er am 10.11.1939 aus der NSDAP ausgetreten ist. „Mein Gnadengesuch um Belassung in der Partei trotz nicht arischer Abstammung meiner Ehefrau ist abgelehnt worden.“ [12]

Damit war für den überzeugten Nationalsozialisten Ernst Hüttmann eine Welt zusammengebrochen. Und die Partei zeigte ihre unerbittliche Härte:  Am 18.4.1940 schrieb der Verbindungsreferent der NSDAP an Senator Witt: „Der Austritt war ihm von der Kanzlei des Führers anlässlich der Ablehnung seines Gnadengesuchs um Belassung in der Partei trotz nicht rein arischer Abstammung seiner Ehefrau nahegelegt, um die sonst notwendig gewordene parteigerichtliche Entlassung zu vermeiden.“ [13]

Am 4.4.1941 fragte der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung nach, „welche Maßnahmen in diesem Fall beabsichtigt“ seien. [14]

Oberschulrat Henze [15] antwortete am 23.4.1941: „Auf Grund der nichtarischen Abstammung der Ehefrau des Oberstudienrats Dr. Hüttmann und des erfolgten Austritts aus der NSDAP hält die Schulverwaltung die Wahrnehmung einer stellv. Schulleiterstelle nicht mehr für vertretbar und beabsichtigt, Dr. Hüttmann nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht abzuberufen und als Lehrer an eine andere Schule zu überweisen unter Beibehaltung seiner Amtsbezeichnung als Oberstudienrat.“ [16]

Am 17.8.1942 fragte das Reichsministerium nach, „ob Dr. Hüttmann inzwischen an eine andere Dienststelle versetzt worden ist oder welche anderen Maßnahmen Sie gegen ihn ergriffen haben?“ [17]

So konsequent kann Verwaltung sein.

Ernst Hüttmann war am 16.10.1940 zum Kriegsdienst einberufen worden. Schwer nachzuvollziehen, was in ihm vorgegangen sein mag, nachdem sein ideologisches Weltbild zusammengebrochen war. Im Krieg wurde er immerhin weiter zum Oberleutnant befördert. Wogegen kämpfte er? Gab es eine Alternative zum Heldentod?

Am 8.2.1943 starb Ernst Hüttmann. Das „Hamburger Fremdenblatt“ notierte am 18.2.: „Die Oberschule für Jungen in St. Georg geleitete am Montag ihren in einem Kriegslazarett gestorbenen Oberstudienrat Dr. Ernst Hüttmann zu seiner letzten Ruhestätte auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Oberschulrat Dr. Züge und der Schulleiter Prof. Franck würdigten die Verdienste des Heimgegangenen als Schulmann und Offizier.“ [18]

Und Senator Ofterdinger schrieb am 30.3.1943 an die Witwe Käthe Hüttmann: „Sehr geehrte Frau Hüttmann, der Reichsstatthalter in Hamburg hat angeordnet, daß die Namen der Gefolgschaftsmitglieder der Staats- und Gemeindeverwaltung der Hansestadt Hamburg, die in diesem Kriege ihr Leben für Führer und Volk hingaben, in Sonderausgaben des Amtlichen Anzeigers veröffentlicht werden.

Ich übersende Ihnen einen Abdruck der Sonderausgabe des Amtlichen Anzeigers vom 7.März 1943, in der Ihr Ehemann,
der Oberstudienrat Dr. Ernst Hüttmann
gestorben als Oberleutnant im Februar 1943,
aufgeführt ist, und spreche Ihnen und Ihren Angehörigen zu dem schweren Verlust im Namen der Schulverwaltung mein aufrichtiges Beileid aus.
Heil Hitler!“ (19)

Käthe Hüttmann musste nach 1945 den Entnazifizierungsfragebogen ausfüllen. Und, wie viele Frauen von NS-Funktionären, schrieb sie, „nie Mitglied in einer NS-Organisation gewesen zu sein“. [20]

Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen:
1 Alle Angaben, wenn nicht anders belegt, aus seiner Personalakte, StA HH, 361-3_A 1629
2 Ebd.
3 Ebd.
4 Siehe Biografie Hans Rösch.
5 Alle Angaben laut Personalakte, a.a.O.
6 Ebd.
7 HLZ 46/ 1935, S. 444.
8 HLZ 46/ 1935, S. 445.
9 Bericht, nicht namentlich gekennzeichnet, in: HLZ 17-18/1937, S.183.
10 Personalakte Hüttmann, a.a.O., Bl, 38.
11 Schreiben Hüttmann vom 6.2.1940, Personalakte a.a.O.
12 Ebd.
13 Ebd.
14 Ebd. Bl. 36
15 Siehe auch: HLZ 8-972011, S. 42ffd und HLZ 10-11/2011, S. 46ff sowie die Biografie Henze.
16 Siehe Personalakte Hüttmann, a.a.O.
17 Ebd. Bl. 41.
18 „Hamburger Fremdenblatt“ Nr. 49 vom 18.2.1943
19 Personalakte Hüttmann a.a.O., Bl. 47
20 Fragebogen von Käthe Hüttmann, unterschrieben am 17.1.1946, Personalakte Hüttmann, a.a.O.
 

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Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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