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Hermann Distel

( Christian Hermann Distel [1] )
(15.9.1875 in Weinsberg/Württemberg - 5.8.1945 Hamburg) [2]
Architekt
An der Alster 86 (Büro von 1926 bis 1943)
Bismarckstr. 31 ( Bergedorf, seit 1949: Hermann-Distel-Straße )

Nach dem Besuch des Königlichen Karls-Gymnasiums zu Heilbronn bis 1894 absolvierte Hermann Distel eine Steinmetzlehre in seinem Geburtsort Weinsberg. 1898 begann er ein Architekturstudium an der Königlichen Baugewerkeschule in Stuttgart, das er ab Sommer 1900 an der Technischen Hochschule Fridericiana in Karlsruhe fortsetzte und 1902 mit der akademischen Schlussprüfung abschloss. Anschließend besuchte er die Kunsthochschule Breslau, es folgten berufliche Stationen als Architekt unter anderem in Freiburg, Zürich, Breslau und Berlin.[3]
Zusammen mit seinem Studienfreund August Grubitz gründete Distel 1905 in Hamburg das Büro Distel & Grubitz und trat in die Hamburger Ortsgruppe des Bundes Deutscher Architekten (BDA) ein.[4] Zunächst entwarfen beide Einfamilienhäuser, darunter 1907 das Wohnhaus für den Harburger Bauunternehmer August Prien. 1908 gewannen Distel & Grubitz gegen 85 andere Bewerber den Wettbewerb für das Vorlesungsgebäude der späteren Hamburger Universität auf der Moorweide und erhielten den Auftrag, das Gebäude zu bauen. Es wurde 1911 fertiggestellt und machte das Büro über Hamburgs Grenzen hinaus bekannt. Distel & Grubitz hatten, so der Kunsthistoriker und ehemalige Leiter des Hamburger Denkmalschutzamtes, Manfred F. Fischer, einen „noch sehr süddeutsch geprägten, Schlossbauarchitektur zitierenden Putzbau mit Kuppel“ entworfen.[5] Seit 1910 wohnte Hermann Distel in einem selbst geplanten Einfamilienhaus in der damaligen Bismarckstraße 31 in Hamburg- Bergedorf, in dem er sich auch ein privates Büro einrichtete.[6] Der Sitz des Architektenbüros Distel & Grubitz befand sich seit 1905 in der Hamburger Altstadt, Alsterdamm 2 (seit 1947 Ballindamm ), ab 1926 bis zur Zerstörung des Gebäudes 1943 infolge von Bombenangriffen in der Straße An der Alster 86.[7]
Zu den größeren Bauten, die das Büro in den folgenden Jahren errichteten, gehörten die Luftschiffhalle für Zeppeline in Hamburg-Fuhlsbüttel (1910), die Kirche St. Stephanus in Hamburg-Eimsbüttel, das Verwaltungsgebäude für die Hamburger Werft Blohm & Voss (1911–12) und 1912 mit dem Auguste-Viktoria-Krankenhaus in Ratzeburg der erste Klinikbau. Hinzu kamen verschiedene Wohngebäude und 1913 erstmals die Beteiligung an einem internationalen Wettbewerb (Botschafterpalais in Washington). Im selben Jahr äußerte sich Distel mit der Schrift „ Bergedorfer Stadtbaufragen“ auch erstmals zu einem städtebaulichen Thema.
Während des Ersten Weltkriegs 1914 bis 1918 errichteten Distel & Grubitz nur wenige Bauten, darunter 1917 das Direktorenwohnhaus für die Vereinigte Köln-Rottweiler Pulverfabriken Düneberg in Krümmel, Geesthacht, sowie mehrere Projekte für die Vereinigten Gummiwarenfabriken Harburg-Wien in Harburg (später Phönix), deren „Hausarchitekten“[8] sie wurden. Am 1.11.1917 erhielt Distel die Einberufung als „unausgebildeter Landsturmpflichtiger“ in das Württembergische Feldartillerie-Regiment Nr. 29.[9] Doch schon vorher musste er sich „für Kriegszwecke verdient gemacht haben“, denn am 24.8.1917 war ihm das Verdienstkreuz der Kriegshilfe verliehen worden.[10]
Nach Kriegsende erhielten Distel & Grubitz wieder mehr Aufträge. 1919 entwarfen sie für die Hamburger Kriegsgräberheimstätten GmbH eine Wohnsiedlung in Hamburg-Volksdorf, im selben Jahr mahnte Distel in einem 22-seitigen Aufsatz dringende städtebauliche und verkehrstechnische „Entwicklungsnotwendigkeiten“ für den Hamburger Osten an.[11] Bis 1925 errichteten Distel & Grubitz unter anderem das Kontorhaus „Montanhof“ in der Altstadt, ein expressionistischer Klinkerbau, und übernahmen 1925/26 den Umbau des Hamburgischen Stadt-Theaters. Die Jahre 1926 bis zum Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 gehörten zu den erfolgreichsten des Büros. Unter den mehr als 60 Projekten jener Zeit befanden sich Wohnblöcke in der großen Geschosswohnbau-Siedlung Jarrestadt in Barmbek sowie auf der Veddel (beides Musterbeispiele des Neuen Bauens) sowie das Verwaltungsgebäude für die Volksfürsorge-Versicherungs-AG. Auch der Auftrag für den Umbau des Hamburger Gewerkschaftshauses ging an Distel & Grubitz. Zu den Industrieprojekten jener Jahre zählte der Seegrenzschlachthof in Hamburg-Moorfleet, zu den Krankenhausbauten die Erweiterungsbauten für das Diakonissenkrankenhaus Bethanien in Hamburg- Eppendorf und das Freimaurerkrankenhaus am Kleinen Schäferkamp in Hamburg-Eimsbüttel sowie der Neubau für die chirurgische Abteilung des Israelitischen Krankenhauses in Hamburg-St.-Pauli.
1926 vereinbarten Distel und Grubitz, dass die Einnahmen ihres gemeinsamen Büros künftig zu Zweidrittel an Distel und zu einem Drittel an Grubitz gehen sollte. Im Jahr darauf kündigte Distel seine Mitgliedschaft beim BDA.[12] Zum 1.1.1929 trat Grubitz als Kompagnon aus dem Büro aus und kümmerte sich nun als Angesteller mit kleiner Gewinnbeteiligung um die Büroorganisation.
Distel konzentrierte sich nach seiner Teilnahme am 1. Internationalen Krankenhauskongress 1929 in den USA mit wenigen Ausnahmen auf den Krankenhausbau und verfasste auch theoretische Schriften zu dem Thema. Laut dem Distel-Biografen Peter R. Pawlik entwickelte er sich mit seinen Büchern „Krankenhäuser“ (1931) und „Rationaler Krankenhausbau“ (1932) zum „führenden Krankenhausarchitekten Deutschlands“.[13] Nach dem Erscheinen des ersten Buches wurde er auf dem 2. Internationalen Krankenhauskongress 1931 in Wien zum Vorsitzenden des Bauausschusses der Internationalen Krankenhaus-Gesellschaft gewählt; 1932 ernannte ihn das American Institute of Architects zum korrespondierenden Ehrenmitglied.[14]
Zum 31.1.1932 kündigte Distel August Grubitz „infolge der dir bekannten katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse meines Büros und der Unübersichtlichkeit des kommenden Jahres“.[15] Der Büroname Distel & Grubitz blieb bestehen. 1933 trat Distels Sohn Walter als Architekt in das Büro ein.[16]
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30.1.1933 wurde Distel im folgenden Jahr Mitglied der am 1.11.1933 gegründete Reichskammer der bildenden Künste, eine der sieben Sektionen der NS-Reichskulturkammer unter Vorsitz des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels. Den Aufnahmeantrag hatte er am 1.12.1933 gestellt. Nur wer der Reichskulturkammer angehörte, durfte auch weiterhin als Architekt arbeiten. Ausgeschlossen und damit von einem Berufsverbot betroffen waren alle, die keinen „Ariernachweis“ besaßen, die Gegner des NS-Systems waren oder deren Werke dieses als „entartet“ ablehnte.
Weder in der NSDAP-Zentralkartei noch in der NSDAP-Gaukartei des Berlin Document Center findet sich eine auf Distel ausgestellte Mitgliedskarte, sodass sich eine Parteimitgliedschaft darüber nicht nachweisen lässt. Zudem gibt es – vermutlich wegen Distels Tod im August 1945 – keine Entnazifizierungsakte zu ihm (ebenso nicht zu August Grubitz). Die im Hamburger Staatsarchiv und im Bundesarchiv vorhandenen Bestände zu Distel enthalten auch keine Hinweise dazu, ob er einer der an die NSDAP angeschlossenen oder von ihr betreuten Organisationen angehörte.
Bis 1945 errichtete Distel diverse Bauten für das NS-Regime. Hatte er in den 1920er-Jahren im Stil des Neuen Bauens entworfen, passte er sich nun den Wünschen der NS-Machthaber nach neoklassizistischer Monumentalarchitektur an – vor dem Hintergrund, dass der Nationalsozialismus, so der Philosoph und Kulturkritiker Walter Benjamin, „die Ästhetik bewusst als Mittel zur Mobilisierung von politischer Zustimmung“ einsetzte.[17] Distels Anpassungsfähigkeit an das NS-Regime belegt bereits der erste Preis, den er 1934 in dem Wettbewerb für eine monumentale Kongress-, Sport- und Ausstellungshalle in Hamburg gewann. Die Halle sollte auf dem Heiligengeistfeld entstehen und mit einem großflächigen Aufmarschplatz verbunden sein. Mit dem Wettbewerb, konstatierte der Architekturhistoriker Ulrich Höhns, „wurden zum ersten Male an exponierter Stelle die neuen politischen Vorstellungen in eine städtebauliche und architektonische Form gebracht“.[18] Das Projekt wurde nicht realisiert.
1936 war Distel maßgeblich an der Errichtung des Gebäudes für das Standortkommando der Wehrmacht in Hamburg-Harvestehude beteiligt. Er verlieh seinem neoklassizistischen Bau mit „dramatischer Säulenarchitektur in der Pfeilervorhalle und krönendem Adlerpaar ein Pathos, das vermutlich vom Auftraggeber gewünscht war“, so Peter R. Pawlik.[19] Das Standortkommando war die zentrale militärische Einrichtung in Norddeutschland, das im Gebäude ansässige Amt Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht organisierte unter anderem die Angriffe auf Dänemark und Norwegen 1940.[20]
Alle weiteren Aufträge, die Distel für das NS-Regime ausführte, betrafen Krankenhausbauten für die Zivilbevölkerung und vor allem Lazarettbauten für die Wehrmacht; er wurde ab 1936 zum „am meisten geschätzten und beschäftigten Krankenhausarchitekten der N(!)ationalsozialistischen Machthaber“.[21] Die zahlreichen Lazarettbauten gehörten unmittelbar zur Vorbereitung des NS-Regimes auf den Krieg bzw. zu dessen Durchführung. Von 1936 bis 1942 war Distel für 42 Lazarettprojekte zuständig, allein 1938 errichtete er 13 Neubauten. 1936 entwarf er das Standortlazarett Breslau sowie das Heereslazarett in Hamburg-Wandsbek mit 420 Betten. 1937 folgten drei Aufträge als Gutachter für Lazarettentwürfe anderer Architekten, 1938 gehörten zu den 13 Lazarettbauten unter anderem das Luftwaffenlazarett Braunschweig, das Marinelazarett Wilhelmshaven (Distels größter Lazarettbau) und das Heereslazarett Stettin. Distel-Biograf Pawlik ordnet Distels Rolle als Experte des Deutschen Reichs für den Lazarettbau ab 1936 so ein: „Die Nationalsozialisten entwickelten ein großangelegtes Programm zur Krankenversorgung der Angehörigen des Heeres, der Luftwaffe und der Marine in Nähe der jeweiligen Kasernenstandorte. Diese Projekte waren über das ganze Deutsche Reich verteilt. Der Krankenhaustheoretiker und Praktiker Distel hatte maßgeblichen Anteil an der als ‚geheim' eingestuften Entwicklung der ‚Richtlinien für die Bauausführung beim Bau von Lazaretten'. Er wurde mit der Entwurfsleitung für den Bau sämtlicher in Deutschland geplanter Lazaretteinrichtungen beauftragt. Die Projektbearbeitung fand unter Distels Leitung im Dienstsitz des Generalinspekteurs für die Reichshauptstadt und späteren Ministers für Rüstung und Produktion, Albert Speer in Berlin, Am Königsplatz 6 statt. Bauherren für diese beiden Projekte waren die jeweiligen Chefs des Sanitätswesens der drei Truppenteile.“[22]
1937/38 begann zudem Distels größtes Projekt, bei dem er direkt für den Generalinspektor für die Reichshauptstadt arbeitete, den Architekten Albert Speer. Anfang 1937 hatte Hitler Speer damit beauftragt, „einen Umbau der inneren Stadt vorzunehmen, der Berlin in technischer Hinsicht zur modernsten Metropole der Welt und zugleich als Reichshauptstadt in ein Monument des Anspruchs auf Weltherrschaft verwandeln sollte.“[23] Distel gewann den in diesem Rahmen reichsweit ausgeschriebenen Wettbewerb für die Errichtung eines Neubaus der Berliner Universitätsklinik mit über 3000 Betten. Die Klinik sollte Bestandteil einer komplett neuen Universitätsstadt nahe dem Berliner Olympiastadion werden. Seit 1941 besaß Distel daher auch ein Büro in Berlin. Die Planungen liefen bis 1943, dann wurde das Projekt aufgegeben. Obwohl das auf viele Entwürfe im Rahmen des Generalbebauungsplans für Berlin zutraf, künden, so der Architekturhistoriker Werner Durth, „die Verfolgung und Ermordung der Juden Berlins, die aus ihren Wohnungen getrieben wurden, um den Neubauten Platz zu machen, ebenso von den Folgen der Planungen wie das Schicksal jener, die in Steinbrüchen Material beschafft, Baugruben ausgehoben und Tunnel für den Verkehr gegraben haben. Ihrer ist zu gedenken, wenn von der Neugestaltung der Reichshauptstadt, von Städtebau und Macht im Nationalsozialismus die Rede ist.“[24]
1941 überreichte Speer Hitler zu dessen 52. Geburtstag eine Urkunde mit folgendem Text: „Mein Führer! An Ihrem 52. Geburtstage bitten die unterzeichnenden Künstler der Berliner Neugestaltung Sie, mitwirken zu dürfen am Neuaufbau der Stadt Linz an der Donau.“ Zu den 17 Unterzeichnenden gehörte neben Speer, dem Bildhauer und Architekten Arno Breker und dem Hamburger Architekten Cäsar Pinnau auch Hermann Distel.[25]
1939 erhielt Distel durch Vermittlung der NS-Regierung den Auftrag, zwei Großkliniken in Portugal zu bauen, in Lissabon und in Porto. Hinzu kamen Aufträge für Kliniken der portugiesischen Kolonialmacht in ihren Kolonien Mosambik und Angola. Portugal war seit 1933 eine Diktatur mit faschistischen Tendenzen, Einheitspartei und Gestapo-geschulter Geheimpolizei. Die Koordination der Projekte in Lissabon und in Porto übernahm Hermann Distels Sohn Walter, der ab Januar 1945 bis zu seinem Tod 1993 in Portugal lebte.
Distel verfasste zudem weiterhin theoretische Abhandlungen zum Krankenhausbau, darunter eine „Denkschrift betr. Studien über eine planwirtschaftliche Gestaltung des Gesundheits- und Krankenhauswesens in Deutschland“. Das entsprechende Manuskript erstellte er am 3.3.1937, [26] gedruckt erschien es am 7.3.1938 im Verlag Jul. Springer.[27] In dieser Denkschrift formulierte Distel Vorschläge, wie das Gesundheits- und Krankenhauswesen organisiert werden müsste, um die „biologisch gesunde Entwicklung der ganzen deutschen Bevölkerung, die das 1933 neu geschaffene Deutsche Reich der Landesplanung als wichtigste bevölkerungstechnische Aufgabe stellt“, zu unterstützen. Damit erklärte er sich implizit mit den Zielen des NS-Regimes einverstanden, die er gleich zu Beginn der Denkschrift genauer benennt: „Das neue Deutsche Reich betrachtet die biologisch gesunde Entwicklung des deutschen Volkes als eine seiner wichtigsten und dringendsten Aufgaben und begann daher schon 1933, durch Erlaß und Vorbereitung staatsbiologischer Gesetze, so das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und das Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes (Ehegesundheitsgesetz), die Volksgesundheit zu fördern“.[28] Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14.7.1933 ermöglichte die zwangsweise Sterilisation von reichsweit ca. 400.000 Menschen, das Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes vom 18.10.1935 verbot die Eheschließung, wenn einer der Partner unter einer „geistigen Störung“ litt oder unter das Sterilisationsgesetz fiel.[29] Beide Gesetze dienten dem NS-Regime zur „Ausscheidung der Minderwertigen“ zwecks „Gesundung des Volkskörpers“[30] und mündeten in der systematischen Ermordung körperlich, geistig oder psychisch beeinträchtigter Menschen in Verwahr- oder Tötungsanstalten.
Durch seine herausgehobene Rolle im Krankenhausbau gingen seit Ende der 1930er-Jahre einflussreiche Nationalsozialisten, so Distel-Biograf Pawlik, in Distels Bergedorfer Privathaus ein und aus. Dazu zählten Cäsar Meyer von der Deutschen Gesandtschaft in Lissabon, der Reichsminister für Rüstung und Produktion Albert Speer sowie der Generalleutnant der Waffen-SS und Leibarzt Adolf Hitlers Professor Dr. Karl Brandt. Auch behandelte der Generaloberstabsarzt Dr. Oskar Schröder, Chef des Sanitätswesens der Luftwaffe, Distel in seinem Haus, nachdem sich dieser als Flakhelfer eine Lungenentzündung zugezogen hatte.[31] Im Nürnberger Ärzteprozess 1947 wurden Karl Brandt zum Tode und Oskar Schröder zu lebenslanger Haft verurteilt.[32]
Im Sommer 1943 versuchte Hermann Distel auf der offenen Ladefläche eines Lkws von Bergedorf in die Innenstadt zu seinem Büro zu gelangen. Es war infolge der Bombenangriffe ausgebrannt und Distel wollte Unterlagen retten.[33] Auf dem Weg wurde er von dem LkW geschleudert und schwer verletzt. Am 5.8.1945 starb er, 69-jährig, an einer „Hirngeschwulst“ in seinem Haus in der Bergedorfer Bismarckstraße. [34]
1949 wurde die Bismarckstraße in Hermann-Distel-Straße umbenannt.
Auch wenn Distel kein NSDAP-Mitglied war, beteiligte er sich durch die Lazarettbauten, die er sämtlich von 1936 bis Kriegsbeginn 1939 errichtete, aktiv an der Kriegsvorbereitung der Nationalsozialisten. Zudem kannte und akzeptierte er nachweislich die rassistische Gesundheitspolitik des NS-Regimes, indem er sie durch eine Neuorganisation des Gesundheits-und Krankenhauswesens optimieren wollte. Seine Beziehungen zu NS-Größen wie Speer und Brandt lassen zudem darauf schließen, dass er über Details und konkrete Planungen der NS-Vernichtungspolitik informiert war.
Text: Frauke Steinhäuser
 

Quellen:
1 Distel benutzte zeitweise auch den Vornamen Christian, so lautet etwa das „Besitzzeugnis“ für das ihm 1917 verliehene Verdienstkreuz der Kriegshilfe auf den „Architekten Christian Distel in Bergedorf“, Staatsarchiv Hamburg (StaH) 621-2/7 Bauarchiv Hermann Distel, Architekt 105.
2 Familienregister Württemberg, Weinsberg, Familienbücher 1876–1904, S. 34 (Familienregister für Christian Hermann Distel); (StaH) 332-5 Standesämter 10512 u. 729/1945; in diversen Publikationen und Lexikaeinträgen steht der 5.9.1875 als Distels Geburtsdatum, sowohl im standesamtlichen Geburtseintrag als auch im standesamtlichen Sterberegister ist jedoch der 15.9.1875 angegeben.
3 Peter R. Pawlik, Von Bergedorf nach Germania. Hermann Distel 1875–1945, ein Architektenleben in bewegter Zeit, Herzogenrath, 2009, S. 370.
4 ebd.
5 Manfred F. Fischer, „Distel, Hermann“, in: Franklin Kopitzsch/Dirk Brietzke (Hrsg.), Hamburgische Biografie. Personenlexikon, Bd. 1, Göttingen, 2001, S. 83 f., hier S. 83.
6 Pawlik, Von Bergedorf nach Germania, S. 370.
7 Hamburger Adressbücher.
8 Pawlik, Von Bergedorf nach Germania, S. 84.
9 Pawlik, Von Bergedorf nach Germania, S. 371.
10 StaH 621-2/7 Bauarchiv Hermann Distel, Architekt 105.
11 Pawlik, Von Bergedorf nach Germania, S. 71.
12 Pawlik, Von Bergedorf nach Germania, S. 371; im Bergedorfer Adressbuch, Alphabetteil, ist Distel allerdings noch bis 1936 mit dem Zusatz „B.D.A.“ verzeichnet.
13 Pawlik, Von Bergedorf nach Germania, S. 371.
14 Hamburger Fremdenblatt v. 17.6.1932, S. 2.
15 ebd.
16 ebd.
17 Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie, Frankfurt/Main, 1963, S. 42, zit. nach: Tilman Harlander/Wolfram Pyta (Hrsg.), NS-Architektur. Macht und Symbolpolitik, eine Einführung, in: Tilman Harlander/Wolfram Pyta (Hrsg.), NS-Architektur. Macht und Symbolpolitik, 2. Aufl., Berlin, 2012, S. 7–20, hier S. 9.
18 Ulrich Höhns, Das ungebaute Hamburg. Visionen einer anderen Stadt in architektonischen Entwürfen der letzten hundertfünfzig Jahre, Hamburg, 1991, S. 34.; außer Distel erhielten noch drei andere Architekten für ihre Entwürfe einen ersten Preis.
19 Pawlik, Von Bergedorf nach Germania, S. 105.
20 Herbert Diercks, Rund um die Alster. Hamburger Geschichte im Nationalsozialismus, hrsg. v. d. KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Hamburg, 2018, S. 52.
21 Pawlik, Der Architekt Hermann Distel (1875–1945), in: Lichtwark-Heft, 63. Jg., 2010, Nr. 75, S. 34–40, hier S. 37.
22 Pawlik, Von Bergedorf nach Germania, S. 210.
23 Werner Durth, Städtebau und Macht im nationalsozialistischen Staat, in: Harlander/Pyta (Hrsg.), NS-Architektur, S. 37–59, hier S. 50.
24 Durth, Städtebau und Macht, S. 58 f.
25 Magnus Brechtken, Albert Speer. Eine deutsche Karriere, München, 2017, S. 138.
26 StaH 621-2/7 Bauarchiv Hermann Distel, Architekt 102.
27 StaH 621-2/7 Bauarchiv Hermann Distel, Architekt 220.
28 ebd.
29 Georg Lilienthal, Der NS-Anstaltsmord an jüdischen Patientinnen und Patienten, in: Ingo Wille, Transport in den Tod. Von Hamburg-Langenhorn in die Tötungsanstalt Brandenburg, Hamburg, 2017, S. 17–39, hier S. 18 f.
30 ebd.
31 Pawlik, Von Bergedorf nach Germania, S. 29 f.
32 Till Bastian, Furchtbare Ärzte. Medizinische Verbrechen im Dritten Reich, 3. Aufl., München, 2001, S. 91 ff.
33 Pawlik, Von Bergedorf nach Germania, S. 31.
34 StaH 332-5 Standesämter 10512 u. 729/1945.
 

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Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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